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Wie macht Haydn seine musikalischen Witze? Wie bringt Mozart Tonarten zum Sprechen? Warum ist die "Hammerklaviersonate" nicht typisch für Beethoven? Charles Rosen entwickelt aus sensiblen, genauen und gleichzeitig spannenden Analysen heraus seine Interpretation der drei großen Klassiker Haydn, Mozart und Beethoven.

Produktbeschreibung
Wie macht Haydn seine musikalischen Witze? Wie bringt Mozart Tonarten zum Sprechen? Warum ist die "Hammerklaviersonate" nicht typisch für Beethoven? Charles Rosen entwickelt aus sensiblen, genauen und gleichzeitig spannenden Analysen heraus seine Interpretation der drei großen Klassiker Haydn, Mozart und Beethoven.
Autorenporträt
Charles Rosen, geb. 1927 in New York. Pianist, Musikologe, Musikschriftsteller und regelmäßiger Musikkritiker der 'New York Review of Books'. Seinen Ruhm als Autor begründete der Band 'Der klassische Stil: Haydn, Mozart, Beethoven', für den er 1972 den National Book Award for Arts and Letters erhielt und der ein Welterfolg wurde. 'Musik der Romantik' ist sein zweites Buch. Rosen lebt als emeritierter Professor in New York und Paris, reist als Pianist und Vortragender durch die ganze Welt. Er wurde zuletzt 1998 mit dem Truman Capote Award for Literary Criticism ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2002

Sinntreue

Über den Nutzen der Musikforschung für die musikalische Praxis gehen die Meinungen auseinander, und die Verachtung, die Musiker und Musikwissenschaftler gelegentlich füreinander empfinden, scheint unausrottbar. Um so höher steigen im allgemeinen Prestige diejenigen, die musikalische Kunst und Wissenschaft miteinander zu verbinden imstande sind. Der Dirigent und Musikwissenschaftler Peter Gülke etwa gehört zu ihnen und auch der Klaviervirtuose Stefan Litwin. Besondere Prominenz aber hat Charles Rosen mit diesem Spagat errungen, der amerikanische Pianist und Autor von "The Classical Style" und "The Romantic Generation". Es sind Bücher, die gerade in Deutschland nicht nur aufgrund ihrer einnehmenden Mischung aus Spracheleganz und Gelehrsamkeit Furore machten, sondern auch, weil sie ihre Urteile nicht aus einem wie auch immer gearteten weltanschaulichen Überbau, sondern aus profunder praktischer Erfahrung im Umgang mit der Musik herleiteten.

Es verwundert nicht, daß Charles Rosen ein gefragter Gast bei Festivals und Sommerkursen ist. Im letzten Jahr hat er alle Beethoven-Sonaten beim Festival in Pontina aufgeführt und ergänzend dazu ein Seminar über sie in Sermoneta abgehalten. Die Frucht der Unternehmung ist ein neues Buch (Beethoven's Piano Sonatas. A Short Companion. Yale University Press 2002). Ihm beigefügt ist eine CD mit Musikbeispielen, die Rosen auf einem Bechstein-Flügel von 1879 aufgenommen hat gemäß seiner Ansicht, Musik klinge häufig auf jenen Instrumenten besser, deren Konstruktion sie ausgelöst hat, als auf jenen, die dem Komponisten zur Verfügung standen.

Das ist ein typisch Rosenscher Gedankengang: Gegen die allgemeine Überzeugung unter Verfechtern einer "Historischen Aufführungspraxis", für eine "authentische" Wiedergabe von Musik sei ein Instrument (oder dessen Kopie) aus der Entstehungszeit der Musik unabdingbar, setzt Rosen eine Auffassung, die nicht weniger "historisch informiert" ist als jene, aber die Rezeptionsgeschichte mitbedenkt und so weitere Aufführungsoptionen eröffnet, ohne andere auszuschließen. Rosen ist Pragmatiker: Er sagt, er habe "immer gefühlt", daß jene späteren Instrumente besser geeignet seien. Auch den modernen Konzertflügel möchte er nicht verdammen, sondern sieht ihn in Zusammenhang mit modernen Konzertsälen und ihren großen Zuhörerzahlen: Der größere Raum benötigt eine größere Tragfähigkeit des Klangs. So bilanziert er Verlust und Gewinn der Veränderungen im Klavierbau.

Auf ähnliche Weise macht er historisches Wissen für Abwägungen nutzbar, wenn es um Phrasierung, Tempo, Pedalgebrauch und die Ausführung von Trillern in den Sonaten Beethovens geht. Was letztere betrifft, so sei Beethoven selbst, wie eine Skizze zum Ende des Finalsatzes der Waldsteinsonate zeige, unsicher über die richtige Ausführung gewesen. Die richtige Gestaltung der Triller bei Beethoven könne also nicht auf dem Versuch, eine "auktoriale" Fassung zu rekonstruieren, basieren, sondern nur auf einer genauen Analyse der individuellen Funktion jedes Trillers im musikalischen Zusammenhang. Für Rosen ist historisches Wissen Voraussetzung zur künstlerischen Freiheit.

Auf der beiliegenden CD führt Charles Rosen anhand einer Fülle von Beispielen den Nachweis, daß zur Zeit Beethovens durchaus ein Konsens darüber bestanden habe, welches Tempo mit der Bezeichnung "Allegretto" gemeint sei. Den Nachweis erbringt er, indem er vorführt, daß sich sämtliche eingespielten Allegrettos im selben Tempo exekutieren lassen. Man läßt sich von der Richtigkeit der These gerne überzeugen, ist aber doch erstaunt darüber, wie steif und uninspiriert hier Rosens Vortrag ist. Die musikalische Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnis gerät zur geistlosen Etüde. Gewiß würde Rosen jedes Allegretto für sich anders und freier spielen; dennoch zeigt die Aufnahme, daß die musikalische Wissenschaft für die Praxis, auch wenn ihr Anspruch sich darauf beschränkt, weitere Interpretations-Optionen zu eröffnen, anstatt den einzig richtigen Weg zu weisen, nicht in einem direkten Sinne nützlich sein kann.

Worin aber besteht dann der Nutzen? Seit den dreißiger Jahren spielen Komponisten ihre eigenen Werke auf Platte ein; das verschafft die Gelegenheit, Musik, die schon vor hundert Jahren komponiert wurde (also hinreichend "historisch" ist), in einer Interpretation des Komponisten zu hören und Noten- und Klangbild miteinander zu vergleichen. Edward Elgar etwa - der erste Komponist überhaupt, der einen Großteil seiner Werke auf Schallplatte bannte - füllte seine Partituren mit unzähligen Vortragsanweisungen, die kleinste Nuancen bezüglich Tempo, Dynamik und Artikulation festhielten. Lauscht man seinen Aufnahmen, dann wird klar, daß der Komponist sich nur teilweise an die eigenen Vorgaben hält, dafür zahlreiche andere Nuancierungen vornimmt. Was zwischen Partitur und Aufnahme übereinstimmt, ist nicht der Wortlaut, sondern der Sinn der Eintragungen: Flexibilität und Nuancenreichtum werden hie notiert, dort (anders) erzielt.

Es gibt keinen vernünftigen Grund, daran zu zweifeln, daß solcherart immer schon das Verhältnis von Noten- und Klangbild war. Der Prozeß, durch den musikwissenschaftliche Forschungsergebnisse für die Praxis rezipiert werden, müßte genau diese Freiheit vom überlieferten Dokument zum Ergebnis haben, indem er, paradox, das Wissen über die richtige Empfindung bereichert. An seinem Ende wüßte man dann, was gemeint ist.

MICHAEL GASSMANN

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