Produktdetails
Trackliste
CD
1Wonderful life00:06:49
2He wants you00:03:31
3Right out of your hand00:05:14
4Bring it on00:05:23
5Dead man in my bed00:04:40
6Still in love00:04:44
7There is a town00:04:58
8Rock of Gibraltar00:03:00
9She passed by my window00:03:20
10Babe, I'm on fire00:14:46
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.02.2003

Ein toter Mann ist kein guter Mann
Immer nur dasitzen und den Blues singen ist auch eine Lösung: Nick Caves neues, schönes Album

Im Lichte jüngster Tennisereignisse darf man es vielleicht so formulieren: Nick Cave ist der Andre Agassi der Rockmusik. Seine Entwicklung weg von einer Existenz, über die man sich mit dem Etikett "schillernd" eher behelfsmäßig Klarheit zu verschaffen versuchte, hin zum Bürohengst mit vernünftiger Frisur verlief ähnlich erfreulich wie die des ehemaligen "Paradiesvogels" aus Las Vegas. Dieser hat erst vergangenes Wochenende wieder bewiesen, welch seriöser Sportler er ist. Daß obendrein Agassi und Steffi Graf zusammenfinden würden, hätten lange Zeit wohl nur Verrückte oder die geglaubt, die Einblick haben in die Finessen der menschlichen Seele. Gleichfalls überraschte es vor Jahren, daß Cave das Mörderballadenduett "Where The Wild Roses Grow" ausgerechnet mit Kylie Minogue sang. Man beschimpfte ihn als den, für den er sich sowieso hielt: Judas.

Seither ist es ruhiger um ihn geworden. Die Wörter "Liebe", "Tod", "Verzweiflung" fallen nach wie vor in den Rezensionen, aber daß Cave seine Tage mittlerweile wirklich von neun bis achtzehn Uhr im Büro verbringt, um dort zu komponieren, ist eine Tatsache, über die sich kaum noch jemand wundert. Was der solide Lebenswandel fürs Musizieren bedeutet, darüber ist von Fall zu Fall zu befinden. Beim vergangenen Album "No More Shall We Part" war es Cave durchaus anzumerken, daß er beim Klimpern auf seinem Klavier noch die Zeit hat, dabei nachdenklich aus dem Fenster zu sehen.

Diesmal ist er weniger bedächtig an die Sache herangegangen. "Nocturama" ist ein gutes Nick-Cave-Album geworden, das knappe zwei Jahre nach dem Vorgänger nicht nur die erstaunliche Produktivität dieses Mannes bestätigt - das nächste, so hört man, soll auch schon halb fertig sein und wäre dann das dreizehnte Studiowerk -, sondern auch dessen gediegenes Handwerkertum. Beim ersten Hören klingt es etwas unpräzise, doch schnell stellt sich heraus, daß jeder Einsatz sitzt - auch in den schnellen Nummern, von denen es zwei gibt. "Dead Man In My Bed" berichtet von einer Frau, die einen toten Mann mit offenen Augen bei sich im Bett liegen hat und naturgemäß wenig mit ihm anzufangen weiß; "Babe I'm On Fire" bietet eine in vierzig Strophen durchgehechelte Revue von Monstren, Mumien, Mutationen, wie sie in dieser epischen Breite höchstens Dylan hinbekommt: Eine viertel Stunde heftig pulsierender Lärm, bei der Cave die Hammond-Orgel wohl meistens mit den Unterarmen bedient.

Wenn der Krach einmal aussetzt, merkt man, was für ein ungelenker Sänger Cave ist, sobald seine Stimme einsam und laut sein will. Ganz eindeutig liegen ihm eher die gemurmelten, immer wieder hymnisch ausgreifenden Balladen. Der Rest ist so geschmackssicher, wie man das von einem ausgeruhten Nick Cave erwarten darf, und es ist sehr zu begrüßen, daß die Begleitcombo "Bad Seeds" stärker zum Einsatz kommt als beim vergangenen Mal.

"There Is A Town" schleppt sich dahin mit Warren Ellis Geigenschmalz und ist dank der vorzüglichen Gitarrenarbeit von Mick Harvey und Blixa Bargeld neben dem Eröffnungstitel das herausragende des Albums. "Wonderful Life" klingt dem Hörer so majestätisch im Ohr, daß man sofort weiß, warum es nicht gleichgültig sein kann, daß der Familienvater Nick Cave einer geregelten Arbeit nachgeht. Es ist eine Art antiapokalyptischer, mutig ins Daseinsbejahende gewendeter Version von "The End", düster verhangen, aber ohne den ödipalen Einschlag wie bei den "Doors", wunderbar die Mitte haltend zwischen großspuriger Sinnsuche und Belanglosigkeit: "We can build our dungeons in the air / And sit and cry the blues / We can stomp across this world / With nails hammered through our shoes". Man muß es nur zu finden wissen, dieses wunderbare Leben; zur Not zeigt uns der alte Metaphernkönig Nick Cave den Weg dorthin.

EDO REENTS

Nick Cave and the Bad Seeds, Nocturama. Mute 543 00 42 (EMI/Virgin)

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