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Der Umbruch der Jahre 1988/89 aus der Perspektive von Jugendlichen: DDR und Polen.Der Umbruch von 1988/89 wird überwiegend aus der Perspektive der Älteren, der Führungsfiguren der ostdeutschen Bürgerbewegung oder der »Solidarnosc«, erzählt. Doch es bildete sich auch eine »junge Opposition«, die Ende der 80er Jahre einen politischen Wandel anstrebte und die sich von »den Alten« abgrenzte, um ihre eigenen, jugendspezifischen Gruppen aufzubauen. Diese Studie vergleicht die politische Jugend aus einer doppelten Perspektive - sowohl aus ihren Selbstbeschreibungen in den achtziger Jahren als auch ex…mehr

Produktbeschreibung
Der Umbruch der Jahre 1988/89 aus der Perspektive von Jugendlichen: DDR und Polen.Der Umbruch von 1988/89 wird überwiegend aus der Perspektive der Älteren, der Führungsfiguren der ostdeutschen Bürgerbewegung oder der »Solidarnosc«, erzählt. Doch es bildete sich auch eine »junge Opposition«, die Ende der 80er Jahre einen politischen Wandel anstrebte und die sich von »den Alten« abgrenzte, um ihre eigenen, jugendspezifischen Gruppen aufzubauen. Diese Studie vergleicht die politische Jugend aus einer doppelten Perspektive - sowohl aus ihren Selbstbeschreibungen in den achtziger Jahren als auch ex post. In beiden Ländern verwiesen die jungen Aktivisten auf den Mythos »Jugend« als gesellschaftsverändernde Kraft.In erinnerungskulturellen Debatten nehmen sie eine unterschiedliche Bedeutung ein. In der Volksrepublik Polen spielte die »junge Opposition« eine wesentliche Rolle in den Streiks von 1988. Sie spricht von sich auch heute noch als »Generation des Umbruchs« und wird als solche diskutiert. Dagegen haben die Mitglieder der ostdeutschen neuen Jugendvereinigungen noch kein vergleichbares mediales Narrativ aufbauen können.
Autorenporträt
Kirsten Gerland, geb. 1982, studierte Mittlere und Neuere Geschichte, Medien- und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft und Philosophie in Göttingen und Torun. Ihre Dissertation entstand am DFG-Graduiertenkolleg »Generationengeschichte«. Von September 2013 bis Juni 2014 war sie Projektassistentin am Muzeum Historii Polski in Warschau.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kirsten Gerlands Buch scheint Frank Bösch vor allem die Herausbildung politisch organisierter Generationen zu beleuchten. Ihre vergleichende Perspektive auf unabhängige Jungendgruppen und deren Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit sowie die generationsgeschichtliche Grundierung findet der Rezensent erkenntnisfördernd, vor allem, wenn es um die stark von Selbstheroisierung geprägten Jugendbewegungen in Polen geht. Schwächer erscheinen ihm hingegen die DDR-Kapitel, allein schon, da die Generationenbildung hier eher im nicht institutionellen Bereich stattfand, wie Bösch meint, die Autorin sich jedoch fast ausschließlich der "Vogelperspektive" bedient, statt einzelne Orte und Viertel genauer zu untersuchen. Ein neuer Blick auf die junge DDR-Generation kommt so laut Bösch nicht zustande.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.2016

Anderer Zukunft zugewandt . . .
Unabhängige Jugendgruppen in der DDR und in Polen 1988/89 im Vergleich

Die ostdeutschen Proteste im Herbst 1989 wurden wiederholt als "Revolution der 40-Jährigen" bezeichnet. Hier sei vor allem jene Generation auf die Straße gegangen, die nach dem Mauerbau 1961 die westliche Studentenbewegung und den Prager Frühling zumindest aus der Ferne verfolgte, aber im eigenen Staat blockiert wurde. Wenngleich 1989 unterschiedliche Altersgruppen demonstrierten, waren die mobilisierenden Wortführer in der Tat keine Studenten oder junge Arbeiter. Ebenso entstand nach dem Mauerfall keine junge "Generation 1989", die die Proteste als ihr Schlüsselerlebnis ansah. Im Unterschied zu den 68ern bescherte der Umbruch auch keine kollektive Abgrenzung von den Eltern. Im Mittelpunkt der "Wendepublizistik" stand vielmehr der plötzliche Verlust der vertrauten Lebenswelt.

Anders in Polen. Hier formierten sich in den 1980er Jahren zahlreiche illegale Jugendgruppen. Sie trugen oft martialische Namen wie "Föderation kämpfende Jugend" oder "Jugendwiderstandsgruppe der kämpfenden Solidarnosc". Studentengruppen mobilisierten mit kreativen Aktionen, etwa als Zwerge verkleidet. Die Solidarnosc diente ihnen als Vorbild und zur Abgrenzung, weil sie deren Gesprächsbereitschaft gegenüber den Sozialisten oft ablehnten. Nachdem die jungen Protestierenden 1988/89 aktiv für die Auflösung der kommunistischen Herrschaft eingetreten waren, kam rasch die Rede von den "88ern" und der "Generation von 1988" auf. Seit den 1990er Jahren verfestigte sich diese Erzählung über die polnischen Medien. Die in den 1960er Jahren geborene Alterskohorte verwandelte sich so durch Erfahrungen und Zuschreibungen zu einer Generation.

Kirsten Gerland nimmt diese unterschiedlichen Entwicklungen zum Ausgangspunkt, um das Aufkommen und Ausbleiben von Generationsbildungen zu untersuchen. Mit vergleichenden Blicken analysiert sie unabhängige Jugendgruppen, deren Selbstdarstellung und öffentliche Thematisierung. Für die deutschen Leser sind die Abschnitte zur polnischen Jugend besonders interessant, wenngleich sie besser erforscht sind. Sie zeigen deutlich die Selbstheroisierung, die für jugendliche Bewegungen generell typisch ist.

Die vielen hundert unabhängigen Jugendgruppen, die seit den frühen 1980er Jahren in Polen entstanden, knüpften von ihrem Selbstverständnis oft an die Nationalromantik des polnischen Freiheitskampfes an. Schon in den 1980er Jahren verstanden sie sich als "neue Generation", oft in der Nachfolge der Kämpfer der "Heimatarmee", und mobilisierten für eine "unabhängige polnische Nation". Neben der Gründung der Solidarnosc war vor allem die Verhängung des Kriegsrechts Ende 1981 das prägende Schlüsselerlebnis dieser Jugendgruppen. Sie agierten mit den älteren polnischen Protestgruppen, oft aber kompromissloser und mit anderen Formen. Graffiti zählten ebenso dazu wie Happenings, über die auch die westlichen Medien berichteten.

Eine Generation beruht jedoch nicht nur auf Erfahrungen, sondern ebenso auf der erfolgreichen Kommunikation hierüber. Gerland zeigt anschaulich, wie seit 1990 die Medien diese "Generationsbehauptung" aufbrachten. Fernsehdokumentationen sprachen von der "no future"Jugend im Polen der 1980er Jahre und es entstanden Filme wie "Generation 89" oder "Kinder der Solidarnosc". Wie bei den westlichen "68ern" war dabei von Vorteil, dass viele Angehörige dieser Kohorte in den Medien Karrieren machten und dort ihre heroische Selbstbeschreibung selbst betreiben konnten. Zudem war das sozialwissenschaftliche Konzept der "Generation" in Polen seit den 1960er Jahren verbreitet, an das frühzeitig wissenschaftliche und populäre Schriften über die Protestjugend anschlossen.

Die Kapitel zur DDR stehen dagegen vor dem Problem, das Ausbleiben von Generationsbildungen zu erfassen. Hier analysiert die Studie zunächst das im Vergleich zu Polen zaghafte und späte Aufblühen von unabhängigen politischen Jugendgruppen im Herbst 1989, die sich vorher fast nur auf kirchliche Gruppen beschränkt hatten. Diese knüpften von ihren Namen her an die neu entstehenden Parteien an - mit Namen wie "Jugend des Demokratischen Aufbruchs", "Grüne Jugend" oder "Junge Sozialdemokraten". Ebenso entstanden "Runde Tische der Jugend", die jedoch vor allem jugendspezifische Fragen wie die Freizeitgestaltung diskutierten. Durch die sich abzeichnende Vereinigung habe ihnen, so Gerland, ein vergleichbar offener und gestaltbarer Zukunftshorizont wie der polnischen Jugend gefehlt. Bei der Vereinigung mit den westdeutschen Jugendgruppen plädierten viele ostdeutsche Jugendgruppen für einen Zusammenschluss auf Augenhöhe. Da jedoch nur etwa 3000 "Junge Sozialdemokraten" auf 150 000 "Jusos" trafen, war das illusorisch.

Ein Grundproblem des Buches ist freilich, dass es sich auf Jugendliche in festen politischen Organisationen beschränkt. Für eine Generationsgeschichte, die Erfahrungen und der Kommunikation über gemeinsame Lebenslagen nachspürt, greift dies etwas kurz. Gerade in einem repressiven System wie der DDR trafen sich politische Jugendliche eher in Clubs, bei Konzerten oder informellen Veranstaltungen, nicht zuletzt unter dem Dach der Kirche. Zwar hat die Verfasserin einige Dutzend Interviews geführt, aber im Buch dominiert die Vogelperspektive. Ein vertiefter Blick auf einzelne Orte oder Stadtviertel hätte vielleicht genauer gezeigt, wie sich unterschiedliche Altersgruppen in der DDR der 1980er Jahre zueinander verhielten. Die Frage, warum die junge Generation in der DDR, insbesondere die Studenten, nicht mehr protestierten, wird so nicht neu beantwortet.

Die große Stärke des Buches liegt in seiner vergleichenden Perspektive, ebenso in der theoretisch gut informierten Einbettung in generationsgeschichtliche Ansätze. Wer mehr über die konkrete politische Arbeit Jugendlicher sucht, wird hier weniger fündig. Wer hingegen an der Herausbildung von politisch organisierten Generationen interessiert ist, wird das Buch mit Gewinn lesen.

FRANK BÖSCH

Kirsten Gerland: Politische Jugend im Umbruch von 1988/89. Generationelle Dynamik in der DDR und der Volksrepublik Polen. Wallstein Verlag, Göttingen 2016. 432 S., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Es handelt sich um ein konkretes und erhellendes Fallbeispiel im großen Kosmos der »Generationenprojekte« im Deutschland des 20. Jahrhunderts.« (Christian Nestler, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 9/2016) »Die große Stärke des Buches liegt in seiner vergleichenden Perspektive, ebenso in der theoretisch gut informierten Einbettung in generationsgeschichtliche Ansätze.« (Frank Bösch, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.09.2016) »The most impressive part of the book is the joint coverage of Polish and East German history« (Mark Fenemore, German History, 02.09.2016)