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Die erste große Biographie zu Reinhard Heydrich (1904-1942) war einer der mächtigsten Männer des "Dritten Reichs": Als Leiter des Reichssicherheitshauptamts und engster Mitarbeiter Heinrich Himmlers lenkte er den Terrorapparat der Nationalsozialisten. Robert Gerwarth folgt in seiner Biographie dem steilen Aufstieg Heydrichs und beleuchtet dessen Rolle im NS-Regime sowie die Stilisierung zum Märtyrer nach seinem Tod durch ein Attentat in Prag.
Bis zu seinem gewaltsamen Tod im Sommer 1942 hatte Reinhard Heydrich unter den Nationalsozialisten eine beispiellose Karriere gemacht. Als Leiter des
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Produktbeschreibung
Die erste große Biographie zu Reinhard Heydrich (1904-1942) war einer der mächtigsten Männer des "Dritten Reichs": Als Leiter des Reichssicherheitshauptamts und engster Mitarbeiter Heinrich Himmlers lenkte er den Terrorapparat der Nationalsozialisten. Robert Gerwarth folgt in seiner Biographie dem steilen Aufstieg Heydrichs und beleuchtet dessen Rolle im NS-Regime sowie die Stilisierung zum Märtyrer nach seinem Tod durch ein Attentat in Prag.

Bis zu seinem gewaltsamen Tod im Sommer 1942 hatte Reinhard Heydrich unter den Nationalsozialisten eine beispiellose Karriere gemacht. Als Leiter des Reichssicherheitshauptamts, stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren sowie Organisator der "Endlösung der Judenfrage" war er eine der Schlüsselfiguren der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik und einer der am meisten gefürchteten Männer des "Dritten Reichs".Auf der Basis neuer Quellen schildert Robert Gerwarth das Leben Heydrichs und analysiert dessen Aufstieg im nationalsozialistischen Terrorstaat. Er zeichnet ein Bild jenseits der Klischees des unideologischen Karrieristen und bietet zugleich neue Einblicke in die Geschichte des "Dritten Reichs" - in den Aufstieg der SS und die Entstehung des nationalsozialistischen Polizeistaats, in die deutsche Besatzungspolitik und die Organisation des Holocaust.
Autorenporträt
Robert Gerwarth, geboren 1976, hat Geschichte in Berlin studiert und in Oxford promoviert. Nach Stationen an den Universitäten Harvard und Princeton lehrt Gerwarth heute als Professor für Moderne Geschichte am University College in Dublin und ist Gründungsdirektor des dortigen Zentrums für Kriegsstudien, das vom European Research Council und der Guggenheim Stiftung gefördert wird. Er ist Fellow der Royal Historical Society, Mitglied der Royal Irish Academy und Autor zahlreicher Publikationen. Sein Buch "Der Bismarck-Mythos. Die Deutschen und der Eiserne Kanzler" (2007) wurde mit dem renommierten Fraenkel Prize ausgezeichnet. Bei Siedler erschien zuletzt seine hochgelobte Biographie Reinhard Heydrichs.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.10.2011

Ein Bild von einem Massenmörder
Mit kalter Empathie und mit tuschelnder Indiskretion: Eine historische Biographie und ein Roman untersuchen Reinhard Heydrich,
den „Architekten der Endlösung“ aus der Mitte der deutschen Gesellschaft Von Burkhard Müller
Als Adolf Eichmann vor dem Tribunal in Tel Aviv stand, da wunderten sich alle, wie ein Mann, der federführend an millionenfachem Mord beteiligt war, von solch menschlicher Unbeträchtlichkeit sein konnte. Hanna Arendt taufte diese Verwunderung damals auf den Namen, der ihr seither geblieben ist, den von der „Banalität des Bösen“. Wie konnten es so ganz normale Menschen sein, die so etwas getan hatten, oder umgekehrt, wie konnten solche Taten auf solche postbeamtenhaften Täter zurückverweisen?
So hat sich die Sehnsucht, das Antlitz des Bösen leibhaftig zu sehen, von jeher auf einen Mann konzentriert, der formell gar nicht zu den obersten Chargen der Nazi-Hierarchie gehörte: Reinhard Heydrich, SS-Gruppenführer, Chef des Sicherheitsdienstes, (stellvertretender) Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, vor allem aber „Architekt der Endlösung“. Von unübersehbar arischer Rasse, arrogant, charmant, musikalisch und eiskalt, gab er das gültige Bild des Erz-Nazis, hinter dem die höheren Ränge schon rein physiognomisch zurückblieben: unstreitig die interessanteste Figur des ganzen Vereins. Wie aber stellt man diese Figur angemessen dar?
Man muss es als fruchtbaren Zufall bezeichnen, dass jetzt zwei ganz verschiedenartige Bücher über ihn auf Deutsch erscheinen. Sie laden nicht nur zum Vergleich ein, sondern verheißen, gerade weil sie zueinander versetzt stehen, ihren Gegenstand im Zusammenspiel zu perspektivieren. Der aus Deutschland gebürtige Historiker Robert Gerwarth, Professor für Moderne Geschichte in Dublin, legt eine Biographie vor. Und der slowakischstämmige französische Autor Laurent Binet behandelt dasselbe Thema in einem (mit dem Prix Goncourt gekrönten) Roman mit dem Titel „HHhH - Himmlers Hirn heißt Heydrich“. Was, so fragt sich der Doppel-Leser gespannt, vermag der Roman, das dem geschichtlichen Werk fehlt – und umgekehrt?
Der Historiker ist gehalten, über seine Methode klaren Aufschluss zu geben. Gerwarth äußert einleitend Zweifel am „gruppenbiographischen“ Verfahren, das offenbar in jüngerer Zeit beliebt gewesen ist, hält aber auch nichts von der „psychologisierenden Charakterstudie“, als die er die Arbeit Joachim Fests qualifiziert, welcher Heydrich als „Mann wie ein Peitschenknall“ geschildert hatte. Wie aber dann? Hier hilft augenscheinlich nur ein synthetischer Ansatz: „Im vorliegenden Buch sind daher private Lebensgeschichte, politische Biographie und Strukturgeschichte verschränkt.“ Ein besonderes Problem bedeutet dabei das affektive Verhältnis, das der Verfasser gegenüber seinem Gegenstand einnimmt. Gerwarth entscheidet sich für die paradoxe Formel der „kalten Empathie“: „Heydrichs Handlungen, seine Ausdrucksweise und sein Verhalten sprechen ohnehin für sich und offenbaren uns einen zunehmend von der eigenen ideologischen Sendung überzeugten genozidalen Massenmörder aus der Mitte der deutschen Gesellschaft."
Mit eiserner Disziplin steuert Gerwarth sein Buch durch ein starkes Magnetfeld, um Fassung vor dem Grauenhaften bemüht wie ein Zeuge vor Gericht. Es sind klug ausgewählte Quellen, denen der Autor auf indirektem Weg die wichtige emotionale Seite seines Buchs anvertraut. Er zitiert Briefe Heydrichs, entstanden im Abstand einiger Jahre, die deutlicher als jedes Außenurteil erkennen lassen, wie sich dessen Charakter unter dem Einfluss der Umstände ändert: Den Schwiegereltern verspricht er, noch ganz eifriger Kleinbürger, dass er seine Schulden zurückzahlen und ihre Tochter glücklich machen wird; der vorbeugende Abschiedsbrief an Lina bei Kriegsbeginn zeigt, bei aller zärtlichen Gattenliebe, einen Mann, der die Brücken ins bürgerliche Leben hinter sich verbrannt hat.
Dazu kommen zahlreiche Zeugnisse über Heydrich als Menschen: von seinem Gegner aus den eigenen Reihen Werner Best, von seinem spöttischen Bewunderer Albert Speer, nicht zu vergessen den ergriffenen Nachruf, den sein Mentor und Freund Heinrich Himmler ihm hält, als Heydrich den Folgen des Attentats vom 27. 5. 1942 erlegen ist. So entsteht ein vielschichtiges Porträt, das die Vorzüge einer soziologischen Studie mit denen der klassischen Biographie vereint. Noch wenn Heydrich aus nächster Nähe die Erschießung jüdischer Kinder überwacht, hat er dabei das Gefühl, rein reaktiv und als Opfer einer höheren Notwendigkeit zu handeln. Daran hängt sein Selbstbild als „Müllkipper“ des Reichs und seine Vorstellung von Anstand – Massenmord ja, aber keine eigennützigen Plünderungen und keine sadistischen Übergriffe. Gegen beides ist Heydrich, der Mann des sauberen Kopfschusses, stets entschieden vorgegangen. Das eben ist das „Verquere“, wie Gerwarth mit typischer Zurückhaltung sagt, an Heydrichs und Himmlers Logik, dem man, will man es begreifen, wohl wirklich nicht anders als mit „kalter Empathie“ begegnen kann.
Es liegt im Wesen des Buchs, dass sein biografischer Anteil im weiteren Verlauf, spätestens mit dem Angriff auf Polen und den zugehörigen SS-Aktionen, von der Strukturgeschichte zurückgedrängt wird. Dabei verliert Gerwarths Werk, das nunmehr notwendig ins große Ganze geht, einiges von seiner spezifischen Qualität; das Abstraktionsniveau steigt. Man kann es dem Autor nachempfinden, dass er angesichts der schieren Totenzahlen meint, die anekdotische Evidenz, die immer ja auch den Beigeschmack des Amüsanten und Harmlosen hat, müsse schweigen. Dennoch, hier ist der Punkt erreicht, wo man beginnt, hinüberzuschielen zum Roman.
Der Roman von Laurent Binet, um es gleich zu sagen, ist eine große Enttäuschung. Dass es sich hier um besonders heikles Terrain handelt – weil der Gegenstand erstens so entsetzlich und zweitens so entsetzlich gut dokumentiert ist – weiß Binet wohl; aber es schert ihn nicht.
Die einzige Chance, die ein Roman über Heydrich hätte, bestünde darin, eine überzeugende erzählerische Position zu finden. Der Erzähler müsste eine kraftvolle Stimme haben, aber unsichtbar bleiben; er müsste den Leichenbergen standhalten und zugleich wissen, dass es vor ihnen auf seine Wenigkeit zuallerletzt ankommt. Stattdessen bläst sich hier ein kokettes Ich auf. Immerzu heißt es „Mehr kann ich dazu nicht sagen“, „Ich könnte ausschweifende Anmerkungen machen“, „Ich bin beschämt“ – aber natürlich verzeiht er sich alles sogleich. Stellt er fest, dass ein Detail nicht stimmt, führt er eine kleine Komödie auf: „Was für peinliche Fehler!“ Doch statt die also noch rechtzeitig aufgefundenen Irrtümer ohne Getue durch das Richtige zu ersetzen, lässt er sie stehen, denn wir sollen dieses Buch als work in progress würdigen, als primär seine Geschichte.
Die Nazis marschieren in Prag ein, und: „Ich stelle mir vor, wie Rabenschwärme die Tyn-Kirche umkreisen.“ Die Vögel (wohl eher Krähen oder Dohlen) kreisen, was diese Plaudertasche leider nicht bedenkt, bestimmt auch bei Sonnenschein und wenn gerade keine Nazis einmarschieren. Der Augenblick des Attentats ist gekommen, die Spannung steigt aufs äußerste, und das Äußerste bei Binet geht so: „Ein Vulkan bedeckt die Kurve der Klein-Holeschowitz-Straße mit glühendem Adrenalin.“ Es gehört zu diesem haltlosen Erzähler, dass er, bei aller tuschelnden Indiskretion, kein halb so einprägsames Porträt des Menschen Heydrich liefert wie Gerwarths kühle Biographie. Gerade dort, wo ein Roman überhaupt ein Plus gegenüber der Geschichtswissenschaft einheimsen könnte, versagt Binet jammervoll. Was ist Heydrich für ein Mensch? Ein „Sittenstrolch“? Diese sabbernde Vokabel dürfte die verächtliche Einstellung eines Herrenmenschen zum anderen Geschlecht nicht annäherungsweise treffen. Ein „unheilbringender, unbarmherziger Saukerl“? Was für ein moralischer und stilistischer Schwächeanfall.
Bevor man die zwei Bücher gelesen hatte, war man darauf gefasst, dass der Roman das fragwürdigere wäre. Nach beendeter Lektüre muss man sagen, dass Robert Gerwarth über den faszinierendsten aller Faschisten nicht nur eine sehr gute Biographie, sondern auch den besseren Roman geschrieben hat.
Robert Gerwarth
Reinhard Heydrich
Aus dem Englischen von Udo Rennert. Eine Biographie. Siedler Verlag, München 2011. 478 Seiten, 29,95 Euro.
Laurent Binet
HHhH – Himmlers Hirn
heißt Heydrich
Roman. Aus dem Französischen von Mayela Gerhardt. Rowohlt, Reinbek 2011, 445 Seiten, 19,95 Euro.
Was vermag der Roman,
das dem geschichtlichen Werk
fehlt – und umgekehrt?
Ein entsetzlicher
Gegenstand, entsetzlich
gut dokumentiert
„Warum schon wieder ein Buch über Hitlers Reich?“, fragt Michael Wolffsohn gleich zu Beginn. Es hätte der Forschung keinen Abbruch angetan, wäre es bei dieser Frage geblieben. Aber Wolffsohn hat das Vorwort geschrieben für Ralf Georg Reuths Bildband über das „Dritte Reich in 3D-Photos“ (Pendo, München/Zürich 2011. 207 Seiten, 14,99 Euro). So spinnert, wie es klingt, ist das Buch dann doch nicht: Es sammelt 3D-Propagandamotive aus der Werkstatt des Hitler-Freundes und Fotografen Heinrich Hoffmann. Sie wurden damals Raumbilder genannt und als Exotikum bestaunt. Das sind sie immer noch. Tiefer ist der Blick in 3D freilich nicht. jkä/Bayerische Staatsbibliothek München/Fotoarchiv Hoffmann
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Nachdrücklich empfehlen möchte Klaus Hillenbrand diese erste Biografie des von tschechischen Freiheitskämpfern umgebrachten SS-Manns Reinhard Heydrich. Wie der Historiker Robert Gerwarth hier Heydrichs Karriere beschreibt, hat der Rezensent so noch nicht gelesen. Zwar hätte Hillenbrand nicht unbedingt wissen müssen, dass Heydrich aus durchaus bürgerlichem Elternhaus entstammt, aber wie dieser nach seiner unehrenhaften Entlassung aus der Marine die Gunst nutzt, um in der SS Karriere zu machen und diese von der "Schutzstaffel" zur gefürchteten Organisation erst der Judenverfolgung, dann der Judenvernichtung ausbaut, das hat Hillenbrand brennend interessiert. Wie Karrieresucht eines einzelnen und Radikalisierung eines Systems ineinanderfließen, das hat er so noch nicht gelesen,

© Perlentaucher Medien GmbH
"Virtuos, wie es sonst eher angelsächsische Historiker vermögen, verknüpft Robert Gerwarth in seiner Biographie Organisationsgeschichte und Machtanalysen mit persönlich-biographischen Elementen. (...) Robert Gerwarth hat (das Leben) mit eindrucksvollem Überblick über die großen Linien, aber auch mit viel Sinn für bittere, manchmal auch bizarr-komische Details erzählt." -- Deutschlandradio Kultur

"Robert Gerwarth hat (Heydrichs Leben) mit eindrucksvollem Überblick über die großen Linien, aber auch mit viel Sinn für bittere, manchmal auch bizarr-komische Details erzählt." -- DEUTSCHLANDFUNK Andruck, 26.09.2011

"Es sind klug ausgewählte Quellen, denen der Autor auf indirektem Weg die wichtige emotionale Seite seines Buchs anvertraut. Nicht nur eine sehr gute Biographie, sondern auch der bessere Roman." -- Süddeutsche Zeitung, 11.10.2011
"Eine beeindruckende Biografie." Die Zeit, 06.10.2011

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2012

Reinhard, der Reinerhalter
Heydrich, der nationalsozialistische Terrorapparat und die radikale Ehefrau

Am 27. Mai 1942 wurde auf Reinhard Heydrich in Prag auf Befehl der tschechoslowakischen Exilregierung in London ein Attentat verübt, dem der "Henker des Dritten Reiches" - wie ihn Thomas Mann in seinem BBC-Kommentar nannte - am 4. Juni erlag. In einer der aufwendigsten Begräbniszeremonien der NS-Zeit bezeichnete Hitler den SS-Obergruppenführer als einen der besten Nationalsozialisten und einen der größten Gegner aller Feinde dieses Reiches. Die Verfolgung der Attentäter führte zu maßlosen Gewaltexzessen mit Hunderten von Toten. Die Auslöschung von Lidice wurde zum international bekannten Symbol dafür.

Angesichts der herausragenden Bedeutung Heydrichs im Machtapparat der SS und des "Dritten Reiches" insgesamt überrascht es, dass es so lange gedauert hat, bis eine wissenschaftliche Biographie zu ihm erschienen ist. Sein Autor, der 35 Jahre alte Robert Gerwarth, lehrt als Professor für moderne Geschichte in Dublin.

Wer war dieser gerade einmal 38 Jahre alt gewordene SS-Führer, der solche Emotionen bei Freund und Feind auslöste? Heydrich war zu diesem Zeitpunkt als Chef des Reichssicherheitshauptamtes engster Mitarbeiter von Heinrich Himmler sowie gleichzeitig als "stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren" direkt Hitler unterstellt. Er war, wenn auch nicht formal, einer der mächtigsten Männer des Reiches und der Cheforganisator der anlaufenden Vernichtung aller Juden im deutschen Machtbereich. Allgemein anerkannt wurde diese Rolle Heydrichs auf der berüchtigten Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942. Allerdings weist Gerwarth zu Recht darauf hin, dass man die Bedeutung der Wannsee-Konferenz für den allumfassenden Völkermord nicht überschätzen dürfe, denn keiner "der Anwesenden, auch nicht der mächtige Chef des RSHA, hätte eine solche Entscheidung allein und ohne Hitlers ausdrückliche Zustimmung treffen können".

In seiner phasenweise spannend zu lesenden Arbeit zeichnet Gerwarth den Lebensweg Heydrichs überzeugend nach und lässt den Leser doch ratlos zurück: Wie konnte ein musisch begabter Mensch aus bildungsbürgerlichem Haus, ein unpolitischer Seeoffizier, der durch ein persönliches Fehlverhalten aus der Marine ausgeschlossen wurde und damit vor dem beruflichen Nichts stand, in einem stetigen Aufstieg von seiner ersten Begegnung mit Himmler 1931 zum Exekutor des nationalsozialistischen Rassenwahns werden?

Die Ratlosigkeit ist nicht Gerwarth anzulasten, der beeindruckend diesen Aufstieg und die damit verbundene Radikalisierung Heydrichs, seinen Ehrgeiz und sein Organisationstalent, seinen perversen SS-Ethos im Sinne von Himmlers "anständig geblieben", seine Verachtung der korrupten und unfähigen alten Kämpfer und Parteigrößen, seine Förderung hochqualifizierter, von keinerlei moralischen Skrupeln belasteter Mitarbeiter schildert. Dabei trug Heydrichs Führungsstil ganz wesentlich zu einer Ausweitung der Gewaltspirale bei. Er forderte Ende Juni 1941 - nach dem Überfall auf die Sowjetunion - "Initiative", ohne jedoch "exakte Ziele vorzugeben, was wesentlich zur Eskalation des Massenmordes in den kommenden Wochen beitrug".

Als weiteres zentrales Motiv des Handelns kann Gerwarth für die Zeit von 1931 an überzeugend nachweisen, dass Heydrich Gefahren immer aufbauschte, um sich und die SS dann als zupackende Problemlöser darzustellen. So schürte er 1932 die Angst vor Spionen in den eigenen Reihen, um seinen SD aufzuwerten. Mitte der dreißiger Jahre beschwor er unsichtbare und omnipräsente Feinde des Nationalsozialismus, um einen schlagkräftigen SS-Polizeiapparat aufbauen zu können. Nach Kriegsbeginn 1939 nutzte er die Furcht der Parteiführung vor Widerstand im besetzten Europa, um sich und der SS die Zuständigkeit für die Unterdrückung dieses Widerstandes zu verschaffen.

Auch wenn man dies rational versteht, bleibt die nicht zu klärende Frage offen, ob Heydrich nie den Hauch einer menschlichen Regung hatte. Organisierte er das Morden aus dem Wissen heraus, wie Himmler in seiner Gedenkrede sagte, "dass Reinerhaltung, Sicherung und Schutz unseres Blutes das höchste Gesetz ist"? Dafür spricht seine "Germanisierungspolitik" in "Böhmen und Mähren", dem einzigen besetzten Territorium, in dem die SS maßgeblich die Besatzungspolitik bestimmte. Hier wurde in Ansätzen deutlich, was Heydrich unter "Eindeutschung" verstand, nämlich "die totale Kontrolle über die eroberten Bevölkerungen und die völlige Vernichtung aller kulturellen, politischen und ,rassischen' Elemente, die sich nicht mit der nationalsozialistischen Weltanschauung vereinbaren ließen".

Eine besondere Rolle im Leben Heydrichs spielte seine Frau Lina. Da er ihr und einer weiteren Frau die Ehe versprochen hatte, wurde er von der Marine entlassen. Sie war bereits überzeugte Nationalsozialistin und drängte ihn, 1931 den Kontakt zu Himmler zu suchen, dem Heydrich dann bis zu seinem Tod loyal diente. Von der Bundesrepublik erhielt sie die Witwenrente eines im Weltkrieg gefallenen Generals. Noch 34 Jahre nach seinem Tod stand sie unverbrüchlich hinter ihrem Mann und veröffentlichte ihre Erinnerungen unter dem provozierenden Titel "Leben mit einem Kriegsverbrecher", die man heute für sehr teures Geld im Internet erwerben kann. Obwohl sie nicht direkt in Verbrechen verstrickt war, spiegelt sie doch auf erschreckende Weise das Wirken und Nachwirken dieses verbrecherischen Gedankengutes wider.

Gerwarth hat ein wichtiges Buch geschrieben, das auf beeindruckende Weise die mörderische Radikalisierung des Regimes an einem seiner bedeutendsten und schrecklichsten Protagonisten darstellt.

THOMAS SCHNABEL.

Robert Gerwarth: Reinhard Heydrich. Biographie, Siedler Verlag, München 2011, 480 S., 29,99 [Euro].

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