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Das 17. Jahrhundert war eine Zeit der politischen, sozialen und konfessionellen Spannungen einerseits, der starren hierarchischen Staats- und Gesellschaftsordnung andererseits. Dies spiegelt sich auch in der Literatur der Zeit. Der Band behandelt die Geschichte und die sozialen Strukturen des Barockzeitalters. Er gibt einen Überblick über das breite Spektrum der literarischen Formen und Gattungen von der höfischen Repräsentationsliteratur über die religiösen Werke bis zur bürgerlich-weltlichen Literatur. Berücksichtigt werden unter anderem auch die Stellung und das Selbstverständnis der Autoren sowie die Entwicklung des Buchwesens. …mehr

Produktbeschreibung
Das 17. Jahrhundert war eine Zeit der politischen, sozialen und konfessionellen Spannungen einerseits, der starren hierarchischen Staats- und Gesellschaftsordnung andererseits. Dies spiegelt sich auch in der Literatur der Zeit. Der Band behandelt die Geschichte und die sozialen Strukturen des Barockzeitalters. Er gibt einen Überblick über das breite Spektrum der literarischen Formen und Gattungen von der höfischen Repräsentationsliteratur über die religiösen Werke bis zur bürgerlich-weltlichen Literatur. Berücksichtigt werden unter anderem auch die Stellung und das Selbstverständnis der Autoren sowie die Entwicklung des Buchwesens.
Autorenporträt
Albert Meier, geboren 1952. Seit 1995 Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Zahlreiche Veröffentlichungen zu: Drama der Aufklärung, Poetik und Ästhetik der Klassik und Romantik, Romane der Nachkriegszeit, (Pop-)Literatur seit 1968, deutsch-italienische Literaturbeziehungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.1999

An der Stadt vorbeigeschrieben
Eine Sozialgeschichte der Literatur des siebzehnten Jahrhunderts

Eigentlich hatten es die Verfasser dieses Bandes leichter als Historiker anderer Epochen. Denn nicht erst seit den siebziger Jahren verstand sich die Literaturgeschichte des siebzehnten Jahrhunderts gerade in ihren besten Leistungen als Musterdomäne sozialhistorischer Forschungen. Mit Recht. Denn je genauer die Kluft zwischen der rhetorischen Repräsentationskultur und den mächtigen Impulsen des frühmodernen Pluralismus, zwischen machtpolitischer Anpassung und den Freiheitsgesten artistischer Intellektualität vermessen wurde, um so eindeutiger ließen sich wider alle Kapriolen postmoderner Enthistorisierung einfache Wahrheiten bekräftigen: Was geschrieben und gedruckt, oft genug auch verstümmelt oder verboten, was schließlich verkauft oder auch nur heimlich verbreitet wird, hängt keinesfalls allein vom Belieben des einsamen Individuums ab.

Die Literatur des siebzehnten Jahrhunderts ist in funktionalen Kategorien zu erschließen, und Vorstellungen ästhetischer Selbstgenügsamkeit können allenfalls auf berüchtigte Metaphernorgien bezogen werden, die später als "Schwulst" abgetan wurden. Zumeist gehorchte Poesie ihrem Formcharakter und ihrem Wahrheitsanspruch nach weniger den Einflüsterungen anarchischer Phantasie oder intellektueller Kombinatorik als außerliterarischen Ordnungspostulaten. Sie war dabei oft genug an einen gelehrten Traditionalismus gebunden, dessen Regeln und Vorbilder selbst jene Autoren durchscheinen ließen, die mit Erfolg neue literarische Wege suchten. Ob adelige Dilettanten oder Berufsliteraten, ob Geistliche, Gelehrte, Patrizier oder Beamte, fast alle Autoren haben in der Zeit des fürstenstaatlichen Konfessionalismus lauthals den moralischen Auftrag der Literatur verkündet. Ästhetische Subjektivität verwirklichte sich in der manchmal schmerzlich erfahrenen Gewissheit, dass sozialkritische "Schwärmer", humanistische "Freigeister" oder erotische "Naturalisten" nur in kleineren Gruppen der halbprivaten Subkultur Rückhalt fanden.

Spannungen dieser Art hätte eine Sozialgeschichte aufzuspüren, nicht nur in der Frage nach Institutionen, Zentren und literarischen Zirkeln, sondern auch und gerade in der oft verschlüsselten Botschaft der Texte. Zu vermitteln wären synoptisch die wahrhaft spektakulären Widersprüche des Jahrhunderts: Widersprüche zwischen frommer Innerlichkeit, orthodoxer Verlautbarung und radikalchristlicher Revolte, zwischen drastischer Weltfreude, paradoxer Mystik und mahnend-tröstender Vanitas-Predigt, zwischen politischem Pragmatismus, mitleidloser Gewalt und dem utopischen Gehalt von Friedensphantasien, in denen Macht und Rang wider alle Erfahrung allein nach moralischen Qualitäten legitimiert wurden.

Merkwürdigerweise stellt sich der Herausgeber des Bandes seinen Aufgaben mit einiger Verzagtheit. Das Schwinden einer "konsistenten Geschichtsphilosophie" macht ihm fast jeden Versuch verdächtig, einen plausiblen "Zusammenhang zwischen Literatur, Staat und Gesellschaft" herzustellen. Argumentiert wird hier offensichtlich in einer Art von Phantomschmerz nach dem Ableben der Theorieangebote des bürgerlichen Marxismus. Als ob nicht längst handlungs- und systemtheoretische Vorschläge, auch Ansätze der Gruppen-, der Leser- oder der Mediensoziologie Darstellungshilfen von hinreichender Seriosität bieten würden.

Auch Michael Maurers einleitender Beitrag über "Geschichte und gesellschaftliche Strukturen des siebzehnten Jahrhunderts", referiert zwar viel Zutreffendes zur Theorie des Ständestaates im weitern Rahmen der Reichs- und Konfessionsgeschichte, bleibt aber wie vor dreißig Jahren ganz auf die "Höfe" und ihr zivilisatorisches Potential fixiert. Als ob nicht der Bogen zurück zum Reformations- und vorwärts zum Aufklärungsjahrhundert vor allem im Blick auf die urbane Kultur zu schlagen wäre. Denn literarisches Leben blieb auch im Barockzeitalter, abgesehen von Teilbereichen vor allem des Theaters, in seinen Akteuren und Traditionen meist an die städtischen Zentren gebunden. Simon Dach und sein Kreis in Königsberg, Paul Fleming und seine dichtenden Gefährten in Leipzig, die Pegnitzschäfer, poetologisch avanciert und international ausgerichtet, in Nürnberg, der verstiegene Reichspatriotismus in Straßburg, das Druckwesen in katholischen Metropolen wie Köln, die Masse der Kasualdichtungen selbst in den kleineren Orten, die Herstellung und Verbreitung der - neuerdings so glänzend erforschten - Flugblattpublizistik, dies alles ist nach Maßgabe höfischer oder kameralistischer Sozialdisziplinierung kaum zu erschließen. Über die Vernachlässigung der Stadt können die Kapitel zum Schulwesen und zu internen Zwängen der "Zivilisierung" nur wenig hinwegtrösten.

Der zweite Großabschnitt widmet sich zwar den "philosophisch-anthropologischen Grundlagen", doch von der christlichen Anthropologie in ihren weit auseinander klaffenden Varianten (etwa zwischen Jacob Böhme und dem Aristotelismus) ist kaum die Rede. Statt dessen wird vor allem der Zusammenhang von Neostoizismus und neuzeitlicher Staatstheorie referiert, sinnvollerweise auch ein Kapitel zur Affektenlehre angefügt. Ganz fehl am Platz ist das folgende Referat über die Sprachtheorien, da diese im siebzehnten Jahrhundert nicht anthropologisch, sondern ontologisch und pragmatisch motiviert waren.

Es folgen kleinteilig gegliederte Abschnitte über "Literaturbezogene Institutionen" und "Literarische Institutionen", Letztere verstanden als "Funktionsbereiche und Gattungssysteme". Dass der Institutionenbegriff hier leicht ins Unkenntliche verschwimmt, ist offensichtlich. Zum Selbstverständnis der Autoren, zum Buchwesen und zu den literarischen Sozietäten wird Wissenswertes unter dem Stichwort "Literarisches Handeln" erläutert. Dann geht es zu den "Literarischen Formen". Getrennt von den Gattungen werden hier diskursive Grundlagen und ästhetische Praktiken wie Rhetorik, Poetik, Emblematik, dazu Aspekte der Briefkultur behandelt. Rettungslos verloren wirkt hier trotz aller Sachkunde des Verfassers der Artikel über "Fremdsprachige Literatur" unter Einschluss der mit größter Verlegenheit auf drei Seiten abgemachten "Latinität". Dass die meisten namhaften Autoren, erst recht in der Gelehrtensphäre, nach wie vor bei Bedarf Lateinisch schrieben, dass sich die gesamte geistige Welt der katholischen Kirche, von Jesuiten bestimmt, vorab lateinisch präsentierte, gerät fast aus dem Blickfeld. Die Tendenz, ausgerechnet eine Sozialgeschichte der deutschen Literatur dieses Jahrhunderts mit einer Geschichte der deutschsprachigen Literatur zu verwechseln, ist grotesk.

Symptomatisch für die konzeptionelle Problematik des Bandes sind spektakuläre Überschneidungen und Doppelungen. Wer sich über Lyrik informieren will, findet ein diesbezügliches Kapitel unter "höfische Repräsentationskultur", dann Ausführungen zur geistlichen Lyrik, bald darauf eine Darstellung der Gelegenheitsdichtung, schließlich unter dem rätselhaften Stichwort "Kunstliteratur" noch einmal ein Lyrik-Kapitel. Die Abtrennung der so genannten Kunstliteratur von der höfischen Repräsentationsliteratur oder etwa der religiösen Literatur ist nicht nur konfus, sondern besiegelt endgültig die Bankrotterklärung der bislang doch irgendwie erahnbaren sozialgeschichtlichen Darstellungskonzeption. Von, sagen wir, Paul Fleming oder Andreas Gryphius gibt es demnach Kunstlyrik, dann Kasuallyrik, dann geistliche Lyrik und dann vielleicht auch noch höfische Repräsentationslyrik, manchmal zwar in einem Text vereint, doch in diesem Band anstelle einer synthetischen Darstellungsleistung auseinander gerissen und auf eine der vielen Kleinparzellen verteilt. Immerhin stößt der Leser nun endlich auch auf eine Skizze der barocken Trauerspiele, die mit Recht als politische Dramen verstanden werden.

Man wird diesen Band trotz seiner Dispositionsmängel mit Gewinn benutzen, weil im Faktischen fast alles stimmt. Überdies gewährt eine Reihe von Kapiteln, von vorzüglichen Kennern geschrieben, samt der üppigen Bibliographie gediegene Überblicke über manche literarische Genres und Felder wie etwa die Predigt- und Erbauungsliteratur oder den Schelmenroman. Man wird allen Beteiligten des Werkes zugute halten müssen, dass Sammelbände wie diese mit Zwängen zu kämpfen haben und dass nicht ohne Grund gerade der Versuch einer Sozialgeschichte der Literatur des siebzehnten Jahrhunderts vor Jahren im ersten Anlauf gescheitert ist. Nun galt es, die Lücke im Dienst des Verlages auszufüllen. Das ist geschehen, freilich trotz aller Faktendichte eher als tastender Entwurf denn als geschlossene, in sich abgestimmte, methodisch wie theoretisch fundierte Leistung.

WILHELM KÜHLMANN.

Albert Meier (Hrsg.): "Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Band 2: Die Literatur des siebzehnten Jahrhunderts". Carl Hanser Verlag, München und Wien 1999. 776 S., geb., 148 DM.

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