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Artur Lauinger, geboren 1879 als Sohn einer Hopfenhändlerfamilie in Augsburg, wird 1937 als vermutlich letzter jüdischer Journalist in Deutschland entlassen. Dreißig Jahre lang hat er für die Frankfurter Zeitung gearbeitet. Als er zwei Jahre später nach London emigriert, lässt er seinen damals 20-jährigen Sohn Wolfgang in Deutschland zurück, damit dieser dem Vaterland sprich: der Wehrmacht diene. Als Wolfgang Lauinger nach wenigen Wochen als Halbjude aus der Wehrmacht entlassen wird, schließt er sich in Frankfurt einer Gruppe von Swingjugendlichen an, die sehr schnell die Aufmerksamkeit der…mehr

Produktbeschreibung
Artur Lauinger, geboren 1879 als Sohn einer Hopfenhändlerfamilie in Augsburg, wird 1937 als vermutlich letzter jüdischer Journalist in Deutschland entlassen. Dreißig Jahre lang hat er für die Frankfurter Zeitung gearbeitet. Als er zwei Jahre später nach London emigriert, lässt er seinen damals 20-jährigen Sohn Wolfgang in Deutschland zurück, damit dieser dem Vaterland sprich: der Wehrmacht diene. Als Wolfgang Lauinger nach wenigen Wochen als Halbjude aus der Wehrmacht entlassen wird, schließt er sich in Frankfurt einer Gruppe von Swingjugendlichen an, die sehr schnell die Aufmerksamkeit der Gestapo auf sich zieht. Doch auch nach der Befreiung ist die Verfolgung für ihn nicht zu Ende. 1950 wird er wegen des Verdachts, gegen den
175 verstoßen zu haben, erneut verhaftet.
Autorenporträt
Bettina Leder, geboren 1954 in Berlin (Ost), 1977 Ausreise in die Bundesrepublik, Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften und Philosophie, seit 1992 freie Mitarbeiterin des Hessischen Rundfunks. Als Ausstellungsmacherin u.a. beteiligt an der Konzeption und Realisierung des Ausstellungsprojekts "Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933 bis 1945".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2015

Die Lauingers - eine böse Familiengeschichte

Der Vater war Journalist der "Frankfurter Zeitung" und musste als Jude emigrieren. Der Sohn ist geblieben. Er wurde als "Halbjude" und Homosexueller verfolgt. Sogar noch nach dem Krieg.

Von Hans Riebsamen

Wenige Tage nach Hitlers Machtergreifung ist Arthur Lauinger an der Frankfurter Börse verhaftet worden. Die Festnahme hätte für ihn und seine Familie eigentlich eine Warnung sein müssen. Doch der Börsenberichterstatter der "Frankfurter Zeitung" erkannte nicht die Zeichen der Zeit. Noch nicht.

"Meine Schutzhaft dauerte eine Nacht und einen Tag", berichtet Vater Lauinger in seinen Erinnerungen, die er damals aufzuschreiben begonnen hatte: "Ich konnte mich nicht um Fingerbreit über die Behandlung beschweren." Der Journalist Lauinger ließ sich Bücher, Zigarren und Geld bringen und erhielt Besuch von amerikanischen und englischen Journalisten. "Welche Greuel hat man an Ihnen begangen?", fragte ihn einer. "Ich konnte ihn beruhigen und ließ die Herren meine Zigarren rauchen", schreibt Arthur Lauinger. Auf diese Weise sei er auch einmal im Gefängnis gewesen. Diese Sache sei eine nicht einmal unangenehme Erinnerung: "In der Vielseitigkeit seiner Erscheinungen liegt die Würze des Lebens."

Auch sein Sohn Wolfgang Lauinger unterschätzte lange die Gefahr, der er als "Halbjude", als der er nach den Nürnberger Rassegesetzen auf einmal eingestuft wurde, ausgesetzt war. Zudem war Wolfgang homosexuell. Und, um für die Nazis das Maß voll zu machen, verabscheute er als Mitglied der Swing-Jugend partout die das öffentliche Leben durchdringende Marschmusik sowie alle Uniformen.

Zu Hause sei in seiner Anwesenheit nie über Politik gesprochen worden, überhaupt hätten der dominante Vater und die Stiefmutter vor ihm und seinem Bruder Herbert problematische Themen immer ausgeklammert, berichtete der mittlerweile 97 Jahre alte Wolfgang Lauinger am Sonntag bei der Vorstellung des Buches "Lauingers" im Chagall-Saal der Städtischen Bühnen.

Arthur und Wolfgang Lauinger stehen im Mittelpunkt der von der HR-Mitarbeiterin Bettina Leder verfassten Familiengeschichte. Ihr ist es gelungen, den Sohn, der bis ins hohe Alter über seine und seiner Familie Verfolgung geschwiegen hatte, zum Erzählen zu bringen. Die Geschichte des Vaters hingegen taucht in dem Buch in Form der besagten schriftlichen Erinnerungen auf. Berichte von sechs Zeitzeugen, die die Lauingers kannten, ergänzen das Bild.

30 Jahre hatte Arthur Lauinger für die "Frankfurter Zeitung" gearbeitet, von 1910 an besuchte er für sie regelmäßig die damals relativ kleine Frankfurter Börse. Lauingers Spezialität war aber die Versicherungswirtschaft. Der damalige Vorstandsvorsitzende der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft bescheinigte Lauinger, der 1937 als letzter jüdischer Redakteur die "Frankfurter Zeitung" verlassen musste, eine "fast einzig dastehende Kenntnis des deutschen Versicherungswesens".

Am 30. Juni trat Lauinger "in eine Art Ruhestand", eine Verlängerung seiner redaktionellen Tätigkeit, so hatte ihn die Zeitung wissen lassen, sei nicht mehr "tragbar". Benno Reifenberg, zu jener Zeit "Schriftleiter" der "Frankfurter Zeitung", schrieb ihm freundschaftlich: "Zum Abschied habe ich keine Lust. Ich glaube, am besten nehmen wir überhaupt keinen."

Offenbar hat sich die "Frankfurter Zeitung" diskret für Arthur Lauinger eingesetzt, als er in der Pogromnacht verhaftet und ins KZ Buchenwald verschleppt wurde. Das jedenfalls glaubt sein Sohn Wolfgang. Als sein Vater nach etwa vier Wochen zurück nach Frankfurt gekommen sei, sei er kahlgeschoren, unterernährt und verdreckt gewesen. Bedingung seiner Freilassung war seine Auswanderung, die Arthur Lauinger denn auch gelang. Er fand Asyl in Großbritannien. "England gab und gibt mir eine ruhige Heimstätte", schreibt er in seinen Notizen. Doch auch: "Das Los, in der Fremde zu sein und die alte Heimat entbehren zu müssen, lastet schwer auf mir."

20 Jahre alt war Wolfgang Lauinger, als sein Vater und dessen Frau das Land verließen. Von heute auf morgen stand Wolfgang Lauinger, dessen Bruder Herbert einige Zeit vorher nach Argentinien ausgewandert war, allein da. Das hatte für ihn durchaus auch seine guten Seiten. Er, der bisher vom Vater stark kontrolliert worden war, gewann seine Freiheit. "Ich konnte endlich machen, was ich wollte", erzählte er nun im Chagall-Saal. Einen letzten Wunsch erfüllte er noch seinem deutschnational gesinnten Vater, der sich im Ersten Weltkrieg als tapferer Soldat eine Auszeichnung erworben hatte: Wolfgang Lauinger ging zur Wehrmacht.

Diese Episode beim Militär war indes schnell zu Ende, als "Halbjude" wurde Wolfgang Lauinger bald entlassen. Regulär, wohlgemerkt. Die Entlassungspapiere haben ihm später im Grunde genommen bei den diversen Kontrollen das Leben gerettet. Dass er als "Halbjude" durchkam, auch gegen Kriegsende, als auch die "Mischlinge" noch in die Vernichtungslager deportiert wurden, verdankt er seinem Glück, aber mehr noch seiner Vorsicht. Unterscheiden und erkennen, wer Freund und wer Feind war, das sei bis zum Kriegsende die wichtigste Aufgabe gewesen. Er habe sich darin nie geirrt, sagt Wolfgang Lauinger.

Ein junger Unternehmer namens Joseph, der eine ererbte Schlosserei in Neu-Isenburg zu einem florierenden Unternehmen für Kugellagerkränze ausgebaut hatte, wurde Wolfgangs Freund und nahm ihn unter seine Fittiche. In seiner Freizeit traf er sich mit Gleichgesinnten, die Jazzplatten hörten und sich leger gaben. Einer der Treffpunkte des Harlem-Clubs war das Café am Goetheplatz. "Wir kümmerten uns nicht um Verbote", charakterisiert Wolfgang Lauinger seine Clique. Mit den Nazis hatten sie nichts am Hut: "Alles, was die nicht wollten, wollten wir."

Ihr Tun ist der Gestapo nicht verborgen geblieben. Wolfgang Lauinger und andere Swing-Jugendliche wurden festgenommen, verhört und zum Teil schwer misshandelt. Die Gestapo hatte Wolfgang im Verdacht, homosexuell zu sein, konnte ihn aber nicht überführen. Am Ende wurden er und andere von einem regulären Gericht zu drei Monaten Haft wegen illegalen Glücksspiels und Besitzes eines auf dem Schwarzmarkt erworbenen Schuhleders verurteilt. Erst später erfuhr Lauinger, dass die Verteidiger mit dem Richter diese Haftstrafe vereinbart hatten, um die jungen Leute aus den Fängen der Gestapo zu holen und sie in den regulären Vollzug zu bringen.

Wie Wolfgang Lauinger als Untergetauchter die Kriegsjahre überstand, ist eine Geschichte für sich und wird in dem Buch auch aufgerollt. Für ihn besonders wichtig ist eine andere Episode seines Lebens. Sie spielt in der Nachkriegszeit. 1950 wird Lauinger, der mittlerweile als eine Art Hausverwalter für die Amerikaner in Gateway Gardens arbeitete, von der deutschen Polizei festgenommen. Er soll gegen den Paragraphen 175 verstoßen haben, der sexuelle Handlungen zwischen Männern untersagte.

Dieses Verbot homosexuellen Verkehrs, das die Nazis gegenüber der Weimarer Zeit verschärft hatten, hatte die neugegründete Bundesrepublik ohne Abstriche übernommen. Und der Verfolger der Homosexuellen war im Nachkriegs-Frankfurt derselbe wie zur Nazi-Zeit. Auslöser der Verhaftungsaktion von 1950 war ein Stricher namens Otto Blankenstein, der mit dem ermittelnden Staatsanwalt Fritz Thiede durch Frankfurt fuhr und ihm alle ihm bekannten Homosexuellen zeigte. 240 Ermittlungen leitete Thiede ein, etwa 100 Personen wurden verhaftet, 75 von ihnen verurteilt.

Wolfgang Lauinger wurde damals nach mehreren Monaten Haft freigesprochen. Der Fall Blankenstein hatte sich nämlich zu einem von der Presse gegeißelten Skandal entwickelt, weshalb der Homosexuellen-Jäger Thiede von seinen Oberen nach Hanau fortgelobt wurde. Lauinger hat damals an den Bundespräsidenten geschrieben und über das Fortleben der alten Nazi-Ideologie gegen Homosexuelle geklagt. Sein Leben lang hat er später darum gekämpft, dass seine damalige Behandlung offiziell als nicht rechtmäßig verurteilt werde. Bis heute ohne Erfolg.

Bettina Leder: "Lauingers. Eine Familiengeschichte aus Deutschland", Hentrich & Hentrich-Verlag, Berlin 2015, 24,90 Euro

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