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Deutsche Geistesgeschichte von Luther bis in die Gegenwart
Gotthold Ephraim Lessing, Friedrich Nietzsche, Gottfried Benn, Albert Schweitzer, Gudrun Ensslin, Klaus Harpprecht oder Angela Merkel - der prominenten evangelischen Pfarrerskinder gibt es viele. Das protestantische Pfarrhaus selbst prägte die deutsche Geistesgeschichte wie kaum eine andere Institution. Cord Aschenbrenner erzählt die Geschichte des Pfarrhauses am Beispiel der deutsch-baltischen Pastorenfamilie von Hoerschelmann, die über neun Generationen hinweg geradezu idealtypisch das Wirken und Walten zwischen Glauben, Macht und…mehr

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Produktbeschreibung
Deutsche Geistesgeschichte von Luther bis in die Gegenwart

Gotthold Ephraim Lessing, Friedrich Nietzsche, Gottfried Benn, Albert Schweitzer, Gudrun Ensslin, Klaus Harpprecht oder Angela Merkel - der prominenten evangelischen Pfarrerskinder gibt es viele. Das protestantische Pfarrhaus selbst prägte die deutsche Geistesgeschichte wie kaum eine andere Institution. Cord Aschenbrenner erzählt die Geschichte des Pfarrhauses am Beispiel der deutsch-baltischen Pastorenfamilie von Hoerschelmann, die über neun Generationen hinweg geradezu idealtypisch das Wirken und Walten zwischen Glauben, Macht und bürgerlichem Leben verkörpert.

Das evangelische Pfarrhaus war über Jahrhunderte ein seelisch-geistiger Fixpunkt der deutschen Geschichte. Seit Martin Luther ging von ihm eine ungeheure Wirkung aus: Aus dem Ideal des für alle offen stehenden, christlichen Hauses mit geistiger Ausstrahlung und kultureller Ansprache erwuchs ein bis heute lebendiger Mythos.

Cord Aschenbrenner gelingt es, auf Grundlage des einzigartigen Quellenfundus der Hoerschelmanns ein schillerndes, neun Generationen währendes Familienepos zu schreiben und die Geschichte und Bedeutung des Pfarrhauses in großen Linien nachzuzeichnen. Familien- und Zeitgeschichte verschränken sich so zu einem großen Panorama deutscher Geistlichkeit, die die Verwerfungen der deutschen Geschichte überdauert und bis heute Bestand hat.
Autorenporträt
Aschenbrenner, Cord
Cord Aschenbrenner, geboren 1959, Enkel und Großneffe evangelischer Pastoren, ist Journalist und Historiker. Er ist Autor der Neuen Zürcher Zeitung und der Süddeutschen Zeitung und schreibt über historische, politische und kulturelle Themen. Darüber hinaus lehrt er an verschiedenen Journalistenschulen. 2012 erhielt er den Journalistenpreis der Stiftung Weltbevölkerung. Cord Aschenbrenner lebt mit seiner Familie in Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2015

Ohne die richtige Frau ging gar nichts
Eine berufene Familie: Cord Aschenbrenner erklärt das evangelische Pfarrhaus am Beispiel einer Pastorendynastie

Sebastian Haffner sah die Geschichte als "unentwirrbares Knäuel" und die Aufgabe des Geschichtsschreibers darin, jeweils einen Faden aus diesem Knäuel herauszuziehen und "als intellektuellen Roman abzuspinnen", wohl wissend oder doch zumindest ahnend, dass die "Masse des wirklich Geschehenen unkennbar" bleibt.

Cord Aschenbrenner stellt diese Metapher aus Haffners Essay "Zur Zeitgeschichte" seinem Buch über das evangelische Pfarrhaus voran. Statt die Geschichte dieser Institution trocken aufzudröseln, zieht Aschenbrenner aus dem Knäuel der Geschichte einen Faden heraus: den Faden der deutsch-baltischen Pastorenfamilie Hoerschelmann. Und diesen spinnt er locker und unterhaltsam lesbar ab. Die sich zu Beginn der Lektüre noch einstellende Frage, weshalb man sich für die dreihundertjährige Geschichte dieser frommen Familie interessieren soll, weicht bald dem Lesevergnügen.

Denn die Lebenswege der Pastoren Hoerschelmann, ihrer Pastorinnen und Kinder, die Aschenbrenner konzentriert erzählt und mit Fotos aus Familienalben sowie mit einem Stammbaum illustriert, bilden den Faden, an dem entlang man drei Jahrhunderte der deutsch-baltischen und europäischen Geschichte durchschreitet und exemplarisch den Wandel einer beinahe mythischen Institution der europäischen Geistes- und Frömmigkeitsgeschichte nachvollzieht. Dass der Topos vom evangelischen Pfarrhaus nicht nur in die Erinnerungsorte des Christentums Eingang gefunden hat, sondern auch in die nationalkulturellen deutschen Erinnerungsorte, erscheint spätestens nach dieser Lektüre zwangsläufig.

Die Erzählung, die sich im Wesentlichen auf Briefe, Predigten und autobiographische Fragmente aus dem Familiennachlass stützt, beginnt im Jahr 1704 im Kernland der Reformation, im thüringischen Eisenach, mit der Geburt Johann Heinrich Hoerschelmanns, des Stammvaters der Pastorendynastie, die Aschenbrenner bis in die neunte Generation nachverfolgt. Aus einer Familie von Handwerkern, Gastwirten und Soldaten stammend, schlägt Johann Heinrich in Jena einen Weg ein, der bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein sozialen Aufstieg versprach und im vorliegenden Fall auch verschaffte: das Studium der Theologie.

In der nachfolgenden Generation nimmt die Familiengeschichte dann Fahrt auf: Zwei Söhne studieren, wie der Vater, Theologie in Jena; der Ältere wird allerdings nicht Pastor, sondern Lehrer, und verlässt Thüringen Ende der sechziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts, um eine Stelle am kaiserlich-akademischen Gymnasium im estländischen Reval (dem heutigen Tallinn) anzutreten. Anfang der achtziger Jahre folgt ihm sein jüngerer Bruder in die deutsch geprägte Ostseeprovinz des Zarenreichs und übernimmt dort ein Landpastorat. Fortan bleiben die Hoerschelmanns nicht nur dem Pastorenberuf, sondern auch dem Baltikum treu.

Im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts aber geht die goldene Zeit des deutschen evangelischen Pfarrhauses im Baltikum allmählich ihrem Ende entgegen: Die Zaren verfolgen eine Politik der Russifizierung, fördern das Vordringen der Orthodoxie und beschneiden die weit über den seelsorglichen Bereich hinausgehenden Kompetenzen der evangelischen Pfarrer. Auch kommt es vermehrt zu Spannungen mit der estnischen Bevölkerung und überdies zu einer Abkehr vom Glauben, die nicht nur diffus spürbar, sondern in der sinkenden Teilnahme am religiösen Leben auch unmittelbar ersichtlich wird. Nicht wenige Deutschbalten träumen Ende des neunzehnten Jahrhunderts vom Anschluss ans Deutsche Reich. Bismarck steht in hohem Ansehen: In einer Art nationaler, religiöser und familiärer "Dreifaltigkeit" hängt im Amtszimmer des Revaler Pfarrhauses ein Porträt des Reichskanzlers einträchtig neben einem Bildnis Luthers und Fotografien der Vorfahren in der Pastorendynastie.

Die Träume vom Anschluss ans Reich laufen jedoch ins Leere. Stattdessen spitzt sich die internationale Lage immer mehr zu. Bei Kriegsausbruch im Sommer 1914 mahnt Paul Hoerschelmann auf der Kanzel vor der Hingabe an die "heidnischen Ideale von Heldentum". Als in den Wirren zwischen Oktoberrevolution und Kapitulation des Deutschen Reiches Estland seine Unabhängigkeit erklärt, stellen sich die Pastoren Hoerschelmann auf die neue politische Situation ein. Auch widerstehen sie dem aufkommenden Nationalsozialismus, zu dem sich viele Deutschbalten hingezogen fühlen, und verfolgen aus der Ferne den Kirchenkampf zwischen den "Deutschen Christen" und der "Bekennenden Kirche".

Die Wende kommt im Herbst 1939, als die Rote Armee Stützpunkte in Estland errichtet und in Deutschland Vorbereitungen für die "Umsiedlung" der Deutschbalten getroffen werden. Als die Hoerschelmanns im November 1939 Estland verlassen müssen, geht ein knapp zweihundertjähriges Kapitel der Familiengeschichte zu Ende. Die Familie wird im soeben besetzten Posen, der Zentrale des sogenannten Warthegaus, angesiedelt und kommt in einer Wohnung kurz zuvor Vertriebener unter. Auf der Flucht vor der Roten Armee zieht sie 1945 ins familiäre Stammland, nach Thüringen, und von dort später weiter gen Westen.

In Aschenbrenners Erzählung wird das evangelische Pfarrhaus als zugleich privater und öffentlicher Raum lebendig: Es ist Wohnstatt einer in Tugendhaftigkeit, Frömmigkeit und dezenter literarischer wie musischer Bildung zur Vorbildhaftigkeit verpflichteten, idealiter großen Familie. Zugleich ist es Arbeitsort des Pfarrers, Ort des Bibelstudiums und der anspruchsvollen Lektüre, des individuellen wie gemeinschaftlichen Gebets; es ist Begegnungs- und Beratungszentrum, es ist Unterrichtsraum und gegebenenfalls Pensionat.

Zum Selbstbild der Pastoren gehörte der Anspruch, zuständig zu sein nicht nur für das Seelenheil ihrer Pfarrkinder, sondern für ihre Lebensumstände insgesamt: für die gute Ernte und die Ausbildung der Kinder, für das gedeihliche Zusammenleben der Ehepartner, für wirtschaftliches Auskommen und gesunde Lebensführung. So verstanden sich die Pastoren nicht nur als Seelsorger, sondern stets auch als Erzieher und Lehrer. Um ihrer Berufung gerecht zu werden, brauchten sie - dem Prototyp des Pfarrhauses in Wittenberg folgend, das die "Lutherin" Katharina von Bora erfolgreich managte - eine Pastorin an ihrer Seite, die einen Teil der umfänglichen und vielseitigen Arbeitslast auf ihre Schultern nahm: eine Frau, die eine familiäre Atmosphäre zu schaffen vermochte, in der täglich auch Gäste, Trost- und Hilfsbedürftige mit einem freundlichen Empfang rechnen durften; eine Frau, die den Garten zu pflegen und junge Frauen in Haushaltsführung und Handarbeit einzuweisen und sich überdies an Gesprächen über den Glauben, über Literatur und Theater sowie möglichst an Hausmusikabenden zu beteiligen verstand.

Nicht alle Ehefrauen der Hoerschelmann-Pastoren entsprachen diesem Ideal. Welche Überforderung dieses öffentliche und religiös überformte Familienleben oftmals für die Pfarrfamilie darstellte, haben Filme wie "Das weiße Band" eindringlich gezeigt. Aschenbrenner verschweigt diese Seite in der Geschichte des evangelischen Pfarrhauses nicht, doch leuchtet er das Ideal ungleich gründlicher aus, und so trägt sein Buch letzten Endes dazu bei, den Mythos vom evangelischen Pfarrhaus zu pflegen und seinen Bedeutungsverlust im zwanzigsten Jahrhundert zu bedauern.

Die Lektüre des Buches vermittelt eindringlicher als sozialstatistische Erhebungen, dass der Genius loci des evangelischen Pfarrhauses im Strudel des sozialen Wandels in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts dem Untergang geweiht war. Mit seinen Ansprüchen nicht nur an den Pastor selbst, sondern an die Lebensführung seiner Bewohnerinnen und Bewohner, an die Hingabe der Ehefrau an die Berufung des Ehemannes, die Aufhebung der bürgerlichen Trennung von Privatheit und Öffentlichkeit, war es den Umwälzungen der Moderne kaum besser gewachsen als das zölibatär verkrampfte katholische Pfarrhaus mit seinen ledigen Pfarrhaushälterinnen.

Wenn auch jüngere kirchensoziologische Untersuchungen zu dem Schluss kommen, dass die Persönlichkeit des Pfarrers weiterhin zentral ist für die Lebendigkeit einer Gemeinde, so ist doch das Pfarrhaus nicht mehr der Ort, an dem sich dieses Leben verdichtet. Bei Cord Aschenbrenner lebt die Hoerschelmannsche Pastorendynastie bis in die gegenwärtig neunte Generation - nunmehr in Hongkong und wieder in Deutschland - fort. Mit den Anfängen im Kernland der Reformation Anfang des achtzehnten Jahrhunderts aber haben die Bedingungen, unter denen die Nachkommen des Stammvaters Johann Heinrich ihren Beruf ausüben, kaum noch etwas gemein. Die Säkularisierung machte auch vor der Pforte des Pfarrhauses nicht halt.

ASTRID REUTER.

Cord Aschenbrenner: "Das evangelische Pfarrhaus". 300 Jahre Glaube, Geist und Macht: Eine Familiengeschichte.

Siedler Verlag, München 2015. 368 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Laut Ruth Fühner gelingt dem Historiker Cord Aschenbrenner mit seinem Buch eine exemplarische Familiengeschichte mit aufschlussreichen Ausflügen ins Allgemeine. Das Besondere der über neun Generationen vor allem im Baltikum wirkenden Pastorenfamilie Hoerschelmann vermag ihr der Autor auf spannende Weise darzustellen. Vermittels Chroniken und mit viel Sympathie, so Fühner, arbeitet er die in der Familie wirksamen Strömungen des Protestantismus heraus, ohne apologetisch zu werden, dafür auch mit Blick auf Konflikte und Unrühmliches. Von diesem Blickwinkel her erhält die Rezensentin auch ein schärferes Bild des deutschen Protestantismus. Ein spannendes, ein lesenswertes Buch, findet sie.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Locker und unterhaltsam lesbar.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.11.2015

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.05.2015

Wohnen
als Beruf
Cord Aschenbrenner über das
evangelische Pfarrhaus
Die christliche Religion mag viele Zeitgenossen kaum noch etwas angehen, aber die Lebensführung der Priester und Pastoren interessiert immer noch. Im Fall des katholischen Zölibats weckt sie eine eher misstrauische Neugier, im Fall des evangelischen Pfarrhauses löst sie kulturgeschichtliche Wissbegier aus. Wie lebt sich das – damals und heute: als Pastor mit Familie? Ist das schön oder schlimm? Das Pfarrhaus ist – wie der Pastorenberuf – eine paradoxe Einrichtung. Es steht in der Mitte der Gemeinde und ist doch eine Ausnahme. Es ist Vorbild und Gegenmodell zugleich. Wer darin wohnt, ist für die Gemeinde unverzichtbar und bleibt trotzdem ein Außenseiter. Das begründet eine prinzipielle Überforderung, eine schwer zu überwindende Einsamkeit, aber auch eine eigentümliche Freiheit. Diese Spannung auszuhalten und fruchtbar zu machen gehört zu den wichtigsten Aufgaben eines Pastors. Um mit Max Weber zu sprechen: Wohnen als Beruf.
  Die Erfindung des Pfarrhauses war der große Beitrag des Protestantismus zur Bau- und Sozialgeschichte des Christentums. Es prägte Jahrhunderte und wird mit erheblichen Anstrengungen am Leben erhalten. Aber es war und bleibt eine prekäre Institution. Vielleicht fasziniert sie deshalb bis heute. Zugleich stellt sich die Frage, ob sie noch eine Zukunft hat. Es kann kein Zufall sein, dass in den vergangenen Jahren mehrere gute Sachbücher und Bildbände darüber erschienen sind. Im Deutschen Historischen Museum zu Berlin gab es vor zwei Jahren die große Ausstellung „Leben nach Luther“. An dieses Interesse schließt der Journalist Cord Aschenbrenner an und wählt doch einen anderen Zugang. Er entfaltet keinen breiten kulturgeschichtlichen Bilderbogen, sondern erzählt die exemplarische Geschichte einer einzigen Pfarrhaus-Familie. Darin ist sein Blick enger, aber auch tiefenschärfer.
  In einer bis heute ununterbrochenen Folge von neun Generationen stellt die Familie Hoerschelmann Pastoren. Ihre erstaunliche Geschichte beginnt Mitte des 18. Jahrhunderts, als die eigentliche Hochzeit des Pfarrhauses einsetzt und aus den geistlichen Landwirten des 16. und 17. Jahrhunderts pastorale Bildungsbürger wurden. Ein erster Hoerschelmann zieht ins Baltikum und begründet dort eine Pastoren-Dynastie, die viele typische Züge aufweist. Jede dieser Generationen bewohnt „ein Haus, das eher groß ist als klein und jedem offen steht“, und diese festen Elemente besitzt: „eine große Kinderschar, einen üppigen Pfarrgarten, Hausmusik, Bücher, Tischgebet und Tischgespräch, eine resolute Pfarrfrau und einen selbstgewissen Pfarrherrn mit einer anspruchsvollen Nebenbeschäftigung“. Man muss mit kärglichen Mitteln auskommen und zugleich höchsten Ansprüchen genügen. Das Haus bietet allen Hilfe, Gespräche, Gastfreundschaft. Eine Privatsphäre ist nicht gegeben. Darin verweigert sich das Pfarrhaus dem modern-bürgerlichen Modell einer Trennung von Beruf und Familie, Amt und Person. Es ist nicht der intime Rückzugsort von den Kämpfen des Lebens, sondern immer noch in eins Wohnort und Arbeitsplatz – nicht nur für den Pastor, sondern auch für seine Frau und seine Kinder. Als Arbeitsplatz ist es auch Kultureinrichtung. Hier geht es gebildeter, literarischer und musischer zu als in anderen Häusern – aber auch asketischer, wie man an der notorisch stillosen Möblierung oder der unmodischen Kleidung der Bewohner sehen kann. Frömmer geht es ebenfalls zu, doch das Theologische wird diskret gelebt, findet seinen Ausdruck nicht in direkter Belehrung, sondern in einer Atmosphäre schlichten Gottvertrauens: mehr Paul Gerhardt als Martin Luther.
  All dies war vielen Pfarrhäusern gemein. Besonders aber muss in der Familie Hoerschelmann der Sinn für „Heiterkeit und Güte“ gewesen sein. Man war natürlich sittenstreng und kirchentreu, aber nicht hart, sondern milde. Auch untereinander: Es gab Rationalisten und Pietisten, liberale und konservative Theologen, aber sie ließen einander gelten. Wichtiger als der Kampf um die Wahrheit war das Anliegen, ein einfaches und gutes Leben zu führen, dem Auftrag gerecht zu werden und der Gemeinde zu dienen. Vielleicht überstand diese Familie die politischen Verhetzungen und Verirrungen der deutschen Protestanten im 20. Jahrhundert darum allem Anschein nach besser als andere.
  Aschenbrenner hat ein kluges, ausgewogenes Buch geschrieben. Ohne die dunklen Seiten zu verschweigen, zeigt es, was das evangelische Pfarrhaus auch sein konnte: eine „Insel christlicher Humanität“. Es besitzt nicht die gedanklich-literarische Schärfe von Ruth Rehmanns unvergesslichem Buch „Der Mann auf der Kanzel“ (1981) oder die ideologiekritische Wucht von Michael Hanekes Film „Das weiße Band“ (2009). Aber mit seiner Aufmerksamkeit für das alltägliche Leben und seinem Sinn für historische Fairness zeichnet Aschenbrenner ein Bild vom evangelischen Pfarrhaus, das auch sein Recht hat und nicht übersehen werden sollte.
JOHANN HINRICH CLAUSSEN
Cord Aschenbrenner: Das evangelische Pfarrhaus. 300 Jahre Glaube, Geist und Macht: Eine Familiengeschichte. Siedler Verlag, München 2015. 368 Seiten, 24,99 Euro. E-Book 19,99 Euro.
Man muss mit kärglichen Mitteln
auskommen und zugleich
höchsten Ansprüchen genügen
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