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"Wir sind alt, sehr alt. Es sind zum mindesten fünfundzwanzig Jahrhunderte, die wir auf den Schultern das Gewicht hervorragender, ganz verschiedenartiger Kulturen tragen", sagt der "Leopard" in Lampedusas berühmtem Roman. Um die rätselhafte, vielschichtige Mentalität der Italiener zu ergründen, begibt sich Corrado Augias ebenso charmant wie kurzweilig auf geheime Nebenwege der italienischen Geschichte. In einer höchst spannenden historischen Spurensuche legt Corrado Augias die Geheimnisse Italiens frei und erklärt, warum sich viele Italiener, zumal im Mezzogiorno, bis heute mit der Demokratie…mehr

Produktbeschreibung
"Wir sind alt, sehr alt. Es sind zum mindesten fünfundzwanzig Jahrhunderte, die wir auf den Schultern das Gewicht hervorragender, ganz verschiedenartiger Kulturen tragen", sagt der "Leopard" in Lampedusas berühmtem Roman. Um die rätselhafte, vielschichtige Mentalität der Italiener zu ergründen, begibt sich Corrado Augias ebenso charmant wie kurzweilig auf geheime Nebenwege der italienischen Geschichte. In einer höchst spannenden historischen Spurensuche legt Corrado Augias die Geheimnisse Italiens frei und erklärt, warum sich viele Italiener, zumal im Mezzogiorno, bis heute mit der Demokratie und der Freiheit so schwer tun. Er beschreibt scharfsichtig die Macht der Familien, das tiefe Misstrauen gegenüber dem Staat und die träge Schicksalsgläubigkeit vieler Italiener - den Nährboden, auf dem die Mafia und korrupte Politiker prächtig gedeihen. Auf seinem Weg vom Mittelalter bis heute und von Palermo bis Venedig versteht er es meisterhaft, von verschütteten historischen Episoden und vergessenen literarischen Monumenten aus die verborgenen Triebkräfte der italienischen Geschichte verständlich zu machen.
Autorenporträt
Corrado Augias, geboren 1935 in Rom, ist einer der bedeutendsten politischen und Kulturjournalisten in Italien, wo er außerdem als Fernsehmoderator, Kriminalschriftsteller und Theaterautor bekannt is.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In voller Größe steht der Italiener nach dieser Lektüre nicht vor Martin Mittelmeier. Das liegt daran, dass der Kulturjournalist und Romancier Corrado Augias seiner an sich hübschen und für den Leser durchaus profitablen subjektiven Perspektive nicht gänzlich vertraut, wie Mittelmeier feststellt. Gerade das "unordentliche", romaneske Erzählen im Buch jedoch hat es dem Rezensenten ganz besonders angetan. Wenn Augias etwa von Neapel und seinen "teuflischen" Bewohnern erzählt und zugleich deren Aufbegehren gegen die deutsche Besatzung einflicht, ist Mittelmeier begeistert. Ebenso wenn der Autor Anekdotisches und Soziologisches miteinander verwebt, um Stadt- und Ereignisgeschichte zu transportieren. Nicht auf der Höhe seiner Möglichkeiten ist das Buch für Mittelmeier immer dann, wenn Augias seinem sehr eigenen Zugriff nicht traut und stattdessen Bildung und Erläuterungen auffährt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2014

Ein Paradies, das von Teufeln bewohnt ist
Italien lieben, das ist einfach. Aber es verstehen? Der Römer Corrado Augias weiß, wie seine Landsleute ticken. Das dürfte auch deutsche Leser interessieren

Die Begeisterungsfähigkeit des durchschnittlichen Nordeuropäers für Italien, für die zauberhafte Landschaft, die überbordenden Kulturschätze und die Lebenskunst ist traditionsgesättigt und zäh. Zum Glück, denn oft genug wird sie auf die Probe gestellt.

War man nicht zuletzt verwirrt und aufgerieben von dem breiten Spektrum an politischer Clownerie zwischen Berlusconi und Beppe Grillo? Man hätte es wohl mit nicht allzu großem Erstaunen registriert, wenn sich bei der Wahl zum europäischen Parlament neben Frankreich oder Großbritannien auch Italien eine politische Grobheit geleistet hätte. Stattdessen gab es 42 Prozent für die Demokratische Partei des amtierenden Ministerpräsidenten Matteo Renzi, der sich als Hoffnungsträger und Verschrotter des bisherigen Systems präsentiert.

Verantwortungsloses süßes Leben auf der einen Seite und mühsam kleinschrittiger Bürgersinn auf der anderen - bevor Corrado Augias in seinem Buch "Die Geheimnisse Italiens" einen munteren Streifzug durch die Geschichte und die maßgeblichen Städte Italiens beginnt, rüstet er sich und den Leser mit zwei idealtypischen Inszenierungen dieses Gegensatzes aus. Der gute und der schlechte Italiener: So wie sie in den Romanen "Herz" von Edmondo De Amicis und D'Annunzios "Lust" ihr Muster finden, spannen sie das Spielfeld für den Helden von Augias' Darstellung auf - den italienischen Charakter.

Wenn Augias uns den "Roman einer Nation" erzählen will, dann meint er damit aber nur in zweiter Linie die Romane, die der eigene und fremde Blick auf Italien hervorgebracht hat. Vielmehr möchte er selbst die Bestandteile bereitstellen, die es dem Leser ermöglichen, seinerseits daraus so etwas wie einen Roman zu imaginieren (im Original lautet der Untertitel: "Geschichten, Orte und Figuren des Romans einer Nation").

Augias nutzt die Vorteile des unordentlichen, romanesken und absichtsvoll subjektiven Erzählens für sein Porträt Italiens denn auch weidlich aus. Wenn er beispielsweise Cagliostro, das Gaunergenie Palermos im achtzehnten Jahrhundert, auftreten lässt, dann hat er ihm zuvor aus dem sozialen Gewebe Palermos, der Vendetta, dem exzessiven Totenkult und einem grundsätzlichen Hang zum Wahn eine mächtige Bühne gebaut.

In der Erzählung über Neapel blitzt zwischen der wenig schmeichelhaften Charakteristik seiner Bewohner als "Teufel in paradiesischer Landschaft" und dem Bericht von Malapartes monströs-brutalem Nachkriegsszenario "Die Haut" die kurze, aber heroische Geschichte vom Aufbegehren gegen die deutsche Besatzung auf. Und im Kapitel über Mailand lässt man sich gerne von der autobiographisch genährten Begeisterung anstecken, mit der Augias den möglichen Aufbruch in eine funktionierende Zivilgesellschaft mit der Erfolgsgeschichte von Giorgio Strehlers Theaterprojekt kurzschließt.

Anekdotisches wird in Augias' Buch mit soziologischen Analysen konfrontiert, biographische Details wechseln sich mit dem historischen Panoramablick ab, harte Schnitte ermöglichen Abrisse städtischer Historie auch auf kurzen Raum, wodurch zugleich die Turbulenz der Ereignisgeschichte wie auch die Widerständigkeit der langen Dauer von Charaktereigentümlichkeiten eindrücklich vor Augen geführt werden.

Und dennoch ist das Buch allzu oft nicht auf der Höhe seines Vorhabens. Dann vertraut Augias dem eigenen beherzt subjektiven Zugriff nicht und verschüttet ihn unter Bildungshuberei und Erläuterungskitt. Ist es nicht ein wunderbar sprechendes Bild, wenn der Autor sich bei der Affenfütterung während eines Zoo-Ausfluges an die jungen Nachkriegsitaliener erinnert fühlt, die den Zigaretten der amerikanischen Soldaten hinterherhechten? Und ist es nicht sinnvoll, anstatt erneut heldische Episoden von Garibaldis Wirken zu versammeln, von seinem Versuch zu erzählen, im New York der 1850er Jahre Fuß zu fassen?

Aber Augias entschuldigt sich sogleich für den Affenvergleich, und die Garibaldi-Episode bringt er um ihre erzählerische Wirkung, indem er sie kausal einbettet - ein Verfahren, mit dem er leider immer wieder die eigene Inszenierungslust unterläuft. Womöglich kommt die Routiniertheit des Geheimnisaufspürers der Intensität des Erzählens zu sehr in die Quere: Der 1935 in Rom geborene Autor ist in Italien ein renommierter Kulturjournalist und Romancier und hat sich in früheren Publikationen bereits der Geheimnisse von Paris, London, New York, Rom und des Vatikans angenommen.

Eine der Widersprüchlichkeiten Italiens, die Augias im Laufe seiner Erzählung als die titelgebenden Geheimnisse präsentiert, vergrößert sich zur anklagenden Frage und macht aus dem italienischen Roman eine traurige Farce: Warum lässt sich Italiens Geschichte nicht als Freiheitsgeschichte erzählen, warum scheint es Wesenszug des italienischen Charakters zu sein, nicht konsequent ein einmal formuliertes Ziel zu verfolgen, sondern immer wieder in Eigennutz und Resignation zurückzufallen? Warum gibt es Aufstände und Rebellionen zuhauf, aber niemals eine von innen heraus geleistete Revolution, die zu nachhaltigen zivilen und politischen Errungenschaften führt?

Die Trauer des Verfassers darüber ist so groß, dass er den "guten Italiener" nahezu ausschließlich als Widerspruch in sich begreifen will. Das Kapitel über Franz von Assisi endet in der Beschwörung, den Italienern die Fähigkeit zuzugestehen, auch die großen, Mut und Konsequenz fordernden Aufgaben angehen zu können. Augias scheint dafür auch tragische Größe in Kauf nehmen zu wollen, wenn nur überhaupt ein bisschen Größe dabei herausspringt. Als wie auch immer ambivalentes Vorbild dafür irrlichtert ein anderer, wohlbekannter nationaler Charakter durch Augias' Buch: der Deutsche mit seinem kompromisslosen Sinn für die Pflichterfüllung, aber eben auch fürs haltlos Tragische. Man würde sich von Augias also doch noch mindestens eine weitere nationale Geheimnisentfaltung wünschen - wie würde er, mit dieser italienischen Sehnsucht ausgestattet, wohl den "Roman der deutschen Nation" erzählen?

MARTIN MITTELMEIER

Corrado Augias: "Die Geheimnisse Italiens". Roman einer Nation. Aus dem Italienischen von Sabine Heymann. Verlag C. H. Beck, München 2014. 272 S., Abb., geb., 19,95 [Euro].

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