Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 10,00 €
  • DVD

Im Mai 1942 wurde ein aus vier Personen bestehendes Filmteam in offiziellem Auftrag in das Warschauer Ghetto entsandt. Kurz vor der Deportation der Ghettobewohner inszenierte der Trupp Szenen wie nach einem Drehbuch. Bildern des Elends im Ghetto folgen kontrastierende Einstellungen vermeintlichen Wohlstandes eine Theateraufführung, opulente Mahlzeiten im Restaurant, herrschaftliche Wohnungen mit gediegenem Interieur. Die Rohschnittfassung des geplanten Films, ohne Tonspur, ohne Vor- oder Nachspann, blieb erhalten der Auftraggeber unbekannt. Die israelische Regisseurin Yael Hersonski machte…mehr

  • Anzahl: 1 DVD
Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktbeschreibung
Im Mai 1942 wurde ein aus vier Personen bestehendes Filmteam in offiziellem Auftrag in das Warschauer Ghetto entsandt. Kurz vor der Deportation der Ghettobewohner inszenierte der Trupp Szenen wie nach einem Drehbuch. Bildern des Elends im Ghetto folgen kontrastierende Einstellungen vermeintlichen Wohlstandes eine Theateraufführung, opulente Mahlzeiten im Restaurant, herrschaftliche Wohnungen mit gediegenem Interieur. Die Rohschnittfassung des geplanten Films, ohne Tonspur, ohne Vor- oder Nachspann, blieb erhalten der Auftraggeber unbekannt. Die israelische Regisseurin Yael Hersonski machte sich auf die Spurensuche, traf Augenzeugen, fand Aufzeichnungen in Tagebüchern von Ghettobewohnern und das Verhörprotokoll eines Kameramanns. Ihr Film präsentiert die Originalaufnahmen fast vollständig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.2011

Der Tod bei der Arbeit

Ist es noch nötig, das Warschauer Ghetto zu beschreiben?" Diese Frage stellte sich der polnische Widerstandskämpfer Jan Karski, als er 1943 begann, seine Geschichte eines "Staates im Untergrund" aufzuschreiben. Er hatte Polen 1942 verlassen, um der Exilregierung in London und schließlich dem amerikanischen Präsidenten Roosevelt in einer denkwürdigen Unterredung von der Situation in dem besetzten und unterdrückten Land zu berichten. Zu seinen bedrängendsten Erinnerungen gehörte jener Tag vermutlich im August 1942, als zwei jüdische Kontaktleute ihn in das Warschauer Ghetto schmuggelten, damit er sich selbst ein Bild von der katastrophalen Lage dort machen konnte. "War es ein Friedhof? Nein, denn diese Leichen bewegten sich noch - oftmals sogar recht fieberhaft. (. . .) Überall herrschten Hunger und Elend, es stank grässlich nach verwesenden Leichen, man hörte das jämmerliche Wimmern sterbender Kinder und die verzweifelten Schreie und das Keuchen eines Volkes im aussichtslosen Überlebenskampf."

Dass das, was man heute Schoa nennt, mit der systematischen Aushungerung des Ghettos noch vor den Deportationen bereits begonnen hatte, war für Karski unübersehbar. Lange Zeit gab es allerdings hauptsächlich Textzeugnisse und Erinnerungen von Überlebenden aus dieser Zeit. Der 2010 veröffentlichte Dokumentarfilm "Geheimsache Ghettofilm" von Yael Hersonski macht nun Material zugänglich, das von deutschen Kameraleuten im Mai 1942 aufgenommen wurde und für einen propagandistischen Film gedacht war, der nie zustande kam. Eine gute Stunde Filmaufnahmen aus dem Warschauer Ghetto sind überliefert, ohne Ton, aber schon in einer ersten Schnittfassung. Yael Hersonski hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Material mit den Mitteln zu erschließen, die ihr zu Gebote standen - sie hat Zeitzeugen befragt, in den Archiven gearbeitet, Dokumente gesichtet und mit all dem einen Kontext rekonstruiert, der erkennen lässt, was es mit den Filmbildern näherhin auf sich haben sollte.

Vor allem aber enthält ihr Film diese Aufnahmen selbst. Sie werden durch die historische Aufarbeitung kaum erträglicher. Die Tränen in den Augen der Überlebenden, die hier noch einmal auf die erschütternden Umstände des Ghettos verwiesen werden, sind auch eine Folge der beinahe unheimlichen Gedächtnismacht des Kinos, das hier - da kann man unmittelbar an Karskis Schilderung anschließen - tatsächlich lebende Tote vor Augen führt. Der "Ghettofilm" stand, auch wenn dazu kaum Dokumente überliefert sind, eindeutig im Zeichen der propagandistischen Rechtfertigung der zu diesem Zeitpunkt schon klar absehbaren "Endlösung", die immer konkretere Formen annahm.

Hier wollte man noch einmal, so wie in Veit Harlans Spielfilm "Jud Süß", vor allem aber nach dem Vorbild von Fritz Hipplers "Der ewige Jude", ein Bild des jüdischen Lebens zeichnen, das Abscheu erregen sollte. Deswegen zielten die inszenierten Aufnahmen auf die drastische Entstellung der sozialen Unterschiede im Ghetto - während die Masse hungerte und auf offener Straße starb, wurden andere bei einem Leben im Luxus gezeigt. Dazu kamen Szenen des jüdischen Alltags, die abstoßend oder zumindest befremdlich erscheinen sollten - nackte Frauen und Männer wurden in ein Ritualbad getrieben und eine Beschneidung gefilmt ("der Kandidat", schrieb der Judenälteste Adam Czerniaków, der sich bald darauf das Leben nahm, in sein Tagebuch, "hatte nur zwei Kilogramm", und es stand zu befürchten, dass das Kind die Aufnahmen nicht überleben würde).

Warum dieser Film (wie später ja auch Kurt Gerrons "Theresienstadt", auf den Yael Hersonski allerdings nicht eingeht) niemals fertiggestellt wurde, ist im Detail nicht geklärt - aber es gibt eine naheliegende Vermutung dazu: Die Verantwortlichen begriffen, dass er das Publikum an der Heimatfront wohl überfordert hätte. So viel Hass lässt sich filmisch gar nicht konstruieren, dass man die entsetzlichen Bilder aus dem Ghetto nicht doch irgendwie auf das eigene Regime zurückbezogen hätte. Und so blieb das Material unveröffentlicht, es wartete gewissermaßen auf den Moment seiner Wiederentdeckung. Nun ist es ein Zeugnis für das Gegenteil des ursprünglich Gewollten: Die Nationalsozialisten haben ihre eigenen Verbrechen gefilmt, die Bilder lassen sich nicht mehr löschen, man kann hier tatsächlich dem Tod bei der Arbeit zusehen. Aber es ist keine Arbeit der Natur, sondern Menschenwerk.

BERT REBHANDL

Yael Hersonski: "Geheimsache Ghettofilm"

Absolut Medien. 89 Min., Englisch, Deutsch.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr