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'Im Visier des Terrors Hamburg nach 9/11. Der Schock darüber, dass die Anschläge von New York hier geplant wurden, sitzt immer noch tief. Der neue Roman von John le Carré erzählt von einer durch den Terror veränderten Gesellschaft, in der alle - Unschuldige und Schuldige gleichermaßen - Statisten in einem undurchschaubaren Marionettenspiel sind. In einem raffiniert gesponnenen Netz aus privaten und politischen Interessen bewegen sich seine Figuren zwischen Gewissenlosigkeit und Nächstenliebe, eiskaltem Kalkül und Gleichgültigkeit. Die Bedrohung durch den islamistischen Terror wird zur Kulisse…mehr

Produktbeschreibung
'Im Visier des Terrors
Hamburg nach 9/11. Der Schock darüber, dass die Anschläge von New York hier geplant wurden, sitzt immer noch tief. Der neue Roman von John le Carré erzählt von einer durch den Terror veränderten Gesellschaft, in der alle - Unschuldige und Schuldige gleichermaßen - Statisten in einem undurchschaubaren Marionettenspiel sind. In einem raffiniert gesponnenen Netz aus privaten und politischen Interessen bewegen sich seine Figuren zwischen Gewissenlosigkeit und Nächstenliebe, eiskaltem Kalkül und Gleichgültigkeit. Die Bedrohung durch den islamistischen Terror wird zur Kulisse für ein skrupelloses Spiel der Geheimdienste.
Marionetten ist ein meisterhaft komponierter Roman über unsere Gesellschaft des Verdachts nach dem 11. September 2001, ein aktueller und brisanter Thriller.
Autorenporträt
John le Carré, geboren 1931 in Poole, Dorset, studierte in Bern und Oxford Germanistik, bevor er in diplomatischen Diensten u. a. in Bonn und Hamburg tätig war. Er lebt mit seiner Frau in Cornwall und London. 2011 wurde John le Carré mit der "Goethe-Medaille" für sein "eindrucksvolles humanistisches Plädoyer" in seinem Lebenswerk ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2008

Wissen, was man nicht weiß

Banker, Islamisten und konkurrierende Geheimdienste in Hamburg - John Le Carrés neuer Roman "Marionetten" ist viel smarter, als es sein Titel vermuten lässt

Als Donald Rumsfeld vor Jahren einmal zum Briefing vor Journalisten trat, war hinterher die ganze Welt verblüfft von seinen philosophischen Talenten: "Berichte über etwas, das nicht passiert ist, sind für mich interessant", dozierte der Verteidigungsminister, "denn wie wir wissen, gibt es Dinge, die wir wissen. Wir wissen auch, dass es Unbekanntes gibt, von dem wir wissen, dass es unbekannt ist. Wir wissen, dass es Dinge gibt, die wir nicht wissen. Aber es gibt auch Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen." Das war geradezu sokratisch im Tonfall, hegelianisch in der Dialektik, und womöglich wusste Rumsfeld selbst nicht, wie genau er mit seinem kleinen Exkurs die Logik der Geheimdienste auf den Punkt gebracht hatte.

In John Le Carrés neuem Roman heißt es, ganz rumsfeldsch, über einen britischen Agenten: "Nach der Logik seines Metiers war Wissen das, was man vorgab, nicht zu wissen. Daher die Demonstration seines Nichtwissens." Diese Dialektik gehört zu einem Geschäft, in dem nicht bloß mit Informationen, sondern auch mit Fiktionen gehandelt wird, in dem nicht nur simple Lockvögel und falsche Pässe kursieren, sondern der Westen auch seine eigenen Dschihadisten in die Welt setzt, wie man derzeit im Kino in Ridley Scotts Agententhriller "Der Mann, der niemals lebte" sehen kann. Le Carrés Roman bewegt sich in diesem neuen Feld, in den Undurchsichtigkeiten und Unbestimmtheiten, zwischen Unschärfen und Ungewissheiten, die zum Alltag im Kampf gegen den Terror gehören, und man spürt, dass der Brite mit 77 Jahren dabei ist, zu alter Form zurückzufinden.

Das Ende des Kalten Krieges hatte ja nicht nur die kalten Krieger arbeitslos gemacht, auch Schriftsteller wie Le Carré hatten ihre Inspirationsquelle verloren. Er ist nach Afrika ("Der ewige Gärtner") ausgewichen und nach Panama ("Der Schneider von Panama"), er hat dabei ein wenig den Fokus verloren, um jetzt in der Welt nach dem 11. September wieder vorsichtig Fuß zu fassen.

Man kann wohl davon ausgehen, dass der ehemalige Germanistikstudent Le Carré den deutschen Titel "Marionetten" autorisiert hat. Auch wenn er ganz beflissene Rezensenten gleich "Kleist!" ausrufen ließ, wirklich treffend ist er nicht. Ihm fehlt die feine Ironie, welche im Originaltitel "A Most Wanted Man" steckt; stattdessen verweist er aufs Theater, auf Bühne, Puppenspieler und einen, der alle Fäden in der Hand hat, und das ist eine ziemlich verbrauchte Metaphorik, welche das Szenario des Romans überhaupt nicht illustriert.

Ein junger, sehr frommer, sehr gequälter Muslim, er nennt sich Issa, taucht in Hamburg-Altona auf, bei einer türkischen Familie, die sich das nicht erklären kann. Eine junge Anwältin, die bei einer Hilfsorganisation für Flüchtlinge arbeitet, nimmt sich Issas an, ein schottischer Bankier, dessen noble Hamburger Privatbank in schwere See geraten ist, tritt auf, weil Issa den Code zu einem Konto hat, das unter dem Decknamen Lipizzaner geführt wird - was eine großartige Geldwäsche-Metapher ist, da die Pferde mit dunklem Fell geboren und erst nach Jahren zu Schimmeln werden.

Längst hat auch eine Sondergruppe des deutschen Geheimdienstes Witterung aufgenommen, die gewissermaßen ihren eigenen Schläfer in die Reihen der Terroristen einschleusen will - und deshalb auch gar nicht wissen muss, ob der junge Tschetschene der ist, welcher er zu sein vorgibt, oder ob ein Dschihadist hinter der Tarnung des Flüchtlings steckt, weil es nur darauf ankommt, ob er sich "umdrehen" lässt.

Die Reibungsverluste und die Zwänge, die Intrigen, welche die erwartbaren Gegenintrigen schon in ihre Strategie eingearbeitet haben, die kollidierenden Interessen und unwahrscheinlichen Allianzen, welche sich aus dieser Konstellation ergeben, inszeniert Le Carré wie ein versierter Ingenieur, der minutiös einen schweren Unfall plant. Und natürlich führt auch hier eine Spur zurück in den Kalten Krieg, zur Privatbank, die früher in Wien ansässig war und beim Fall des Eisernen Vorhangs dunkle Geschäfte mit realsozialistischem Beutegut machte, indem sie Geld für alte Kader wusch. Am Ende haben Verlauf und Ergebnis der ineinandergreifenden und konkurrierenden Operationen verschiedener Geheimdienste den Titel des Buches gründlich demontiert. Niemand hält die Fäden in der Hand; kein Dienst, keine Privatperson hat kalkulieren können, welche Friktionen und Rückkopplungen ihre Pläne und Strategien auslösen würden, weil es nun mal Dinge gibt, "von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen".

In all seiner Undurchsichtigkeit ist das sehr transparent konstruiert. Nur der Ton, in dem Le Carré erzählt, ist arg behäbig, die Charaktere sind zu flächig, so dass sie mit der Komplexität des Plots nie mithalten können. Vor allem mit den Frauengestalten tut sich Le Carré schwer. Die junge Anwältin wird lieblos mit Idealismus, wetterfester Montur, Rennrad und Kratzbürstigkeit ausgestattet, und es ist auch fraglich, ob sie sich in einer stillen Stunde fragen muss: "Und wie kommt es, dass ich mich als den sprichwörtlichen Schmetterling in Australien sehe, der nur mit den Flügeln schlagen muss, und am anderen Ende der Welt bebt die Erde?"

Der Bankier dagegen ist duldsamer und gemütlicher, als es die Bankenaufsicht erlaubt, und die Agentengestalten bleiben so blass, als könnte nicht mal ein erfahrener Erzähler herausfinden, was in dem Kopf unterm sogenannten Schlapphut vor sich geht. Dass man das Buch dennoch nicht eher weglegt, als bis auch die letzte Verästelung aufgespürt ist, versteht sich bei einem Mann wie John Le Carré von selbst.

PETER KÖRTE

John Le Carré: "Marionetten". Roman. Aus dem Englischen von Sabine Roth und Regina Rawlinson. Ullstein-Verlag, Berlin 2008, 368 Seiten, 22,90 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.11.2008

An Fäden durch die Geschichte geschleift
Gibt es einen, der so viel über Deutschlands Beschaulichkeit und Verhängnisse weiß wie er? John le Carré und sein Roman „Marionetten”
Während des Kalten Krieges war Deutschland geteilt und nicht im Besitz seiner vollen Souveränitätsrechte. Das Land war einerseits machtlos, andererseits lag es in der Mitte der Weltpolitik, gewissermaßen im Auge des Orkans. Diese eigentümliche Mixtur aus Provinz und Weltbühne, aus Abseitigkeit und Zentralität hat kein Schriftsteller so prägnant erfasst wie der englische Thriller-Autor John le Carré. Der Titel eines seiner frühen Romane bringt es mit schlafwandlerischer Treffsicherheit auf den Begriff: „Eine kleine Stadt in Deutschland”. Wie viel altfränkische Verschlafenheit klingt da mit – und doch ist dieses Deutschland Hauptschauplatz des Kalten Kriegs, auch wenn andere dabei die Fäden in der Hand halten.
Damals, in den sechziger Jahren, waren die Zeiten der Großmachtsphantasien schon lange vorbei. Die Bundesrepublik war ein politischer Zwerg, der daran arbeitete, unter dem Sicherheitsschirm der USA zum wirtschaftlichen Riesen zu werden. Und doch war es dieses beschauliche Ländchen, das ganz kleine Brötchen buk, in dem die beiden Supermächte das Weiße im Auge ihres Feindes sehen konnten. Vielleicht hat es ja sogar eine tiefere Bedeutung, wenn George Smiley, John le Carrés unvergesslicher Secret-Service-Mann, während seines Studiums der Literaturwissenschaft sich besonders passioniert der deutschen Literatur des Barock widmet – mithin jener Epoche, in der Deutschland in Folge des Dreißigjährigen Krieges in die Kleinstaaterei zerfiel.
Dass der Fremde das Eigene schärfer zu erfassen vermag als man selbst, ist ein Gemeinplatz – aber man muss ihn im Falle John le Carrés erneut bemühen: Er hat das Deutschland des Kalten Krieges erzählerisch ins Bild gesetzt. Er hat in seinem berühmtesten Roman „Der Spion, der aus der Kälte kam” die Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam zum geographischen Sinnbild der Block-Konfrontation werden lassen, wo die Geheimdienste aus West und Ost sich zum Agentenaustausch trafen – noch heute ein Ort, an dem einen das Glück der Wiedervereinigung geradezu körperlich anspringt. Für das Pathos wie für die Beschaulichkeit der politischen Situation der beiden Deutschlands hatte John le Carré ein Gespür wie kein zweiter. Als Mitarbeiter sowohl des British Foreign Office wie des britischen Geheimdienstes lebte le Carré, der nahezu akzentfrei Deutsch spricht, Anfang der sechziger Jahre in Bonn und in Hamburg.
Unschuld des Geschundenen
In diesen Tagen hat Arte einen Film über den großen Spionage-Autor gezeigt. Da sah man John le Carré, mit seinen 77 Jahren noch immer ein blendend aussehender Gentleman, im Garten seines hinreißend zum Meer hin exponierten Hauses in Cornwall. Zu seiner Linken, die Steilküste hinunter, erstreckte sich eine große Bucht, an deren anderer Seite ein Städtchen zu sehen war: „Wie sagte Theodor Storm über Husum? ,Die graue Stadt am Meer‘. Das dort ist meine graue Stadt am Meer.”
„Marionetten” heißt sein 21. Roman, und er spielt in Hamburg. Auf Englisch heißt das Buch „A Most Wanted Man”. Aber der deutsche Titel ist gar nicht schlecht. Im Grunde greift er ein altes Motiv auf. Zwar ist Deutschland mittlerweile ein souveränes Land. Wenn es aber um den Krieg gegen den Terror geht, wird es zum Vasallen Amerikas, und seinen Geheimdiensten bleibt auf ihrem eigenen Territorium nichts anderes übrig, als die transatlantischen Kollegen walten und schalten zu lassen. Keine der „Marionetten”-Figuren vermag souverän zu handeln, immer ziehen andere an den Strippen. Im Kleist’schen Sinne anmutig sind diese Marionetten nicht. Vielmehr werden sie ohne Rücksicht auf Verluste durch die Machtkämpfe der Weltpolitik geschleift, an ihren Fäden, mit polternden Körpern.
Issa, ein junger Moslem, gelangt illegal nach Deutschland. Annabel Richter, Tochter aus bester deutscher Juristen-Familie, arbeitet für die Organisation Fluchthafen, die politischen Flüchtlingen dabei hilft, ihren Aufenthalt in Deutschland zu legalisieren. Mit Issa hat sie einen schwierigen Fall. Er gibt sich als Tschetschene aus, spricht aber nur Russisch. Seine Frömmigkeit stellt er umständlich zur Schau, aber manchmal wirkt sie gerade deshalb wie zwielichtiges Kasperltheater. Er hat geradezu heiligenmäßige Züge kindlicher Unschuld. Dann wieder wirkt er mit seiner gestelzten Ausdrucksweise wie von allen guten Geistern verlassen. Sein Körper jedenfalls weist Spuren von Folter auf.
Die Geschichte, die Issa seiner Anwältin Annabel auftischt, ist haarsträubend: Sein Vater sei ein russischer Oberst der Roten Armee gewesen, der wie nur je ein grausiger Warlord in Tschetschenien gewütet habe. Er habe seine tschetschenische Mutter vergewaltigt, sich dabei aber in sie und damit auch in seinen Bastard-Sohn verliebt. Seine Mutter sei wegen der Schande von ihrer eigenen Familie getötet worden, während sein Vater ihn auf einem russischen Internat habe großziehen lassen.
Issa hasst seinen Vater und verehrt seine tote Mutter. Seine Loyalität gehört dem geschundenen tschetschenischen Volk. Der russische Geheimdienst hält ihn für einen gefährlichen Islamisten und hatte ihn hinter Gitter gebracht. Aber Issa gelang die Flucht. Und jetzt steht er nicht mit leeren Händen da. Von seinem Vater soll er ein gewaltiges Vermögen geerbt haben. Es ist schmutziges Geld, das weiß Issa, er möchte es deshalb islamischen Wohltätigkeitsorganisationen vermachen. Aber Hamburg ist auch die Stadt von Mohammed Atta, einem der 9/11-Attentäter. Da hatte der Verfassungsschutz des Stadtstaats auf ganzer Linie versagt. Entsprechend nervös sind jetzt alle. Der Erfolgsdruck bei den Geheimdiensten ist hoch. Die Briten, die Amerikaner sind anwesend und pfuschen den deutschen Diensten ins Spiel.
„Marionetten” erzählt davon, wie eine Politik, die mit der Angst spielt, ihre rechtsstaatliche Balance verliert. John le Carré hat während der Recherchen Murat Kurnaz interviewt, der nach Guantanamo verschleppt wurde. Die Terror-Paranoia schafft sich unter Umständen ihre eigenen Geschöpfe. Wenn die Agenten in „Marionetten” die Lage beschreiben, dann reden sie von den „verschlungenen Pfaden des Dschihadismus”. Dieser Roman führt meisterhaft vor, wie sich um ein Schlagwort eine ganze Sicherheits-Bürokratie bildet, ja, sich aus dem Begriff heraus eine eigene Handlungslogik entfaltet. In dieser Logik hat ein gläubiger Tschetschene, der uns wie Murat Kurnaz fremd und deshalb fanatisch vorkommt, keine Chance auf eine faire Beweisaufnahme. Im Zweifel für den Angeklagten – dieser Rechtsgrundsatz ist im Bann der Terrorangst aufgehoben.
Aber die Wege des Dschihadismus sind ja tatsächlich verschlungen; und le Carré ist niemand, der die Gefahr des Terrorismus unterschätzt. Was es mit Issa wirklich auf sich hat, das weiß auch sein Erfinder nicht. Klar ist nur, dass die Logik der Geheimdienste keine Rücksicht auf Verluste nimmt. Man klappt dies Buch stöhnend zu und möchte eine Welt, unsere Welt weit von sich weisen, in der es keine Möglichkeit gibt, sauber durchzukommen. IJOMA MANGOLD
JOHN LE CARRÉ: Marionetten. Aus dem Englischen von Sabine Roth und Regina Rawlinson. Ullstein Verlag, Berlin 2008. 368 S., 22,90 Euro.
John le Carré in seiner Londoner Wohnung Foto: Kirsty Wigglesworth/AP
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