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1Juliet, Naked
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Süddeutsche Zeitung Audio-Rezension

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.11.2009

Das popkulturelle Biedermeier
Nick Hornby, „Mad Men” und der Bossa Nova: Warum sich Pop nach der Ordnung der frühen sechziger Jahre sehnt
Es gibt keinen Schriftsteller, zu dem das Etikett „Popliterat” besser passt als zu Nick Hornby. Was den 52-jährigen Briten von vielen seiner Zeitgenossen unterscheidet, ist die Tatsache, dass er den Pop nicht einfach als biografisches Element oder Genre-Requisit in seine Romane einbringt, sondern mit seinen Texten regelmäßig den Zustand des Pop auf den Punkt bringt, ohne sich gleich in die Metaphorik eines universalen Zeitgeistes zu versteigen, den der Pop gar nicht fassen könnte. Nein, er konzentriert sich auf jene Vertreter seiner eigenen und der angrenzenden Generationen, die im bildungsbürgerlichen Milieu den Pop als Sinn- und Identitätsstifter betrachten. So bleibt der Pop ein eigener Kosmos, der ähnlich enge Grenzen hat wie das Spießbürgertum, gegen das er einst angetreten war. Aber gerade weil Nick Hornby dieses Thema immer wieder als wertkonservativer Moralist angeht, der unter einem Happy End immer noch das Shakespearsche „Love conquers all” versteht, ist er bei seiner Suche nach dem Kern des Pop so treffsicher.
Das ist ihm auch mit seinem neuen Roman „Juliet, Naked” wieder gelungen (Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2009. 304 Seiten, 19,95 Euro). Die Geschichte ist schnell umrissen. Annie und Duncan sind eines jener unzähligen Pärchen, die sich im Bodensatz der akademischen Welt eine bescheidene, aber komfortable Existenz eingerichtet haben. Seit 15 Jahren leben sie in einem heruntergekommenen Seebad an der englischen Küste. Außer der Unfähigkeit, aus ihrer leidenschafts- und kinderlosen Beziehung auszubrechen, verbindet sie ihr Interesse für Musik und Leben eines ominösen amerikanischen Singer-Songwriters namens Tucker Crowe, der 1986 nach einem Konzert spurlos verschwand.
Als eine abgespeckte Version von Crowes wichtigstem Album mit dem Titel „Juliet, Naked” erscheint, schreibt Annie einen Verriss für Duncans Fanwebseite, den dieser nur widerwillig ins Internet stellt. Doch der wahre Tucker Crowe findet sich in Annies Verriss viel besser verstanden als in Duncans Lobeshymne und beginnt, mit Annie per E-Mail zu flirten. Zur selben Zeit landet Duncan in den Armen und im Bett einer Lehramtskollegin. Es entspinnt sich ein transatlantisches Beziehungsgeflecht, das schließlich in der Einsicht mündet, dass nur ein intaktes Familienleben vor der Falle der lebenslänglichen Infantilisierung im Pop bewahren kann.
Das klingt zunächst einmal so bürgerlich, als sei „Juliet, Naked” in den späten fünfziger oder frühen sechziger Jahren geschrieben worden, als Popkultur noch alle möglichen zersetzenden Eigenschaften nachgesagt wurden. Mit Annie, Duncan und Tucker Crowe schließt Hornby auch direkter an die Figuren und Themen seines Debütromans „High Fidelity” an, als mit jedem anderen seiner Folgeromane. Und sicher hat er den Pop wieder an einigen wunden Punkten im Kern getroffen.
Ist der Pophistoriker Duncan mit seinem fanatischen Aufarbeiten eines obskuren, unvollendeten Lebenswerks dem Briefmarkensammler nicht so viel näher als dem Glamour des Pop? Steht Annies Verzweiflung über ihre verschwendeten Jahre mit Duncan nicht stellvertretend für die Leere, die sich hinter diesem Glamour verbirgt? Ist der vielfache Vater unehelicher Kinder Tucker Crowe nicht das Menetekel für Alterseinsamkeit als logischer Konsequenz allzu lässiger Bindungsunfähigkeit?
Mit Haarschleife und Kleidchen
Es sind jedoch nicht nur Hornbys Charaktere, in denen sich die Sehnsucht des Pop nach Bürgerlichkeit manifestiert. Es ist auch die Form. Hornbys Romane lesen sich so flüssig und charmant, dass sie regelmäßig einen Sog entwickeln, dem man sich nur schwer entziehen kann. Literaturkritikern ist dieser Sog oft etwas peinlich. Das Unbehagen ist berechtigt, denn Nick Hornby tut nichts anderes, als unter dem Deckmantel des hippen Pop den Trivialroman der Nachkriegszeit wiederzubeleben. Es ist kein Zufall, dass Hornbys Hauptfiguren in Filmen von dackeläugigen Heinz-Rühmann-Gestalten wie John Cusack, Hugh Grant oder Peter Sarsgaard gespielt werden.
War dieses Formenzitat des Liebes- und Familienromans bei Hornbys „High Fidelity” 1995 noch ein exotisches Spiel mit Retro-Genres, so ist er heute längst der Pionier einer Bewegung, die solche trojanischen Pferde bürgerlicher Unterhaltungsformen zuhauf im Kosmos des Pop platzieren. All die bejubelten Serien amerikanischer Kabelsender, die hierzulande so gerne auf DVD gesehen werden, „The Sopranos”, „Six Feet Under” oder „Mad Men”, sind Seifenopern mit Anspruch. Die ineinander verwobenen Handlungsstränge, in denen sich diese modernen Patchworkfamilien verstricken, funktionieren nach genau jenem Muster des charmanten Sogs, wie Hornbys Popromanzen.
Auch die Musik hat sich längst wieder in jene Zeit bürgerlichen Wohlgefühls zurückbewegt, als das Wirtschaftswunder schon in vollem Gange und die Umwälzungen der sechziger Jahre nicht mehr als ein gesellschaftliches Wetterleuchten waren. Was sind die elektronischen Klänge von Air, Röyksopp oder Kruder & Dorfmeister anderes als Easy Listening, das als Klangfläche eine ganz ähnliche moderne Behaglichkeit erzeugt, wie einst die Bachelor Pad Music von Martin Denny und Eumir Deodato?
Sind die Wiedergeburten des Chansons und des Bossa Novas bei Benjamin Biolay und Bebel Gilberto nicht die gleichen Annäherungen des Bildungsbürgertums an die Geborgenheitsgefühle des Schlagers wie ihre Vorläufer Charles Aznavour und Bebels Mutter Astrud? Unvergessen die Szene aus der Filmkomödie „Get yourself a College Girl”, in der Astrud Gilberto 1964 mit Haarschleife und Modellkleidchen neben Stan Getz in Strickjacke ihren Hit „Girl from Ipanema” singt und mit einem Augenaufschlag der zornigen Latin Music und dem subversiven Modern Jazz ihrer Tage jegliches Moment der Rebellion austreibt.
Doch es ist ja nicht nur die Sehnsucht nach Bürgerlichkeit, die in diesen Formen und Motiven steckt. Sicher mag die Midlife Crisis so manchem 40- oder 50-Jährigen den Spaß an der Plattensammlung vergällen, wenn er des poststudentischen Lebens in gemieteten Altbauwohnungen und freischaffenden Karriereschwankungen überdrüssig ist. Das allerdings ist nur das vordergründige Unwohlsein, hinter dem sich eine viel tiefgründigere Sehnsucht verbirgt. Denn die Ordnung der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre, die sich im moralischen Weltbild der Hornby-Romane genauso findet wie in den Company Men und ihren Suburban Wives aus der Serie „Mad Men” und dem Neo-Bossa von Bebel Gilberto, ist letztlich ein überschaubares Weltbild, gegen das man gezielt rebellieren kann.
Nach Paris durchbrennen
Es ist kein Zufall, dass „Juliet, Naked” im Subtext auch ein Manifest gegen das Internet ist, das Hornby als bodenlosen Abgrund beschreibt, der jede menschliche Regung, jeden klugen Gedanken, jede Form von Kreativität im Nichts eines unüberschaubaren Netzwerks aus Halbherzigkeiten verschwinden lässt. Es ist aber nicht die Ordnung als Sinnstifter, nach der sich diese Popkultur sehnt, sondern nach der Ordnung als ein klares Ziel für den Kampf. All jene Bedrohungen, die gerade die unsicheren Halbexistenzen der Generation Pop gefährden – die Wirtschaftskrise, die Überteuerung der Städte, die Aushöhlung der Kulturgeschäftsmodelle, die ominöse Globalisierung – sind jedoch kontur- und gesichtslose Systeme ohne klare Angriffspunkte. Gegen Chaos rebelliert man nicht.
Deswegen bezieht sich der Pop auch nicht auf die Bürgerlichkeit der frühen und mittleren fünfziger Jahre, in denen sich die Ordnung noch im Wohlstand festigte, sondern auf die frühen sechziger Jahre. Da kämpften die Sekretärinnen und Hausfrauen, die „Mad Men” porträtiert, für ihren eigenen Weg. Da meldete sich der Wille einer Generation, gegen eine Ordnung und ihre spießbürgerliche Enge aufzustehen. Ganz so, wie es die Einserschülerin Jenny in Hornbys erstem Drehbuch „An Education” tut. Die brennt Anfang der sechziger Jahre mit einem Verehrer nach Paris durch. Um zu feiern. So leicht war der Aufstand. So einfach das Leben. ANDRIAN KREYE
Bossa Nova 1964: Astrud Gilberto (Mitte) und Stan Getz (ganz links) zähmen die Subkulturen. Foto: Michael Ochs Archive
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2009

Was geschah damals auf der Toilette?

Nick Hornby, Meister der charmanten Rocksentimentalität, sollte darüber nachdenken, ob er für sein Lebensthema nicht zu alt ist. Sein neuer Roman "Juliet, Naked" wirkt kindisch

Da gibt es diesen Wahnsinnstypen, Tucker Crowe, total abgefahren, der hat früher Wahnsinnsplatten gemacht, Singer/Songwriter, so was in der Richtung, aber mehr mit Independent-Feeling, also besser als Bob Dylan und die ganzen anderen zusammen, und von diesem Tucker Crowe ist jetzt 'ne neue Platte erschienen, "Juliet, Naked" heißt sie, eine total abgefahrene Demoversion seines legendären Albums "Juliet" von 1986, das war das Jahr, in dem er untertauchte, nachdem er auf einer Toilette irgendwo in Minneapolis so ein merkwürdiges Erlebnis hatte.

Nick Hornby ist jetzt zweiundfünfzig Jahre alt, und wenn es auch nicht so ist, dass er in seinem neuen Buch direkt diesen Ton anschlägt, so muss man sich doch fragen, wie jemand in diesem Alter noch so kindische, alberne Sachen schreiben kann wie die Geschichte des musikbesessenen, ungefähr fünfundvierzigjährigen Universitätsdozenten Duncan, dessen Lebensinhalt darin besteht, möglichst viel über den einigermaßen obskuren Rockmusiker Tucker Crowe herauszufinden und möglichst viel darüber zu reden, der den immer dringender werdenden Kinderwunsch seiner Freundin Annie quasi vor dem Plattenteller aussitzt und diese sogar dazu überredet, von England nach Minneapolis zu fliegen, um dem Verschwinden Tucker Crowes an Ort und Stelle, also auf dem Locus, auf den Grund zu gehen.

Hier, gleich am Anfang des Buchs, hätte Hornby noch die Kurve kriegen können, wenn er der Sache einen wirklich abgedrehten Zug verpasst hätte, vielleicht in der Art von "Trainspotting", nicht aber diese im Grunde bloß muffige Fanmythologie, mit der Hornby noch nicht einmal seine Enkel langweilen kann, falls er schon welche hat.

Man soll nicht ungerecht sein: Die Beschäftigung mit Rockmusik ist keine vertane Zeit und zur Not auch ein literarisches Thema. Aber Hornby hätte all diese ausgedachten, schnell ermüdenden Einzelheiten einer verpfuschten Karriere, mit denen ungefähr das halbe Buch bestritten wird, lieber weglassen sollen. Dass das Ganze, wie schon zu lesen war, als "Abgesang" auf das Fantum gemeint sein soll, ist kaum anzunehmen, dazu gibt Hornby sich zu viel Mühe und wirkt der Roman zu identifikatorisch. Eines aber muss man dem alten Rockschwerenöter lassen: Klug ist er trotzdem. Es fallen in der zweiten Hälfte, in der sich eine Reihe überraschender Wendungen ergibt, um die ihn jemand wie Paul Auster vermutlich noch beneiden würde, treffende, zuweilen richtig anrührende Bemerkungen über die Themenfelder "Leben und Kunst" sowie "Verantwortung" ab, die Hornby in dieser Beiläufigkeit so schnell keiner nachmacht und die etwas versöhnlicher stimmen - aber nur etwas: Ein fiktiver, verkrachter Rocker ist in dieser Form einfach nicht abendfüllend.

EDO REENTS

Nick Hornby: "Juliet, Naked". Roman. Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Verlag Kiepenheuer & Witsch. 360 Seiten, 19,95 Euro

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