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Am 30. März 1912 stirbt in Radebeul Karl Friedrich May - Lehrer, Kleinkrimineller und Schöpfer unsterblicher Gestalten wie Winnetou, Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi. Zum 100. Todestag des großen deutschen Romanciers hat der Germanist Helmut Schmiedt, stellvertretender Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft e.V., eine spannende Biographie geschrieben.
Helmut Schmiedt gelingt es, in seiner Lebensbeschreibung Karl Mays zu zeigen, wie dem Jungen, der in elendeste Verhältnisse einer Weberfamilie am Rande des Erzgebirges hineingeboren wurde, allein die Phantasie einen Weg aus der ihn
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Produktbeschreibung
Am 30. März 1912 stirbt in Radebeul Karl Friedrich May - Lehrer, Kleinkrimineller und Schöpfer unsterblicher Gestalten wie Winnetou, Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi. Zum 100. Todestag des großen deutschen Romanciers hat der Germanist Helmut Schmiedt, stellvertretender Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft e.V., eine spannende Biographie geschrieben.

Helmut Schmiedt gelingt es, in seiner Lebensbeschreibung Karl Mays zu zeigen, wie dem Jungen, der in elendeste Verhältnisse einer Weberfamilie am Rande des Erzgebirges hineingeboren wurde, allein die Phantasie einen Weg aus der ihn umgebenden, materiell wie geistig beengten Umwelt weist - freilich nicht, ohne erheblich mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. May resozialisiert sich selbst als Schriftsteller, dessen Phantasie nicht nur ihm selbst, sondern auch seinen immer zahlreicheren Lesern neue, bessere - und in der Eindeutigkeit ihrer Werte auch beherrschbarere - Welten erstehen lässt als jene, die sie in der Realität umgibt.Stets sind es die Werke, an denen entlang Schmiedt den Lebensweg Karl Mays abschreitet und seine geistige, literarische und gesellschaftliche Entwicklung darstellt. So dient diese reich bebilderte Biographie dem Karl-May-Einsteiger als Wegweiser zu wunderbaren Neuentdeckungen, dem Karl-May-Liebhaber als Treffpunkt mit "alten Freunden", die er noch besser kennenlernen wird.
Autorenporträt
Helmut Schmiedt, geb. 1950, lehrt als Professor für Germanistik an der Universität Koblenz-Landau und ist stellvertretender Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft. Leben und Werk Karl Mays bilden seit vielen Jahren einen seiner Forschungsschwerpunkte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2011

Spannend wie ein Schundroman
Übermensch, Scharlatan oder Selbstdarsteller? Gleich drei Biographen nähern sich auf sehr unterschiedlichen Pfaden
dem Phänomen Karl May, dessen Todestag sich im März 2012 zum hundersten Mal jährt Von Harald Eggebrecht
Karl May bleibt aktuell, weil er mit seinem Werk das Weltbild seiner Lesermassen auch jenseits seiner Zeit geprägt hat. Außerdem dient sein „Leben und Streben“, sein schreiberisches Gelingen und Scheitern über die Literaturwissenschaften hinaus als beispielhaft vielschichtiges Forschungsobjekt. Daher beugen sich auch Psychoanalytiker, Ethnologen, Theologen, Juristen, Soziologen und Medienwissenschaftler, dazu die breite Front der Liebhaber und Kenner immer wieder über den sächsischen Phantasten und sein vielströmiges Werk, weil es in alle Richtungen funzelt und blinkt, manchmal auch funkelt und blitzt.
Dass allerdings bei den Jungen der Griff nach seinen Romanen nachlässt, kann nicht verwundern. Ein Grund: In Zeiten eines allfälligen Welttourismus, der es relativ leicht ermöglicht, nach Bali zu reisen oder in den Grand Canyon zu steigen, zur Antarktis per Schiff zu fahren oder auf den Kilimandscharo zu klettern, zu den tasmanischen Beutelteufeln zu gelangen oder in den Casinos von Macao zu zocken, dürften Mays aus einschlägigen Quellen nachempfundene „Berichte“ aus fernen Kontinenten gegenüber der heute selbst fotografierten und gefilmten Reiserealität rührend überholt und eindimensional erscheinen.
Der bleibende Reiz liegt vielmehr in jenen Abenteuern, bei denen Prärien, Wüsten, Balkanschluchten oder Felsenburgen Handlungs- und vor allem Beziehungsräume nach Maßgabe ihrer Nützlichkeit im Fortgang der Erzählung sind. Wie sich also Old Shatterhand und Winnetou, Hadschi Halef Omar und Kara ben Nemsi, Karl Sternau und Bärenherz, um nur ein paar „Unsterbliche“ zu nennen, in diesen Räumen zu bewegen wissen, um siegreich aus allen Kämpfen und Gefahren hervorzugehen, das zieht an. Da May immer auch voll Hintersinn und Assoziationszauber schrieb, verstärkt es den Lesespaß und führt oft zu Funden von überraschender Vieldeutigkeit.
Schon in frühen Erzählungen wirkt Mays Magie. Der Bamberger Karl-May-Verlag hat als Band 89 seiner Werkreihe zwei Beispiele herausgebracht unter dem Titel „Im fernen Westen“. Die Titelerzählung ist die Zweitfassung eines seiner ersten Wildwest-Abenteuer „Old Firehand“. May hat es später in einer dritten Version in „Winnetou II“ eingearbeitet. Der beigegebene „Fürst der Bleichgesichter“ wiederum ist eine Episode aus dem Kolportageroman „Deutsche Herzen, deutsche Helden“. Christoph F. Lorenz informiert in Nachworten ausgiebig über beide Texte und ihre Entstehung.
Im kommenden März jährt sich Mays Todestag zum hundertsten Mal. Gleich drei Biographen sind angetreten, um May aus heutiger Sicht Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Rüdiger Schaper strebt schon mit dem Buchuntertitel „Untertan, Hochstapler, Übermensch“ danach, May und seinem Charakter in drei großen Schritten beizukommen. Thomas Kramer gibt sich bescheidener, er nennt sein Opus „Ein biographisches Porträt“, während Helmut Schmiedt, der vielfach ausgewiesene May-Experte, auf den Kern des Ganzen zielt: „Karl May oder die Macht der Phantasie.“
Schmiedt, dessen frühere „Studien zu Leben, Werk und Wirkung eines Erfolgsschriftstellers“ von 1992 dem neuen Buch in manchem als Fundus dienen, entwickelt sein Lebensbild des Schriftstellers und seines Nachlebens bis in die Gegenwart hinein in angenehm nüchternem Ton. Er hält Distanz zu May, dessen „reißendes“ Erzählen just das Gegenteil bezweckte und daraus in den besten Momenten seine Unwiderstehlichkeit gewann, nämlich Distanz so gründlich aufzuheben, dass nurmehr völlige Identifikation im Prozess des jeweiligen Abenteuers möglich ist. So braucht beispielsweise gerade Mays elende Kindheit in Ernstthal am Rande des Erzgebirges als Sohn einer armen Weberfamilie solche Betrachtungskühle, da von ihr nur Mays späte Autobiographie, 1910 erschienen, erzählt, umwunden mit einem Kranz an Selbstmythisierungen, deren Wahrheitsgehalt kaum überprüft werden kann. Schmiedts im besten Sinne so skeptische wie unbeirrt aufmerksame Herangehensweise vertreibt erst einmal das bengalische Flackern, das Mays Leben in manch anderen Darstellungen umwabert, diesen Aufstieg aus dem Jammertal – Weberelend, Kleinkriminalität, Hochstapelei und daraus folgend Gefängnis- und Zuchthaustrafen, dann Resozialisierung in der Lohnschreibereifron der Kolportageproduktion – hinauf zum Starruhm eines vermeintlich weitgereisten, vielerfahrenen Schriftstellers, der alles selbst erlebt haben wollte, wovon er erzählte. Schmiedt zeigt auch, dass der Autor May sehr genau seine Produktion auf die jeweiligen Leser ausrichtete, wie er kompilierte, sich selbst redigierte und ganz ökonomisch Altes in neuem Gewande wieder präsentierte. Wer glaubte, es handle sich um einen letztlich naiven Erzähler, bekommt hier den Einblick in die Werkstatt eines versiert kalkulierenden, im Buchgeschäft erfahrenen Schriftstellers und Inszenators seiner selbst.
Schaper probiert anderes: Die Biographie dient ihm als Gerüst, um darum herum mal überraschende, erhellende, oft aber ziemlich ferne Assoziationsketten zu winden, in denen May als wirkmächtiges Phänomen gleichsam in anderen Gestalten aufscheint, selbst wenn sie von May keine Ahnung haben sollten. Schapers tour de force führt von Christoph Schlingensief und seinem afrikanischen Operndorftraum über die Karl-MayFilme der sechziger Jahre, über Hans-Jürgen Syberberg und seine Wagnerisierung Mays und Bully Herbigs Parodie bis hin zu Kafkas Amerika-Roman, zum Kino Steven Spielbergs und zu David Camerons „Avatar“ – so viel Karl May in allen Erscheinungen der letzten hundert Jahre hat wohl noch keiner sehen wollen. Auch Thomas Kramer, der von Mays letztem öffentlichen, gefeierten Auftritt in Wien 1912 als Schlüsselszene seines Helden ausgeht, entdeckt überall Karl-May-Aktualität ob bei Tolkiens „Herr der Ringe“, in Lucas’ „Star Wars“ oder in neuen Computerspielen. Für ihn ist May vor allem Mythenerfinder und Sagenerzähler.
Einen anderen Aspekt, May und sein Verhältnis zu Bild und Fotografie, hat der Fotografie-Experte Rolf H. Krauss in vier Aufsätzen umkreist. May kümmerte sich durchaus um Illustrationen, so um die Deckelbilder jener Ausgabe, die der Freiburger Verleger Ernst Fehsenfeld herausbrachte. Bekannt wurde auch die Beziehung zum Maler Sascha Schneider, der Mays späte symbolistische Umdeutungen des eigenen Werkes dementsprechend darstellen sollte. Die Fotos seiner Kostümierungen als Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi setzte er bewusst als Werbung für die Marke May ein. Als er in den 1890er Jahren dann doch in den Orient und nach Amerika reiste, entstanden viele Schnappschüsse, die den großen Phantasieabenteurer als braven Touristen vor Ägyptens Pyramiden oder Amerikas Niagarafällen zeigen.
Seit mehr als vierzig Jahren sorgt besonders die Karl-May-Gesellschaft (KMG), gelassen und großzügig auch bei außenseiterischen Vorgehensweisen, für die seriöse Auseinandersetzung mit May. Das Jahrbuch der KMG 2011 bietet in diesem Sinne unter anderem einen Text von Martin Walser über seine Wiederentdeckung des „Winnetou“, eine Abhandlung (Emil Angel) über die erste Karl-May-Studie überhaupt, die der Jurastudent Karl Lessei im Luxemburger Wort 1899 veröffentlichte, sowie Aufsätze zu Mays „Lebens- und Sterbensphilosophie“ (Hermann Wohlgeschaft), und zu Winnetou in Mays Konzeption und in späteren Interpretationen (Klaus Eggers), schließlich einen Vergleich der „Abenteuerprofile“ bei May mit seinem italienischen Pendant Emilio Salgari (Ralf Junkerjürgen).
Jedenfalls möchte man bei so viel May-Stoff mit Thomas Mann gehen, der auf die Frage, was er von May in den Wiener Sophiensälen hielte, antwortete, ihm sei zwar nie ein Buch von May„zu Gesicht gekommen“, nach den Zeitungsberichten halte er ihn aber für „einen gar nicht uninteressanten Charlatan“ und würde sich ein „Billet kaufen“.
Karl May
Im fernen Westen
Karl May Verlag, Bamberg/Radebeul 2011. 534 Seiten, 17,90 Euro.
Helmut Schmiedt
Karl May oder die Macht
der Phantasie
C. H. Beck Verlag München 2011.
368 Seiten, 22,95 Euro.
Rüdiger Schaper
Karl May. Untertan,
Hochstapler, Übermensch
Siedler Verlag, München 2011.
240 Seiten, 19,99 Euro.
Thomas Kramer
Karl May. Ein biographisches Porträt
Herder Verlag, Freiburg 2011.
192 Seiten, 12,99 Euro.
Rolf H. Krauss
Karl May und die Fotografie. Vier Annäherungen
Jonas Verlag, Marburg 2011.
95 Seiten, 20 Euro.
Jahrbuch der KMG 2011
Hansa Verlag, Husum 2011.
257 Seiten, 16 Euro.
Der Phantasieabenteurer als braver Tourist: Karl May an den Niagarafällen 1908. Foto: Karl-May-Museum Radebeul bei Dresden
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.2012

Vom Schund empor ins Reich der Edelfedern

Zum Jubiläum scharen sich Kenner und Liebhaber um das Lagerfeuer ihrer Jugendträume: Hundert Jahre nach seinem Tod wird Karl May jedoch mehr interpretiert als gelesen.

Der Tod, erklärt Kara Ben Nemsi dem kleingläubigen Hadschi Halef Omar einmal, "ist für mich nicht vorhanden". Und tatsächlich: Auch wenn Karl May am 30. März 1912 in die ewigen Jagdgründe (angeblich mit dem letzten Seufzer "Sieg, großer Sieg! Ich sehe alles rosenrot!") entrückt wurde, lebt sein Mythos augenscheinlich fort. In seinem Geburtsort Hohenstein-Ernstthal feiert man seinen hundertsten Todestag mit dem Event "Karl May lebt", im Katholischen Familienbildungsheim Meckenheim "liest und lebt" ihn ein Schauspieler. Nürnberg würdigt den Unsterblichen mit einem Karl-May-Literaturgottesdienst von Dekan Krieghoff, Berlin mit einer Karl-May-Filmgala mit Atze Brauner, Spiekeroog mit einem Liederabend mit Karl-May-Kompositionen. In Radebeul wird der Karl-May-Erlebnispfad eingeweiht, in München erinnert die Lesung "Verdimmi-verdammi" an die enge Beziehung zwischen Winnetou und Wurzelsepp. Karl Hohenthal, besser bekannt als Franz Xaver Kroetz, hat soeben mit "Hadschi Halef Omar im Wilden Westen" das Werk des Maysters um neue Abenteuer und einige Squaws bereichert.

Martin Walser hat ihn "unter der Bettdecke mit der Taschenlampe" gelesen und beim Wiederlesen für das Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft sofort wieder Feuer gefangen. Sattelt mir noch einmal das Musenross Hatatitla, zündet die Hirschtalgkerzen an: So viel Großes und Schönes hat Karl May geschrieben, noch Edleres gewollt, aber übel hat man ihm seine "vor keiner Niedertracht kapitulierende Menschlichkeit" gelohnt. Empor ins Reich der Edelmenschen? "Da grinse, wer kann." Vom blinden, verwirrten Proleten zum missionarischen Seher, vom Kegeljungen zum "letzten Großmystiker" (Arno Schmidt), vom Kerzendieb und Hochstapler Dr. Heilig zur Lichtgestalt: Karl Mays Biographie folgt so offensichtlich den Mustern von Heilsgeschichte und Kolportage, dass man auch seine letzte rosenrote Vision für eines seiner reißenden Märchen halten könnte. Selbst sein Verleger Ernst Fehsenfeld sah ihm ja von weitem den "leichten Schwung von Reiterbeinen" und das "energische Kinn" Old Shatterhands an. Wenn ein 1,65 Meter großer Hänfling Millionen von Leser in seine folie à trois ("Ich bin wirklich Old Shatterhand resp. Kara Ben Nemsi und habe erlebt, was ich erzähle") einzuspannen vermag, kann er auch dem Tod mit seiner Alten Schmetterhand ein Schnippchen schlagen.

Allein, so emsig und sentimental gerührt sich ältere Blutsbrüder und grauköpfige Professoren (Frauen sind in den dark and bloody grounds der May-Literatur noch rarer als im Wilden Westen) über ihre erste Lese-Liebe beugen und noch die verborgensten Hide-Spots von Leben und Werk psychologisch, soziologisch, theologisch und ethnologisch ausleuchten: Wirklich gelesen wird der "Shakespeare der Jungens" (Ernst Bloch) nicht mehr, jedenfalls nicht unter der Bettdecke und mit pochend heißem Herzen. Nicht zufällig wohl fielen der Beginn der May-Forschung und die Gründung der Karl-May-Gesellschaft in den sechziger Jahren mit seinem Niedergang als Volksschriftsteller zusammen. "Der Schuh des Manitou" ist eine Art "Sitara" für Nichtleser.

Das Steckenpferd Hatatitla wird fast nur noch von kauzigen Privatgelehrten geritten; Winnetou kennt man nur noch als Parodie von Parodien, als Doubles von Pierre Brice und Goyko Mitic. Die Wüsten und Prärien, die May sich aus dem Baedeker und seinen Gefängnisfluchtträumen zurechtzimmerte, sind durch Fernreisen, Fernsehen und Internet erschlossen, seine "Gesammelten Werke" historisch-kritisch lückenlos dokumentiert (und durch apokryphe Titel wie Marie Versinis Memoiren "Ich war Winnetous Schwester" in die Gegenwart fortgeschrieben worden). Aber die Generation Facebook liest, wenn überhaupt, lieber Harry Potter und "Herr der Ringe".

Karl May hat sich aus Schund und Schande empor ins Reich der Edelfedern gearbeitet, aber er zahlte einen hohen Preis dafür. Dass der Sieg über die Krittler und Krämer Ardistans ein Pyrrhussieg gewesen sein könnte, zeichnete sich schon zu seinen Lebzeiten ab. Eine Woche vor seinem Tod war der "geborene Verbrecher" bei seinem letzten Auftritt in Wien glanzvoll rehabilitiert worden; selbst Thomas Mann würdigte ihn als "gar nicht uninteressanten Scharlatan". Aber die späte Apotheose erwies sich als Himmelfahrt zweiter Klasse. Unter den zweieinhalbtausend bewegten Zuhörern saß, so jedenfalls die Legende, auch ein erfolgloser Kunstmaler, der mit seiner May-Begeisterung später viel Unheil anrichtete. Und die wenigen Jugendlichen im Saal zeigten sich vom Testament ihres Idols enttäuscht: Sie hatten Old Shatterhands Faust sehen und hören wollen, nicht eine zweieinhalbstündige Predigt über Frieden, Freude und Edelmenschen. Ein Foto von seinem letzten Auftritt zeigt den Fürst der Bleichgesichter als gebrochenen, verwirrten alten Mann vor einem viel zu großen Automobil. Rolf Krauss beschreibt in "Karl May und die Fotografie", wie die Fanalben und Fotopostkarten von Dr. May im Kostüm Old Shatterhands den Mythomanen zum ersten Popstar der deutschen Literaturgeschichte machten. Die bürgerlich-repräsentativen Selbstbildnisse, die er nach dem Zusammenbruch seiner Lebenslügen auf der Orient-Reise 1899 in Umlauf brachte, waren deutlich weniger gefragt, und Klaras Schnappschüsse vom Touristen Karl May unter Palmen und Pyramiden hielt er lieber gleich unter Verschluss.

Zum May-Jubiläum scharen sich Kenner und Liebhaber noch einmal zahlreich um das Lagerfeuer ihrer Jugendträume. Aber der Funke springt nur noch selten über; am ehesten noch bei Gerd Ueding, dem Rhetoriker aus der Tübinger Bloch-Schule ("Es gibt nur Karl May und Hegel, alles dazwischen ist eine unreine Mischung"). Mit Wehmut erinnert Ueding sich seiner frühen "Karl-May-Genusstage", als die naive Freude an Exotik und Abenteuer noch der Vorschein eines "Ganz-Anders-Seins" war. Von der "Sonntagswelt unserer Jugend" blieb nur der bunte Abglanz des literaturwissenschaftlichen Interpretierens. Ueding analysiert in seinen Essays klug und schwungvoll May als Rhetoriker (die "Rhetorik des Herzens" war neben Henrystutzen und Bärentöter seine "dritte Geheimwaffe"), Phantasten und Heilkünstler, seine Affekt-, Selbstentfesselungs und Selbstbestrafungsstrategien und seine Erlösungsmärchen als "Medium und Triebkraft deutscher Geistesgeschichte". Uedings "Spiel sich potenzierender Spiegelungen" zwischen Old Death und Hobble-Frank, Hegel, Goethe, Nietzsche, Strindberg und Kafka ist selbst "zielhaftes, nicht ablenkbares Fabulieren auf die Freiheit hin". Aber doch auch nur ein Abenteuer des Geistes, eine rhetorische Rhapsodie für bleichgesichtige Germanisten.

Auch der Karl-May-Verlag, der seine Goldnuggets früher bedenkenlos für Jugend und Zeit zurechtschliff, befleißigt sich heute philologischer Sorgfalt und Demut. In Band 89 der grünen Reihe - "Im fernen Westen" ist so etwas wie das missing link zwischen "Old Firehand" (1875) und "Winnetou II" (1893) - zeichnet Herausgeber Christoph L. Lorentz im Nachwort akribisch nach, wie der um seine moralische und literarische Reputation besorgte May Ellen, eine seiner wenigen Frauenfiguren, in einen Harry und den blutrünstigen Ur-Winnetou, der noch nach Indianerart auf Skalpjagd geht und Zigarrenstummel schluckt, in einen roten Heiland verwandelte. Die von Old Shatterhand erzählte Comic-Biographie "Karl May - Die ganze Wahrheit" wird vom Verlag kaum autorisiert werden; eher schon "Karl May oder Die Macht der Phantasie".

Helmut Schmiedt dokumentiert materialreich, chronologisch, absolut seriös und nur ein bisschen spröde den Stand der Forschung und verschweigt dabei weder die wunden Punkte der Mayschen Selbstinszenierungen noch seinen sinkenden Ruhm. Als "Massenphänomen" werde Karl May immer älter und schwächer und vielleicht bald ganz verschwunden sein; aber sein Platz unter den Klassikern des Bildungsbürgertums ist gesichert. "Nur noch bei den Nichtsahnenden existiert Karl May als literarischer Grobmotoriker und nichtsnutziger Bewohner des kulturellen Souterrains." Uff, zounds und howgh - der stellvertretende Häuptling der Karl-May-Gesellschaft hat gesprochen.

Thomas Kramers May-Biographie ist nicht ganz so treffsicher und schwer wie Schmiedts Bärentöter, aber auch eine Liebeserklärung und als erste Orientierung für Greenhorns allemal brauchbar. Allerdings unterstreicht Kramer Mays "erstaunliche Aktualität" durch manchmal erstaunliche Aktualisierungen: So entdeckt er in ihm einen Vorläufer von Dieter Bohlen und neueren Dschungelcamps, in seinem "Waldröschen" eine hellsichtige Vision des Internetzeitalters und in dem toten Winnetou aus "Winnetous Erben" gar einen "Prärie-Lenin", der "Wildwest-Bolschewiki" anführt.

Rüdiger Schaper widmet dem "elektrischen Winnetou" des Spätwerks eine luzide Analyse, aber auch er versteigt sich zu manchmal abenteuerlichen Urteilen und Querverweisen. Der frisch in seinen Dämon Emma verliebte Knastbruder erinnert ihn an Bonnie und Clyde, seine Reiseromankulissen an James Camerons "Avatar", Las Vegas und Schlingensiefs Operndorf in der Wüste. Aber auch wenn Schaper immer wieder abschweift, sich in feuilletonistischen Phrasen und schnoddrigen Provokationen gefällt (der Übermensch May darf hier schon mal "vögeln" oder "dealen": "Ein Kara Ben Nemsi kennt keinen Knacks!"): Mit dem Schlachtruf "Befreit Karl May!", originellen Gedanken und einem radikal subjektiven Zugriff bringt er neben viel heißer Luft auch einigen frischen Wind in die erstarrten Fronten und stickigen Weihrauchnebel der May-Gemeinde.

Schaper spielt mit spätpubertärer Lust den Outlaw und bleibt so dem tolldreisten Aufschneider und Hochstapler vielleicht treuer als die braven Fährtenleser auf ausgetretenen Pfaden. Die Karl-May-Festspiele, Jubiläumssymposien und Literaturgottesdienste irren nämlich: Wenn Karl May noch lebt, dann weder als Dieter Bohlen avant la lettre noch als Experte für ökumenische Dialoge und interkulturelle Begegnungen mit bedrohten Naturvölkern und frühen Islamisten, sondern nur als Ausbrecher aus dem Gefängnis literaturwissenschaftlicher Zuschreibungen und nostalgischer Verklärungen.

MARTIN HALTER.

Christian Moser: "Karl May - Die ganze Wahrheit".

Carlsen Verlag, Hamburg 2012. 160 S., geb., 12,90 [Euro].

Gerd Ueding: "Utopisches Grenzland: Über Karl May". Essays.

Klöpfer & Meyer, Tübingen 2012. 303 S., geb., 22,- [Euro].

Thomas Kramer: "Karl May". Ein biographisches Porträt.

Herder Verlag, Freiburg 2011. 192 S., br., 12,99 [Euro].

Rolf H.Krauss: "Karl May und die Fotografie". Vier Annäherungen.

Jonas Verlag, Marburg 2011. 95 S., geb., 20,- [Euro].

Rüdiger Schaper: "Karl May. Untertan, Hochstapler, Übermensch".

Siedler Verlag, München 2011. 240 S., geb., 19,99 [Euro].

Claus Roxin u. a. (Hrsg.): Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 2011.

Hansa Verlag, Husum 2011. 329 S., 27,- [Euro].

Helmut Schmiedt: "Karl May oder Die Macht der Phantasie". Eine Biographie.

Verlag C. H. Beck, München 2011. 368 S., geb., 22,95 [Euro].

Karl May: "Im fernen Westen". Gesammelte Werke Band 89.

Karl May Verlag, Bamberg/Radebeul 2011. 534 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Zum hundertstem Todestag von Karl May sind zwei neue Biografien über den Wldwest-Autor erschienen: eine von Rüdiger Schaper, die andere von Helmut Schmiedt. Beide findet Ludger Lütkehaus sehr kenntnisreich, Schapers Fassung sei literarischer geschrieben, Schmiedts dafür stellenweise genauer. Karl May hat die vielen Abenteuer, von denen er in seinen Schmökern geschrieben hat, nie erlebt, die geschilderten Länder meist erst viel später bereist; der Rezensent ist sich allerdings nicht sicher, ob das für oder gegen den Autor spricht. Die Straftaten, die der Autor selbst beging, werden von beiden Biografen zu sehr verharmlost, findet Lütkehaus, Schmiedt sehe in den Hochstapeleien nur einen weiteren Beweis für Mays Erfindungsreichtum, Schaper "Bagatelldelikte". Der Rezensent, der zuvor noch die Anziehungskraft von Mays Büchern betont hatte, erinnert auch an den düsteren Beigeschmack, den dessen Ansichten hatten: in Mays letztem Vortrag 1912 "Empor ins Reich der Edelmenschen!" saß unter anderen auch Adolf Hitler im Publikum.

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