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Sequel to WOLF HALL, the story of the downfall of Anne Boleyn, second wife of Henry VIII of England. Winner of the Man Booker Prize 2012

Produktbeschreibung
Sequel to WOLF HALL, the story of the downfall of Anne Boleyn, second wife of Henry VIII of England. Winner of the Man Booker Prize 2012
Autorenporträt
Hilary Mantel wurde 1952 in Glossop, England, geboren. Nach dem Jura-Studium in London war sie als Sozialarbeiterin tätig. Sie lebte fünf Jahre lang in Botswana und vier Jahre in Saudi-Arabien. Im Jahr 2013 wurde sie mit dem David Cohen Prize for Literature ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2013

Herzensergießungen eines empfindsamen Raubtiers

Hilary Mantel ist die Großmeisterin des historischen Romans. Mit ihrem neuen Buch "Falken" setzt sie die Trilogie um den englischen Lordsiegelbewahrer Thomas Cromwell fort, der König Heinrich VIII. zu Diensten war.

Und so endet die Szene, auf die in diesem Buch alles hinausläuft: "Der Henker ruft scharf ,Gebt mir mein Schwert!', und der Kopf mit den verbundenen Augen fährt herum . . . Ein Ächzen ist zu hören, ein einziges Ächzen aller Anwesenden. Dann ist es still, und in diese Stille hinein erklingt ein Geräusch wie ein scharfes Seufzen oder wie das Pfeifen durch ein Schlüsselloch: Der Körper spuckt Blut, bald schwimmt die kleine, flache Gestalt in einer Pfütze davon."

Es gibt viele Gründe, die historischen Romane von Hilary Mantel zu lieben. Einer dieser Gründe ist ihre Genauigkeit. Wer die Fernsehserie "Die Tudors" gesehen hat, mit der Mantels Bücher Handlung und Schauplatz gemeinsam haben, erinnert sich an die pathetische Umständlichkeit, mit der die gleiche Szene, die Enthauptung der englischen Königin Anne Boleyn im Jahr 1536, darin geschildert wird: die wartende Menge, der Griff des Henkers nach dem Schwert, der zurückzuckende Kopf (ohne Binde), dazu ein Klagegesang vom Band, der wie Zuckerguss über die Bilder fließt. Ein sinnliches Detail aber fehlt in der Serie, und gerade an ihm bewährt sich Mantels erzählerische Phantasie: das Geräusch der Klinge.

Ein scharfes Seufzen, ein Pfeifen durch ein Schlüsselloch, das ist der Weg des Metalls durch die Luft. Der Aufprall der Waffe auf den Nacken, den sie glatt durchtrennt, bleibt hingegen ausgespart. Aber auch diese scheinbare Lücke ist ein Meisterstück der Präzision. Denn der Mann, mit dessen Blick die Geschichte erzählt wird, kann den Schlag nicht hören, weil er sich mitten in der Menge befindet, die vor dem Schafott auf die Knie gesunken ist. Es ist Thomas Cromwell, Master of the Rolls und königlicher Sekretär, der Mann, der diese Hinrichtung geplant, die Zeugen besorgt, die Beweise gesammelt und das Gericht zusammengestellt hat. Und doch bleibt er ein gewöhnlicher Zuschauer wie alle anderen auch.

Mit Hilary Mantel, kann man sagen, erreicht die Gattung des historischen Romans ihren dritten geschichtlichen Höhepunkt. Der erste lag im frühen neunzehnten Jahrhundert, als Walter Scott und Victor Hugo die neue Romanform erfanden, indem sie volkstümliche Überlieferung, romantische Phantasie und philologische Recherche miteinander verschmolzen. Der zweite folgte in den dreißiger und vierziger Jahren, als Schriftsteller wie Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger und Franz Werfel ihr Plädoyer für Toleranz, Menschlichkeit und Kunstfreiheit in die Erlebniswelt historischer Gestalten kleideten: der König Henri Quatre, der Maler Goya, der Historiker Flavius Josephus, die Verteidiger des Musa Dagh.

Der Kunstgriff Hilary Mantels besteht darin, dass sie das eine mit dem anderen verbindet. Sie nimmt die subjektive Sicht einer einzelnen Figur und betrachtet mit ihren Augen das Panorama des Spätmittelalters, wie es Hugo und Scott geschildert haben. Dabei hat sie weder humanistische noch andere äußere Zwecke im Sinn. Sie möchte ganz einfach, dass wir in die Empfindungen, Stimmungen und Wahrnehmungen ihres Helden hineinschlüpfen wie in eine zweite Haut. Ganz einfach? Es ist das Schwierigste überhaupt.

"Seine Kinder fallen vom Himmel. Er sieht sie vom Pferd aus, hinter ihm dehnen sich die Weiten Englands." So beginnt "Falken", der zweite Teil der Romantrilogie, die Hilary Mantel dem Sekretär und Lordsiegelbewahrer Heinrichs VIII. gewidmet hat, jenem Thomas Cromwell, dessen Name vor dem Erscheinen von Mantels Büchern nur Anglisten und Historikern vertraut war. Der erste Teil, "Wölfe", begann mit einer Tracht Prügel, die dem jungen Tom von seinem Vater verabreicht wurde, so dass er über den Ärmelkanal aufs europäische Festland floh.

Inzwischen ist Cromwell hinter dem König der mächtigste Mann in England, aber die Vergangenheit lässt ihn nicht los. Die Falken, mit denen er neben Henry, seinem Monarchen, jagen geht, tragen die Namen seiner toten Töchter. Immer wieder muss er an Thomas More denken, seinen Vorgänger, den er dem Henker überlieferte, weil More die zweite Ehe des Königs und dessen Loslösung von der katholischen Kirche nicht anerkennen wollte. Cromwell, der Mann, der "Crumb", "Kruste" genannt wird und, wie es in "Falken" einmal heißt, so undurchschaubar ist wie ein Fensterladen oder ein Stein, ist zugleich ein Gefühlsbolzen, ein Bündel schmerzlicher Erinnerungen. Die Faust, mit der er seine Feinde zerschmettert, birgt eine Pfauenfeder. Viel lieber als mit Stahl tötet er mit Tinte. Während Englands Barone beim Picknick übereinander lästern, steht er im Schatten und schreibt alles mit.

Die Figur Cromwells war für Hilary Mantel, wie sie sagt, ein Glücksfund. Wie groß dieses Glück ist, sieht man an Mantels erstem historischem Roman, "A Place of Greater Safety", den sie vor zwanzig Jahren schrieb und der 2012 auf Deutsch unter dem Namen "Brüder" erschien. In dieser Geschichte, die vor und während der Französischen Revolution spielt, irrt die Erzählerin von einer Figur zur anderen, von Desmoulins zu Danton und weiter zu Robespierre, ohne irgendwo einen Halt zu finden. Dagegen kann sie es sich in "Wölfe" und "Falken" leisten, die Perspektive Cromwells von Zeit zu Zeit zu verlassen, ohne den Fluss des Geschehens zu stören. Mantel selbst spricht von einer Filmkamera, die hinter dem Auge ihres Helden befestigt sei. Aber gelegentlich kann diese Kamera auch fliegen. Dann schwebt sie über den Dächern Londons oder den Wäldern Wiltshires, oder sie schweift mit Cromwell durch die Landschaften seiner Erinnerung. In "Falken" werden diese Ausflüge häufiger, denn mit zunehmendem Alter wird sich Cromwell bewusst, dass er mehr Vergangenheit als Zukunft besitzt. Sein Machtinstinkt zieht ihn voran, zu noch mehr Macht und zum Tod, während sein inneres Auge zurückschaut auf die Trümmerberge des Gestern wie der Angelus novus von Klee.

Im Herbst 1535, als die Erzählung einsetzt, hat Cromwell noch fünf Jahre zu leben. Sein größtes Werk ist getan: Er hat die Scheidung des Königs von seiner ersten Ehefrau Katharina von Aragón, die Anerkennung der Heirat mit Anne Boleyn und die Aufhebung der Klöster in England durchgesetzt. Cromwells Rolle ist ausgespielt. Aber das weiß er nicht. So wie niemand genau weiß, an welchem Punkt seines Lebens er steht in dieser Geschichte, in der es keinen allwissenden Erzähler gibt, nur das Kameraauge, das alles sieht.

Und doch stimmt jede historische Einzelheit, die in "Falken" erwähnt wird. Das Turnier, bei dem der König beinahe stirbt, fand 1536 wirklich statt. Der Botschafter des Heiligen Römischen Reiches an Heinrichs Hof hieß tatsächlich Eustace Chapuys. Aus der Spannung zwischen diesen objektiven Tatsachen und der Ungewissheit der Handelnden entsteht die Bewegung des Romans. Wir wissen, dass der König die Hofdame Jane Seymour, in die er sich am Anfang des Buches verguckt, am Ende geheiratet hat. Cromwell aber kämpft mit allen Tricks darum, diese Verbindung zu ermöglichen. Dabei geht er über Leichen. "Bring out the Bodies" lautet der Originaltitel des Romans. "Eine Totenparade, ein Wettbewerb der Leichen", das sei die Geschichte, heißt es darin einmal. Tacitus, an dessen Schreckensbilder man sich bei Hilary Mantel immer wieder erinnert fühlt, hätte dem nicht widersprochen.

Die Einmaligkeit der Figur des Thomas Cromwell liegt darin, dass er zugleich der große Strippenzieher ist und ein weißes Blatt. Über den historischen Cromwell ist, abgesehen von seinem Wirken am Hof und im Parlament, praktisch nichts bekannt. Er ist der Shakespeare der politischen Geschichte, ein Rätsel, das sich nur durch seine Taten offenbart. Im deutschen Sprachraum gibt es keine annähernd vergleichbare Gestalt. Man könnte an Wallenstein denken, über den Alfred Döblin und Golo Mann einen Roman und eine romanhafte Biographie verfasst haben, die beide zu Bestsellern wurden. Aber Wallensteins Großmachtpläne gingen mit ihm unter, während Cromwell die englische Reformation in Gang setzte und damit die Loslösung der Insel von den Machtverhältnissen des Kontinents, den ersten Schritt zum British Empire.

Ein weltgeschichtlicher Player. Und ein Getriebener. Die Gesandten des Kaisers und des französischen Königs, die katholische und die lutherische Hofpartei, die Hoffnung Heinrichs auf einen männlichen Erben und seine Angst, sich an Gottes Gesetz zu versündigen, das alles muss Cromwell in der Balance halten. In "Falken" meint man zu spüren, wie seine Arme beim Jonglieren langsam ermüden, aber noch reicht die Kraft, noch halten die Muskeln das Verhängnis auf Abstand. Hans Holbein der Jüngere hat den königlichen Minister so gemalt, als Advokaten mit Raubtiergesicht. In "Wölfe" wollte sich Cromwell so nicht sehen, in "Falken" wird er seinem Porträt immer ähnlicher.

Trotz aller sprachlichen Meisterschaft, die schon "Wölfe" zum Leuchten brachte, ist dies unverkennbar das Mittelstück einer Trilogie. Die Protagonisten sind bekannt, jetzt müssen die Achsen der Erzählung geschmiert, die Wagenräder in Gang gehalten, zukünftige Wendungen vorbereitet werden. Der Glanz des neuen Buches ist auch ein Arbeitssieg; gerade im zweiten Teil, der die Aktenlage im Prozess gegen Anne Boleyn dialogisch entfaltet, wird die Anstrengung sichtbar, die historische Wahrheit und den subjektiven Blick darauf unter einen Hut zu bringen. Und doch gibt es auch hier wieder Stellen, die das Herz des Lesers höher schlagen lassen. Der Blick eines Höflings beim Verhör, schreibt Mantel etwa, "gleitet zur Seite wie ein Stück Seide über Glas". Es ist wie bei den flämischen Malern, die auf ihren Heiligenbildern erst zuletzt die Lichtpunkte setzten, durch die sich die Leinwand belebte. Am Ende sind es einzelne Sätze, die über den Rang und die Lebendigkeit eines Romans entscheiden.

Als das Haupt der Königin gefallen ist, wickelt es der Henker in ein Leinentuch und übergibt es ihren Dienerinnen. Sie heben das, was von Anne Boleyn übrig ist, in eine Holztruhe. "Eine tritt vor, nimmt den Kopf und legt ihn, allein dort ist genug Platz, neben die Füße der Königin. Dann richten sie sich auf, alle von ihrem Blut durchnässt, gehen steif davon und schließen die Reihen wie Soldaten." Hilary Mantel hat den historischen Roman, den man ans Kostümfernsehen und die Dampfplauderer aus den Schmökermanufakturen verloren glaubte, nicht nur renoviert. Sie hat ihm ein zweites Leben gegeben, eine Heimat in der großen Literatur.

ANDREAS KILB.

Hilary Mantel: "Falken". Roman.

Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. Dumont Verlag, Köln 2013. 480 S., geb., 22,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.02.2013

Hilary Mantel ist die Königin des historischen Romans Jetzt erscheint „Falken“, der zweite Teil ihrer Trilogie über Thomas Cromwell
Das Buch
der Schmerzen
Meisterhaft erzählt Hilary Mantel in der Fortsetzung
ihrer Tudor-Saga vom Sturz der Anne Boleyn
VON JOACHIM KÄPPNER
Für die Nachwelt war Thomas Cromwell (1485-1540) der Inbegriff des Bösen: der heimliche Herrscher am Hof König Heinrichs VIII.; der Kirchenfeind, der die Klöster beraubte; ein Schattenmann, der die Macht des Herrschers für seine Zwecke missbrauchte; ein Politiker ohne Moral, ein Machiavellist.
  Wirklich? „Er erinnert sich, Machiavellis Buch gelesen zu haben, ganz für sich in den dunklen Tagen nach dem Tod seiner Frau: jenes Buch, das gerade anfängt, so viel Staub aufzuwirbeln. Das Buch in den Händen haltend, hatte er sich gesagt, du kannst keine Lehren aus italienischen Fürstentümern auf Wales und die Grenzen im Norden übertragen. Wir funktionieren nicht auf die gleiche Weise. Das Buch schien ihm fast trivial.“
  So beschreibt die britische Autorin Hilary Mantel die Gedanken eines der ungewöhnlichsten Helden der jüngeren Literatur. Dieser Held ist Thomas Cromwell, dessen Aufstieg sie im ersten Band „Wölfe“ so großartig beschrieben hat, dass sie dafür den Booker-Preis erhielt. Jetzt erscheint unter dem Titel „Falken“ die deutsche Fassung der Fortsetzung, kongenial übersetzt von Werner Löcher-Lawrence. Das Original, „Bring Up the Bodies“, hat diese höchste englische Literaturauszeichnung im Herbst 2012 erneut erhalten. Erst zwei Autoren hatten das vor Mantel geschafft.
  Historische Romane boomen: tapfere Recken, schwarze Ritter, böse Königinnen, anmutige Konkubinen. Manche dieser Bücher sind unterhaltsam, sogar spannend, einigen wenigen gelingt es, den Leser halbwegs in die Zeit zu entführen, von der sie handeln. Die meisten sind Geschwätz, Trivialitäten im Kostüm der Vergangenheit. Es gibt historische Romane, die selbst Literaturgeschichte wurden. Felix Dahns „Ein Kampf um Rom“ (1876) über den Untergang der Ostgoten in Italien spiegelte weniger die realen Könige Totila und Teja als vielmehr den Patriotismus der deutschen Kaiserzeit, als er schon dabei war, ins Eifernde umzuschlagen. „Vom Winde verweht“ (1937) von Margaret Mitchell ist die große, schönfärberische Gegenerzählung des 1865 geschlagenen Südens in den USA, der versunkenen Welt der Sklavenplantagen und Herrenhäuser. Diese Bücher schildern eine Welt nicht, wie sie war, sondern wie ihre Verfasser sie gerne gehabt hätten.
  „Wölfe“ und „Falken“ sind von ganz anderem Kaliber: große Literatur, zeitlose Beschreibung der Condition humaine. Moral und Unmoral, das ist Kern der beiden Bücher, sind als Kategorien unumstößlich und im menschlichen Handeln doch so schwer zu fassen. Als königlicher Sekretär und Master of the Rolls ist Cromwell, der Sohn eines Schmieds und ehemalige Söldner, im Jahr 1536 der wichtigste Berater des Königs. Henry VIII. hat sich, wie im ersten Buch geschildert, mit seiner Hilfe von der ungeliebten ersten Frau Katharina von Aragon scheiden lassen und die umschwärmte Anne Boleyn geheiratet. Die Scheidung führte zum Bruch mit dem Papsttum, was Cromwell beabsichtigt hat, es ist sein Masterplan, das englische Königtum frei und unabhängig von Rom und den katholischen Fürsten zu machen.
  Das alles erzählt Hilary Mantel ohne Schlachtenlärm und Historienspektakel. Sie schreibt das ganze Buch aus der Perspektive ihrer Hauptfigur; doch ist er nicht „ich“, sondern „er“. Cromwell denkt über die Kirche nach: „Folgt man den Hütern heiliger Reliquien, besteht ein Teil der Macht dieser Artefakte darin, sich vervielfältigen zu können. So erblüht die Dornenkrone. Das Kreuz Christi bringt Knospen hervor, es wächst wie ein lebender Baum. Fingernägel gebären Fingernägel. (. . .) ,Und dann heißt es, ich arbeite mit faulen Tricks?‘ Er sinniert.“
  Hilary Mantels Kunst ist es, den Leser in ein fernes Jahrhundert zu versetzen, in das Denken, Leben und Fühlen jener Zeit; es ähnelt dem unseren, aber es ist überhaupt nicht dasselbe. Die Welt hat sich aus dem Mittelalter erhoben, doch bleibt sie unablässig bedroht: durch Krankheiten, Kriege, Unverstand, Willkür. Der wirkliche Cromwell versuchte, ihr Strukturen zu geben: klare Gesetze, eine gefestigte Königsmacht, Ordnungen des Zusammenlebens.
  In dem Buch „Falken“ wird er auf die Höhe seiner Macht getragen und doch bereits von den Ereignissen überrollt, die er selbst in Gang gesetzt hat. Das Buch spielt in einem einzigen Jahr, 1536. Anne Boleyn hat dem König keinen männlichen Erben geboren. Die Tochter, Elizabeth, genügt ihm nicht als Stütze seiner schmalen dynastischen Macht – ein historischer Treppenwitz übrigens, denn das kleine Mädchen begründete später als Elizabeth I. die britische Großmacht. Henry VIII. verlangt nach einer anderen, aus politischen wie lüsternen Erwägungen, der jungen Jane Seymour. Er ruft Cromwell in sein Schlafgemach. „Was, wenn ich annehmen müsste, dass es einen Makel in meiner Ehe mit Anne gibt, ein Hemmnis, etwas, was dem Allmächtigen missfällt?“ Mantel schreibt weiter über Cromwell: „Er hatte das Gefühl, Jahre zurückgetragen zu werden. Er lauschte dem gleichen Gespräch, nur war der Name der Königin damals Katherine.“
  Und Cromwell wird der Mann sein, der den König auch aus dieser zweiten Ehe löst. Cromwell kann nicht mehr zurück, will er seine Position, gar sein Leben behalten, will er seine Ideen und Reformen durchsetzen. Er wird Anne stürzen.
  Der Maler Hans Holbein hat die beiden porträtiert. Cromwell ist ein massiger Mann, wie ein Fels, mit harten Augen, kein Tyrann, aber jemand, der Furcht verbreiten kann. Anne Boleyn ist schön, aber nicht minder hart, sie trägt die Züge einer Herrscherin, die entschlossen ist, Widerstand zu brechen, selbst wenn dieser Widerstand Thomas Cromwell heißt.
  Cromwell umstrickt sie in einem Machtkampf, den nur einer lebend überstehend kann, mit Indizien für ihre Untreue. Seine Gegner sind keineswegs moralisch erhaben: intrigante Höflinge, skrupellose Kleriker. Sie alle stehen der besseren Ordnung der Dinge im Weg, sie haben Cromwell schon immer gehasst, seinen großen Gönner, den Kardinal Wolsey, in den Tod getrieben. Damals „sahen sie Thomas Cromwell an der Vertäfelung lehnen, stumm und in schwarze Trauerkleider gehüllt“, und haben wilde Späße gemacht. Es ist eine beklemmende und zugleich fesselnde Lektüre, wie er sie einen nach dem anderen niederwirft. Da ist Henry Norris, „Spinner von Seidenfäden, Spinne der Spinnen, das schwarze Zentrum des mächtigen, tropfenden Netzes höfischer Vetternwirtschaft“, nun im Kerker, mit Cromwell konfrontiert. Der spürt die Angst des Gestürzten: „Wenigstens hat der Bursche genug Verstand, um zu verstehen, worum es hier geht, denkt er, nicht um den Groll eines oder zweier Jahre, sondern um einen großen Auszug aus dem Buch des Schmerzes, das er seit dem Tod des Kardinals mit sich herumträgt.“
  Die Königin wird diesen Kampf verlieren, als zweite von sechs Frauen Henrys. Frühere Generationen englischer Schüler lernten einen Schüttelreim auswendig: „Anne Boleyn was his second wife / He swore to cherish her all his life – / But seeing a third he wished instead, / He chopped off poor Anne Boleyn’s head.“ (Anne Boleyn war seine zweite Frau. Er schwor, sie sein Leben lang zu ehren. Aber als er eine dritte sah, die er lieber haben wollte, schlug er der armen Anne den Kopf ab.)
  Mit ihrer Hinrichtung endet das Buch. Vier Jahre später, 1540, wird Cromwell über eine Hofintrige stürzen und ihr Schicksal teilen. Davon handelt der dritte Band, an dem Hilary Mantel gerade schreibt.
Diese Erzählerin versteht es,
den Leser in ein fernes
Jahrhundert zu versetzen
Mit der Hinrichtung Anne Boleyns
endet das Buch – die Autorin
schreibt am dritten Band
  
  
    
Hilary Mantel : Falken. Roman. Aus dem
Englischen von Werner
Löcher–Lawrence.
DuMont Buchverlag,
Köln 2013. 479 Seiten,
22,99 Euro.
Das um 1530 entstandene Holbein-Porträt prägt bis heute die Vorstellung von Thomas Cromwell.
FOTO: HULTON ARCHIVE/GETTY IMAGES
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