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Liana Millus Il fumo di Birkenau ist eine literarische Entdeckung und nach Primo Levi »eines der eindrucksvollsten europäischen Zeugnisse aus dem Frauenlager Auschwitz-Birkenau, ganz gewiß das bewegenste«. 1947 geschrieben und seitdem in zahlreiche Sprachen übersetzt. In den Mittelpunkt jeder der sechs Erzählungen stellt Liana Millu eine Frau. Da ist Lili, der die Eifersucht ihrer Aufseherin zum Verhängnis wird. Da ist Maria, die wider alle Vernunft ein Kind austragen will, so überzeugt ist sie, daß der Krieg bald vorbei sein wird. Da sind Bruna, die ihren Sohn im Quarantänelager entdeckt, und…mehr

Produktbeschreibung
Liana Millus Il fumo di Birkenau ist eine literarische Entdeckung und nach Primo Levi »eines der eindrucksvollsten europäischen Zeugnisse aus dem Frauenlager Auschwitz-Birkenau, ganz gewiß das bewegenste«. 1947 geschrieben und seitdem in zahlreiche Sprachen übersetzt. In den Mittelpunkt jeder der sechs Erzählungen stellt Liana Millu eine Frau. Da ist Lili, der die Eifersucht ihrer Aufseherin zum Verhängnis wird. Da ist Maria, die wider alle Vernunft ein Kind austragen will, so überzeugt ist sie, daß der Krieg bald vorbei sein wird. Da sind Bruna, die ihren Sohn im Quarantänelager entdeckt, und die Russin Zina, die ihr Leben aufs Spiel setzt, indem sie Ivan zur Flucht verhilft: Sie kennt ihn nicht, aber er ähnelt ihrem Mann, den die Nazis umgebracht haben. Wo sind die Deutschen? Es ist, als wären sie nicht da. Sie sind wie Nebenfiguren, wie Eindringlinge; wenn sie auftauchen, bringen sie Tod und Vernichtung. In der Genauigkeit des Blicks und einer Sprache ohne jedes Pathos hat Liana Millu die Dimension des Ausweglosen, die Unsagbarkeit des Grauens ausgelotet und den authentischen Geschichten der Frauen von Birkenau ein literarisches Denkmal gesetzt.
Autorenporträt
Millu, Liana
Liana Millu, geboren in Pisa, war während des Zweiten Weltkriegs im Widerstand aktiv. 1944 Festnahme bei einer Razzia in Venedig und Deportation nach Auschwitz-Birkenau. Nach der Befreiung Rückkehr nach Italien, wo sie 'Il fumo di Birkenau' schrieb sowie den halbautobiographischen Roman 'Il ponte di Schwerin'. Sie arbeitete als Grundschullehrerin und Journalistin in Genua, wo sie heute noch lebt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.1997

Sechsmal Ja
Liana Millus Erzählungen aus dem Konzentrationslager Birkenau

Liana Millu hat sechs Geschichten aus dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau geschrieben. Sie handeln von der Würde der Frauen in der Verzweiflung, im Angesicht der Krematorien, deren Rauch jede Hoffnung niederschlägt. "So schwarz und so schwer war dieser Rauch, er wollte sich nicht einmal richtig auflösen. Jedesmal, wenn wir von der Schaufel hochschauten, mußten wir ihn sehen und denken: ,In einer Woche, in einem Monat bin ich dran.'" "Untergegangene" hat Primo Levi diejenigen genannt, die sich aufgaben, sich dem Gefälle in die Tiefe überließen, ohne Geschichte, ja "ohne Antlitz", ohne eine Spur der Erinnerung zu hinterlassen. Liana Millu schreibt gegen den Sog der Selbstaufgabe an.

Eine Stimme aus einer Koje ganz unten, wo die Schwachen liegen, ruft sie an: "Liane! Du bist Liane, die Italienerin!" Nicht selten steht ein solcher Anruf am Beginn dieser Geschichten. Denn Liana Millu wendet sich nicht ab, wie es die Regel wäre. "Was mußte ich auch alle in mein Herz schließen, die mir nahekamen und mir ihre Zuneigung bekundeten. Nicht einmal das Lagerleben hatte mich davon geheilt." In einer Welt, die Freundlichkeit für dumm, Weinen für ein verachtenswürdiges Zeichen der Schwäche hält, in der Klagen als etwas Lästiges betrachtet wird, keinem Bestraften geholfen werden darf, in der sich alle an alles gewöhnen und alle bösartig werden, in der alle moralischen Begriffe hohl klingen, hört die Italienerin zu, reagiert, spricht, hilft und wird darüber zur Erzählerin. Während der Überlebenswille ihr "gelassene Resignation" befiehlt, erliegt sie dem Mitleid, der absurden Regung gegen alle Vernunft - "in einem Rattenloch, wo die Menschenliebe das Unwahrscheinlichste ist" (Ruth Klüger).

Gott kennt kein Mitleid. "Niemand auf der Welt oder außerhalb von ihr kannte Mitleid. Wir waren allein und verlassen . . ." Nichts beklemmender als die Schilderung eines Gottesdienstes der ungarischen Jüdinnen. Sie entzünden eine kleine Flamme, das symbolische Licht ihres Glaubens, beten: "Lasse dein Angesicht leuchten über uns . . !" Dann der Blick aus dem Fenster der Baracke: riesige Flammen, die aus den Schornsteinen der Krematorien schlagen, der "vom brennenden menschlichen Fleisch taghell erleuchtete Himmel". Nur die Mitleidige kann auch erzählen. "Se questo è un uomo?" "Ist das ein Mensch?" Auf die verzweifelte Frage Primo Levis antwortet sie sechsmal mit Ja.

Lili, die sich in einen Kapo verliebt, wird von der eifersüchtigen Aufseherin bei der Selektion in den Tod geschickt. Lise betrügt ihren Mann, weil sie ihn liebt und leben will. Bruna umarmt ihren todgeweihten kleinen Sohn im Hochspannungsdraht. Zina verhilft Iwan, der sie an ihren ermordeten Mann erinnert, zur Flucht, um den Preis des eigenen Lebens. Die holländischen Schwestern Gustine und Lotti haben sich entzweit, Märtyrerin ihrer Tugend die eine, Überlebende im "Puffkommando" die andere - "Und alles zählte nichts, es blieb nichts als Rauch" ("Scheißegal" heißt der Titel dieser Erzählung). Maria, die "unvernünftige Mutter", hält ihre Schwangerschaft geheim, bringt ihr Kind in der dreckigen und überfüllten Baracke zur Welt - als die Frauen vom Appell zurückkommen, sind beide tot.

Sechsmal zerbrochene Hoffnungen, Untergänge ohne jede Beschönigung und ohne jedes Pathos. Sechsmal aber auch: ein Antlitz, eine eigene Geschichte, Selbstbehauptung, Würde. Und die deutschen Peiniger? Sie rücken nur selten ins Blickfeld, sie sind jenseits jeden Begreifens, werden nicht einmal Anlaß zum Haß - der Apparat des Lagers sagt alles über sie.

Liana Millus Geschichten nehmen den Wettstreit mit Dokumenten und Statistiken auf. "Wer nur erlebt, reim- und gedankenlos, ist in Gefahr, den Verstand zu verlieren . . . Wer mitfühlen, mitdenken will, braucht Deutungen des Geschehens. Das Geschehen allein genügt nicht." So Ruth Klüger, die mit Gedichten standhielt. Und so Liana Millu, die erzählt, schmucklos, verhalten, gradlinig - im sermo humilis des unausrottbaren Mitleids, der Erinnerung verbürgt. Daß ihre Geschichten, 1947 niedergeschrieben, erst jetzt in deutscher Übersetzung erscheinen, ist merkwürdig. Zu spät ist es nicht. HANS-JÜRGEN SCHINGS

Liana Millu: "Der Rauch über Birkenau". Erzählungen. Mit einem Vorwort von Primo Levi. Aus dem Italienischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. Verlag Antje Kunstmann, München 1997. 190 S., geb., 32,- DM.

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