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"Dies ist kein Geschichtsbuch. Es ist das, was in meinem Gedächtnis auftaucht, wenn ich den zweifelnden Blick der Menschen um mich herum auffange: Warum bist du Kommunistin gewesen? Warum sagst du, du bist es noch? Was meinst du damit? Ohne eine Partei, ohne Ämter, an der Seite einer Zeitung, die dir nicht mehr gehört? Ist es eine Illusion, an die du dich klammerst, aus Sturheit, aus Altersstarrsinn? Ab und zu hält mich jemand freundlich an: >Sie waren ein Mythos! …mehr

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Produktbeschreibung
"Dies ist kein Geschichtsbuch. Es ist das, was in meinem Gedächtnis auftaucht, wenn ich den zweifelnden Blick der Menschen um mich herum auffange: Warum bist du Kommunistin gewesen? Warum sagst du, du bist es noch? Was meinst du damit? Ohne eine Partei, ohne Ämter, an der Seite einer Zeitung, die dir nicht mehr gehört? Ist es eine Illusion, an die du dich klammerst, aus Sturheit, aus Altersstarrsinn? Ab und zu hält mich jemand freundlich an: >Sie waren ein Mythos!< Doch wer will schon ein Mythos sein? ... Die Sache des Kommunismus und der Kommunisten im 20. Jahrhundert hat so kläglich geendet, daß man sich unbedingt damit auseinandersetzen muß. Was bedeutete es, in Italien ab 1943 Kommunist zu sein? Als Parteimitglied, nicht nur aus innerer Überzeugung, bei der man sich immer herausreden kann: >Mit diesem oder jenem habe ich nichts zu tun.< Ich beginne, indem ich mich selbst befrage. Ohne Bücher oder Dokumente zu konsultieren, aber nicht ohne manchen Zweifel."
Autorenporträt
Rossanda, Rossana
Geboren 1924 in Pola (Istrien), trat Rossana Rossanda 1943 in die Kommunistische Partei ein und beteiligte sich am Widerstandskampf. 1959 wurde sie ins Zentralkomitee gewählt. Nach ihrem Ausschluß aus der Partei gründete sie 1969 die Zeitschrift und spätere Tageszeitung il manifesto.

Hausmann, Friederike
Friederike Hausmann, geboren 1945 in Creglingen bei Stuttgart, studierte Geschichte und Latein in Berlin. Nach dem Studium lebte sie in Florenz, wo sie ihre Arbeit als Übersetzerin für italienische Texte begann.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.10.2007

Tagliatelle ohne Eier
Die Erinnerungen der Kommunistin Rossana Rossanda
Es gibt Leute, die glauben, Frauen seien ehrlicher im Umgang mit sich selbst als Männer. Die Erinnerungen der italienischen Kommunistin Rossana Rossanda stützen diese These: Die Autorin erzählt von Gelegenheiten, in denen sie sich schuldig machte oder sich so benahm, dass es ihr noch Jahrzehnte später peinlich ist. Sie berichtet nicht von der Anerkennung, die sie als engagierte Politikerin und intelligente Publizistin reichlich erhalten hat, sondern vor allem von den Vorwürfen, die ihr gemacht wurden. Als Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Italiens (KPI) habe sie in den Augen vieler Parteigenossen als „rechthaberisch” gegolten. Schon als Kind, schreibt sie, habe sie dazu geneigt, sich „in der Welt nicht so zu bewegen, wie es sich gehört”.
Die Tochter eines Notars aus Istrien verlebte ihre ersten Lebensjahre in einem gutbürgerlichen Elternhaus. Die Kinder der Ortschaft Pula haben in dieser Zeit am Strand nackt gebadet. Italien sei damals nicht prononciert katholisch gewesen, schreibt die Autorin. Nach dem Börsenkrach 1929 – das Mädchen feierte in jenem Jahr seinen fünften Geburtstag – war ihr Vater ruiniert. Noch während des Krieges wurde sie Kommunistin, weil sie gegen den Faschismus war und es verabscheute, wie die Kräfte des Kapitalismus Existenzen wie die ihrer Eltern aus dem Gleis warfen. Für die „Resistenza” erledigte sie eher unbedeutende Botendienste.
„Ich war”, schreibt Rossana Rossanda, „ein farbloses Mädchen.” Bevor sie sich politisierte, habe sie sich einfach nur durchgewurstelt. So wie sie selbst sei ganz Italien gewesen. Sie erzählt: Als die Deutschen den Italienern während des Krieges das Radfahren verboten, montierten die Leute einfach über Nacht ein drittes Rad an; nun fuhren sie nicht mehr Fahrrad, sondern Dreirad. Ähnlich phantasievoll wurden die Italiener mit dem Lebensmittelmangel nach Kriegsende fertig. Rossana und ihre Schwester fabrizierten Tagliatelle ohne Eier, die sie auf einem quergelegten Besenstiel zum Trocknen aufhängten. Nachbarn verspeisten aus Versehen die aschenen Überreste einer Tante.
Als Rossana Rossanda zu Beginn der fünfziger Jahre eine kleine Funktionärin in Mailand war und sich bemühte, die Arbeiterinnen für die KPI zu interessieren, traf sie auf Frauen mit „stumpfen, angespannten Gesichtszügen” und einer „eisernen Dauerwelle.”Des Sonntags gingen die Männer in Anzug und Krawatte aus, derweil die Ehefrauen zu Haus auf Knien den Fußboden schrubbten. Im Übrigen, schreibt sie, seien sowohl die Frauen als auch die Männer wortkarg gewesen: „Die Gegenreformation, die Pest und der Kapitalismus hatten die Lombarden zum Schweigen gebracht.”
Als Kommunistin assoziierte sie die Sowjetunion nicht mit dem Gulag, sondern mit der Schlacht von Stalingrad. Im Kalten Krieg änderte sie ihre Meinung nicht, weil der Gegendruck so groß war.
Im Nachhinein sagt sie, dass die Partei 1956 zu ihrem Schaden eine ehrliche Debatte vermieden habe: Sowohl über Chruschtschows Bericht, der die Verbrechen des Stalinismus aufs Tapet brachte, als auch über den Einmarsch der sowjetischen Truppen in Ungarn sei in der Partei nicht offen geredet worden.
Vom Klassenkampf überzeugt
Bevor sie 1962 nach Rom geholt wurde, arbeitete Rossana Rossanda in Mailand. Die dortigen Kommunisten lebten in der Moderne, ihre Klientel arbeitete in der Autoindustrie. Die Genossen in Rom, schreibt Rossanda, hätten hingegen an die süditalienischen Landarbeiter gedacht. Auch in anderen Punkten war sie mit den führenden Männern in Rom nicht eines Sinnes. Als die KPI damit begann, sich auf sozialdemokratische Ideen einzulassen, und den Kapitalismus nicht mehr abschaffen, sondern bloß noch reformieren wollte, beharrte sie auf der Bedeutung des Klassenkampfes. Davon hat sie sich bis heute nicht abringen lassen. „Egal, was behauptet wird”, schreibt sie, die Arbeiterklasse gebe es immer.
Weil sie sich der Sozialdemokratisierung verweigerte, wurde Rossana Rossanda Ende der sechziger Jahre aus der KPI ausgeschlossen. Ihre Überzeugungen hat sie sich nicht abhandeln lassen. „Ob es genehm ist oder nicht, dort, wo sie nicht an der Macht war, bewirkte die kommunistische Bewegung einen mächtigen Ansporn zur Demokratisierung.” Ihre Erinnerungen, die gewandt ins Deutsche übertragen wurden, liest man gern. Am schönsten sind sie immer dann, wenn die Autorin aus eigenem Erleben italienische Kulturgeschichte schreibt.
FRANZISKA AUGSTEIN
ROSSANA ROSSANDA: Die Tochter des 20. Jahrhunderts. Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann und Maja Pflug. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 476 Seiten, 26,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Als "strenge Selbstbefragung" und "schonungslose Auseinandersetzung mit dem historischen Erbe des sozialistischen Projekts" hat das "feinsinnige" Erinnerungsbuch dieser weiblichen intellektuellen Galionsfigur Italiens Rezensentin Jessica Kraatz Magri außerordentlich beeindruckt. Aber auch als ebenso dezidierter wie differenzierter Versuch, "ein kommunistisches Gedächtnis zu verteidigen". Kraatz Magri beschreibt das Buch als "Gedächtnisreise" einer 1924 geborenen Frau aus bürgerlichen Verhältnissen, die zur Marxistin und kommunistischen Politikerin wird. Rossana Rossandas Ton sei intim, ihre Sprache glasklar. Überzeugen kann sie die Rezensentin auch mit ihrer Einschätzung der Bedeutung der italienischen KP für die demokratische Entwicklung des Landes. Und mit ihrer Beschreibung der Partei als eines "trägen, intriganten, männerdominierten Machtapparats". Manchmal allerdings fürchtet die Rezensentin, sich im Dickicht der vielen genannten Personen und Ereignisse zu verlieren. Auch wirft diese Erinnerung für sie einige aktuelle Fragen auf, die unbeantwortet bleiben. Zudem wäre aus ihrer Sicht der deutschen Ausgabe ein ausführliches Glossar gut bekommen, denn die anhängende Chronik sei zwar nützlich, erfüllt ihr Informationsbedürfnis aber nur mäßig.

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