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Produktdetails
  • dtv Taschenbücher Bd.20872
  • Verlag: DTV
  • Originaltitel: Miss Lizzie
  • 14. Aufl.
  • Seitenzahl: 336
  • Erscheinungstermin: Februar 2012
  • Deutsch
  • Abmessung: 191mm x 120mm x 19mm
  • Gewicht: 246g
  • ISBN-13: 9783423208727
  • ISBN-10: 3423208724
  • Artikelnr.: 14162400
Autorenporträt
Walter Satterthwait wurde am 23. März 1946 in Philadelphia geboren. Er hat in New York City, Portland, Afrika, Griechenland, den Niederlanden, England und Frankreich gelebt und als Lexikonvertreter, Korrektor, Barkeeper und Restaurantmanager gearbeitet. Seit seinem ersten Roman "Cocaine Blues" hat er mehr als ein Dutzend Bücher geschrieben, unter anderem eine fünf Romane umfassende Serie mit den Detektiven Joshua Croft und Rita Mondragon. Der Autor lebt zurzeit in Santa Fe.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.1995

Miß Marple mit dem Beilchen
Schönstes Ferienerlebnis: Walter Satterthwaits Abgründe

"Alles wird wieder gut." Wem wäre nicht diese Beschwichtigungsformel schon einmal begegnet. Aber so eng sie mit dem Trostbedürfnis der Menschen verschwistert scheint, so leicht ist sie darum als Floskel zu durchschauen. Weshalb, als der dreizehnjährigen Amanda dieselben Worte wiederbegegnen, die prompte Quittung nicht ausbleibt: "Amanda", sagt er, "alles wird wieder gut werden." "Das sagt Miss Lizzie auch immer. Aber bis jetzt ist noch gar nichts wieder gut geworden."

So schwindet der Kinderglaube dahin. Oft genug hat man es schon erlebt - spätestens seit es Fernsehen gibt. Immer sonntags durften wir "Lassie" sehen, und jedesmal wieder schien die ganze heile Kinderwelt zerbrechen zu wollen, um mit derselben braven Beständigkeit zuletzt auch wieder in Ordnung zu kommen. Als aber dann, Ende der achtziger Jahre, "Twin Peaks" über die Kanäle rauschte, mußten selbst oder gerade die hartgesottensten Serienfans mitansehen, wie ausgerechnet unter der Oberfläche noch der entlegensten, nach außen hin wie angeblich nur in den Dörfern befriedeten Welt die Abgründe einer nie und nimmer zu heilenden Verletzung des Guten sich auftun.

TV-Realitäten, seitdem, sind immer und überall. Doch weil noch immer genug der Orte wie Eisenbahnabteile, Wartezimmer, Badestrände sind, in die noch kaum ein Fernseher vorgedrungen ist, ist es gut, daß es nach wie vor Romane gibt, die mit dem Etikett "Entertainer" nicht nur locken, sondern es auch einlösen. Und "Miss Lizzie" gehört zweifellos dazu, auch wenn eben die Botschaft im Kern wieder keine andere ist, als daß Welten leichter untergehen als auferstehen. Entsprechend melancholisch gibt sich der Beginn: "Die Tage waren damals länger, in jenem längst vergangenen Sommer an der See, und die Luft war milder und das Sonnenlicht goldener . . ."

Aber dieser traurige Tonfall ist seinerseits leicht durchschaubar, und weil dem so ist, macht der Roman im weiteren keinen Hehl aus der Nostalgie, die er in Wahrheit bedient, um vielmehr so rasch wie möglich dazu überzugehen, diese kleine Schwäche, die er sich gönnt, durch einen soliden Mordfall aufzuwiegen. "Die Zeit geht nicht wirklich dahin; nur die Menschen" - so gewissermaßen das Motto, das wie vorherbestimmt erscheinen läßt, wenn dann der Schwenk erfolgt von den elegischen Bildern auf den grauenerregenden Anblick einer Leiche, zerhackstückt fast bis zur Unkenntlichkeit. Kein Wunder, daß die Protagonistin sich fragen muß, ob jemals alles wieder gut werden kann. Der nämlich ist es beschieden, die Ermordete - ihre Stiefmutter Audrey - zu finden, nachdem sie eines Tages aus schweren Träumen erwachte und Audrey gleichfalls aus einem Mittagsschlaf wecken zu können hoffte. Vergeblich, wie man leicht begreift.

Weniger leicht ist zu begreifen, weshalb Amanda dann ausgerechnet unter die Obhut von Miss Lizzie flieht. Das scheint zwar einerseits naheliegend, denn Lizzie Borden bewohnt das Nachbarhaus in jenem kleinen Badeort der zwanziger Jahre, der die Kulisse abgibt. Zudem hat sie gerade rechtzeitig vor dem schrecklichen Ereignis die Freundschaft Amandas erworben. Andererseits jedoch war Miss Lizzie einst wegen genau gleichartiger Morde an ihren eigenen Eltern angeklagt. Aus Mangel an Beweisen mußte sie damals freigesprochen werden. Doch ihre Unschuld blieb ebenso unbewiesen.

Natürlich fällt deshalb aller Verdacht sofort auf sie - wie in der Folge, versteht sich, auf fast das gesamte übrige Romanpersonal: den Vater Amandas, ihren Bruder, die heimliche Geliebte des Vaters . . . Denn Satterthwait beherrscht sein Handwerk, und wie er hierin der Regel Hercule Poirots gehorcht: "Nun müssen Sie sich das eine vergegenwärtigen, Hastings: Jeder von uns ist ein potentieller Mörder" - so bietet er auch sonst alles auf, was das Metier zu bieten hat: den verbissenen Chief und den heruntergekommenen Privatdetektiv; die aufgebrachte Menge, die Lynchjustiz verüben will, und den opferbereiten Helden, der ein falsches Geständnis ablegt; den nächtlichen Anschlag auf die einzige Zeugin und, damit verbunden, einen nervenzerreißenden "showdown", in dem der Täter endlich sich selber entlarvt. Schließlich, wie um das Maß der Plagiate, von denen das Genre immer schon lebt, vollzumachen, heißt Miss Lizzie am Ende kurzerhand "eine Miss Marple mit Beil".

In dieses Schema paßt auch, wenn der Roman zum Ausklang sich selber ein falsches Alibi besorgt und so tut, als sei er gar kein Krimi, sondern "eine Art detaillierter und sehr verspäteter Aufsatz über das Thema "Was ich im letzten Sommer gemacht habe". Aber gerade daß alles zugleich als Klischee durchschaubar ist und dennoch überzeugt, weil stimmt - nicht zuletzt darin besteht, angenehm unspektakulär, seine große Kunst. Seine Erzählweise kokettiert nicht nur mit der Nähe zum Kinderabenteuerbuch. Aber sie fällt auch nicht darauf herein. Der Bericht erfolgt aus der Sicht einer Dreizehnjährigen, doch wird nie ein Zweifel daran gelassen, daß die fiktive Erzählerin, die sich da an die Ereignisse jenes Sommers erinnert, inzwischen längst erwachsen ist. Das macht die Schilderung, wie Kindheit unwiederbringlich versinkt, um so glaubwürdiger. Unbekümmert um die Illusion einer möglichst prallen Gegenwelt, zu der sonst die Ambition zu unterhalten oft verführt, führt Satterthwait eher umgekehrt vor, wie die Wirklichkeit ganz aus sich selbst uns immer abgründiger wird. BERNHARD DOTZLER

Walter Satterthwait: "Miss Lizzie". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ursula-Maria Mössner. Haffmans Verlag, Zürich 1995. 333 S., geb., 29,50 DM.

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