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An Bord eines Bootes, das ihn zusammen mit anderen Flüchtlingen in den Westen bringen soll, erzählt Muzafari Subhdam seine Geschichte. Selbst ein hochrangiger Peschmerga, rettete er dem legendären kurdischen Revolutionsführer einst das Leben, als sie von Truppen des Regimes umstellt waren. Er aber geriet in 21-jährige Gefangenschaft, mitten in der Wüste.
Wieder in Freiheit, begibt er sich auf eine Reise durch das, was aus seinem Land geworden ist. Eine Reise durch Geschichten, Geheimnisse und zu Personen, die ihm dabei helfen, seinen verschollenen Sohn zu finden. Eine Reise, die ihn
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Produktbeschreibung
An Bord eines Bootes, das ihn zusammen mit anderen Flüchtlingen in den Westen bringen soll, erzählt Muzafari Subhdam seine Geschichte. Selbst ein hochrangiger Peschmerga, rettete er dem legendären kurdischen Revolutionsführer einst das Leben, als sie von Truppen des Regimes umstellt waren. Er aber geriet in 21-jährige Gefangenschaft, mitten in der Wüste.

Wieder in Freiheit, begibt er sich auf eine Reise durch das, was aus seinem Land geworden ist. Eine Reise durch Geschichten, Geheimnisse und zu Personen, die ihm dabei helfen, seinen verschollenen Sohn zu finden. Eine Reise, die ihn schließlich auf den Weg führt, den Tausende schon vor ihm genommen haben: übers Mittelmeer in den Westen.
Dieser Roman von scharfer Aktualität und berückender Poesie erzählt von verwunschenen Schlössern, von Bienenschwärmen und Honigsammlern, von Kindern auf Schlachtfeldern, von den weißen Schwestern, die mit ihren Liedern den Bazar verzaubern, von Freiheitskämpfern, die zu Fürsten werden, von Seelenin schwarzer Trauer - und von einem Jungen mit Namen Glasherz, der von einer Welt träumt, in der alles durchsichtig und rein ist.
Autorenporträt
Bachtyar Ali wurde 1960 in Sulaimaniyya (Nordirak) geboren. 1983 geriet er durch sein Engagement in den Studentenprotesten in Konflikt mit der Diktatur Saddam Husseins. Er brach sein Geologiestudium ab, um sich der Poesie zu widmen. Sein erster Gedichtband Gunah w Karnaval (Sünde und Karneval) erschien 1992. Sein Werk umfasst Romane, Gedichte und Essays. Er lebt seit Mitte der Neunzigerjahre in Deutschland.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Tilman Spreckelsen lernt, dass alles mit allem zusammenhängt aus Bachtyar Alis im kurdischen Original bereits 2002 erschienenen Roman. Ein fabelhaftes Buch, meint Spreckelsen und kann es sich nicht erklären, dass der längst in Deutschland lebende Autor erst jetzt übersetzt wird. Ali erscheint ihm als ein mit allen Wassern gewaschener Schriftsteller, der hier einen lebhaften Erzähler einführt, den Leser über Zeit und Ort der Handlung jedoch zunächst im Unklaren lässt. Dass es sich um ein im Mittelmeer treibendes Boot handelt, erfährt der Rezensent erst nach und nach. Sprachlich lehnt Ali sich laut Spreckelsen an das mündliche Erzählen an, flicht Märchenelemente, Symbole und viele Bilder ein, um seine rätselhafte Geschichte zu erzählen. Die führt den Rezensenten schließlich ins kurdische Gebiet an der iranisch-irakischen Grenze zu Zeiten Saddams, wenn Ali über die Figurenschicksale hinaus die Tragödie Kurdistans zum Thema macht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.06.2016

Schwarzer Stern
Zum ersten Mal erscheint ein kurdisch-irakischer Roman auf Deutsch
– und was für einer! Bachtyar Alis „Der letzte Granatapfel“ ist ein Paukenschlag
VON STEFAN WEIDNER
Die irakischen Kurden stehen gegen den IS an vorderster Front, doch Kurdistan hat mehr zu bieten als Peschmerga-Kämpfer. Fragt man in Sulaimaniya und Erbil, den beiden konkurrierenden Metropolen der Autonomen Region Irakisch-Kurdistan, nach Literatur und Autoren, bekommt man eine ganze Reihe von Namen genannt, allen voran aber einen: Bachtyar Ali. Fein gebunden und zu einer repräsentativen Kassette zusammengestellt, stehen elf Romane dieses hochproduktiven Erzählers und Essayisten dort in allen Buchhandlungen und werden offenbar so zahlreich gekauft, dass der Autor davon gut leben kann, und zwar – in Deutschland! Neben seiner Muttersprache Sorani, dem südlichen der beiden kurdischen Dialekte, neben Persisch, Arabisch, Englisch spricht der 1960 geborene Autor daher auch Deutsch. Spät, aber nicht zu spät legt der Zürcher Unionsverlag nun „Der letzte Granatapfel“ auf Deutsch vor, einen ersten, im Original bereits 2003 erschienenen Roman von Ali. Das Buch ist ein Paukenschlag, einer der intensivsten Texte aus dem orientalischen Raum, die seit Langem zu lesen waren. Sofort versteht man, warum der Autor in seiner Heimat Kultstatus genießt.
  Am Anfang des Romans steht eine Freilassung: Nach mehr als zwanzig Jahren Einzelhaft in einem Wüstengefängnis wird der einstige Peschmerga-Kämpfer Muzaferi Subhdam in den Palast seines einstigen Freundes verbracht, des siegreichen Revolutionsführers Jakobi Snauber. Innerlich hat Muzaferi der Welt seit Langem entsagt. Doch ist er vom Gedanken besessen, seinen Sohn Saryasi wiederfinden, den er im Säuglingsalter zurückgelassen hatte. „Der letzte Granatapfel“ erzählt die Geschichte dieser Suche. Sie wird zu einer albtraumhaften Odyssee durch die jüngere kurdische Geschichte, beginnend bei den Aufständen gegen Saddam Hussein, die dieser in den Achtzigerjahren auch unter Einsatz von Giftgas niederschlug, bis zum innerkurdischen Bürgerkrieg nach der Autonomie in den Neunzigern. Dennoch ist „Der letzte Granatapfel“ kein historischer Roman. Nicht um die Geschichte als solche geht es, sondern um die Frage, was sie mit Menschen macht, und wie sie, wenn überhaupt, zu ertragen ist.
  Das Buch ist die künstlerische Reaktion auf diese Fragen. Gewalt und Leid werden anders als häufig in den nahöstlichen Literaturen der Gegenwart bei Bachtyar Ali nie ästhetisiert, sind kein literarischer Selbstzweck, taugen nicht für Voyeurismus oder einen schnellen Kick. Und wo ein Charakter zum Zynismus neigt, wie etwa der Revolutionsführer Jakobi Snauber, um dessen Rettung willen Muzaferi einst ins Gefängnis ging, wird dieser Zynismus der Macht von Muzaferis Menschlichkeit einfach bloßgestellt. Wenn Snauber am Ende behauptet, es gebe nur eine Reinheit, „nicht zuzulassen, dass der Mensch den Menschen versteht“, so lautet die Antwort Muzaferis: „Willst du wie alle anderen Herrscher und Propheten über die letzten Dinge philosophieren und dieses kleine Wesen Mensch aus deinem Kopf verbannen? Du lebst, um zu sie zu vergessen, aber ich lebe, um sie in Erinnerung zu rufen.“ Ohne dass man noch weiß, wie einem geschieht, wohnt man der Wiederverzauberung der Welt von ihrem tiefsten, elendigsten Punkt aus bei.
  Muzaferi Subhdams Suche nach seinem Sohn wird zu einer nach seinen Söhnen. Denn es gibt drei gleichaltrige Kinder mit demselben Namen, und alle haben einst einen gläsernen Granatapfel in die Wiege gelegt bekommen. Ihre Geschichten sind exemplarisch für die verlorenen, vaterlosen Kinder jener finstersten Epoche der kurdischen Geschichte. Während der eine sich als Robin Hood der von der Polizei schikanierten Straßenverkäufer Respekt verdient, erweist sich der zweite als entseelter Kindersoldat, der immer wieder vergeblich den Tod im Kampf sucht. Als Muzaferi sich mittels eines Kassettenrekorders mit diesem in Isolationshaft sitzenden zweiten Saryasi austauscht, gerät es zur Nebensache, wer sein wirklicher Sohn ist; Ziel der Suche ist nur noch Versöhnung. Und wenn wir schließlich von einem Jungen, der wegen seiner Verbrennungen „Schwarzer Stern“ genannt wird, durch ein Heim für kriegsversehrte Kinder zum dritten und letzten der Saryasis geführt werden, wird diese ebenso grausame wie berührende Szene allein dadurch erträglich, dass Muzaferi selbst beim Durchschreiten dieses Horrorkabinetts nicht eine Sekunde an seiner Mission zweifelt. „Als ich das erschöpfte, geschmolzene und geistig abwesende Wesen in die Arme schloss, war mir, als beginne tief in mir etwas zu leuchten. Ich begriff, dass hier ein großer Schwur gefordert war. Ein Versprechen, größer als Vaterschaft, Liebe und Mitleid.“
  Zweifellos: Diese Art von Literatur verdankt dem magischen Realismus viel. Aber es ist ein magischer Realismus des Orients, der sich aus älteren Quellen speist als der lateinamerikanische. Das Buch lebt von einer Mystik der innerweltlichen Existenz, deren Kern die Abhängigkeit der Menschen voneinander ist und nicht nur die Figuren prägt, sondern bis in den Stil hinein die ganze Art dieses Schreibens. Einmal wird dieser mystische Panhumanismus so zusammengefasst „Wie ein Teil unseres Lebens mit all den anderen Leben vermischt ist, so befindet sich auch ein Teil aller anderen Leben in unserem, ein Teil unseres Todes im Tod aller anderen.“
  Wenn sich im Lauf des Buchs dann auch die Erzählsituation enthüllt und klar wird, dass Muzaferi Subhdam seine Geschichte auf einem im Mittelmeer treibenden Flüchtlingsboot seinen Schicksalsgenossen berichtet, schließt der vor über dreizehn Jahren publizierte Roman auf gespenstische Weise an unsere Gegenwart an. In einem tiefschürfenden Essay für das Goethe-Institut über die gegenwärtigen Fluchterfahrungen schrieb Bachtyar Ali unlängst Sätze, von denen man annehmen darf, dass sie mit den Motiven für die Flucht zugleich die des Schreibenden benennen: „Es geht für den Flüchtenden nicht nur darum, Gerechtigkeit im elementaren politischen Sinne zu erfahren, also der staatlichen Willkürherrschaft oder der unmittelbaren Gefahrenzone zu entrinnen. Vielmehr ist das eigentliche Ziel der Flucht, aus der Sphäre des Schreckens auszubrechen. Das Fliehen ist ein mythischer, imaginärer Prozess, welcher der Logik der Utopie und nicht der Logik des nackten rationalen Denkens unterliegt.“
  Wie konnte ein solches Buch, ein solcher Autor sich vor unserem Buchmarkt so lange verbergen? Ein Grund ist sicher, dass es kaum deutsche Muttersprachler gibt, die Sorani gut genug beherrschen. Entsprechend schwer ist es, literarisch versierte Übersetzer zu finden. Das Übersetzerteam hat angesichts der Tatsache, dass hier echtes Neuland zu betreten war, gemeinsam mit dem Lektorat die anspruchsvolle Aufgabe gut gelöst. Der andere, vielleicht wichtigere Grund ist aber vielleicht darin zu sehen, dass Bachtyar Ali, obwohl in seiner Heimat ein Star, allen Star-Allüren abhold ist. Er ist ein hoch konzentrierter, fast menschenscheuer Mann, der lieber zu Hause sitzt und schreibt, als das Rampenlicht zu suchen. Wir werden trotzdem noch viel von ihm hören und lesen. 
Die Suche nach dem Sohn
wird hier zur Odyssee durch die
jüngere kurdische Geschichte
Vaterlose Kinder einer finsteren Epoche: junger Peschmerga-Kämpfer im Nordirak, 2003.
Foto: Kevin Frayer / AP PHOTO
            
  
  
  
Bachtyar Ali: Der letzte
Granatapfel. Roman. Aus dem Sorani von Ute Cantera-Lang und Rawezh Salim, Unionsverlag, Zürich 2016. 352 Seiten, 22 Euro. E-Book 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2016

Wenn der Sand schreit, sind die Menschen weit weg

Auf der Suche nach den verlorenen Söhnen: Bachtyar Alis großer Roman "Der letzte Granatapfel" erzählt von der Tragödie Kurdistans.

Am Ende sitzen sie wieder beieinander, der einstige Warlord und heutige Politiker Jakobi auf der einen Seite, sein ehemaliger Freund Muzafari auf der anderen. Zuletzt hatten sie sich in einem Schloss in den Wäldern getroffen, wo Muzafari sich von 21 Jahren Einzelhaft in der Wüste erholen sollte und ihn der inzwischen zum Machthaber aufgestiegene Jakobi immer wieder besuchte. Das ist jetzt ein paar Wochen her, das im Wald begonnene Gespräch führen sie nun fort. Der Freund habe sich doch in der langen Zeit in der Wüste endlich vom Schmutz der Welt entfernt, von den Wünschen und Ängsten, die sich an Politik, Kampf, Leid und Freud, vor allem aber an die Schicksale anderer Menschen knüpfen. Warum nur, fragt Jakobi, hat Muzafari das Schloss verlassen, warum ist er in die Wirklichkeit des von Revolution und Bürgerkrieg gezeichneten Landes hinabgestiegen? Mit der Antwort des Freundes kann er nichts anfangen: Eben weil es die Wirklichkeit ist, sagt Muzafari.

"Der letzte Granatapfel" erschien im kurdischen Original bereits im Jahr 2002. Es ist der erste Roman des Schriftstellers Bachtyar Ali, der ins Deutsche übersetzt worden ist, und wenn man ihn liest - befremdet, erstaunt, am Ende hingerissen - dann fragt man sich, wie es sein kann, dass der 1960 geborene Autor, der seit immerhin gut zwanzig Jahren in Deutschland lebt, erst jetzt mit einem Werk bei uns präsent ist. Ali jedenfalls erweist sich als mit allen literarischen Wassern gewaschener Schriftsteller, der uns mit jenem Muzafari Subdham zwar einen ausgesprochen lebhaften Erzähler präsentiert, anfangs aber völlig offenlässt, wo dieser Exgefangene spricht und zu wem.

Dass es sich um keinen der üblichen schriftlichen Berichte handelt, wird immerhin rasch klar, wenn Muzafari seine Zuhörer direkt anredet, wenn er auf die Wahrheit seines Berichts schwört oder sein Publikum auf den nächsten Tag vertröstet. Allmählich kommt dann heraus, dass er sich mit seinen Zuhörern auf einem Schiff befindet, das, gestartet in der griechischen Hafenstadt Patras, auf den Weg in den Westen ist, nun aber seine Richtung verloren hat und im Mittelmeer treibt. Darüber hinaus äußert sich Muzafaris mündliches Erzählen auch unmittelbar in der Stillage: Er flicht Märchenelemente ein und benutzt Symbole, schlägt manchmal einen Predigerton an oder wiederholt zentrale Wendungen, wie um sein Publikum zu fassen und nicht mehr loszulassen. Und gerade weil die mündliche Erzählerrolle dadurch so ausgestellt wird, ermöglicht es uns wiederum der Autor, jene Distanz zu Muzafari aufzubauen, die nötig ist, um seine Position als eine unter mehreren aufzufassen und auch getrost zu hinterfragen.

Denn die Geschichte ist rätselhaft genug, und dass ihr nur mäßig realistischer Anspruch eine Verbindung mit Muzafaris bilderreicher Sprache eingeht, ist unübersehbar. Er berichtet davon, wie ihn die Suche nach seinem Sohn Saryari, der bei seiner Verhaftung ein Säugling war, aus dem Schloss im Wald treibt. Sein Kopfhaar reicht ihm inzwischen bis zu den Hüften, sein Bart bis zu den Füßen, in der Gesellschaft derer aber, die mehr oder weniger versehrt die letzten Kriege überlebt haben, ist er nur ein weiterer Sonderling. Er hört die Geschichte des zartbesaiteten Mohamadi, der so sehr liebt, dass sein gläsernes Herz zersplittert und ihn verbluten lässt. Von den beiden Schwestern Spi, die einander so zugetan sind, dass sie niemals heiraten, ständig gemeinsam singen und die langen Haare ineinander wehen lassen. Und von seinem Sohn, der während Muzafaris Haft heranwuchs, die Interessen der Marktverkäufer gegen die Polizei vertrat und ermordet wurde.

Doch die Sache ist komplizierter: Es gibt noch einen zweiten Saryari Subdham, stellt sich heraus, der von klein auf kämpfte und mordete und nun in einem Gefängnis verrottet, wo ihn sein Vater nicht besuchen kann. Schließlich taucht gar ein dritter Saryari auf, der schon als ein Kind durch einen Brandanschlag auf sein Dorf fürchterlich entstellt wurde. Ihn allein kann Muzafari in die Arme schließen, ihm wird er nach England folgen, in jene Spezialklinik, in der Saryari behandelt werden soll, das, so stellt sich heraus, ist der Grund für seine Reise auf dem Boot. Ob er ankommen wird, steht in den Sternen.

Natürlich ist Bachtyar Alis Geschichte ihrem Handlungsort verhaftet, dem Kurdengebiet auf beiden Seiten der iranisch-irakischen Grenze, und ebenso einer bestimmten Zeit: den achtziger und neunziger Jahren, als sich kurdische Kämpfer gegen das Regime von Saddam Hussein erhoben, bevor - auch davon erzählt der Roman - es zu einem mörderischen innerkurdischen Krieg kam, geprägt von einer umfassenden Unübersichtlichkeit. Die zentrale Metapher dafür ist das Schachspiel, aber eines, "bei dem du nicht wirklich weißt, welche Figuren dir gehören", weil sie "vor deinen Augen die Farbe wechseln". Oder gleich alle dieselbe Farbe annehmen.

Aber Ali belässt es nicht bei einer Schilderung der Tragödie Kurdistans. So wie die Suche nach dem einen Sohn gleich drei junge Männer zutage fördert, deren Schicksale einen Teil dessen repräsentieren, wie man jene Zeit erleben konnte, als Opfer, Täter, als beides nacheinander oder beides zugleich, so verweist auch Muzafaris Bericht auf jeden Krieg überhaupt und jede Zivilbevölkerung, die darunter leidet. Genau diese Ausweitung des Fokus vom einzelnen, gesuchten Sohn zur Katastrophe eines ganzen Volkes spiegelt sich in der Entwicklung des Erzählers wider, die er auf seiner Reise durch das verwüstete Land und im Berichten davon durchläuft. Das beginnt mit der größtmöglichen Unbeteiligtheit nach den 21 Jahren in der Wüste - als er aus der Isolation freikam, konnte er buchstäblich den Sand schreien hören, er hatte für alles, was er sagen wollte, eine adäquate Sprache gefunden, nur dass die kein Mensch verstehen konnte. Am Ende des Romans aber, in der Begegnung mit all den Augenzeugen des Krieges, ist er immun für die Verlockungen der Weltabkehr, die etwa jener andere Warlord pflegt, der in idyllischer Landschaft, die Hand fest um den Weinkrug geschlossen, einen Schleier zwischen sich und die anderen legt.

Der Erzähler weist den Wein zurück und preist das "bittere Wasser der Wirklichkeit" - nur eine von sehr vielen Metaphern, die auf Bäche, Flüsse, Wellen oder sickernde Flüssigkeiten wie Blut Bezug nehmen. Immer wieder aber geht es ums Meer, in dem alles zuvor Vereinzelte zusammenkommt, und es ist kein Zufall, dass ausgerechnet der Ozean der Ort ist für Muzafaris letzte Erzählung, deren Handlung sichtlich den Bogen spannt vom isolierten Sandkorn der Wüste zum globalen Ozean. Denn alles hängt mit allem zusammen, nicht zuletzt das fortdauernde Leid derer, die den Krieg überlebt haben. Im Spital sieht Muzafari "jene Jungen, die zerfetzt und wieder zusammengeflickt worden waren. Entstellte Lebewesen, deren Teile offensichtlich falsch zusammengenäht worden waren oder gar nicht zusammengehörten. Ich hatte das Gefühl, dass der Kopf des einen auf dem Körper eines anderen steckte, das Auge des einen im Kopf des nächsten lag und die Nase von einem im Gesicht des anderen." In einer Gesellschaft, die ihren Jüngsten und Hilflosesten ein solches Schicksal bereitet, ist es auch mit der Verbindung von Vater und Sohn nicht weit her, zeigt der Roman, und es ist kein Wunder, dass die genealogische Kette unterbrochen wird: keiner der drei mutmaßlichen Söhne des Erzählers hat ein Kind gezeugt.

"Wer brachte so viel Elend über meine Söhne?", fragt Muzafari einmal. Falls es darauf überhaupt eine Antwort gibt, dann kennt sie dieser fabelhafte kurdische Roman.

TILMAN SPRECKELSEN.

Bachtyar Ali: "Der letzte Granatapfel". Roman.

Aus dem Kurdischen von Ute Cantera-Lang und Rawezh Salim. Unionsverlag, Zürich 2016, 352 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Das Buch ist ein Paukenschlag, einer der intensivsten Texte aus dem orientalischen Raum, die seit Langem zu lesen waren. Sofort versteht man, warum der Autor in seiner Heimat Kultstatus genießt. Wie konnte ein solches Buch, ein solcher Autor sich vor unserem Buchmarkt so lange verbergen? Wir werden noch viel von ihm hören und lesen.« Stefan Weidner Süddeutsche Zeitung