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Alison Kennedy erzählt von Stieren und Züchtern, Toreros und ihrem Publikum, von Regeln, Tricks und Risiken, von der Faszination, dem Schrecken und sexuellen Sog eines mörderischen Schauspiels - dem Stierkampf. Sie porträtiert den Dichter Federico Garcia Lorca, der den Stierkampf liebte, und erzählt von berühmten Toreros. Sie beschreibt eine Reise nach Spanien, zu den Stieren und den Arenen, den Stätten des öffentlichen Todes. Und sie stellt die Frage, was einen Menschen bewegt, sich vor den Augen eines Riesenpublikums der Möglichkeit eines blutigen Todes oder aber der Gefahr schwerster Verletzungen auszusetzen.…mehr

Produktbeschreibung
Alison Kennedy erzählt von Stieren und Züchtern, Toreros und ihrem Publikum, von Regeln, Tricks und Risiken, von der Faszination, dem Schrecken und sexuellen Sog eines mörderischen Schauspiels - dem Stierkampf. Sie porträtiert den Dichter Federico Garcia Lorca, der den Stierkampf liebte, und erzählt von berühmten Toreros. Sie beschreibt eine Reise nach Spanien, zu den Stieren und den Arenen, den Stätten des öffentlichen Todes. Und sie stellt die Frage, was einen Menschen bewegt, sich vor den Augen eines Riesenpublikums der Möglichkeit eines blutigen Todes oder aber der Gefahr schwerster Verletzungen auszusetzen.
Autorenporträt
A. L. Kennedy has twice been selected as one of Granta's Best of Young British Novelists and has won a host of other awards - including the Costa Book of the Year for her novel Day. She lives in Essex.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Schuld und Bühne des Stierkämpfers
A. L. Kennedy, die Meisterin der verbalen Ökonomie, steigt hinab in die Arena / Von Felicitas von Lovenberg

Original bliss" meint im Englischen das Gegenteil von "original sin", der Erbsünde: ein Ur-Glücksgefühl, das sich unter dem Solar plexus als potente Mischung aus erfüllter Sehnsucht, Geborgenheit und einer vorübergehenden, absoluten Wunschlosigkeit zusammenbraut. "Original bliss" zu empfinden bedeutet so viel wie den Sinn des Lebens gefunden zu haben - jedenfalls einen Moment lang. Wer dieses Glücksgefühl einmal gekannt hat, will sich mit weniger nicht mehr zufriedengeben.

Für das glückliche Ende ihres Romans "Original Bliss", der im letzten Herbst unter dem Titel "Gleißendes Glück" bei uns erschien, hat die schottische Schriftstellerin A. L. (eigentlich Alison Louise) Kennedy sich mehrmals fast entschuldigt; es sei ihr erster - und letzter - Versuch eines Happy-End. Aber sogar dieses vorsichtige, zweischneidige Happy-End erstaunt im Werk einer Autorin, die ihren düsteren Themen zugleich mit herber Ironie und höflichdistanzierter Anteilnahme begegnet. Sie verfolge in ihren Geschichten und Romanen keinerlei Absichten, sagte A. L. Kennedy einmal. Die Themen kämen einfach zu ihr; Schreiben sei für sie eine Notwendigkeit - "eine Art psychologisches Niesen". Diese Art zu schreiben entsteht im Bauch, nicht im Kopf - und hat trotzdem mit Gefühlsduselei nichts im Sinn.

Was der Stierkampf, die corrida, mit "original bliss" zu tun hat? Natürlich sind beide Sinnbilder für Sexualität, doch darum geht es A. L. Kennedy diesmal nicht. "Stierkampf" handelt nicht von der wiederentdeckten körperlichen und seelischen Liebesfähigkeit einer Glasgower Hausfrau, sondern von der Sinnsuche der Schriftstellerin. Ähnlich wie Mrs. Brindle in "Gleißendes Glück" hat A. L. Kennedy an Kraft und Glauben eingebüßt, doch sie findet keinen Guru der Selbsthilfe-Bücher, niemanden, der ihr aus der Trostlosigkeit hilft.

Nach dem Erfolg ihres letzten Romans "Everything You Need" in Großbritannien fiel es A. L. Kennedy nach eigenem Bekunden schwer, Prosa zu schreiben. Ihre miserable körperliche Verfassung und die Tatsache, daß sie "sich selbst sozusagen zu Tode" langweilt, kommen hinzu: "Stierkampf" setzt unmittelbar vor ihrem Selbstmord ein. Sie hat beschlossen, sich aus dem Fenster zu stürzen. Da erklingt von irgendwoher das Lied "Mhairis Wedding", ein "besonders mißlungenes Beispiel pseudokeltischer Kitschkunst". Die Stimmung ist dahin. "Ich kann hier nicht sitzen, Mhairis Wedding anhören und mich in angemessener, glaubwürdiger Weise auf den Tod vorbereiten."

A. L. Kennedy fährt nach Spanien, um einen Auftrag zu erfüllen: über den Stierkampf zu schreiben, bei dem es um Menschen geht, die "ihr Leben riskieren, um davon zu leben". Eben wie jemand, der schreibt, um zu überleben. Die Analogien zwischen Matador und Schriftsteller treiben die Autorin an. Beide gehen das Risiko ein, coram publico zu versagen, schlimm zugerichtet zu werden, zu sterben - oder über den Tod zu triumphieren. Wie beim Schreiben liegen in der corrida herausragende Leistung und tödliche Tragödie eng beieinander. Kennedy beschreibt den Stierkampf als ein religiöses Ritual im Übergangsstadium, als Mischung aus Unterhaltung, Skandal und Sakrament. In einem katholischen Land wie Spanien ist die corrida bis heute eine Art moderner Prüfung, ein Gottesurteil. Kennedy, katholische Schottin oder schottische Katholikin, zeigt die Verletzlichkeit des Menschen in der Arena und seinen Glauben an eine Kraft, die ihn beschützt.

Ähnlich wie Ernest Hemingway in seinem 1932 erschienenen Essay "Tod am Nachmittag" beschreibt Kennedy Aufzucht und Verhalten der Stiere, Techniken und Tricks der Matadore. Sie erzählt Anekdoten von legendären Stierkämpfern, erschafft auf diese Weise ganz beiläufig eine dichte Atmosphäre der corrida und seiner Bedeutung im Spanien der neunziger Jahre, so wie es Hemingway für die Dreißiger gelang. Zwar begegnet Kennedy dem Stierkampf mit Mißtrauen, doch erkennt sie darin mehr als einen Nationalsport, mehr als ein ritualisiertes Massenspektakel. Aficionados, denen Hemingways "Death in the Afternoon" als gelungenste Darstellung der corrida galt, können an Kennedys "Stierkampf" nicht vorbei.

Dabei ist die Autorin alles andere als eine Bewunderin jenes männlichen Machismo, den Hemingway idealisierte. Ihr Vorbild heißt Federico García Lorca. Ihm fühlt sie sich verwandt. Lorca verehrte Kunstwerke mit duende, mit jenen dunklen Untertönen, die nur aus schmerzhafter Inspiration geboren werden, aus einem Verlust oder Opfer entstehen können.

Wer dem Tod einmal ganz nah war, braucht sich und anderen nichts mehr vorzumachen. A. L. Kennedy übt sich in zynischem Pragmatismus. "Als ehemalige Autorin und ehemalige Selbstmörderin ist mir außer Ehrlichkeit nicht viel geblieben." Die Aufgabe, ein Buch zu schreiben, hat sie keineswegs uneigennützig übernommen: "Ich wollte sehen, ob ich überhaupt noch etwas schreiben kann." Diese Sorge muß der Leser nicht einen Satz lang teilen. Der - von Ingo Herzke sehr gut ins Deutsche übertragene - unverwechselbare Ton, mit dem Kennedy Abgründe auslotet, ihr wacher Sinn für schwarze Komik und der tiefe Ernst, mit dem sie ihre Protagonisten schildert, bestimmen auch in "Stierkampf" ihre Auseinandersetzung mit menschlichen Urängsten und Bedürfnissen. Nie erhebt sie sich über sensationslüsterne Zuschauer, über die feige Grausamkeit der Matadore, über die hilflose Aggression der toros. Denn wie ist der Mensch, wenn nicht tierisch - als "bewegliches Fleisch" von der Tierwelt abhängig und mit ihr verbunden.

Sie sitzt im Zug und nimmt Schmerztabletten (ein uneingestandener Bandscheibenvorfall); sie weint im Haus Lorcas über dessen Tod (eine Sünde ohne Sünder) - und ist von sich selbst angewidert. "Ich habe meine Berufung nicht verteidigt, ich habe nicht einmal der kleinsten Bedrohung standgehalten. Wie kann also ausgerechnet ich behaupten, ich sei Schriftstellerin?" Nur einmal gibt es einen Hinweis darauf, weshalb es der Berichterstatterin so schlechtgeht. Der Mann, den sie liebt, schläft mit einen anderen Frau - nicht aus Liebe, aber mehr ist nicht zu erfahren. "Alles, was ich herausfand, war, daß es für manche Dinge keine Worte gibt; warum also soll man sich mit Worten aufhalten."

Die Beschäftigung mit der corrida schützt sie vor ihren Erinnerungen - auch daran, daß sie mit ihrem Gott und ihrer Bestimmung hadert. "Ich denke heute sehr viel an Glauben, obwohl ich selbst weit weg davon bin - von jener Art Glauben, die einen Menschen hinaus ins Leben führen kann, zu seiner eigenen Stimme, seiner Berufung, die einen begleitet, wenn der Tod näher kommt, hin zu dem Augenblick, der einen erhebt, der auf Gott wartet." Der Stierkampf wird für sie zum Gleichnis für Opfer und Sühne, Willen und Schicksal, Können und Versagen - für die Narben, die eine Berufung mit sich bringen muß, und ihren möglicherweise fatalen Folgen: "Der Tod wiegt den Tod auf, absoluter Verlust gegen absoluten Verlust: in der corrida bedeutet das Wahrheit." Doch die Schriftstellerin hat ihre eigene Wahrheit, ihr Credo noch nicht gefunden. Der Matador steht keineswegs als Stierbezwinger im Mittelpunkt des Geschehens. Er betritt die Arena vielmehr als Märtyrer, als Gezeichneter, ist nicht mehr als ein Werkzeug, ein Gläubiger, ein Geliebter bei der Geliebten. Und die Liebe ist bei A. L. Kennedy stets gnadenlos.

Man muß kein Schriftsteller mit einer Schreibblockade sein, kein Gläubiger, dem der Glaube abhanden gekommen ist, um diese verzweifelt hoffnungsvolle Sprache zu verstehen. "Und damit bin ich wieder in den Gefilden jenseits des gesunden Menschenverstands angelangt, bei den Fragen der Liebe und des Glaubens - beides durchsetzt mit vergossenem Blut."

A. L. Kennedy: "Stierkampf". Aus dem Englischen übersetzt von Ingo Herzke. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2001. 157 S., geb., 32,- DM.

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