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"Axel Milberg leiht seit vielen Jahren der schwedischen Spürnase seine Stimme, die Wallanders Zweifel, Resignation und Disziplin auch bei diesem letzten Fall ideal transportiert." (mbeat)

Produktbeschreibung
"Axel Milberg leiht seit vielen Jahren der schwedischen Spürnase seine Stimme, die Wallanders Zweifel, Resignation und Disziplin auch bei diesem letzten Fall ideal transportiert." (mbeat)
Trackliste
CD 1
11. Der Feind im Schatten00:04:57
22. Der Feind im Schatten00:05:01
33. Der Feind im Schatten00:05:42
44. Der Feind im Schatten00:06:36
55. Der Feind im Schatten00:06:47
66. Der Feind im Schatten00:06:28
77. Der Feind im Schatten00:06:54
88. Der Feind im Schatten00:05:37
99. Der Feind im Schatten00:06:36
1010. Der Feind im Schatten00:04:44
1111. Der Feind im Schatten00:05:37
1212. Der Feind im Schatten00:04:45
CD 2
11. Der Feind im Schatten00:06:11
22. Der Feind im Schatten00:04:17
33. Der Feind im Schatten00:07:09
44. Der Feind im Schatten00:05:56
55. Der Feind im Schatten00:05:43
66. Der Feind im Schatten00:05:56
77. Der Feind im Schatten00:04:09
88. Der Feind im Schatten00:04:16
99. Der Feind im Schatten00:04:53
1010. Der Feind im Schatten00:06:21
1111. Der Feind im Schatten00:06:07
1212. Der Feind im Schatten00:04:42
1313. Der Feind im Schatten00:04:48
CD 3
11. Der Feind im Schatten00:06:08
22. Der Feind im Schatten00:05:31
33. Der Feind im Schatten00:06:12
44. Der Feind im Schatten00:06:07
55. Der Feind im Schatten00:05:05
66. Der Feind im Schatten00:05:00
77. Der Feind im Schatten00:05:52
88. Der Feind im Schatten00:06:44
99. Der Feind im Schatten00:05:36
1010. Der Feind im Schatten00:05:50
1111. Der Feind im Schatten00:06:13
1212. Der Feind im Schatten00:06:43
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.04.2010

Der Heimatroman der globalisierten Welt
Abschied von Kurt Wallander: Mit dem Roman „Der Feind im Schatten” schickt Henning Mankell seinen traurigen Kommissar in den Ruhestand
Im Januar brannte „Buhres Fisk” bis auf die Grundmauern herunter, das große Fischgeschäft im Hafen von Kivik, einem Dorf an der Ostsee, fünfzig Kilometer östlich von Ystad. Zuerst vermuteten die Leute, der „Dämmerungspyromane” habe wieder sein Unwesen getrieben, ein notorischer Brandstifter, der angeblich zwar rund um die Uhr unter Aufsicht der Polizei steht, aber trotzdem immer entwischt – auf einem Damenfahrrad, mit einer Rolle Toilettenpapier und einer Kerze im Gepäck. Dutzende, wenn nicht Hunderte Brände soll er im schwedischen Süden gelegt haben. Doch nachzuweisen ist ihm offenbar nie etwas. Dann ergab es sich, dass der Brand im Fischladen durch ein Versehen entstanden war. Aber für ein paar Tage war er das größte Ereignis in der jüngeren Kriminalgeschichte in Südostschonen.
Am Ende des Romans „Der Feind im Schatten” (Zsolnay Verlag, München und Wien 2010. 592 Seiten, 26 Euro), dem zehnten und nun wohl tatsächlich letzten Band, den Henning Mankell den Abenteuern des Polizisten Kurt Wallander aus Ystad widmet, zieht der Held noch einmal hinaus: „Im April 2009 übernahm er die Ermittlung einer Serie von Brandstiftungen in der Umgebung von Ystad.” Es dürfte sich dabei um die Taten des „Dämmerungspyromanen” handeln, ganz so, wie ein Ereignis aus den regionalen Polizeiberichten den Anlass für das Buch „Mörder ohne Gesicht” aus dem Jahr 1991, den ersten aller Wallander-Romane, geliefert hatte. Damals waren drei maskierte Männer nachts in einen alleinliegenden Hof in der Nähe von Ystad eingedrungen, hatten alles Geld an sich genommen und die Bewohner, ein altes Ehepaar, an ihre Betten gefesselt zurückgelassen. In den knapp zwanzig Jahren zwischen diesen Ereignissen wurde Kurt Wallander zu einem der erfolgreichsten Ermittler der Kriminalliteratur überhaupt, zu einer Gestalt wie Kommissar Maigret oder Sam Spade. Dabei fehlt ihm, einem weichen, dicklichen, ja schon trüben Menschen scheinbar alles, was ein Detektiv braucht, um sich in einer bösen Welt durchzusetzen.
Es gibt nicht viele Tote im „Feind im Schatten”, gemessen an der Sterberate in anderen Romanen derselben Serie. Getötet wird fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit – und vor allem: wenig spektakulär. Kurt Wallander kehrt, so scheint es, in die Provinz und die Ereignislosigkeit zurück, aus der er gekommen war. Zwar hatte jede Geschichte in Ystad begonnen, und oft in alltäglichen Verrichtungen. Doch hoch hinauf hatte es den Kommissar jedesmal getrieben, in die Machenschaften der internationalen Finanzwirtschaft, in die Weltpolitik, in die globalen Datennetze, in Rauschgift- und Menschenhandel. Die Opfer verbluteten in Bambusspießen, traten in Gärten auf Minen oder wurden bei lebendigem Leib skalpiert. Jetzt senkt sich die Abendsonne über die Getreide- und Kartoffelfelder bei Löderup, wo sich Kurt Wallander zum Lebensabend einen alten Hof mit Meerblick gekauft hat, und manchmal weiß er nicht einmal mehr, wer er ist.
Von der Überforderung einer Landschaft durch eingebildete Verbrechen möchte man da reden, vom Überschnappen der kriminellen Phantasie in einer Gegend, in der schon die Eröffnung eines Blumenladens, von dem übrigens alle Einheimischen wissen, dass er dem schnellen Untergang geweiht ist, Schlagzeilen in der Lokalpresse macht. In dieser Überforderung aber liegt der erste Grund für den gewaltigen Erfolg Kurt Wallanders auf dem europäischen Buchmarkt: Über Jahrzehnte hinweg war der Kriminalroman ein einfaches, aber praktisches Transportgerät der Literatur gewesen, ein Vehikel, dem man unendlich große Lasten aufbürden konnte, poetische, sozialkritische, obsessive aller Art – der Kriminalroman trug sie alle, und sie alle waren durch ihn an das gewöhnliche Dasein, an die Fährnisse des Alltags gebunden. Kurt Wallander aber legte noch eine Last hinzu: die Unwahrscheinlichkeit des Plots. Doch anstatt dass die Verknüpfung der Detektivgeschichte mit dem phantastischen Thriller die Achsen des Vehikels einknicken ließ, nahm es noch einmal rasende Geschwindigkeit auf: in der Beschwörung globaler Konspirationen, die einen jeden, und sei es einen Rübenbauer in seinen Gummistiefeln, zu jeder Zeit zum geheimen Mittelpunkt der Welt machen können.
In dieser Hinwendung zur Provinz, zu einer in allen Details definierten Region liegt der zweite Grund für den Erfolg Kurt Wallanders. Er brachte die Heimatliteratur auf den jüngsten Stand der Globalisierung. Denn je mehr diese voranschreitet, desto heftiger wird das Verlangen nach scharf umrissenen Grenzen, nach genauer Bekanntschaft mit dem Geruch eines in der Maschine bitter gewordenen Kaffees in einer gesprungenen Porzellantasse auf einer geblümten Wachstuchdecke auf einem kleinen Hof unter einer halbtoten Ulme in der Agrarwüste Südschwedens, nach präziser Ortskenntnis und Beherrschung des Dialekts.
Und so verwandt ist Kurt Wallanders Region allen anderen Regionen West- und Mitteleuropas, so vertraut sind schwedische Bürokratie, schwedische Verkehrstechnik und schwedischer Staatsidealismus, dass dieses Schonen mühelos an die Stelle anderer Regionen rücken kann, auch wenn dort nicht der kalte Ostwind aus Lettland bläst. Denn es kommt zwar darauf an, dass diese Geschichten genau hier spielen. Aber das Hier ist auch ein Irgendwo.
Die andere Seite der Heimat ist die Verschwörung. Der reiche Geschäftsmann, der sein Geld auf unlautere Weise verdient und deswegen seinen Anwalt töten lässt, die scheinbar anständigen Bürger, die junge Frauen bis auf den Tod quälen, die dunklen Organisationen, die das universelle Streben nach Demokratie und Gerechtigkeit zu hintertreiben suchen, im Baltikum, in Südafrika, an jedem Punkt der Erde – all diese finsteren Gestalten sind Produkte der Überzeugung, es gebe eine zweite Welt hinter der bekannten, eine, die von ebenso mächtigen wie in einzelnen Menschen zu fassenden Zusammenschlüssen kontrolliert wird.
Der Glaube an den Kader, der in kommunistischen Kleinorganisationen der siebziger Jahre den Kampf gegen eine Weltverschwörung von Kapital und Politik beseelte, lebt als gesunkenes Kulturgut im Kriminalroman fort: „Immer noch galten die USA vielen Schweden als Heilsbringer. Ein Europa ohne die USA wäre nahezu wehrlos. Vielleicht würde niemand von der Wahrheit, in deren Besitz Wallander sich wähnte, etwas wissen wollen.” In diesem Detektiv verbirgt sich ein Flugblattschreiber – nur, dass seine Klageschriften die Gestalt von Heimatromanen annehmen. Der Pamphletismus ist der dritte Grund für die Beliebtheit Kurt Wallanders.
In „Der Feind im Schatten” zieht der Polizist die Summe seiner Existenz – er trägt die Frauen zusammen und die Fälle, die überstandenen Gefahren und die verlorenen Gefährten. Sein letztes Abenteuer gilt Schweden – genauer: dem Glauben an die Neutralität dieses Landes. Zu diesem Zweck rollt Henning Mankell eine alte Geschichte auf, aus den frühen achtziger Jahren, als das Militär in den Schären nach fremden U-Booten suchte und plötzlich ein solches, die russische U-137, vor der schwedischen Marinebasis in Karlskrona auf einem Felsen lag. Noch einmal klärt Kurt Wallander einen Fall, und noch einmal stirbt ein Schuldiger – ein Verräter von Volk und Vaterland, auch wenn Volk und Vaterland ihn womöglich nicht als Verräter wahrgenommen hätten.
Zurück bleibt der zunehmend vergessliche Detektiv auf seinem einsamen Hof in der Provinz – und indem sein Autor ihn preisgibt, leuchten all seine Motive noch einmal auf: „Das Wichtigste in diesem Buch ruht auf dem soliden Fundament, das die Wirklichkeit ausmacht”, erklärt er am Ende – was bedeutet: Henning Mankell will mit seinen Romanen auch über die Literatur hinaus recht behalten. Mit einem literarischen Motiv wird man den Gedanken nicht verwechseln. Denn anders, als der Kriminalroman glauben machen will, dienen seine Geschichten nicht der Beunruhigung. Er will die Idylle, nicht im Stoff, sondern im Kopf des Lesers. THOMAS STEINFELD
Jetzt senkt sich die Abendsonne über die Kartoffelfelder von Löderup und ihren Kommissar
Der revolutionäre Glaube an den Kader lebt als gesunkenes Kulturgut im Kriminalroman fort
Im Südosten Schonens leben mehr Künstler als in jeder anderen Region Schwedens, mit Ausnahme von Stockholm. Die private „Stiftelse Tomelilla Konstsamling” hat sich zur Aufgabe gemacht, diese Kunst zusammenzutragen und auszustellen: Die Landschaft von Gerhard Wihlborg (1934) zeigt Kurt Wallanders Heimat. Foto: Kurt Gertz/Tomelilla Konstsamling
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2010

Jetzt muss die Welt sich selber retten

Ein Kommissar tritt ab, der nie einfach nur einen Mord lösen durfte: Nach zehn Büchern verabschiedet sich Henning Mankell mit "Der Feind im Schatten" von Kurt Wallander

Es ist der letzte Fall. Definitiv. Ein kurzes Telefonat mit dem Verlag bestätigt noch mal, was hinten auf dem Umschlag steht. Es könnte zwar sein, dass die Tochter weitermache, sie arbeite ja jetzt auch als Polizistin. Aber für Kommissar Kurt Wallander aus Ystad sei es nach diesem Buch aus und vorbei. "Der Feind im Schatten", so heißt sein letzter Auftrag. Sechshundert Seiten ohne Wiederkehr. Sie haben wohl noch nicht bis zum Ende gelesen, sagt die Verlagssprecherin, sonst wüssten Sie, dass es gar nicht weitergehen kann. Oder soll ich es Ihnen schnell verraten?

Vor genau zwei Jahren hatte Henning Mankell Journalisten ins Wiener Hotel "Sacher" zum Interview eingeladen. Damals, um einen seiner anderen Romane zu präsentieren, die sich zwar gut verkauften, die für seine Abermillionen Leser aber wohl immer irgendwie den Weg zum nächsten Wallander verstellt hatten, elf Jahre lang, seit dem neunten Fall, "Die Brandmauer" von 1998. Danach war also Pause gewesen, die Zeit verstrich mit einem nachgereichten Erzählungsband über Wallanders frühe Jahre und drei verschiedenen Fernsehverfilmungen, in denen drei verschiedene Schauspieler dem schwedischen Polizeibeamten ein Gesicht zu geben versuchten. Der letzte, Kenneth Branagh, hat das am besten geschafft.

In Wien, im Mai vor zwei Jahren, draußen strömte der Regen, saß drinnen Mankell in hellem Leinen, die Uniform für die Leute seiner Generation. Sechzig war er gerade geworden, hellrot stand ihm die Farbe im Gesicht, er war eben nämlich von Dreharbeiten mit dem ZDF für eine Afrika-Reportage zurückgekommen und ziemlich begeistert davon, dass am nächsten Tag sein historischer Familienthriller "Der Chinese" in dreißig Ländern gleichzeitig erscheinen sollte. Damals endete unser Gespräch mit der Frage, ob und wann es einen neuen Wallander geben würde. "Wie es jetzt steht", sagte Mankell gedehnt, wie oft hatte er wohl schon darauf antworten müssen, "würde ich es mit James Bond halten: Sag niemals nie. Schauen wir mal, was passiert. Mehr kann ich nicht sagen."

Dreizehn Monate später, im Juni 2009, war "Der Feind im Schatten" fertig, so lautet jedenfalls das Datum unter Mankells Nachwort. Wenn ich jetzt das Band aus Wien noch einmal abhöre, dann waren damals schon viele der Elemente im Gespräch, aus denen sich dieser letzte Fall Kurt Wallanders zusammensetzen sollte, aber da sie zugleich auch die Elemente sind, aus denen Henning Mankell sein Weltbild fügt, fällt es schwer zu sagen, ob er schon kompositorisch im letzten Wallander-Buch steckte oder ob sich dieses Buch nicht eher von selbst aus der Lage der Dinge entwickelte, wie er sie sieht.

Diese Elemente sind: Solidarität als Kitt der Gesellschaft. Die zweifelhafte Rolle Amerikas in der Welt. Vergangenheitsbewältigung der Menschen, der Nationen. Ost gegen West.

Klingt das nach Krimi? So waren aber Wallanders Fälle immer. In diesem letzten werden sie alle noch mal kurz gestreift, Figuren alter Folgen schauen vorbei, Wallanders Frauen liegen noch einmal in seinem Bett, aber allein. Denn "Der Feind im Schatten" ist ein Abschiedsbuch geworden, der Ton ist Herbst, überhaupt spielen die Jahreszeiten eine große Rolle. Wallander sieht sie kommen und gehen, unterdessen löst er einen Fall, der gar nicht seiner ist, eigentlich hat er Urlaub. Aber da ein Mann wie Wallander nicht einfach Urlaub hat, wo sollte er dann zum Beispiel das Weltgewissen hinlegen, das er mit sich herumträgt, ermittelt er eben. In der eigenen Familie.

Linda, seine Tochter, bekommt ein Kind. Von Hans, einem adligen Börsenmakler. Dessen Vater Håkan war U-Boot-Kommandant der schwedischen Marine. Er ist einer Verschwörung auf der Spur, er hat bei einem Manöver im Herbst 1980 vor der schwedischen Küste ein fremdes U-Boot aufgebracht, mitten im Kalten Krieg, er musste es aber ziehen lassen. Wer hat den Befehl gegeben? Reicht es bis zum Ministerpräsidenten Olof Palme hinauf? Håkan erzählt Wallander von seiner Verschwörung am Tag, als die beiden Großväter sich kennenlernen. Kurz darauf verschwindet Håkan. Und bald danach auch Louise, seine Frau. Wallander schaltet sich ein. Findet Dinge heraus. Kann sich manches noch nicht erklären. Fährt im Land herum. Dann wird Louise tot aufgefunden. Selbstmord. Nein, Mord. Lebt Håkan noch? Hat er es getan? Ging es um Spionage?

Henning Mankells Wallander ist das klassische Exemplar eines Kommissars als Medium des Verbrechens. Solche Exemplare gibt es nur in Krimis, egal ob im Fernsehen oder im Roman. Wallander ist dieses Medium nicht nur, weil er so mitleidet an der Düsternis der Welt, er ist ein Medium, weil die bösen Taten alle durch ihn hindurchgehen müssen, bevor er sie lösen kann. Sie haben alle mit ihm zu tun, und im schlimmsten Fall ist er sogar mit ihnen verwandt.

Man stelle sich ein Abendbrot im Kreise der Familie Wallander vor (es werden viele belegte Brote in Ystad gegessen, das haben Mankells Bücher mit denen von Stieg Larsson gemeinsam, aber natürlich nicht nur das: zum Beispiel den depressiven Himmel über Schweden, die Wälder und die schönen Felder, tote Mädchen, Korruption, und genauso lang wie die von Stieg Larsson sind sie auch). Da sitzt dann der geschiedene Kurt, der mal einen Kollegen verloren hat, weil der ermordet wurde, Kurt, der eine Lettin namens Baiba heiraten wollte, nachdem deren Mann ermordet worden war in einem Fall, den Kurt am Ende gelöst hat, genau wie den anderen Fall, in dem sein Kollege Svedberg starb und Kurt um Haaresbreite auch. Und nun lebt seine Tochter, die sich mal das Leben nehmen wollte, mit einem Mann zusammen, dessen Eltern kurz darauf verschwinden, die Mutter stirbt, man hat ihr seltsame Substanzen verabreicht, der Vater wiederum - aber hier soll ja nichts verraten werden. Da sitzen sie nun vor ihren Broten, der fast erschossene Kurt, die Tochter, die mal nicht mehr leben wollte, der brutal verwaiste Schwiegersohn, und man fragt sich, wie sie wohl miteinander reden. Reichst du mir mal die Butter? Wie geht es deinem posttraumatischen Stresssyndrom?

Man hat an Mankells Figuren oft ihre Lebensnähe gelobt, aber wenn man diesen letzten Fall zum Maßstab nimmt, stimmt das einfach nicht. Wallander, der graue Mann, der Trinker, Diabetiker, der Besitzer leerer Kühlschränke und trister Wohnungen, ist nicht Durchschnitt. Er hat zum Beispiel für jedes Rätsel einen Bekannten zur Hand, der ihm weiterhilft. Diesmal einen ehemaligen Stasi-Mann, der sich mit Gift auskennt. Und einen dicken, toten Schulfreund mit einem Marinearchiv, in dem Wallander doch tatsächlich uralte Fotos des vermissten U-Boot-Kommandanten und seiner toten Frau findet; plötzlich erscheint alles klarer.

Oder er findet eine Zeugin längst zurückliegender Ereignisse, eine Kellnerin in einem Lokal für hohe Marinesoldaten, wo Håkan verkehrte, und die ist dann zufällig als Kommunistin damals selbst verdeckt unterwegs gewesen und erinnert sich genau, was geredet wurde. Überhaupt suchen Wallander Erinnerungen immer im richtigen Moment heim, damit der Kommissar besser versteht, wie das war mit dem neutralen Schweden im Kalten Krieg (und der Leser erst). "Plötzlich erinnerte sich Wallander beinahe Wort für Wort", heißt es dann.

Aber nichts geschieht plötzlich und zufällig, und mit jeder Szene, in der Mankell doch Zufälliges beschreibt, etwa, dass Wallander Großraumtaxis nicht mag, fühlt man sich manipulierter. Einmal nimmt Wallander eine Anhalterin mit, obwohl er das eigentlich nicht macht. Später stellt sich heraus, dass sie auf der Flucht ist, weil sie ihre Eltern getötet hat. Wie hast du denn das nur verkraftet, Kurt? Reichst du mir mal die Butter?

Was sich nicht lösen lässt, die falschen Fährten und großen Unbekannten, wird am Ende als ungelöst einkassiert und abgeheftet. "Wenn Sie mit Polizisten sprechen, werden die Ihnen sagen: So ist das, es bleiben immer lose Fäden übrig, wir können nicht alles lösen", hatte Mankell damals in Wien gesagt, und so lapidar das klingt, irgendwie lebt es sich besser damit als mit den notorischen letzten Seiten bei Harry Potter, wo Dumbledore mit der Weltformel kommt und alles wegerklärt, bis einem der Kopf raucht, niemals könnte man es nacherzählen.

Wie enden große Serien? Potters "All was well" war schon ziemlich gut. Im Fernsehen, bei den "Sopranos", schaute Tony einfach nur zur Eingangstür des Restaurants, in dem er saß, dann war Schnitt und Schluss. Bei "Six Feet Under" fuhr die jüngste Tochter in die Zukunft ihrer Familie hinein, neun Minuten herzzerreißende Zeitraffer. Bevor aber Kurt Wallander verschwindet, muss er einen Fall lösen, der bei weitem nicht so grässlich blutig und brutal gewesen ist wie die anderen neun davor. Es geht nicht um Mädchenschlepperbanden oder um die von der Ersten ausgebeutete Dritte Welt, kein Serienkiller ist auf der Jagd. Es geht um den Kalten Krieg und darum, wer darin die gute und wer die böse Macht war. Eine umständliche Konstruktion, die am Ende darauf hinausläuft, dass man vor den Amerikanern auf der Hut sein soll. Und ein Generationspsychogramm, für das abermals Wallander das Medium sein muss. Ein abstrakter Krimi, dessen Lösung ungewohnt träge zum Vorschein kommt.

"Ich bin immer noch die verwirrte Gestalt an der Peripherie des großen politischen und militärischen Geschehens. Heute wie damals bin ich eine ängstliche und unsichere Randfigur." Das sagt Wallander zu sich selbst, ein paar Seiten bevor das Buch vorbei ist. Aber das ist nur die Koketterie seines Erfinders. Ein Kommissar tritt ab, der nie einfach nur einen Mord aufdecken durfte. Sondern immer auch das System dahinter. Eine Weltverteilung, große Schuld. Und diesmal sogar die ganze Nachkriegsordnung.

Als wolle Henning Mankell mit dem letzten Roman seinen Kurt Wallander historisieren. Bevor es kein anderer tut.

TOBIAS RÜTHER

Henning Mankell: "Der Feind im Schatten". Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. Verlag Paul Zsolnay, 592 Seiten, 26 Euro

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