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Wider besseres Wissen konstatiert ein Arzt im Innviertler NS-Lager Weyer lange Zeit harmlose Todesursachen - bis er Ende 1940 mitten im Dritten Reich die Staatsanwaltschaft einschaltet. Ludwig Lahers Roman ist ein beklemmendes Werk, das sich über weite Strecken der Sprache und Logik der Mörder bedient.

Produktbeschreibung
Wider besseres Wissen konstatiert ein Arzt im Innviertler NS-Lager Weyer lange Zeit harmlose Todesursachen - bis er Ende 1940 mitten im Dritten Reich die Staatsanwaltschaft einschaltet. Ludwig Lahers Roman ist ein beklemmendes Werk, das sich über weite Strecken der Sprache und Logik der Mörder bedient.
Autorenporträt
Ludwig Laher, geboren 1955 in Linz, studierte Germanistik, Anglistik und Klassische Philologie in Salzburg, Dr. phil.; lebt in St. Pantaleon Oberösterreich). Er schreibt Prosa, Lyrik, Essays, Hörspiele, Drehbücher und Übersetzungen; dazu kommen wissenschaftliche Arbeiten. Mehrere Bücher, bei Haymon: Selbstakt vor der Staffelei. Erzählung (1998), Wolfgang Amadeus junior: Mozart Sohn sein. Roman (1999), Herzfleischentartung. Roman (2001), So also ist das / So That's What It's Like. Zweisprachige Anthologie (2002), Aufgeklappt. Roman (2003), Folgen. Roman (2005), Und nehmen was kommt. Roman (2007). Ixbeliebige Wahr-Zeichen? Über Schriftsteller-'Hausorthographien' und amtliche Regel-Werke (Studienverlag, 2008). Zuletzt: Einleben. Roman (2009) und Verfahren. Roman (2011, Longlist des Deutschen Buchpreises 2011).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.07.2001

Prügeln bis zum Tod
Ludwig Laher öffnet die Akten eines NS-Arbeitslagers

Gestützt auf Tausende Seiten von Akten, erzählt Ludwig Laher die Geschichte und Nachgeschichte eines 1940 eingerichteten "Arbeits-Erziehungslagers" und dann "Zigeuneranhaltelagers" im Ort St. Pantaleon in Oberösterreich. Obwohl die Häftlinge wichtige Arbeiten bei der Entwässerung einer Moorlandschaft leisteten, wird das Lager in der Jahrzehnte später erschienenen Chronik des Ortes mit keiner Silbe erwähnt. Schandflecke stellte man nicht aus. Der Autor des Buches lebt heute in St. Pantaleon. Man wird ihm wohl, obgleich es mittlerweile im Ort eine Mahnstätte gibt, kein Denkmal setzen.

Dies ist eine Geschichte nationalsozialistischer Willkür in Österreich, an der sich Österreicher willig beteiligten. Sogenannte arbeitsscheue Elemente, Nörgler und Schwarzhörer werden ins Lager gesteckt, zu Zwangsarbeit gepreßt und von der SA-Wachmannschaft mißhandelt. Die Schwerverletzten verteilt man auf die Krankenhäuser in Salzburg, Laufen und Braunau am Inn. Die Brutalität erreicht ihren Höhepunkt in der Weihnachtsprügelfeier des Jahres 1940. Als sich bei einem der Todesfälle eindeutige Spuren rohester Gewalt nachweisen lassen, schaltet der Ortsarzt, der zugleich als Lagerarzt bestellt ist, endlich die Behörden ein.

Dies ist keine Geschichte des Versagens der oberösterreichischen Justiz. Sowohl der Ober- wie auch der Generalstaatsanwalt lassen sich durch Erpressungsversuche der Partei nicht einschüchtern, dringen auf ein Gerichtsverfahren und erstatten Bericht beim Reichsjustizministerium. Von dort kommt Ermutigung. Erst als der Gauleiter des Gaus Oberdonau bei Hitler selbst interveniert, wird der Prozeß "mit Ermächtigung des Führers" niedergeschlagen. Die Akten werden geschlossen - allerdings von den Staatsanwälten auch archiviert.

Dies ist eine Geschichte der Schuldverdrängung. Andere Ausmaße als die Zwangserziehung "asozialer" Elemente nimmt die Inhaftierung und spätere Ermordung der Sinti und Roma an. Doch da die Häftlinge des Lagers St. Pantaleon-Weyer bald ins Konzentrationslager Mauthausen und von dort zur Ermordung nach Polen deportiert werden, ist die Aktenbasis für den Autor Laher schmal. So konzentriert sich der Schlußteil des Buches auf den Bericht über die "Volksgerichts"-Prozesse, die nach dem Krieg gegen die brutalen Bewacher des Arbeitslagers geführt werden. Bestürzend ist das Fehlen des Unrechts- und Schuldbewußtseins und damit der Reue. Die Angeklagten und Verurteilten verstricken sich in ein Netz von Widersprüchen, die sich aus angeblichen Gedächtnislücken, Lügen und Schuldzuweisungen ergeben. Am Ende sehen sich die Täter gar als Opfer, und tatsächlich profitieren sie vom allgemeinen Bedürfnis, das Vergangene ruhen zu lassen.

Dies ist kein Roman im üblichen Begriffsverständnis. Aber das Buch läßt aus Akten Figuren erstehen. Laher, der sich als Erzähler bisher an Künstlerviten gehalten hat, gibt in diesem Zeitgeschichtsbild zugleich ein Stück Mentalitätsgeschichte. Die häufigen Zitate aus Akten und Protokollen werden zu Bestandteilen einer "ästhetischen Konzeption"; das Buch ist keine bloße Dokumentation. Der Erzähler wählt für seinen Bericht die sprachliche Satire; immer wieder übernimmt er ironisch die zynische Denk- und Redeweise der Täter oder enthüllt im Stil einer überzogenen Verharmlosung und Verdrehung die Beschwichtigungstendenz sowohl bei Tätern wie auch bei Mitläufern. So heißt es über den brutalsten Folterer: "Eine geschlagene Stunde soll der engagierte Pädagoge insgesamt beschäftigt sein, bis er sein Erziehungsziel erreicht hat."

Und schließlich: Dies ist ein Roman, in dem der Erzähler immer wieder in Tuchfühlung mit dem Leser zu kommen versucht. Gewiß: Es galt, dem Leser abgelegtes Aktenmaterial lebendig zu machen. Muß man ihm deshalb gleich vertraulich auf die Schulter klopfen? "Darüber unterhalten wir uns in, sagen wir, zehn Tagen in aller Freundschaft." Als der Hauptangeklagte begnadigt wird: "Soll er doch heimgehen, der Alois, sind wir froh, mit diesen Menschen nichts mehr zu tun haben zu müssen." Für naiv wünscht der Leser nicht gehalten zu werden. Mildernder Umstand: Solche Fälle übertriebener Lockerheit bleiben zählbar.

WALTER HINCK

Ludwig Laher: "Herzfleischentartung". Roman. Haymon Verlag, Innsbruck 2001. 187 S., geb., 34 Mark.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Christiane Zintzen fühlt sich bei diesem Roman über ein 'Zigeuneranhaltelager' in Österreich, das während des Nationalsozialismus zu einem 'Arbeitsumerziehungslager' umfunktioniert wurde, an ein Radio-Feature erinnert. Dies liegt wohl daran, dass der Autor für die Recherchen zahlreiche Zeugenaussagen, Archivmaterial und Obduktionsbefunde hinzugezogen hat und nun in seinem Roman Erzählung mit "Originalton und Hörbild" zusammen bringt. Auch die Melodik der Sprache passt nach Zintzen gut dazu, die ihrer Ansicht nach große Nähe zur gesprochenen Sprache zeigt. Die Rezensentin hält dieses Buch insgesamt für einen "klugen Roman". Lediglich die Tatsache, dass der Autor bisweilen durchblicken lässt, dass er selbst "auf der richtigen Seite der Geschichtsbetrachtung" steht, findet Zintzen etwas zu didaktisch, um nicht zu sagen: überflüssig. Doch insgesamt beurteilt sie dieses Buch des "zeitgeschichtlichen Cicerone" Laher durchaus mit großem Wohlwollen.

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