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Nach ihrem Bestseller 'Familienleben' schreibt Viola Roggenkamp die Geschichte der deutsch-jüdischen Hamburger Familie fort.
Paul war kein Held, urteilt die Tochter über ihren Vater. Und ausgerechnet er hat seine jüdische Geliebte und deren Mutter vor der Deportation gerettet: Papiere gefälscht, die Gestapo in Berlin ausgetrickst und in Krakau im Schleichhandel Geld gescheffelt auf Kosten der Nazis. Wie hat er das gemacht? Genügt es, verliebt und jung zu sein? Er hatte Angst, und er war nur ein kleiner Angestellter. Um auf seiner Beerdigung eine Rede zu halten, spürt die Tochter seinem…mehr

Produktbeschreibung
Nach ihrem Bestseller 'Familienleben' schreibt Viola Roggenkamp die Geschichte der deutsch-jüdischen Hamburger Familie fort.

Paul war kein Held, urteilt die Tochter über ihren Vater. Und ausgerechnet er hat seine jüdische Geliebte und deren Mutter vor der Deportation gerettet: Papiere gefälscht, die Gestapo in Berlin ausgetrickst und in Krakau im Schleichhandel Geld gescheffelt auf Kosten der Nazis. Wie hat er das gemacht? Genügt es, verliebt und jung zu sein? Er hatte Angst, und er war nur ein kleiner Angestellter. Um auf seiner Beerdigung eine Rede zu halten, spürt die Tochter seinem Leben nach und gerät dabei in eigene Katastrophen. Viola Roggenkamp erzählt ebenso leicht wie bildmächtig die Geschichte einer Vater-Tochter-Beziehung und die Suche nach der Vergangenheit als Weg ins eigene Leben.
Autorenporträt
Roggenkamp, ViolaViola Roggenkamp, in Hamburg geboren, aus deutsch-jüdischer Familie, Studium der Psychologie, Philosophie und Musik. Sie reiste und lebte mehrere Jahre in verschiedenen Ländern Asiens und in Israel. Als Schriftstellerin und Publizistin lebt sie heute wieder in Hamburg. 2004 erschien ihr Roman 'Familienleben', ein Bestseller, übersetzt in mehrere Sprachen, 2005 ihr großer Essay 'Erika Mann. Eine jüdische Tochter' und 2009 der Roman 'Die Frau im Turm'. Zuletzt erschien 2011 ihr Roman 'Tochter und Vater'.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2011

Acht Jahre lang täglich ein Held

Kompositorisches Kunststück und filmreife Detektivgeschichte: Viola Roggenkamps Roman "Tochter und Vater" erzählt von einer Hamburger Juristin, die sich nach Papas Tod auf eine Reise in die Erinnerung begibt.

Der neue Roman von Viola Roggenkamp, erzählt von einer wohlorganisierten, wenn auch nicht ganz fertig studierten Juristin, hat die luzide klassische Bauform einer analytischen Geschichte. Während der Vater an Lungenkrebs stirbt - wo gibt es eine so unsentimentale und doch zarte Beschreibung eines Sterbenden? -, übergibt er der Tochter sein Vermächtnis in Form einer Brieftasche mit Einzelstücken, die sie auf eine Suchreise in die Erinnerung schicken, bis daraus eine wirkliche Autofahrt in die Vergangenheit und nach Polen wird.

Da sie eine Totenrede halten will, kommen ihr neben umfangreichen, aber lückenhaften Aufzeichnungen des Vaters die Funde aus der Brieftasche nach und nach zu Hilfe. Ein Notizbuch, eine gefälschte Kennkarte, ein Zettel mit unverständlicher Aufschrift, eine Zloty-Note, ein jüdisches Türzeichen, die Mesusa: Alles wird zum Auslöser von Erkennungen, die, auf dem Höhepunkt der Erzählung, in schwerer emotionaler Belastung vor sich gehen. Anagnorisis (Wiedererkennung) nannte schon Aristoteles dieses Verfahren, lobte es und dachte an den "Ödipus". Hier freilich regiert nicht das ödipale Elend, das üblicherweise mit dieser Form verbunden ist. Wo sich sonst die Familienunseligkeiten überstürzen, hellen sich hier vielmehr die schwierigsten Verhältnisse auf.

Die Eltern - ein wunderbares Paar der unerschütterlichen Liebe; der Vater - kein Schlappschwanz, Feigling und müder Versager, wie man meint, sondern in Wahrheit ein Held, obwohl das Wort nicht passt, "acht Jahre lang täglich, alltäglich ein Held", vielleicht der einzige Gerechte unter den Deutschen; die Tochter - kein Wunder, dass sie trotz allen Widerstrebens ein neues Einverständnis mit ihrer doppelten Identität gewinnt. Der filmreife Detektivroman der Erinnerung, den Viola Roggenkamp schreibt, ist ein Anti-Ödipus.

Seine eigentliche Brisanz erhält das kompositorische Kunststück aber erst durch die jüdisch-deutsche Katastrophengeschichte, der es eingefügt wird. Paul, der Vater, ist Deutscher, die Mutter Alma und die Großmutter Hedwig sind Jüdinnen. Ihre Geschichte spielt in den dreißiger und vierziger Jahren unter den Bedingungen von Krieg und Terror, steht eigentlich permanent unter Todesgefahr und wird doch begünstigt von einem schier unfassbaren Glück, das alle heil davonkommen lässt. Der seltsame Schmied dieses Glücks ist der Vater. Verliebt und nichts sonst - "Er las viel, und er weinte gern beim Lesen", heißt es über ihn -, wird er zum Genie der List, die selbst die Nazis in ihrer Berliner Gestapo-Zentrale außer Gefecht setzt und aus gefälschten und geraubten Scheinen und Dokumenten, Stempeln und Pässen ein Netz neuer Identitäten aufbaut, das bis zum Kriegsende hält und die Jüdinnen rettet. Vor diesem Genie verbeugt sich die kühle und gründlich misstrauische Tochter. In der Erinnerungsarbeit Statur gewinnend, wird sie zur Tochter ihres Vaters. Obwohl sie sich der Ordnung gemäß als Jüdin fühlt - "Ist die Mutter Jüdin, sind die Kinder Juden". Obwohl sie ihr Jurastudium abgebrochen hat, weil sie sich nicht vorstellen konnte, "irgend jemanden in Deutschland zu verteidigen". Obwohl sie erklärt: "Jüdisch und deutsch. Eine irrsinnige, eine blödsinnige, eine völlig meschuggene Mischung."

Man kennt die Familie aus Viola Roggenkamps Erfolgsroman "Familienleben" (2004). Der hatte genug mit der Gegenwart der späten sechziger Jahre zu tun, jetzt, gut zwanzig Jahre erzählter Zeit später, wird die frühe Liebesgeschichte der Eltern, die wie ein Glücksgestirn über der Familie schwebt, nachgeholt und wie ein Puzzle zusammengesetzt. Man erlebt die Rückverwandlung des mäßig erfolgreichen Vertreters für Brillengestelle, der am Freitagnachmittag von der Verkaufsfahrt nach Hause kommt, in den Helden dieser unglaublichen Geschichte. Denunziation und Strafkompanie, "Rassenschande" und Konzentrationslager stehen am Anfang.

Die Vernichtung Hamburgs im Sommer 1943 verlagert sie nach Krakau und beschert ihr, nur wenige Kilometer von Auschwitz entfernt, eine Zeit des Glücks. "Manchmal war es diesem Mann und dieser Frau, die später ihre Eltern geworden waren, gutgegangen, richtig gut, und ausgerechnet in Polen. Wie konnte es ihnen gutgehen? Um welchen Preis?" So fragt die Erzählerin, aus einer Ohnmacht erwachend, in Panik, hat sie doch gerade gehört, dass ihr Vater "Verbindungsmann zum Wirtschaftsverwaltungshauptamt Zweigstelle Krakau" gewesen war, Verbindungsmann einer Firma, die sich am Besitz der deportierten Juden bereicherte.

Was sie dann erfährt, im Kreis ehemaliger polnischer Widerständler, die sich nach über vierzig Jahren noch gut erinnern, über die unprätentiöse und listige Menschlichkeit ihres Vaters, den Einbruch im Krakauer Präsidium, um einen Stempel zu erbeuten, den Schleichhandel im großen Stil, für den selbst Lastwagen kein Problem sind, die Rückkehr der Frauen in den Westen, während die Züge mit deportierten Juden entgegenkommen, wischt alle Schatten und Zweifel weg.

Ihre Mission ist erfüllt. Ohne Auschwitz zu besuchen, kehrt die Tochter nach Hamburg zurück. Jetzt kann sie die Totenrede halten und ihren Vater preisen, den einzigen Gerechten unter den Deutschen. Auch ein Text des Vaters findet da seinen Platz. "Sie hatte ihn so oft gelesen, sie konnte ihn auswendig." Er handelt von den Torturen der Strafkompanie und beginnt mit einem doch unerlaubten Vergleich, der sie lange beunruhigt hatte: "Es war in vielen Dingen der Hölle der Konzentrationslager vergleichbar." Jetzt wird dieser Vergleich zugelassen. Acht Monate Strafkompanie heißt ja auch: Paul wusste, was ihn erwartete, und er wagte trotzdem alles.

Dass die Tochter ihre Rede dann doch nicht hält, weil sie während der Bestattungsfeier an das Bügeleisen denken muss, das sie womöglich nicht ausgemacht hat, zeigt, wie Viola Roggenkamp das Pathos, das sich da zusammengeballt hat, unterläuft. Auch sonst hat sie für allerlei Zutaten gesorgt, die das Erinnerungstableau nicht übermächtig werden lassen, darunter Unfall, Fahrerflucht und einen dabei zu Schaden gekommenen Soldaten, der sich freilich als quicklebendig erweist. Erzählerisch liegt ihr der Alltag. Zwar kann sie auch ganz anders, es gibt eine geradezu expressionistische Passage über den Untergang Hamburgs, ferner Traumsequenzen und narratives Eindringen in Bewusstseinsströme. Durchweg aber herrscht ein behendes Parlando, elliptisch, etwas atemlos, nicht lange fackelnd. Die Sprache einer hanseatisch-jüdischen Juristin eben. Dass sie ihre Totenrede nicht hält, hat auch einen Vorteil: Sie steht stattdessen als fesselnder Roman auf dem Papier.

HANS-JÜRGEN SCHINGS.

Viola Roggenkamp: "Tochter und Vater". Roman.

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 269 S., geb., 18,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Beeindruckt berichtet Jürgen Verdofsky von seiner Lektüre dieses neuen Romans von Viola Roggenkamp, die auch in "Tochter und Vater" an ihrem Lebensthema arbeitet: das Schicksal jüdischer Familien in Deutschland während des Holocausts und danach. Im neuen Roman geht es um Paul und seine Liebe zu dem jüdischen Mädchen Alma, das er zusammen mit der Mutter vor der Verfolgung der Nazis schützt. Jahrelang schützt er sie, versorgt sie mit falschen Papieren und versteckt sie ausgerechnet im besetzten Polen. Bemerkenswert findet der Rezensent, der sich im Übrigen mit Urteilen zurückhält, besonders Roggenkamps "experimentelle" Technik, die die Gesetze des Erzählflusses außer Kraft setze, indem sie immer wieder neu ansetze. Die titelgebende Tochter will Pauls Geschichte bewahren, bohrt immer wieder nach und verhandelt Fragen über Schuld und Unschuld, Anstand und Versagen. Am Ende weiß Verdofsky: "Es gibt keine Idee vollendeter Rettung, guter Vorsatz genügt nicht."

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