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Thomas Muggenthaler stieß vor ein paar Jahren in einem Archiv auf Akten, die die Hinrichtung von 22 polnischen Zwangsarbeitern in Niederbayern und der Oberpfalz dokumentieren. Sie wurden 1941 bis 1943 in der Nähe des Arbeitsplatzes, an dem sie als "Ostarbeiter" eingesetzt waren, erhängt, weil sie "verbotenen Umgang" mit deutschen Frauen hatten. Der Autor ging all den Zeugnissen nach, recherchierte darüber hinaus an den entsprechenden Orten. Auch mit den betroffenen Frauen und Kindern konnte er z.T. sprechen. Ein bisher besonders tabuisiertes Kapitel der NS-Zeit erfährt hier seine Aufarbeitung.…mehr

Produktbeschreibung
Thomas Muggenthaler stieß vor ein paar Jahren in einem Archiv auf Akten, die die Hinrichtung von 22 polnischen Zwangsarbeitern in Niederbayern und der Oberpfalz dokumentieren. Sie wurden 1941 bis 1943 in der Nähe des Arbeitsplatzes, an dem sie als "Ostarbeiter" eingesetzt waren, erhängt, weil sie "verbotenen Umgang" mit deutschen Frauen hatten. Der Autor ging all den Zeugnissen nach, recherchierte darüber hinaus an den entsprechenden Orten. Auch mit den betroffenen Frauen und Kindern konnte er z.T. sprechen. Ein bisher besonders tabuisiertes Kapitel der NS-Zeit erfährt hier seine Aufarbeitung. Das Vorwort zum Buch schrieb der wissenschftliche Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, Jörg Skriebeleit.
Autorenporträt
Thomas Muggenthaler, geboren 1956, aufgewachsen in Waffenbrunn und Cham, arbeitet als Journalist beim Bayerischen Rundfunk, lebt in Regensburg. Autor zahlreicher zeitgeschichtlicher Hörfunksendungen, Buchveröffentlichung u.a.: "Wir hatten keine Jugend" - Zwangsarbeiter erinnern sich an ihre Zeit in Bayern.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.03.2011

Eine Liebe in Niederbayern
Thomas Muggenthaler berichtet aus den Akten der Henker: Wie polnische Zwangsarbeiter zur NS-Zeit wegen „Rassenschande“ ermordet wurden
Der Kriegsgefangene hat nur zu sprechen, soweit er angesprochen wird. Dem Kriegsgefangenen sind die Mahlzeiten strikt getrennt vom Esstisch der Familie zu gewähren. Jeder Fluchtversuch wird mit dem Tode bestraft sowie mit Vergeltungsmaßnahmen an anderen Kriegsgefangenen. Eingegangene geschlechtliche Beziehungen mit deutschen Frauen werden mit dem Tode bestraft.“ Der Roman „The Blue Danube“ von Ludwig Bemelmans, 1945 in New York erschienen, ist insgesamt eher witzig und karikaturistisch, aber zwischendurch kommt er doch immer wieder auf den Boden der historischen Realität: das Naziregime in der bayerischen Provinzstadt Regensburg – und da vergeht einem natürlich das Lachen. Kein Wunder, dass es 60 Jahre dauerte, bis das Buch ins Deutsche übersetzt wurde.
Von welch entsetzlicher Authentizität die zitierte Passage mit den Verhaltensmaßregeln ausländischer Zwangsarbeiter ist, hätte man seit jeher wissen können. Nun aber gibt es akkurat für Niederbayern und die Oberpfalz – also die Region um Regensburg – eine aktenmäßig-grausige Bestätigung speziell für den zuletzt angeführten Punkt „geschlechtlicher Beziehungen“ polnischer Kriegsgefangener mit deutschen Mädchen und Frauen. Der BR-Reporter Thomas Muggenthaler hat im Staatsarchiv Amberg 2500 Seiten Ermittlungsakten gefunden: Drei hohe Regensburger Gestapo-Beamte sahen sich zu Beginn der fünfziger Jahre tatsächlich einem Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zum Mord ausgesetzt, da sie von April 1941 bis April 1943 an mindestens 22 Hinrichtungen polnischer Zwangsarbeiter beteiligt waren.
Das todeswürdige Verbrechen der jungen Männer: „Rassenschande“. Die Ermittlungen wurden, wen wundert’s, 1955 eingestellt, doch anhand der erhaltenen Akten lassen sich die akribisch vorbereiteten und in die Tat umgesetzten Morde nun, nachdem sie 70 Jahre lang nach Kräften verdrängt und verleugnet wurden, auf einmal wieder aufrollen.
Das Problem, das der Nazistaat mit den Millionen ausländischen Zwangsarbeitern vor allem in der Landwirtschaft hatte, war unlängst in der Ausstellung „Zwangsarbeit“ im Jüdischen Museum in Berlin zu besichtigen, in Form eines Zeitungsausschnitts aus dem Amstettner Anzeiger vom 18.4.1943. Das „Schaubild der Woche“ zeigte anhand zweier Zeichnungen („nicht so... sondern so!“), dass der Zwangsarbeiter auf keinen Fall am Familientisch Platz nehmen dürfe: „Nur der deutsche Volksgenosse gehört in unsere Tischgemeinschaft!“ Die Sorge der Regierung war berechtigt: Auf den Bauernhöfen zählte nicht selten in erster Linie die Arbeitsleistung; stimmte die, sah man oft keinen Grund für Fisimatenten und behandelte die Zwangsarbeiter einigermaßen menschlich. Begünstigt durch die kriegsbedingte Abwesenheit der deutschen Männer, war der Schritt von der Tisch- zur Bettgemeinschaft nicht weit. Dann brauchte es nur noch einen Denunzianten, und die Mordmaschinerie war in Gang gesetzt.
Ganz normale Behörden wirkten dabei mit, von der örtlichen Polizei über den Bürgermeister bis zum Landratsamt. Dann trat die Gestapo auf den Plan, und das Todesurteil kam vom Reichssicherheitshauptamt in Berlin; Heinrich Himmler ließ es sich zumeist nicht nehmen, höchstselbst den Daumen nach unten zu senken. Schließlich, nach monatelanger Haft, wurde der junge Mann an den Ort seiner Tat zurückgebracht und zumeist von zwei KZ-Häftlingen aus Flossenbürg oder Dachau und außerhalb des Dorfes erhängt.
Dass die Hinrichtungen im Sinne der deutschen Herrenmenschen durchaus effektiv waren, belegt ein „Stimmungsbericht“ des Landratsamts Griesbach, das mit einer solchen „Sonderbehandlung“ am 4. Dezember 1941 befasst war. Der 28-jährige Wladyslaw Krawczyk wird von Staats wegen ermordet, 164 Polen aus 16 Gemeinden werden dafür zusammengetrieben: „Während die angetretenen Polen, die nicht wussten, weshalb sie zusammenberufen wurden, vorher sich noch polnisch und disziplinlos benehmen wollten, sank nach der Exekution sofort ihre Stimmung erheblich. Sie zeigten noch nach Tagen ein sehr gedrücktes Wesen und sind nach Angaben verschiedener Arbeitgeber seitdem viel williger.“
Auch die Reaktion der Deutschen wird festgehalten: „Häufig wurde allerdings auch der Standpunkt vertreten, dass zusammen mit dem Polen auch die deutsche Frau aufgehängt hätte werden müssen. Die Bevölkerung hat jedoch nicht verstanden, dass die Frau nicht mindestens der Exekution hat beiwohnen müssen.“
Wie erfolgreich dieses Kapitel deutscher Mordgeschichte verdrängt wird, sieht man an Rolf Hochhuth: Er war einer der wenigen, der es überhaupt behandelte, 1978, in seinem Roman „Eine Liebe in Deutschland“. Hochhuths Buch hatte einen Effekt: Es brachte den Fall Filbinger ins Rollen: Der Marinerichter, der deutsche Soldaten zum Tode verurteilt hatte, musste als Ministerpräsident von Baden-Württemberg zurücktreten. Die eigentliche Geschichte von Hochhuths Buch: die Hinrichtung eines polnischen Zwangsarbeiters, interessierte die Nation weniger. FLORIAN SENDTNER
THOMAS MUGGENTHALER: Verbrechen Liebe. Von polnischen Männern und deutschen Frauen: Hinrichtungen und Verfolgung in Niederbayern und der Oberpfalz während der NS-Zeit. edition lichtung, Viechtach 2010. 175 Seiten, 14,80 Euro .
Florian Sendtner ist Journalist und Schriftsteller.
Vom Tisch zum Bett
ist es nur ein kurzer Weg.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Florian Sendtner begrüßt Thomas Muggenthalers Buch "Verbrechen Liebe". Der Autor schildert darin die Verfolgung und Hinrichtung von polnischen Zwangsarbeitern, die sich in Niederbayern und der Oberpfalz während des Nationalsozialismus mit deutschen Frauen eingelassen hatten. Das auf Aktenfunden Muggenthalers im Staatsarchiv Amberg baiserende Buch zeichnet für Sendtner die 70 Jahre lang verdrängten Morde an polnischen Zwangsarbeitern in der bayerischen Provinz minuziös und überzeugend nach. Dabei hebt er die Beteiligung normaler Behörden von der Polizei über den Bürgermeister bis zum Landratsamt an der Verfolgung und Hinrichtung hervor.

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