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Eine wahre Begebenheit, die die tragische Lächerlichkeit des Faschismus offenbart - davon erzählt Camilleris ungemein komischer Roman. 1929 reist der Neffe des äthiopischen Kaisers Negus nach Vigàta in Sizilien, um zu studieren. Zur gleichen Zeit plant Mussolini eifrig die Expansion seiner Kolonien in Afrika. Der Kaiserneffe scheint ihm ein idealer Fürsprecher für seine Pläne und für die Pracht des faschistischen Italien, und er befiehlt trotz leerer Kassen die finanzielle Unterstützung des hohen Gastes. Jedoch wartet der Duce vergeblich und vor Wut schäumend auf ein Zeichen des Neffen.…mehr

Produktbeschreibung
Eine wahre Begebenheit, die die tragische Lächerlichkeit des Faschismus offenbart - davon erzählt Camilleris ungemein komischer Roman. 1929 reist der Neffe des äthiopischen Kaisers Negus nach Vigàta in Sizilien, um zu studieren. Zur gleichen Zeit plant Mussolini eifrig die Expansion seiner Kolonien in Afrika. Der Kaiserneffe scheint ihm ein idealer Fürsprecher für seine Pläne und für die Pracht des faschistischen Italien, und er befiehlt trotz leerer Kassen die finanzielle Unterstützung des hohen Gastes. Jedoch wartet der Duce vergeblich und vor Wut schäumend auf ein Zeichen des Neffen. Camilleris Buch einer "authentischen Dummheit" ist voller Humor und ein herrliches Spiel aus Realität und Fiktion.
Autorenporträt
Andrea Camilleri, geb. 1925 in Porto Empedocle, Sizilien, ist Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur. Seine historischen Romane und Krimis lösten in den vergangenen Jahren ein regelrechtes Camilleri-Fieber aus und stürmten sämtliche vorderen Pätze auf den italienischen Bestseller-Listen. Camilleris Hauptfigur, Commissario Salvo Montalbano, gilt inzwischen weltweit als Inbegriff sizilianischer Lebensart und einfallsreicher Kriminalistik. Andrea Camilleri ist verheiratet, hat drei Töchter, vier Enkel und lebt in Rom.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.04.2011

Der Neffe des Kaisers
Andrea Camilleris neuer Roman ist eine bitterböse Komödie über den italienischen Faschismus und dessen Afrika-Politik
Und wieder ist es Vigàta, das sizilianische Städtchen, das Schauplatz aller seiner Romane ist und das Andrea Camilleri seinem Geburtsort Porto Empedocle nachgebaut hat: Im Herbst 1929 schreibt sich ein Neffe des äthiopischen Kaisers Haile Selassie an der dortigen Königlichen Bergbauschule ein. Das faschistische Regime will den hohen Besuch propagandistisch ausschlachten, Mussolini selbst wünscht einen Brief, in dem der Prinz dem – so der offizielle Titel – „Neguse Negest“ von – damals noch – Abessinien mitteilt, wie perfekt und wie glücklich doch die italienische Gesellschaft seit der Revolution geworden ist. Also müssen die örtlichen Institutionen alles tun, um den Prinzen bei Laune und vor allem bei Kasse zu halten.
Was nicht nur deshalb nicht ganz leicht ist, weil Vigàta eigentlich pleite ist. Der junge Herr entpuppt sich nämlich als zunehmend maßlos und unberechenbar. Sein Aufwand für Kleidung und Mobiliar ist nicht einmal ansatzweise so monströs wie sein sexueller Appetit, der neben den Frauen des Städtchens im Notfall auch vor den Männern nicht haltmacht. Seine, nun ja, archaischen Ehrenkodizes schockieren sogar den örtlichen Adelsklub, und seine Unverfrorenheit schreckt am Ende nicht einmal vor Mord zurück. Aber Befehl des Duce ist nun mal Befehl des Duce. Also rotieren in „Streng vertraulich“ Schulrektoren, Polizeikommissare, Parteifunktionäre, Bischöfe und Minister, auf dass der Brief zustande komme, bevor die vielbeschworene faschistische Tugend vollständig in sich zusammengebrochen ist.
Was nach einer Komödie voll absurder Volten klingt, ist es auch. Andrea Camilleri ist vor allem für seine Krimireihe rund um den Commissario Montalbano und für seine historischen Romane bekannt, war aber vor einem recht späten literarischen Durchbruch vor allem Theater- und Hörspielregisseur sowie Produzent beim italienischen Fernsehen. Die Eckdaten für seinen neuen Roman stellt ein verbürgtes Detail: Zwischen dem ersten Italienisch-Äthiopischen Krieg und Mussolinis Abessinienkrieg studierte tatsächlich einmal ein äthiopischer Prinz an der Bergbauschule in Caltanisetta.
Wenn Camilleri in „Streng vertraulich“ inhaltlich die Auseinandersetzung mit Mussolinis Afrikapolitik aus „Der zerbrochene Himmel“ fortschreibt, so hatte er die Form schon im „Unschicklichen Antrag“ erprobt: In einer Mischung aus Hörspiel und Briefroman kommen die Beteiligten ausschließlich über Briefe, quasi-szenische Dialoge und (fiktive) Zeitungsausschnitte zu Wort. Der Leser darf sich ranhalten beim Mitdenken, denn der inzwischen 86-jährige Autor collagiert in einem aberwitzigen Tempo.
Doch hat er dafür nicht nur das bekannte Vergnügen, stets mehr zu wissen als die zunehmend verzweifelten Beteiligten, sondern liest auch einige der geschliffensten Komödiendialoge seit sehr langer Zeit. Virtuos spielt Camilleri auf dem uralten Motivarsenal der bürgerlichen Komödie: Da sind das Geld, der Brief, die Verkleidung, da gibt es die Heirat zwischen Alt und Jung, den Konflikt zwischen dekadentem Adel und moralischem Bürgertum und am Ende sogar die Flucht des jungen Paars. Sollten Theater noch immer auf der Suche sein nach einem Roman, der sich sogar sinnvoll dramatisieren lässt: Hier ist er. Den Rest besorgen die Wortexplosionen der grandiosen Übersetzerin Sigrid Vagt. Schade nur, dass aus dem deutlich genre-adäquateren Originaltitel „Il nipote del Negus“ nicht einfach „Der Neffe des Kaisers“ geworden ist.
Denn schließlich überschreitet Camilleris Humor gern alle Grenzen so maßlos wie sein Protagonist: Der groteske Priapismus des afrikanischen Gastes, den hier natürlich alle den Neger nennen, scheint so fröhlich politisch unkorrekt, wie wenn das hässlichste Mädchen zugleich die einzige Emanze von ganz Vigàta ist oder der schwule Sohn des deutschen Vorzeige-Nazis pausenlos mit Selbstmord droht. Doch was innerhalb der Komödienkonstruktion die Schärfung des Typus, erweist sich zugleich als brillantes Spiel nicht nur mit den Vorurteilen von Vigàta, sondern zuletzt sogar des Lesers. Denn der exotische Prinz, um den sich hier alles dreht, wird in keinem der Dialoge auch nur einen Satz sprechen, gerade von ihm, nach dessen Brief alles lechzt, wird Camilleri uns keinen einzigen lesen lassen.
Wie der sprach- und namenlose Gast in Pier Paolo Pasolinis „Teorema“ lädt er gerade als Abwesender seine Umgebung mit erotischen und allen sonstigen Spannungen auf, die sich zuletzt als deren eigene erweisen. „Streng vertraulich“ ist ein Schelmenroman, und exakt wie Eulenspiegel verdreht der Äthiopier alle Erwartungen in ihr Gegenteil, indem er nur allzu wörtlich tut, was man von ihm erwartet: ein Neger zu sein.
Sein allesfressender, allesvögelnder Amoralismus erweist sich als abwesendes, als nihilistisches Zentrum einer moralinen Gesellschaft, die auch moralisch pleite ist. Konsequent zielt Camilleris Spiel von Sein und Schein auf die innere Leere des faschistischen Getöses, auf die scharfen Hierarchien hinter der Behauptung von neuer Gleichheit, den monströsen Bürokratismus der Zentralisierung, das miserabel Inszenierte der Haupt- und Staatsaktionen. Denn die allgemeine Kriecherei und Schmeichelei, die gewöhnlichen Schwindeleien und Betrügereien, der Machismo und der Aberglaube: Sie sind das optimale Schmiermittel für den Faschismus, aber zugleich auch dessen kräftigste Feinde. Mit den Provinzlern von Vigàta ist, auch wo diese es unbedingt wollen, nun mal kein Staat zu machen.
Das sizilianische Kolorit von Camilleris Tinte erweist sich nicht nur als widerstandsfähig, weil es in jedem seiner Romane auftaucht. Indem Camilleri den Faschismus sich an ihm brechen lässt, strahlt gerade im Derben, Fetthaltigen, Geruchsechten dieses Humors der humane Impetus auf und erinnert mehr als einmal an die theatralste und gleichzeitig menschlichste der Parodien auf die Diktatur: an Ernst Lubitschs „Sein oder Nichtsein“. MICHAEL STALLKNECHT
ANDREA CAMILLERI: Streng vertraulich. Roman. Aus dem Italienischen von Sigrid Vagt. Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München 2011. 262 Seiten, 19,90 Euro.
Rodolfo Graziani, der italienische Vizekönig des 1935-1937 eroberten abessinischen Reichs, lässt sich von faschistischen Milizen und Kolonisten feiern. Foto: Scherl
Der Blick des Sizilianers auf die Politik Italiens: Andrea Camilleri. Foto: ROPI
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.2011

Eulenspiegel blamiert die Faschisten

Lebenslügen und Schicksalspossen, lüsterne Advokaten und aristokratische Schelme: Andrea Camilleri führt in seinen Romanen die menschlische Tragikomödie auf.

Wenn die Welt wieder einmal völlig verrückt spielt, wenn Werte und Ideale kopfstehen, dann greift die Literatur auf eine ambivalente Figur zurück: den Schelm. Seine List deckt die Falschheit der anderen auf, seine Lüge bringt die Wahrheit ans Licht; das war bereits im barocken Welttheater des "Klein Lazarus von Tormes" so, dem ersten Schelmenroman. In "Die Blechtrommel" hat Günter Grass das Rezept für den Totalitarismus des 20. Jahrhunderts aktualisiert, indem er Oskar Matzerath auf, hinter und unter die Nazitribünen schickte.

In "Streng vertraulich" greift Andrea Camilleri die Idee des kritischen Possenreißers auf: Sein Schelm heißt Prinz Grhane Solassie Mbssa, Neffe des Negus, des äthiopischen Kaisers. Seine Umgebung freilich würde in ihm gern den Taugenichts sehen: Grhane beginnt 1929 an der Königlichen Bergbauschule in Sizilien zu studieren, und nur zähneknirschend gibt das faschistische Italien zu, dass der junge Mann "obschon Neger, immerhin ein äthiopischer Prinz" sei. Camilleri serviert seinen Lesern eine höllisch gewürzte Geschichte, die zeigt, dass der kaiserliche Spross nicht nur spielsüchtig, notorisch klamm und ein lüsterner junger Bock ist, sondern wie Blechtrommler Oskar auch den faschistischen Apparat der Lächerlichkeit preisgibt. Camilleri, 85 Jahre alt und für die Christdemokraten in Porto Empedocle auch kulturpolitisch aktiv, ist einer der populärsten Schriftsteller Italiens. Neben den Commissario-Montalbano-Krimis hat er ein umfangreiches literarisches Werk geschaffen.

"Streng vertraulich" greift eine Anekdote der Weltgeschichte auf - sie dient als Vorwand, eine haarsträubende Geschichte zu erfinden. Grhanes Störpotential verdankt sich Mussolinis Plänen: Um Bündnisse und Eroberungen in Ostafrika vorzubereiten, hofft der Duce auf die Fürsprache des Prinzen. Der Duce hat zwei Ziele: Grhane soll in einem Brief an den äthiopischen Kaiser die "menschlichen Werte der faschistischen Revolution" loben und bei einem Treffen mit afrikanischen Fürsten vermitteln. Das Schlitzohr begreift seinen Wert und verwandelt ihn in klingende Münze. Im fiktiven Ort Vigàta führt er ein Prasserleben: Spielschulden, Bordellbesuche, feine Kleidung - alles lässt er sich bezahlen. Er quartiert sich im Haus des faschistischen Ortsdichters ein, um dessen reizende Tochter zu verführen. Er tritt dem Adelsclub bei und verprellt die Mitglieder, als er Anspruch auf den Stuhl von Vittorio Emanuele III. erhebt. Er verschwindet schließlich, ohne auch nur ein Versprechen eingelöst zu haben.

Der Reiz der sizilianischen Eulenspiegelei liegt darin, dass Camilleri sie aus dem Inneren des Systems heraus agieren lässt. Kaleidoskopartig setzt er die Handlung aus "Akten" zusammen: Die Korrespondenz von Behörden und Würdenträgern, die Gesprächsmitschnitte, Privatbriefe und Zeitungsartikel ergeben ein schillerndes Bild. Auch stilistisch bedient Camilleri ein reiches Spektrum, das politische Parolen, Diplomaten-, Beamten- sowie deftige Umgangssprache umfasst. Man verspricht, den Fall "mit umsichtiger, faschistischer Entschlossenheit zu lösen", hält fest, dass der Rektor der Bergbauschule "ein ausgemachter Trottel" ist, berichtet davon, wie der Prinz "seinem jugendlichen Überschwang Luft" macht (das heißt, einen Puff besucht), bittet um Erstattung der dabei entstandenen Kosten, strafversetzt den Bittsteller oder verbittet sich Eigeninitiative: "Ihr dürft absolut niemals irgendeine Meinung äußern, Ihr seid ein einfacher Parteisoldat, der nichts weiter zu tun hat, als blind den empfangenen Befehlen zu gehorchen!" Am Ende ist es so, wie der Polizeikommissar befürchtet: Es "ist ein komisches Schauspiel, welches viele zum Lachen bringt. Ich hoffe nur, es bringt uns nicht zum Weinen." Diese Hoffnung allerdings zerschlägt sich zum Vergnügen des Lesers. Der tiefere Sinn des Streiches liegt in der Entlarvung von Borniertheit, Gier und Arroganz.

Ähnlich konstruiert Camilleri "Der geraubte Himmel", einen kurzen Briefroman, der erzählt, wie Michele Riotta, ein ehrwürdiger sizilianischer Notar, von einer Unbekannten angeschrieben und verführt wird; kurz darauf verschwindet er. Die Dame schützt Interesse an einer These vor, die Riotta in seiner Jugend aufgestellt hatte: Der Maler Auguste Renoir habe Girgenti (heute Agrigent) besucht. Tatsächlich aber geht es um die Jagd auf Renoir-Gemälde, die bei diesem Besuch entstanden sein sollen - und nur ein Stück Himmel zeigen.

Seinen Reiz zieht der Kunstkrimi aus seiner Architektur: Die Briefe lassen den Leser nachvollziehen, wie der alternde Notar einer jungen Schönen mit kriminellen Absichten verfällt - riskante Alterserotik findet man des Öfteren bei Camilleri. Dann decken sie die Selbsttäuschung des Alten und die Abgründigkeit einer Intrige auf: Wie in "Streng vertraulich" dient der Wechsel der Perspektiven dem Spiel von Täuschung und Entlarvung. Berührend ist das Motiv der Gemälde: das vielbeschworene Himmelblau ist Sinnbild für die Erwartungen und Enttäuschungen sowohl des Lebens als auch der Kunst. Camilleri-Leser können sich dieses Frühjahr über zwei ebenso tiefgründige wie urkomische Romane freuen.

NIKLAS BENDER

Andrea Camilleri: "Der geraubte Himmel". Roman. Aus dem Italienischen von Christiane von Bechtolsheim. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2011. 116 S., geb., 14,90 [Euro].

Andrea Camilleri: "Streng vertraulich". Roman.

Aus dem Italienischen von Sigrid Vagt. Verlag Nagel & Kimche, München 2011. 264 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Camilleri-Freunde aufgepasst. Niklas Bender empfiehlt einen neuen, so tiefsinnigen wie komischen Roman des alten Sizilianers. Dass der Autor in seinem neuesten Streich den Schelmenroman aktualisiert und auf sizilianische Geschichte trimmt, findet Bender interessant. Die Geschichte über einen afrikanischen Prinzen, der es sich auf Mussolinis Kosten (der wiederum selbst etwas im Schilde führt) auf dem südlichen Eiland gut gehen lässt, scheint Bender gut gewürzt mit derben Szenen und authentischen Quellen, die auch den Stil variabel halten, von der Beamten- bis zur Umgangssprache. Die Entlarvung von Arroganz und Gier, meint er, gelingt, und zwar vergnüglich.

© Perlentaucher Medien GmbH
Eine bitterböse Komödie über den Faschismus. Süddeutsche Zeitung