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Hier ist, aller Fesseln des bisherigen Tagesgeschäfts ledig, der offensive, kritische und gleichzeitig ironische Journalist Ulrich Wickert in Hochform. Er schreibt über das Land, das er, der Kosmopolit, immer noch am besten kennt und das ihm am meisten am Herzen liegt: Deutschland. Wer sind wir Deutschen? Woher kommt unsere Identität, die doch so verschieden ist von der etwa der Franzosen, Angelsachsen oder Holländer? Vor allem aber: Was sind die Werte, auf die es ankommt, damit Deutschland kein "Sanierungsfall" (Kanzlerin Merkel) bleibt? Ulrich Wickert fordert Ehrlichkeit im Denken, und das heißt vor allem auch: die Dinge offen beim Namen zu nennen.…mehr

Produktbeschreibung
Hier ist, aller Fesseln des bisherigen Tagesgeschäfts ledig, der offensive, kritische und gleichzeitig ironische Journalist Ulrich Wickert in Hochform. Er schreibt über das Land, das er, der Kosmopolit, immer noch am besten kennt und das ihm am meisten am Herzen liegt: Deutschland. Wer sind wir Deutschen? Woher kommt unsere Identität, die doch so verschieden ist von der etwa der Franzosen, Angelsachsen oder Holländer? Vor allem aber: Was sind die Werte, auf die es ankommt, damit Deutschland kein "Sanierungsfall" (Kanzlerin Merkel) bleibt? Ulrich Wickert fordert Ehrlichkeit im Denken, und das heißt vor allem auch: die Dinge offen beim Namen zu nennen.
Autorenporträt
Ulrich Wickert, geboren 1942 in Tokio, studierte in Deutschland Jura und in den USA Politische Wissenschaften. Von 1977 bis 1991 war er ARD-Korrespondent in Washington, New York und Paris, von 1991 bis 2006 moderierte er die "Tagesthemen". 2005 wurde Wickert in Frankreich zum "Offizier der Ehrenlegion" und 2006 zum Sekretär der Académie de Berlin ernannt. Er lebt in Hamburg und Südfrankreich, wo er neben Kriminalromanen auch politische Sachbücher schreibt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2007

Nach dem Wetter kommen die Werte
Ulrich Wickert benennt Gauner, damit der Ehrliche nicht schon wieder der Dumme ist / Von Johanna Adorján

Warum es die Franzosen besser machen: Sie küssen Angela Merkel die Hand, trinken mitgebrachten Champagner mit ihren Gästen, und wenn sie Kameramann sind, tragen sie Krawatte, wenn sie einen Staatsmann filmen.

Dies ist eine Live-Rezension. Soeben habe ich die vierte Seite des neuen Buchs von Ulrich Wickert gelesen, und ich muss vermelden: Mir ist schwindelig. Das Buch heißt "Gauner muss man Gauner nennen", und es handelt, so zumindest der Untertitel, "von der Sehnsucht nach verlässlichen Werten". Insofern ist ein Anfang, der den Leser schwindelig macht, vielleicht beabsichtigt. Ja, auf Seite 4 sehne ich mich nach verlässlichen Werten! Nach Werten wie Klarheit und Logik.

Darf ich kurz vorausschicken, dass ich Ulrich Wickert sehr sympathisch finde. Mit weltmännischer Gelassenheit moderierte er jahrelang eine Nachrichtensendung, im August 2006 hörte er damit auf und ist seither mit einer Literatursendung im Ersten vertreten, "Wickerts Bücher", in der immer mehrere Autoren beisammensitzen und mit Wickert über ein Thema plaudern, zuletzt ging es um das Thema Verzicht.

Vor zwei Jahren hat Wickert schon ein Buch über das Thema Werte geschrieben: "Der Ehrliche ist der Dumme. Über den Verlust der Werte". Und weitere zwei Jahre zuvor schon eins: "Zeit zu handeln. Den Werten einen Wert geben". Es scheint ihm also ernst mit dem Thema. Wickerts These: Wir leben in einer Zeit, in der der Ehrliche der Dumme ist, und es ist Zeit zu handeln, den Werten wieder einen Wert zu geben, denn wir sehnen uns nach verlässlichen Werten und wollen Gauner wieder Gauner nennen.

Auf Seite 15 angekommen, kann ich Folgendes berichten: Ulrich Wickert hat keine Scheu vor Floskeln. Ängste sind diffus, Sitten verlottert, nichts ist heute mehr so, wie es war, der Ernst des Lebens hat begonnen. (Entschuldigung, weil's gerade so schön ist, noch weitere Beispiele der ersten paar Seiten: Eine Lage ist misslich, der Traum vom Paradies auf Erden ist ausgeträumt, und Klartext reden genügt aber nicht.) Vom Hölzchen übers Stöckchen auf das Prügelbrett kommend, bildet Wickert eine kausale Gedankenkette oder, sagen wir lieber, eine kausale Kette, mit der er folgende These belegen möchte: "Wir haben die Orientierung verloren." Alles steht für ihn in einem Zusammenhang: 9/11, die Rente, Hartz IV, verlotterte Sitten ganz allgemein, zweitklassige Box-Shows im Privatfernsehen, Bildungsnotstand, Weltjugendtreffen, soziale Lethargie; im lockeren Dreisprung mit Orwells "1984" und dem Thema Unterschicht hüpft er schließlich zur ihn drängenden Frage: "Wer sind wir?". (Wir = die Deutschen). Er wolle mit seinem Buch dazu beitragen, dass "unsere neu erwachte Sehnsucht nach verbindlichen Werten nicht irgendwann in Frustration oder Aggression umkippt". Inzwischen ist Seite 16 erreicht und das erste Kapitel geschafft. Mir schwirrt der Kopf.

Nachdem der Ernst der Lage also bewiesen wäre, geht es in den folgenden Kapiteln um Themen wie Heimatgefühl, Selbstverantwortung, Höflichkeit. Immer wieder vergleicht Wickert, der lange in Paris gelebt hat, Deutschland mit Frankreich und kommt regelmäßig zum Schluss, dass es die Franzosen besser machen. Sie küssen Angela Merkel die Hand, trinken mitgebrachten Champagner gleich mit ihren Gästen aus und ziehen sich eine Krawatte an, wenn sie Kameramann sind und einen Staatsmann beim Interview filmen.

Kurzes Innehalten: Wie rezensiert man ein Buch, das man wirklich sehr schlecht findet, dessen Verfasser einem aber aus dem Fernsehen vertraut und sympathisch ist? Vielleicht sei es ja gar nicht so ernst gemeint, hofft man. Vielleicht wurde da einer von einem Verlag einfach so oft gebeten, doch noch ein Buch zu schreiben, dass er schließlich nachgab (höflich) - und einfach irgendetwas aufschrieb, das ein bisschen was hermacht (gestreifte Krawatte). Etwas möglichst Staatsmännisches (Anchorman), Weltläufiges (Paris), das aber letztlich so egal ist wie eine Schale Erdnüsschen im Elysée-Palast.

Auf Seite 140 merkt man, dass Wickert bereits zwei Bücher zum Thema Werte geschrieben hat, denn langsam gehen ihm die Anektdötchen aus. Er erzählt die abenteuerliche Geschichte eines aus dem Libanon stammenden Berliner Taxifahrers, dem es beim Finden der Bach- und Mozartstraße geholfen hat zu wissen, dass es sich dabei um Komponisten handelt - was für Wickert beweist, dass Bildung nicht schadet.

Seite 189: Ich hätte mich gerne davor gedrückt, aber ich muss es jetzt doch ansprechen. Aus einem beinahe schon walserhaft anmutenden Zwang heraus kommt Wickert in nahezu jedem Kapitel auf die deutsche Nazi-Vergangenheit zu sprechen. Es wirkt wie ein Selbstgespräch. Folgendes möchte er für sich und die Deutschen beanspruchen, warum auch immer, es scheint ihm ein großes Bedürfnis: Es darf nicht länger tabu sein, den Holocaust mit anderen Völkermorden zu vergleichen (S. 183, 185 ff.).

Aus den Memoiren von Günter Grass zitiert Wickert eine Stelle, in der Grass bei der SS war, hütet sich aber, sonst doch so moralisch, vor einem - wie auch immer gearteten - Urteil. Nein, es geht allein darum, wie das Kennen eines deutschen Kinderliedes dem jungen SS-Soldaten Grass das Leben rettete.

Immer wieder fordert Wickert, dass "Klartext" geredet werden müsse - daher bezieht auch das Buch seinen Titel, Gauner müssten Gauner genannt werden dürfen, der Holocaust müsse mit anderen Völkermorden verglichen werden dürfen. Warum begibt sich Ulrich Wickert freiwillig und ohne äußere Not auf dieses Stammtischniveau herab?

Zu nicht sonderlich guter Letzt geht es um die Verantwortung des Einzelnen für Staat und Gemeinschaft. Wickert kommt auf den Fall zu sprechen, wo Kurt Beck einem Arbeitslosen zu einer neuen Frisur riet, dann bekäme er auch einen Job. Jawoll, dachte damals der kleine Mann auf der Straße, Wickert denkt weiter: "Es wäre richtig, wenn Kurt Beck - oder andere, die sich lautstark über den Arbeitslosen geäußert haben, etwa FDP-Chef Guido Westerwelle oder der ehemalige CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer -, jetzt auch mal einen Unternehmer oder Parteifreund oder Lobbyvertreter, der gegen die guten Sitten verstößt, einen Gauner nennen, und zwar ganz gezielt und nicht im Affekt." Das ist alles? So viele Ausführungen für die Forderung, dass man auch einen Menschen in einer machtvollen Position einmal einen Gauner nennen dürfe, einen Halunken, Schurken (warum eigentlich Gauner?). Der Holocaust ist nicht einzigartig, und auch Wirtschaftsbosse sind keine Heiligen. Darum geht es?

Jetzt möchte ich es wissen, ich blättere schnell zum Schluss, ein paar letzte Ausführungen zur Rolle der Medien (fatal!) nur streifend. "Jeder kann etwas verändern", beginnt der letzte Absatz. "Und das gesellschaftliche Klima ist günstig, denn die Sehnsucht vieler nach Orientierung ist groß." (Von Ferne wehen die Klänge der Nationalhymne heran.) "Und manchmal reicht es ja schon, einen Gauner wieder einen Gauner zu nennen, um an die Regeln der Gemeinschaft zu erinnern." (Die Nationalhymne bricht ab, der Solo-Trompeter hat sich vor Lachen verschluckt.) "Wer sich nach verlässlichen Werten sehnt, muss letztlich über das bloße Benennen hinausgehen, er muss die Kraft und den Mut aufbringen, selber im Sinne der Gemeinschaft zu handeln." Buch fertig, Rezensentin auch.

Am Schluss eine Frage, Sachbuchverlage im Allgemeinen betreffend: Wann hört diese Mode eigentlich wieder auf, einen einzigen Gedanken zu mehreren hundert Seiten starken Büchern auszuwälzen? Wären Bierdeckel nicht passender?

Ulrich Wickert: "Gauner muss man Gauner nennen". Von der Sehnsucht nach verlässlichen Werten. Piper Verlag, München 2007. 320 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Wann hört diese Mode eigentlich wieder auf, einen einzigen Gedanken auf mehreren hundert Seiten auszuwälzen?" Johanna Adorjan wurde von Ulrich Wickert drittem Buch, in dem die "Werte" schon im Titel vorkommen, gleich doppelt desillusioniert. Sie versteht die Verlage nicht, die solche Bücher kommissionieren. Und sie will nicht begreifen, warum ein ihr sympathischer Moderator sich ohne erkennbaren Grund auf "Stammtischniveau" herab begibt. Sie findet in dem Buch wenig Gedanken, dafür aber viele leere Sprüche wie "Klartext reden genügt nicht" oder "der Ernst des Lebens hat begonnen". Für Adorjan hat spätestens ab der ersten Seite jedenfalls eine ernste Tortur begonnen, und bis zum Ende findet sie leider keinen einzigen Hinweis, dass dieses Buch nicht das ist, was es ihrer Meinung nach von Beginn an war: "wirklich sehr schlecht".

© Perlentaucher Medien GmbH