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Dieser Band enthält die berühmtesten Erzählungen Nikolai Gogols: "Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen", "Der Newski Prospekt" und "Der Mantel". Es ist das Sankt Petersburg der kleinen Leute, das Gogol hier meisterhaft skizziert: ihre Enttäuschungen und Hoffnungen und der Traum von einem Leben außerhalb des starren Gesellschaftsgefüges der Stadt.

Produktbeschreibung
Dieser Band enthält die berühmtesten Erzählungen Nikolai Gogols:
"Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen", "Der Newski Prospekt" und "Der Mantel". Es ist das Sankt Petersburg der kleinen Leute, das Gogol hier meisterhaft skizziert: ihre Enttäuschungen und Hoffnungen und der Traum von einem Leben außerhalb des starren Gesellschaftsgefüges der Stadt.
Autorenporträt
Gogol, Nikolai
Nikolai Gogol, geboren 1809 in der Ukraine und verstorben 1852 in Moskau, gehört zu den wichtigsten Vertretern russischsprachiger Literatur in der Ukraine.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2009

Bin ich auch nicht betrunken?
Ikonographie des Irrenhauses: Gogols "Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen", neu übersetzt von Peter Urban, spielen auf Goya an

Komik, die tragisch wirkt, fehlt bei Nikolai Gogol fast nie. Thomas Mann nannte den heute vor zweihundert Jahren Geborenen "komisch aus Realismus, aus Leid und Mitleid, aus tiefster Menschlichkeit, aus satirischer Verzweiflung". Nicht nur Tschitschikows Idee, russischen Gutsbesitzern Karteileichen abzuhandeln, weil die verstorbenen Leibeigenen noch auf staatlichen Steuerlisten stehen und so weiter hohe Einkünfte versprechen, zeugt von schalkhafter Gerissenheit. Gogol verdankte den grotesken Einfall zu den "Toten Seelen" zwar seinem Freund Puschkin, im tragisch-komischen Sujet hatte er sich da aber bereits bewährt. Unter den Erzählungen, die 1835 zu Beginn des Romanprojekts gerade vorlagen, glänzen besonders "Die Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen".

Axenti Iwanowitsch Poprischtschin ist ein kleines Würstchen im St. Petersburger Ministerium - zweiundvierzig Jahre alt, keine Schönheit, etwas einfältig und den ganzen Tag mit dem Anspitzen von Schreibfedern beschäftigt. Er scheint ein Mann ohne Eigenschaften zu sein, also der Rede eigentlich gar nicht wert. Doch in ihm geschieht Merkwürdiges, und er entfaltet es auf beklemmende Weise in einem inneren Tagebuchmonolog: Die völlig abwegige und aussichtslose Liebe zur Tochter des Direktors treibt ihn unweigerlich in den Wahnsinn.

Wie vor ihm schon Goethes Werther wird Poprischtschin zum Protokollanten der eigenen Krankengeschichte, ohne freilich zu merken, wie schlimm es um ihn steht. Im Amt bewegt er sich am untersten Ende der Hierarchie, doch im intimen Tagebuch ist er ganz groß. Hier kann er endlich nach Belieben gegen alle Abteilungsleiter und Lakaien, gegen Ehrsucht und Eitelkeit, gegen dumme Franzosen und die Inquisition rebellieren.

Poprischtschin ist sehr sensibel. Gleich im ersten Tagebucheintrag räumt er ein, dass er seit einiger Zeit Dinge wahrnehme, "die noch niemand gesehen und gehört hat". Dazu zählt vor allem das phantastische Plaudern kleiner Kläffer auf der Straße, worüber er sich nur zu Beginn des Tagebuchs noch wundert: "Bin ich auch nicht betrunken?" Wie bei den sprechenden Katern Tiecks oder E. T. A. Hoffmanns, deren Bekanntschaft Gogol auf seiner Deutschland-Reise 1829 macht, wird es Poprischtschin zunehmend selbstverständlich, dass die bellenden Madgie und Fidèle höchst beredt sind und fast gewandtere Briefe schreiben als sein Abteilungsleiter.

Umso größer ist sein Schock, als er durch die Hundsbriefe nicht nur von den wahren Herzensangelegenheiten der Direktorentochter erfährt, sondern auch vom Blick der Welt auf seine lächerliche Existenz: "die Haare auf seinem Kopf sehen sehr aus wie Heu. Papá schickt ihn immer als Boten anstelle des Dieners."

Anton Tschechow hält so etwas zu Recht für "einfach begeisternd und nichts weiter". Poprischtschins "Aufzeichnungen" fügen sich zu einer großartigen Erzählung. Wir sind als Leser ganz nahe dabei, wenn die Datierungen entgleiten und die Vision des Tagebuchschreibers, in Wirklichkeit der König von Spanien zu sein, immer manifester wird. Im Kopf des Verrückten überlagert sich der historische Konflikt um Philipp II. aus Schillers "Don Carlos" mit dem aktuellen Nachfolgestreit des Jahres 1833 zwischen Isabella II. und Carlos V. Plötzlich sieht Poprischtschin sich als legitimer Thronfolger des verstorbenen Ferdinand VII., hält die ihn abholenden Emissäre der Irrenanstalt für spanische Deputierte und die Stockhiebe der Wärter für Ritterschläge. Wenn er sich am "Dreißigsten Februarius" in Madrid in einer "Menschenmenge mit glattrasierten Köpfen" wiederfindet, dann kann einem Francisco de Goyas zwischen 1808 und 1814 entstandenes Gemälde "Casa de locos" vor Augen treten.

Auf diesem ebenfalls hochpolitischen Bild thront in der Mitte eines von Irren überfüllten Saals ein selbsternannter König mit Szepter und einer Krone aus Spielkarten. Flankiert wird er von einer Papstfigur mit Kette und Tiara sowie einem nackten, lediglich mit Dreispitz bekleideten Soldaten, der mit seiner gestisch angedeuteten Waffe in die Luft schießt. Die Kritik an König, Kirche und Armee Spaniens, die Napoleon nicht abwehrten, wird überdeutlich. Peter Urban erwägt das zwar nicht in seinem ausgezeichneten Nachwort und Kommentar, betont aber die große Anspielungsdichte. Es ist also nicht auszuschließen, dass Gogol dieses Gemälde, das für die Ikonographie des Irrenhauses zentral ist, zusätzlich inspirierte.

ALEXANDER KOSENINA.

Nikolai Gogol: "Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen". Novelle. Neu übersetzt und hrsg. von Peter Urban. Mit vier Tuschzeichnungen von Horst Hussel. Friedenauer Presse, Berlin 2009. 88 S., br., 16,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.11.2004

Hörbuch
Ein Wahnsinn
Ueli Jäggis allumfassende Gogol-Interpretation
Da ist diese Stimme, verhalten, leicht nervös, hin und wieder kurz aufflackernd. Und da ist dieses seltsame Geräusch im Hintergrund, unauffällig, aber penetrant. Ein rätselhaftes Klicken und Klacken. Wird es lauter? Nein, nur kann man die Ohren nicht mehr davon lösen. Klock. Klock. Klock. Zum Wahnsinnigwerden.
Die Stimme spricht weiter. Es ist die Stimme eines Tischvorstehers. Er sitzt in irgendeiner russischen Amtsstube, giftet sich mit dem Abteilungsleiter an und schneidet dem Direktor die Schreibfedern. Der Direktor hat eine Tochter, jung, zart, engelsgleich, ein Wesen aus einer anderen Welt, unerreichbar für den Tischvorsteher. Ihr Hündchen aber, ihr Hündchen spricht zu ihm.
Von da an geht es ziemlich schnell, von da an rutscht der Tischvorsteher unweigerlich in einen Zustand, den man gemeinhin als wahnsinnig bezeichnet. Auch wenn manche seiner „Aufzeichnungen”, seiner tagebuchartigen Notizen, eher irgendwo zwischen Don Quijote und Dada anzusiedeln sind: „Ich entdeckte, dass Spanien und China dasselbe Land sind und man sie nur aus Unkenntnis für verschiedene hält.” Seine Stimme wird jetzt auffälliger, erst bebt sie, dann springen wie Pfropfen die ‚P’s von den Worten, schließlich, faucht, heult und brüllt der Patient.
Kaum ist der Tischvorsteher nämlich der Idee verfallen, sich für Ferdinand VIII. zu halten, wird er schon der Segnungen der russischen Psychiatrie des 19. Jahrhunderts teilhaftig. Stockschläge sind da das Mindeste, den Wahnsinnigen ihren Wahnsinn auszutreiben
Und es gibt noch eine andere Heilmethode, eine, die gemeinhin wohl nur mit den Folterkammern des Mittelalters in Verbindung gebracht wird: Man lässt kaltes Wasser auf den Kopf des Delinquenten tropfen. Klock. Klock. Klock. Ist es also der Plan, die Wahnsinnigen in den Wahnsinn zu treiben? In der Hoffnung, dass zweimal Minus Plus ergäbe? Ein Wahnsinn. Es lässt an den Verstandeskräften der Autoritäten zweifeln, viel mehr als die Fantasien des Tischvorstehers an der Kraft seines Verstandes. Ganz im Gegenteil. Glück scheint allein da auf, wo er sich ungestraft in seinen Fantasien ergehen kann. Der Wahnsinn ist beim Tischvorsteher eine utopische Traumwelt. Die Welt der Amtsstuben und die hierarchisierte Gesellschaft mit ihren vielen Tabus, sie dagegen scheinen eine Ausgeburt kranker Gehirne.
Was in Nikolai Gogols „Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen” mindestens angelegt ist, wird in der Sprechtheater-Version von Anna-Sophie Mahler und Ueli Jäggi von Anfang an mit bedacht. Hier klopft der Wahnsinn an die Tür, an den Kopf eines jeden. Und Ueli Jäggi, der im letzten Jahr schon einen Kollegen und Zeitgenossen des Tischvorstehers, Herman Melvilles Schreiber Bartleby, so überzeugend gab, besticht nun auch als Gogols trauriger Held. Jäggis stimmlicher Aktionsradius reicht von der piepsigen Pudelstimme bis zum Furcht einflößenden, krähend-keuchendem Lachen. Sein Vortrag ist zuweilen vorsichtig tastend, zuweilen stürmisch bewegt. Doch gerät er nie aus dem Gleichgewicht. Die Welt, wie sie auf fester Bahn durch den Kosmos taumelt, in fünfzig Minuten.
TOBIAS LEHMKUHL
NIKOLAI GOGOL: Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen. Sprecher: Ueli Jäggi, Regie: Anna-Sophie Mahler. sprechtheater, Zürich 2004, 1 CD, 50 Minuten, 16,80 Euro.
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