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Vom Fuchs besessen, und das auch noch in Japan! Klarer Fall für Neurologen mit geschärftem Sinn für Menschen - vorzugsweise Frauen - neben der Spur. Dr. Shimamura (den es wirklich gab) reist in der Abendröte des 19. Jahrhunderts durch die Provinz, wo das burleske Krankheitsbild zur Folklore gehört. Ein liebestoller Student begleitet ihn, geht aber bald verloren, dafür fängt der Doktor sich selbst einen Fuchs ein (den es vielleicht auch gab). Da hilft nur noch Europa, und so flieht Shimamura auf Bildungsurlaub gen Westen, besteht neurologisch aufschlussreiche Abenteuer in Paris, Berlin und…mehr

Produktbeschreibung
Vom Fuchs besessen, und das auch noch in Japan! Klarer Fall für Neurologen mit geschärftem Sinn für Menschen - vorzugsweise Frauen - neben der Spur. Dr. Shimamura (den es wirklich gab) reist in der Abendröte des 19. Jahrhunderts durch die Provinz, wo das burleske Krankheitsbild zur Folklore gehört. Ein liebestoller Student begleitet ihn, geht aber bald verloren, dafür fängt der Doktor sich selbst einen Fuchs ein (den es vielleicht auch gab). Da hilft nur noch Europa, und so flieht Shimamura auf Bildungsurlaub gen Westen, besteht neurologisch aufschlussreiche Abenteuer in Paris, Berlin und Wien. Allein, der Fuchs lässt ihn nicht los - auch nicht Jahrzehnte später zurück in Japan, wo sich dieses seltsame Leben, beäugt von allerhand weiblichem Familienanhang, seinem Ende zuneigt. Und so bleibt der Fuchs der unsichtbare Protagonist dieses zauberhaft fernöstlich getönten Gegenwartsromans.
Autorenporträt
Christine Wunnicke wurde 1966 in München geboren und wuchs dort auf. Sie studierte Linguistik, Altgermanistik und Psychologie in Berlin und Glasgow, Seit 1991 arbeitet sie als freie Autorin für verschiedene Hörfunktsender. 1998 erschien beim Kanus Verlag ihr vielbeachteter erster Roman "Fortescues Fabrik". Für "Jatlag" erhielt sie 1999 das Literaturstipendium der Stadt München.
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Je näher Dr. Shimamura sich dem Tod fühlt, desto enger zieht sich das Netz der Frauen, die ihn umspinnen. Da wäre seine spröde Frau Sachiko, ihre alte Mutter Yukiko, seine Mutter Hanako und das Hausmädchen, das er manchmal Anna, öfter allerdings Luise ruft. Die Zeit, die in seiner inneren Rückschau nun vorbeizieht, sind die Jahre, in denen er dem Fuchsgeist begegnet ist. Als junger Doktor wurde er nach Shimane geschickt, um dort die alljährlich auftretende Epidemie der Fuchsbesessenheit zu untersuchen. Die Neurologie und die Psychiatrie steckten in den 1890er-Jahren noch in den Kinderschuhen, alter Aberglauben war in Japan allgegenwärtig. Dr. Shimamura als aufgeklärter Geist fand den Fuchs in der Fischerstochter Kiyo, obwohl er ihn nicht suchte, und floh mit einem Stipendium nach Paris, Berlin und Wien. Dort assistierte er Jean-Martin Charcot im Salpêtrière, wurde von Dr. Breuer, dem Lehrer Freuds, hypnotisiert und perfektionierte sein Deutsch mit Wiener Schmäh. Wunnickes wunderbare Fabel um den fuchskranken Frauenliebling Dr. Shimamura basiert auf den Eckpfeilern einer echten Person - und entspinnt auf engstem Raum eine kuriose Geschichte um die Erforschung des menschlichen Geistes.

© BÜCHERmagazin, Tina Schraml (ts)

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.07.2015

Mehr lüstern
als listig
Nur der Mann besaß den Zauberstab, um dieses Frauenleidens Herr zu werden – der Hysterie. Heute ist sie aus der Mode, doch Platon war sich noch sicher: Hysterie gründet in der Gebärmutter, die mangels regelmäßiger Besamung durch den gesamten Weibskörper bis ins Hirn wandert. Im Fin de Siècle gaben Ärzte wie Freuds Ziehvater Charcot regelrechte Shows mit sich grotesk bäumenden Jungfern, die schrien und derart überspannt waren, dass man sie wie ein Brett über zwei Stuhllehnen spreizen konnte. Dieses Phänomen existierte aber nicht nur in der westlichen Welt. In Japan glaubte man die Betroffenen „vom Fuchs besessen“ – davon erzählt Christine Wunnike in ihrem hoch konzentrierten und wunderbar absurden Roman, dessen Sprache sie pfiffig mit manch medizinischem Fachausdruck impft. Ihr Held ist ein gewisser Dr. Shimamura, den es wirklich gab. Als er sich bei einer Forschungsreise durch Japans Provinz selbst einen Fuchs einfängt, sucht er mehr lüstern als listig sein Heil in Europa. Was für eine irre Idee. Von ihm und der Autorin.
 SUSANNE HERMANSKI
          
    
    
    
Christine Wunnicke: Der Fuchs und
Dr. Shimamura.
Roman. Berenberg Verlag, Berlin 2015,
144 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.2015

Warum die Psychoanalyse für Japan zu unhöflich ist
So komisch kann Wissenschaft sein: Christine Wunnickes großer kleiner Roman "Der Fuchs und Dr. Shimamura"

Was für ein schönes Buch! Erst einmal äußerlich mit seiner Titelabbildung eines Blatts aus Hiroshiges Holzschnittfolge "100 berühmte Ansichten von Edo". Es zeigt eine Versammlung von Füchsen, vor deren Schnauzen Flammen schweben, in der Nähe des der Göttin Inari geweihten Schreins von Oji. Inari pflegt sich in solchen Tieren zu verkörpern, und jedes Jahr findet noch heute in Oji eine ihr geweihte Prozession von Shinto-Gläubigen statt, die sich dafür als weiße Füchse kostümieren. Da Inari in Japan die Schutzgottheit der Fruchtbarkeit ist, steckt in den entsprechenden Mythen und Riten ein gehöriges Maß an weiblicher Sexualsymbolik.

Genau das fasziniert Shunishi Shimamura, einen jungen Mediziner im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert, der zu einem abgelegenen Ort an der japanischen Westküste entsandt wird, um eine Patientin zu untersuchen, deren Anfälle man sich nicht erklären kann. Zumindest nicht als Vertreter jenes aufgeklärten Japans der Meiji-Epoche, das so viel wie möglich an westlich-analytischem Wissen adaptieren wollte. Doktor Shimamura ist ein solcher Neuerer, doch was er dann mit der jungen Kiyo erlebt, wirft ihn zurück auf die alten Überlieferungen von Füchsen, die sich in Frauen verwandeln, und umgekehrt: "Bei ihrem halben Kabolzschlag nach hinten hatte Kiyo weitgehend den Oberkörper entblößt, und nun schaute er ratlos auf ihre weiße Haut, die sich über den Rippen spannte, und auf zwei winzige dunkle Brustwarzen, die erschreckend gen Hals verrutscht schienen. Der ganze Leib schien verrutscht. Kiyos Schultern und Ellbogen waren an Stellen geraten, welche die menschliche Anatomie nicht vorsah. Und wo waren die Hände? Krampften sie in den Kniekehlen? Rückwärtig um die Knöchel? Würde sich Kiyo nun vollends umkrempeln, wie etwa ein Handschuh?"

Mit solch eindringlichen Passagen beschwört die 1966 geborene Schriftstellerin Christine Wunnicke in ihrem schmalen Roman "Der Fuchs und Dr. Shimamura" immer wieder die japanische Überlieferung herauf, wie sie in alten Bildern und Texten festgehalten ist. Der Mann der Wissenschaft weiß nicht, wie ihm geschieht, erst recht nicht, als auch noch sein Assistent verschwindet; er bricht die Behandlung von Kiyo ab, kehrt nach Tokio zurück und reist später nach Europa, um dort bei den berühmten Medizinern seiner Zeit mehr zu lernen. Diesen japanischen Arzt Shimamura gab es wirklich, er ging zu Charcot nach Paris und assistierte bei dessen Versuchen mit Hysterikerinnen, die aus heutiger Sicht eher Scharlatanerie waren. In der Tat fragt man sich bei der Lektüre von Wunnickes Roman, ob nicht die Ärzte die besseren klinischen Fälle abgäben, und durch die konsequent "japanische" Perspektive, die das Buch einnimmt, wird diese Fremdheitserfahrung noch verstärkt. Die Experimente, denen Shimamura in Europa beiwohnt, sind nicht weniger unheimlich als die angeblich fuchsbesessene Kiyo.

Wie Wunnicke, die mit diesem Roman für den Deutschen Buchpreis nominiert ist, dieses Neben- und Gegeneinander der Kulturen (nationaler wie disziplinärer) inszeniert, zeugt von großer Meisterschaft. Erzählt wird auf mehreren Zeitebenen, denn nachdem Shimamura 1894 nach Japan zurückgekehrt war, wurde er zur grauen Eminenz der dortigen Neurologie, ließ sich aber kaum noch in der Öffentlichkeit blicken und entwickelte wunderliche Gewohnheiten. Mit Gattin, Mutter und Schwiegermutter sowie einer Haushälterin lebte er zusammen, und diese weibliche Präsenz bietet Christine Wunnicke weitere Situationen der Verunsicherung des Gelehrten, die aus der Hauptfigur des Romans einen Getriebenen machen, dessen wissenschaftliche Reputation schließlich genauso in Frage steht wie die der europäischen Kollegen. Zugleich ist Shimamuras verzweifelte Suche nach Wahrheit Anlass für etliches Komisches. Und sei es nur seine lakonische Einschätzung der Freudschen Psychoanalyse als für Japan unbrauchbar, da sie "unserem Sinn für Höflichkeit widerspricht".

So ist dieser elegante Roman ein ebenso literarisches wie intellektuelles Vergnügen. Was für ein schönes Buch! Auch inhaltlich.

ANDREAS PLATTHAUS

Christine Wunnicke: "Der Fuchs und Dr. Shimamura". Roman.

Berenberg Verlag, Berlin 2015. 144 S., 1 Abb., geb., 20,- [Euro].

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