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Ein virtuoser Roman über die Verflüchtigung von Heimat im Europa des 20. Jahrhunderts.
Jannis Georgiadis, ein Bauernsohn aus Griechenland, sucht in den sechziger Jahren sein Glück in Schweden. Zunächst findet er dort das Paradies: Er kommt bei einem griechischen Arzt unter, der mit seiner Familie an einem idyllisch gelegenen See lebt, lernt dort das Schlittschuhlaufen und die Kälte kennen und träumt vom Studium der Hydrologie, um das Bewässerungssystem in Makedonien zu reformieren - bis er sich in das schwedische Kindermädchen Agneta verliebt. Als die junge, emanzipierte Frau ungeplant…mehr

Produktbeschreibung
Ein virtuoser Roman über die Verflüchtigung von Heimat im Europa des 20. Jahrhunderts.
Jannis Georgiadis, ein Bauernsohn aus Griechenland, sucht in den sechziger Jahren sein Glück in Schweden. Zunächst findet er dort das Paradies: Er kommt bei einem griechischen Arzt unter, der mit seiner Familie an einem idyllisch gelegenen See lebt, lernt dort das Schlittschuhlaufen und die Kälte kennen und träumt vom Studium der Hydrologie, um das Bewässerungssystem in Makedonien zu reformieren - bis er sich in das schwedische Kindermädchen Agneta verliebt. Als die junge, emanzipierte Frau ungeplant schwanger wird, scheitert nicht nur eine der Zukunftsvisionen des griechischen Gastarbeiters ...
Autorenporträt
Fioretos, Aris
Aris Fioretos, 1960 in Göteborg geboren, ist schwedischer Schriftsteller griechisch-österreichischer Herkunft. Er studierte in Paris und an der Yale University. Heute ist er Professor für Ästhetik in Stockholm sowie Vize-Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. 2010 hat er die erste kommentierte Werkausgabe von Nelly Sachs sowie eine Bildbiographie über die Autorin veröffentlicht. Für seine Übersetzungen - er übertrug unter anderem Friedrich Hölderlin, Paul Auster, Vladimir Nabokov und Jan Wagner ins Schwedische - wie für sein eigenes Werk hat er zahlreiche Preise erhalten, zuletzt den Kellgrenpreis der Schwedischen Akademie (2011), den Preis der SWR-Bestenliste (2011) sowie den Großen Preis des Samfundet De Nio (2013). Der Roman 'Mary' erhielt 2016 den Romanpreis des Schwedischen Rundfunks. Aris Fioretos lebt in Berlin und Stockholm.
Berf, Paul
Paul Berf, 1963 in Frechen geboren, übersetzte u. a. Henning Mankell, Kjell Westö und Selma Lagerlöf. 2005 wurde er mit dem Übersetzerpreis der Schwedischen Akademie ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.2011

Der Held als Krocketspieler
Aris Fioretos liest im Frankfurter Literaturhaus

Aris Fioretos heißt der Autor des Romans "Der letzte Grieche". Und Aris Fioretos heißt auch der fiktive Herausgeber, dem der Holzkasten mit den Karteikarten in die Hände fällt, auf denen das Supplement zur "Enzyklopädie der Auslandsgriechen" fein säuberlich notiert ist. Das besagte Supplement ist mit dem Roman identisch, bis hin zur Gliederung: eine Karteikarte, ein Abschnitt. Aber der Herausgeber Fioretos ist natürlich nicht der Romanautor Fioretos, der im Literaturhaus Frankfurt sitzt und für den der Haustechniker immer neue Stuhlreihen im Lesekabinett aufstellen muss.

So verworren, wie es klingt, ist es nicht. "Ich glaube, dass 3,5 Prozent des Buches wahr sind", sagt der Autor Fioretos, und die seien überall verstreut wie Gewürze. Der Herausgeber Fioretos dagegen ist sich sehr viel unsicherer über die Trennung von Wahrheit und Fiktion, Geschichtsschreibung und Literatur. Halten wir uns also an die Rahmendaten: Es ist die Geschichte von Jannis Georgiadis, geboren im Dorf Áno Potamiá als Sohn eines Bauern und als Enkel der Despina Bakirikas aus Smyrna, dem heutigen Izmir. Aus der Stadt an der kleinasiatischen Mittelmeerküste werden die Griechen im Jahr 1922 vertrieben, wenn sie nicht getötet werden. Im Jahr darauf fliehen alle Griechen aus der Türkei, und alle Muslime verlassen Griechenland. Später gehen sie dann freiwillig ins Ausland, als Gastarbeiter, Jannis nach Schweden, er verliebt sich dort in eine Einheimische, und was gewaltsam und unter Blutvergießen getrennt wurde, vermischt sich wieder.

Nationale Identität, sagte Fioretos einmal, sei in seiner Familie immer als etwas wahrgenommen worden, das nur für andere galt. Als Sohn eines Griechen und einer Österreicherin kam er in Schweden zur Welt, lernte zunächst Deutsch als Muttersprache, dann Griechisch als Vatersprache. Selbst wählte er sich im Alter von vier Jahren das Schwedische und etablierte es als Familiensprache. Dadurch wurde er für seine Eltern früh zur Autorität in Sprachangelegenheiten. Heute lebt er in Berlin und spricht vor allem Deutsch. Das Schwedische aber ist es, das für ihn am meisten durch Erfahrungen und Erinnerungen belastet ist - eine gute Voraussetzung, um in dieser Sprache zu schreiben.

Smyrna also, die Vertreibung, die Katastrophe. "Griechenland ist in den letzten 150 Jahren durch und durch von Katastrophen geprägt", sagt Fioretos. Ein guter Anlass für die Griechen, in der ein oder anderen Form zu Helden zu werden. Schon auf dem Umschlag des Buches sieht man ihn, den Griechen, auf den Krocketschläger gestützt wie Herakles auf die Keule. Und es heißt Herakles, nicht Herkules! Darauf legt Fioretos Wert: "Wir waren da schließlich die Ersten." Nur, dass Herakles zwölf Heldentaten vorweisen kann und der Krocketspieler gerade einmal zwölf Bogen durchschlagen hat, was eine vergleichsweise bescheidene Leistung darstellt. Trotzdem sind Katastrophen kein Grund zu verzweifeln. Das weiß man spätestens nach der Lektüre von "Der letzte Grieche". "Ich habe selten über ein traumatisches Geschehen so viel gelacht", sagte denn auch die Moderatorin des Abends, Sandra Kegel, Redakteurin im Feuilleton dieser Zeitung.

ANDREA DIENER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.03.2011

Der phantastische Mückenschädel
Derwisch des Nordens, Grillenfänger des Südens: Aris Fioretos und sein wunderbarer Roman „Der letzte Grieche“
Pistaziengrün, opalgrün, spülmittelgrün, algengrün, limettengrün. Das sind nur einige der Grüns in diesem wundersamen, sprachverliebten Roman, der alle klassischen Ordnungen vom Wer-Wann-Was durcheinanderschwirren lässt. „Der letzte Grieche“ ist einer enzyklopädischen Aufzählsucht verfallen, in der die Wörter und Dinge magisch aufgeladen werden. Und gleichzeitig gibt es eine ganz klassische, mal komische, mal tragische Handlung: Grieche trifft Schwedin. Und verliert das Liebste, was er hat.
Dies ist die Geschichte von Jannis Georgiadis, der 1967 sein makedonisches Dorf verlässt und nach Schweden auswandert, um als Gastarbeiter sein Glück zu versuchen. Es ist aber auch die Geschichte der „Gehilfinnen Clios“, eines Kreises älterer griechischer Damen, die seit 1928 an einer „Enzyklopädie der Auslandsgriechen“ arbeiten. Jedes einzelne Schicksal muss erfasst werden, damit alles, aber wirklich alles erhalten bleibt.
So einfach und kompliziert sind die Dinge, denn die Geschichte von Jannis steht nach Stichworten geordnet auf Hunderten Karteikarten, die in einem Holzkasten stecken. Die herkömmliche Zeitenfolge, das ist der Trick bei dieser Ordnung, wird damit außer Kraft gesetzt. Der Zettelkasten gehörte dem verstorbenen Kostas Kezdoglou, so behauptet es ein Herausgeber namens Aris Fioretos – bevor er die Karteikarten von Kostas zu Wort kommen lässt, die einen Supplementband zur „Enzyklopädie der Auslandsgriechen“ ergeben sollten. Er selbst, Aris Fioretos, sei auch versteckt im Kasten: „Vermutlich bin ich jener Anton Florinos (*1960), der gelegentlich erwähnt wird.“ Da freut sich die Enzyklopädistin, denn auch der schwedische Schriftsteller Aris Fioretos wurde 1960 geboren, als Sohn einer österreichischen Mutter und eines griechischen Vaters – und hat Romane und Essays verfasst, die überreich sind an irrwitzigen, gelehrten, manchmal auch grillenhaften Einfällen.
Etwas Grillenhaftes hat auch Jannis an sich, der sich selbst einen Mückenschädel nennt, weil seine Gedanken ein schwer kontrollierbarer Schwarm sind. Als Kind hütet er die Ziegen und will ein Bewässerungssystem für sein Dorf erfinden. Aber eigentlich ist Jannis ein Philosoph, und zwar ein nicht-analytischer. Er meditiert über das Zusammenfließen von Vergangenheit und Zukunft, Subjekt und Objekt, Erinnerung und Verlust. Gelegentlich vergaloppiert er sich dabei und klingt dann etwas hochtrabend, wie der Erzähler Kostas gönnerhaft anmerkt. Das Wasser wird Jannis’ Leidenschaft, nicht nur, weil Menschen aus Wasser bestehen. Das Wasser passt zu seiner Überzeugung, dass kein Mensch eine Insel, sondern aus anderen Menschen zusammengesetzt ist.
Damit klingt er wie eine perfekte Anti-Monade, und tatsächlich ist keine Trennhülle vor seiner Vermischungs- und Verströmungsgier sicher. Sogar ein Kondom muss dran glauben: Er sticht den sogenannten Herrn Durex an, damit seine schwedische Freundin endlich schwanger wird. Wasser ist aber auch eine Art Wunderstoff für den Griechen, der aus der Dürre kam. Jannis taucht in einen tanggrünen schwedischen See, als ob er sich mit ihm verbinden könnte. Die ultimative Steigerung ist der gefrorene See, seine spiegelglatte Oberfläche wird zur Bühne von Komik und Eleganz. Der Supergrieche, so nennt ihn seine Freundin, lernt Schlittschuhlaufen, um jene Pirouetten drehen zu können, von denen seine Großmutter ihm erzählt hat.
Mit dem schwedischen Eis kommt auch die weit zurückliegende griechische Vergangenheit ins Spiel. Smyrna, September 1922: Die Türken richten ein Blutbad unter den Griechen und Armeniern an, Jannis’ Großmutter flieht in eben jenes makedonische Dorf, in dem sie mit ihrem Sohn, genannt „die Hasenscharte“, für den Rest ihres Lebens bleiben wird.
Aber sie wird sich immer nach Kleinasien zurücksehnen – und dem Enkel Geschichten aus Smyrna erzählen. Zum Beispiel, wie sie mit der Hasenscharte den Zirkus Arnold besuchte, der das Publikum mit Gesang und Tanz auf dem Eis überwältigte, vor allem aber mit der „Ewigkeitsbewegung“ des schwedischen Eiskunstläufers Gillis Grafström: Er „drehte sich wie ein Derwisch des Nordens, schneller, immer schneller, immer schneller im Kreis, bis er sich in ein makellos gedrechseltes Stück Mensch verwandelte“. Grafström – einen zwanzigerjahrehaft androgynen Wirbler in hautengem Trikot – gab es wirklich, und es hat Methode, wie Fioretos solche Realitätspartikel in seinem Roman unterbringt.
Ähnliche Nebenauftritte haben ein schwedischer „Grand Prix“-Schlager und das „Herkules“-Epos des schwedischen Dichters Stiernhielm von 1658. „Der letzte Grieche“ ist nicht zuletzt ein mehrdimensionales Anspielungslabyrinth, ähnlich wie schon Fioretos’ frühere Romane „Die Seelensucherin“ und „Die Wahrheit über Sascha Knisch“ groteske Schnitzeljagden waren. In der Geschichte vom Schwedengriechen Jannis treten Schmerz und Trauer stärker in den Vordergrund, denn der „Der letzte Grieche“ ist auch ein Migrations-Epos, eine große Erzählung über die Schrecken des zwanzigsten Jahrhunderts.
Dass die Geschichte – der Olympionike Grafström, die Massaker von Smyrna, die griechische Militärdiktatur – in der Literatur ihre Bühne hat, ist Teil einer anderen Ewigkeitsbewegung, die der Schriftsteller Aris Fioretos vollführt. Seinen Karteikartenschreiber Kostas lässt er darüber nachdenken, ob die Historiker bei den Fakten bleiben sollten und ob Literatur die Geschichte rehabilitieren könnte. Jannis und Kostas sind zwei Seiten einer Medaille, mal Zwillinge, mal Gegenpole. Jannis will alles bewahren, er schaut zurück in die Vergangenheit, in die wässrige Ursuppe der Körper; Kostas will nach vorn, in die Zukunft. Und doch versteht er gerade durch die phantastischen Mückenschwärme seines Freundes, was Erfindungen so alles können. Vielleicht sind es aber auch seine eigenen. Vorsicht ist geboten bei diesem kapriziösen Zettelkastenträumer.
Die Sprachpirouetten sorgen dafür, dass neben der tragischen Seite immer auch etwas Tänzelndes und Akrobatisches mitschwingt (selbst die griechische Ziege Dorfziege „trippelt vornehm zwischen den Steinen“). Der Übersetzer Paul Berf hat für das experimentelle Schwedisch des griechischen Migranten eine phantastische deutsche Grammatik erfunden, die zum Beispiel so klingt: „Ein Grieche er ist still wie Tintenfisch.“ Und alle Menschen sind „Außenländer“, weil die menschliche Haut eine einzige Außenfläche ist, eine Membran zur Kontaktaufnahme mit der Umgebung. „Der letzte Grieche“ ist vor allem auch ein Sprachlabor, in dem etwas Besseres als die Nation erzeugt wird: eine Identität, die keine Ausschluss-Ideologien mehr braucht. Das ist vielleicht die wichtigste Botschaft in diesem so poetischen wie politischen Roman. JUTTA PERSON
ARIS FIORETOS: Der letzte Grieche. Roman. Aus dem Schwedischen von Paul Berf. Carl Hanser Verlag, München 2011. 416 Seiten, 24,90 Euro.
Wasser ist eine Art
Wunderstoff für den Griechen,
der aus der Dürre kam
Dieses Buch ist ein Labyrinth
der Anspielungen – und
ein großes Migrations-Epos
An einem späten Junitag nach dem Rasenmähen packen Vater Jannis (oben) und seine Kinder (links: Aris Fioretos, erwachsen) die Krocket-Schläger aus: „Während die Kriebelmücken im pelzartigen Licht schwebten, wurden helle Ticks von schweren Tocks abgelöst, freudige Rufe von ärgerlichem Stöhnen. Auch wenn Jannis
nicht zu sagen vermochte, ob die Zeit aus tick oder tock gemacht
war, ahnte er doch etwas, was seine Lachgrübchen tiefer werden ließ. Sie
zeichneten Muster.“
Fotos: privat (oben); Sara McKey/Hanser Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Als "ungemein vokabelreichen und klugen Autor" empfiehlt uns Rezensent Christoph Schröder den Schriftsteller Aris Fioretos, dessen neuer Roman genau das einlöst, was Schröder sich von einem in Schweden aufgewachsenen und in Berlin lebenden Griechen verspricht: Welthaltigkeit. Und zwar nicht nur eine erlebte, sondern auch eine intellektuell durchdrungene. "Der letzte Grieche" erzählt eine recht vertrackte, vielleicht sogar ausufernde Familiengeschichte über mehrere Generationen von Auslandsgriechen, erklärt Schröder und warnt vorsichtig, dass Fioretos einerseits lineare Erzählstrukturen ablehnt, andererseits sich die Freiheit zu Pathos und Stilblüten nimmt, was dem Rezensenten tatsächlich die Lektüre nicht immer ganz leicht machte. Die "Lektionen in Sachen Glück, Verlust und Schmerz", die ihm Fioretos dabei erteilte, machen die Mühen allerdings mehr als wett, versichert der eingenommene Schröder.

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