Sperrmüll, 1983

Hamburgs große Abfuhr
Mitarbeit:Diederichsen, Diedrich;Fotos:Henning, Thomas

• Gebundenes Buch

Produktbeschreibung

'Sperrmüll war ein Termin, an dem die Ordnung der bürgerlichen, diesseitigen Welt außer Kraft gesetzt wurde. Für die Hamburger Verwaltung muss es jedenfalls bedrohlich ausgesehen haben. Denn die für die Abschaffung vorgegebenen Kosten- und Rationalitätsgründe überzeugten nicht einmal die Leserbriefschreiber von Springers Abendblatt. Der Straßensperrmüll bedeutet vor allem die Aufhebung des Eigentumsbegriffs. Was auf der Straße lag, gehörte allen, 'Mein und Dein' war außer Kraft. Alles darf angefasst, begrabbelt, auch auseinandergenommen, zerlegt und kaputtgemacht werden. Kein Besitzer ist da, der sein Eigentum schützt oder seine Ware gegen Geld tauschen will. Die Dinge, die da in unförmigen planlosen Haufen liegen, stecken, zwischen anderen Dingen klemmen, sind plötzlich aus der Warenwelt herausgefallen, kennen keinen Eigentümer, Hersteller oder Käufer mehr, sind wie nichts, ohne Referenz. Und doch sind sie ganz massiv materiell vorhanden. Sie sind wie die Menschen, die sie befingern und aufheben, eine Randgruppe, eine Randgruppe der Dingwelt. Waren-Zombies.' Diedrich Diederichsen, konkret 10/83

Produktdetails

• Verlag: Junius Verlag
• 1. Auflage
• Seitenzahl: 128
• Erscheinungstermin: 22. April 2014
• Deutsch
• Abmessung: 259mm x 199mm x 13mm
• Gewicht: 662g
• ISBN-13: 9783885060420
• ISBN-10: 3885060426
• Artikelnr.: 40136065

Autorenporträt

Henning, ThomasThomas Henning wurde 1952 in Lübeck geboren, wuchs in Hamburg und an der Ostsee auf und studierte Kommunikations-Design in Hamburg, wo er seit 1976 als Fotograf und Grafiker im Schanzenviertel lebt.

Diederichsen, DiedrichDiedrich Diederichsen ist Journalist, Kulturwissenschaftler und Poptheoretiker. Seit 2006 lehrt er als Professor für Theorie, Praxis und Vermittlung von Gegenwartskunst an der Akademie der bildenden Künste Wien.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.09.2014

Großartige Schätze im Müll

Bis zum Beginn des Jahres 1990 durften die Hamburger alles, was sie nicht mehr brauchten, auf die Straße stellen. Die Stadtverwaltung entsorgte es. Allerdings nicht sofort. In der Zwischenzeit führten Geschirr, Möbel und Einrichtungsgegenstände als Sperrmüll ein merkwürdiges zweites Leben. Jeder konnte sich bedienen, wegschleppen, so viel er wollte. Für andere war dieses nach außen gestülpte Interieur auch Abenteuerspielplatz oder Ruhepunkt. Diedrich Diederichsen konfrontiert uns in dem Band "Sperrmüll, 1983" mit durchaus polemischen soziologischen und kulturkritischen Bemerkungen zum Sperrmüll, die selbst längst historisch geworden sind. Der Text entstand vor mehr als dreißig Jahren. Aber immer noch ist er aufschlussreich für ein Verständnis der studentischen und subkulturellen Lebenswelten dieser Jahre und ihrer allmählichen Verbürgerlichung. Der Fotograf Thomas Henning dagegen nähert sich diesem Soziotop auf Zeit als Phänomenologe und Ethnograph, staunend und liebevoll, aber auch mit der Lust am Abseitigen, ja Grotesken und Absurden: Männer transportieren mit ernsten Gesichtern ab, was kein anderer mehr für brauchbar hielte, Kinder errichten sich ihre eigene Zauberwelt, junge Erwachsene nutzen ausgeleierte Sessel zum Picknick. Henning ist vor allem von den chaotischen Arrangements fasziniert, die so gar nicht zur hanseatischen Ordnung zu passen scheinen. Aber en passant wird er auch zum Feldforscher, der den schleichenden Wandel einer saturierten Gesellschaft dokumentiert. Was für die einen, Studenten und Bohemiens, nur Lösung auf Zeit oder ein symbolischer Protest gegen den allgemeinen Verwertungszusammenhang war, wird für die neuen Armen, die Migranten jener Zeit, zu einer Überlebensnotwendigkeit.

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"Sperrmüll, 1983. Hamburgs große Abfuhr" von Thomas Henning, mit einem Text von Diedrich Diederichsen. Junius Verlag, Hamburg 2014. 127 Seiten, 91 Abbildungen. Gebunden, 22,90 Euro.

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