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Mike Nelson, wegen seiner Körperfülle Moo genannt, lässt Beleidigungen und Prügel, die er in der Schule als verachteter Außenseiter oft einsteckt, an sich abprallen wie Regen. Sein Zufluchtsort ist eine Autobahnbrücke, von der aus er den Verkehr beobachtet, sich an Lichtern und Bewegungen berauscht. Dabei wird er Zeuge eines Vorfalls, den er nicht deuten kann: Ein Wagen drängt einen anderen ab, die Fahrer halten auf dem Standstreifen, geraten in Streit, ein Mann geht zu Boden. Später werden die Ermittlungsbehörden behaupten, der Fahrer des abgedrängten Wagens habe den anderen erstochen. Moo…mehr

Produktbeschreibung
Mike Nelson, wegen seiner Körperfülle Moo genannt, lässt Beleidigungen und Prügel, die er in der Schule als verachteter Außenseiter oft einsteckt, an sich abprallen wie Regen. Sein Zufluchtsort ist eine Autobahnbrücke, von der aus er den Verkehr beobachtet, sich an Lichtern und Bewegungen berauscht. Dabei wird er Zeuge eines Vorfalls, den er nicht deuten kann: Ein Wagen drängt einen anderen ab, die Fahrer halten auf dem Standstreifen, geraten in Streit, ein Mann geht zu Boden. Später werden die Ermittlungsbehörden behaupten, der Fahrer des abgedrängten Wagens habe den anderen erstochen. Moo aber hat genau gesehen, dass das nicht stimmt. Da es sich bei dem Beschuldigten um den berüchtigten Kriminellen Keith Vine handelt, den die Staatsanwaltschaft schon lange dingfest machen will, ist die Sache äußerst brisant: Was Moo gesehen hat, macht ihn zum Entlastungszeugen für Vine, doch will er das überhaupt sein?
Autorenporträt
Kevin Brooks, geboren 1959, wuchs in einem kleinen Ort namens Pinhoe in der Nähe von Exeter/Südengland auf. Er studierte in Birmingham und London. Sein Geld verdiente er lange Zeit mit Gelegenheitsjobs.
Für seine Arbeiten wurde er mit renommierten Preisen ausgezeichnet, u.a mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis und dem Buxtehuder Bullen. Für den Deutschen Jugendliteraturpreis wurde er innerhalb von fünf Jahren vier Mal nominiert und hat den begehrten Preis auch schon zwei Mal erhalten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2007

Wenn das Bewusstsein schreit
Der einzige Zeuge: Zwei Jugendbücher von Kevin Brooks

"Seit eh und je is' jeder Tag gleich - Eintag, Zweitag, Dreitag, Viertag, Fünftag, dann Ramschtag und Grautag." Der fünfzehnjährige Moo Nelson quält sich seit Jahren durch diese Sorte Woche. Das tranig-monotone Zusammenleben mit den Eltern, fixiert auf Essen und Fernsehen, ergänzt der immergleiche "REGEN" in der Schule: all das, was an Spott, Verachtung, Spucke und Prügel auf den 110-Kilo-Jungen niedergeht.

Jeden Nachmittag sieht Moo dann von einer Autobahnbrücke aus dem beruhigenden Fluss des Verkehrs zu. "Ich GUCK nich, um zu gucken, ich guck nich irgendwas AN. Ich guck nur runter." Auf der Brücke, der Wahlheimat seines geschundenen Ichs, entkommt er in eine Art Synkope: Mit den Schikanen und der heimischen Belanglosigkeit blendet Moo sein Bewusstsein aus. Eines Tages wird er dort Zeuge eines inszenierten Mordes, den die Polizei dem berüchtigten Kapitalverbrecher Keith Vine anhängen will, und gerät in den Würgegriff diametraler Interessen. Vines Freiheit hängt von Moos korrekter Aussage ab, die Polizei wiederum ist für ihren Coup auf seine Falschaussage angewiesen. Beide Seiten formulieren ihr Anliegen unmissverständlich mit Zuckerbrot und Peitsche. Zwischen den Fronten und uneins mit sich, geht Moo, wie er selbst es ausdrücken würde, der Arsch auf Grundeis. In der Schule aber macht das spektakuläre Ereignis aus der Persona non grata über Nacht den VIP Moo. Und der "Regen" bleibt aus.

Moo genießt die Schonzeit, gleichzeitig ekelt ihn das Getue um seine Person - und dass es ihm gefällt, ekelt ihn auch. Der international preisgekrönte britische Autor Kevin Brooks macht den inneren Disput des Fünfzehnjährigen in dessen Erzählen sichtbar. Moos furiose Stimme ist Motor und heimlicher Protagonist dieses Romans. Brooks gelingt der Husarenstreich, den Plot eines veritablen Thrillers in 400 Seiten Scream of Consciousness unterzubringen. Der Text, jugendlicher Slang, pure Mündlichkeit, platzt schier aus allen Nähten, er ist durchsetzt von Versal-, Kursiv- und Versalkursivmarkierungen. Der typographische Overkill lässt Moos Erzählen teilweise fast Tourette-artig ausschlagen - die Worte müssen raus, damit er nicht daran erstickt.

Die Gerichtsverhandlung gerät für den Jungen zum identitätspolitischen GAU. Auf dem Präsentierteller des Zeugenstands wird er vom Anwalt der Gegenseite systematisch demontiert, die Schmach seiner Fettleibigkeit bloßgestellt. Durch Brooks' kompromisslose Innenschau wird Moos Demütigung körperlich spürbar. Dieses öffentliche Mobbing vermag er nicht auszublenden. Halb ohnmächtig vor Scham, ist er gezwungen, die Situation auszusitzen. "Ich geh nich wieder hin, ich geh nich wieder hin, ich geh NIE wieder hin." Moo brennen später alle Sicherungen durch, in seiner Verzweiflung fasst er einen ungeheuerlichen Entschluss.

Der Roman "Kissing the Rain" ist laut, sein exaltierter Pegel eine Zumutung - und gleichzeitig sein schärfstes Argument. Genau so denkt Moo, so empfindet Moo, so zweifelt und verzweifelt Moo. Brooks beweist hier erneut ein vorzügliches Gespür für die sprachliche Kreation von Stimmung, Atmosphäre, Anschaulichkeit - und nicht zuletzt eine unverwechselbare Stimme.

Auch "Candy", im vergangenen Jahr auf Deutsch erschienen, ist ein Zwitter: tragische Liebesgeschichte und rasantes Abenteuer, pendelnd zwischen emotionalen Wogen, die bisweilen die Grenze zu Kitsch und Theatralik überschreiten ("Sie füllte meine Tage mit Schmerzen"), und filmreifer Action. An der Seite des Mädchens Candy treibt Brooks seinen bürgerlichen Helden Joe Beck durch London und Umland. Der Fünfzehnjährige hat sich die Rettung der heroinabhängigen Prostituierten zur Mission gemacht. In Gestalt von Candys Zuhälter Iggy erhält Joe einen Widersacher, wie er diabolischer kaum denkbar ist. Brooks muss da die scheußlichsten Visagen der Kulturgeschichte miteinander gekreuzt haben. Joe lädt das Mädchen zu einem Konzert seiner Band ein - mit fatalen Konsequenzen. Auf der Flucht vor Iggy verstecken sich die beiden in einem Cottage, wo Candy versucht, vom Heroin loszukommen. Ihre Sucht, das Auf und Ab der Gefühle, die Kollision zweier Welten - all das gewinnt Gestalt und Intensität in Brooks' bildreichem Duktus. Nach dem dramatischen Showdown endet das Buch mit einem verstörenden Epilog.

Allerdings fügt sich "Candy" dann doch allzu leicht in gewöhnliche Muster und Erwartungen. Die Figurenzeichnung - die Guten sind makellos, die Bösen das exakte Gegenteil, Grautöne gibt es nicht - impliziert mehr Moral, als dem Buch guttut. Es stellt sich die Frage, ob hier das anvisierte Publikum unterschätzt worden ist.

"Und darum geht es in der Musik - sie muss klingen, wie du dich fühlst." Es ist nicht leicht, Moo zu mögen; doch wegzuhören, wenn er spricht, ist undenkbar. Er klingt, wie er sich fühlt. Seine Geschichte wird bleiben, nicht zuletzt dank dem Timbre seiner Darbietung. Der Auftritt von Joe und Candy nimmt sich blass dagegen aus. Motivische Gemeinplätze (Arztsohn will gefallenes Mädchen retten und so weiter) und angestaubte Figurenkonstellationen kommen hinzu: "Candy" ist konventionell und leider nur allzu leicht verwechselbar.

SIMONE GIESEN

Kevin Brooks: "Kissing the Rain". Aus dem Englischen übersetzt von Uwe-Michael Gutzschhahn. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2007. 413 S., br., 12,- [Euro]. Ab 13 J.

Kevin Brooks: "Candy". Aus dem Englischen übersetzt von Uwe-Michael Gutzschhahn. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2006. 427 S., br., 10,- [Euro]. Ab 13 J.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

In gewohnter Manier und doch ein bisschen anders hat der Jugendliteraturpreisträger Kevin Brooks seinen neuesten Thriller für Jugendliche komponiert, so Ralf Schweikart. Geblieben ist die Grundkonstellation, der Einbruch "krimineller Energie" in den Alltag eines Halbwüchsigen. In diesem Fall ist es der fünfzehnjährigen Außenseiter Moo, der in der moralischen Zwickmühle steckt, einen Gangster entlasten zu können. Ebenso geblieben ist der spannungsgeladene Plot in Kombination mit dem hinreichend bekannten Täter-Opfer Schema, das Brooks bis "knapp unterhalb der Übersättigung" ausreize. Dies zusammen mit einer Prise Moral, in Gestalt der Wahrheitsfrage, die den jugendlichen Gerechtigkeitssinn berührt, ergibt die "unverwechselbare Stimme des Autors" resümiert Schweikart. In "Kissing Rain" kommt noch eine neue, sprachliche Ebene hinzu, führt der Rezensent weiter aus: Moo, der sich unversehens im Strudel der Ereignisse wiederfindet, die seine Aussage betreffen, bricht als "kathartische Offenbarung" in einen wilden Redeerguss aus, indem sich das ganze Dilemma und die Verzweiflung der Wahrheitssuche, der Frage nach der richtigen Entscheidung, entlädt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein mega-cooler Thriller, der keinen kalt lässt."
bangerang.de November/Dezember 2008