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Es gibt keinen freien Markt
Der freie Markt existiert nicht, "Chancengleichheit" heißt nicht "gleiche Chancen für alle", die Erfindung der Waschmaschine hat die Welt tiefgreifender verändert als das Internet. Mit seinen provokanten Thesen macht Ha-Joon Chang Front gegen die heiligen Kühe des Kapitalismus. Jedes der 23 Kapitel beginnt damit, "was sie uns erzählen", gefolgt von dem, "was sie uns verschweigen". "Sie" sind die Verfechter des freien Marktes. Knapp, präzise und streitbar bietet der mehrfach ausgezeichnete Wirtschaftswissenschaftler dem Leser das Rüstzeug, den Neoliberalismus zu…mehr

Produktbeschreibung
Es gibt keinen freien Markt

Der freie Markt existiert nicht, "Chancengleichheit" heißt nicht "gleiche Chancen für alle", die Erfindung der Waschmaschine hat die Welt tiefgreifender verändert als das Internet. Mit seinen provokanten Thesen macht Ha-Joon Chang Front gegen die heiligen Kühe des Kapitalismus. Jedes der 23 Kapitel beginnt damit, "was sie uns erzählen", gefolgt von dem, "was sie uns verschweigen". "Sie" sind die Verfechter des freien Marktes. Knapp, präzise und streitbar bietet der mehrfach ausgezeichnete Wirtschaftswissenschaftler dem Leser das Rüstzeug, den Neoliberalismus zu durchschauen und seine Möglichkeiten realistisch einzuschätzen.

Autorenporträt
Ha-Joon Chang, geb. 1963, studierte Wirtschaftswissenschaft in seiner Heimatstadt Seoul und später in Cambridge, wo er 1992 promovierte. Seitdem lehrt und forscht er an der dortigen Fakultät für Wirtschaftswissenschaften mit dem Schwerpunkt Entwicklungspolitik. Chang arbeitet als Berater für zahlreiche internationale Organisationen wie die UN, Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.2010

Die Wirtschafts-Aufklärer
Ha-Joon Chang und Peter Ulrich hinterfragen das System

Natürlich klingt es zunächst sehr gewagt, das Internet mit der Waschmaschine zu vergleichen. Das eine als der aktuell erlebte, gefühlt unbegrenzte Raum der Kommunikation und des Datenaustauschs, das andere hingegen als eine Erfindung, die dazu beiträgt, dass die Internetnutzer überhaupt so viel Zeit im Internet verbringen können - und eben nicht fürs Wäschewaschen aufwenden müssen. Der in Seoul geborene und nun an der Universität Cambridge lehrende Ökonom Ha-Joon Chang will in seinem sehr lesenswerten neuen Buch "23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen" tatsächlich gar nicht das eine exakt gegen das andere aufrechnen.

Er möchte bloß andeuten, dass zu jeder Zeit die neusten technischen Errungenschaften den dann lebenden Menschen als besonders wichtig vorkommen, einflussreicher zumal als vieles von dem, was schon da ist. Der Einfluss des Internets ist unbestritten beachtlich und wird (vermutlich) den der Waschmaschine in den Schatten stellen. Aber immerhin beeindruckt auch, dass nach einer von Chang zitierten Studie aus den vierziger Jahren die Einführung der Waschmaschine die Zeit für das Waschen von 17 Kilogramm Wäsche von vier Stunden auf einundvierzig Minuten verringert haben soll. Um dieselbe Menge Wäsche zu bügeln, sollen den gleichen Angaben zufolge wegen des elektrischen Bügeleisens 1,75 Stunden nötig sein und nicht mehr viereinhalb.

Für Chang ist in diesem Zusammenhang nur wichtig, dass eine Gesellschaft die Veränderungen durch neue Erfindungen nicht vollkommen falsch einschätzt. "Die Begeisterung für die Neuerungen im Bereich Information und Telekommunikation, repräsentiert durch das Internet, hat einige reiche Länder, insbesondere die Vereinigten Staaten und Großbritannien, zu der Fehleinschätzung verführt, die Herstellung von Gütern sei dermaßen altmodisch, dass sie fortan von Ideen leben wollten", schreibt er. Angesichts dessen, dass sich zumal die deutsche Wirtschaft wegen der Exporterfolge ihrer Industrieunternehmen sehr schnell von der Krise erholt hat, ist dieser Satz überdies hochaktuell.

Die Kritik Changs, neue Technologien zu überschätzen, ist eines von insgesamt 23 thematisch unterschiedlichen Kapiteln, in denen er pointiert, informativ und leicht verständlich das kapitalistische Wirtschaftssystem diskutiert. So ermöglicht er Fachfremden einen leichten Zugang zu volkswirtschaftlichen Fragestellungen. Und er liefert auch hauptberuflichen Wirtschaftsinteressierten genügend Möglichkeiten zur Reflexion.

Seine Methode dabei ist, dass er zunächst immer mit einem wirtschaftsliberalen Standpunkt beginnt ("Was sie uns erzählen") und diesen dann kritisch hinterfragt ("Was sie uns verschweigen"). Dabei führt er unter anderem vor Augen, warum es "den" freien Markt nicht geben kann, sondern jeder Markt zwangsläufig Grenzen hat, über die politisch entschieden wird. Er provoziert in einer Debatte über den "Shareholder-Value" damit, dass Unternehmen zwar ihren Aktionären gehören, diese sich aber von allen Interessengruppen wegen der Möglichkeit, jederzeit Anteile zu verkaufen, am wenigsten um dessen langfristige Zukunft kümmerten.

Auch das Thema Inflation spart er nicht aus und geht sowohl auf Ängste ein wie auch auf den Zusammenhang zwischen Inflation und Wirtschaftswachstum und schließlich auch auf Interessen, die häufig hinter der einseitigen wirtschaftspolitischen Ausrichtung an dieser Kennzahl stecken. Ha-Joon Chang kommt zugute, dass er als in Großbritannien lehrender Koreaner, der die Vereinten Nationen und auch die Weltbank berät, Erfahrungen aus verschiedenen Ländern und Kulturkreisen verbindet und für eine moderne ideologiefreie Volkswirtschaftslehre steht.

Auf einer höheren Abstraktionsebene als Chang argumentiert der Schweizer Peter Ulrich in einer Neuauflage seines Buches "Zivilisierte Marktwirtschaft". Ulrich war bis Mitte 2009 Inhaber des ersten Lehrstuhls für Wirtschaftsethik im deutschen Sprachraum an der Universität Sankt Gallen. Sein Buch basiert auf sechs Abendvorlesungen für ein allgemeines Publikum und ist insofern ein leichterer Zugang zu der von ihm entwickelten "Integrativen Wirtschaftsethik", deren Standardwerk gleichen Namens in der vierten Auflage vorliegt.

Ulrich fragt danach, ob eine bestehende Wirtschaftsordnung lebensdienlich ist. Dabei bezieht er sich sowohl auf die Diskursethik Jürgen Habermas' als auch auf den "moral point of view" des schottischen Moralphilosophen Adam Smith, der sehr ähnlich ist dem später geprägten Begriff des "kategorischen Imperativs" von Immanuel Kant. Eine neutrale Marktordnung gibt es nach Ansicht Ulrichs nicht. In allen denkbaren Rahmenbedingungen stecken bereits Wertvorstellungen - indem sie durch Regeln explizit gesetzt werden und genauso, indem auf Regelungen verzichtet wird. Die Unterschiede kommen dadurch zustande, dass je nach Ausprägung der Ordnung verschiedene Menschen mehr oder weniger Möglichkeiten haben.

Das Wohl der Menschheit alleine einem freien Markt zu überantworten (und dessen Fähigkeiten dabei metaphysisch zu verklären), lehnt Ulrich genauso ab wie blinde Staatsgläubigkeit. Wirtschaftsethik soll aus diesem Verständnis heraus die Interessen hinter Argumenten offenlegen und hinterfragen und dann einem Bürgerdiskurs zuführen - und der entscheidet. Damit jeder Staatsbürger daran teilnehmen kann, braucht er Rechte, Bildung und auch eine Grundausstattung mit Gütern.

Ulrichs Ansatz setzt voraus, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und kein präsozialer Egoist. Das mag uneingeschränkt etwas romantisch sein. Dennoch ist sein Buch genau wie das von Chang eine Chance zur Erwachsenenbildung.

ALEXANDER ARMBRUSTER

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