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Athen 1936. Unter dem Diktator Ioannis Metaxas schmelzen die Freiheiten des griechischen Volkes dahin wie Schnee in der Sonne. Stavros und seine Musikerfreunde jedoch wollen sich nicht beugen. In verrufenen Hafentavernen spielen sie den Rembetiko, den "griechischen Blues", vom Regime als subversive Kraft gefürchtet und rigoros bekämpft; für ihr Publikum allabendlich Erlösung von Elend und Repression. Als ihr Freund Markos aus dem Gefängnis entlassen wird, stürzen sich die Rembetes in eine zügellose Nacht, einen Rausch aus Drogen, Musik und Utopien... Eindringlich und mit traumwandlerischem…mehr

Produktbeschreibung
Athen 1936. Unter dem Diktator Ioannis Metaxas schmelzen die Freiheiten des griechischen Volkes dahin wie Schnee in der Sonne. Stavros und seine Musikerfreunde jedoch wollen sich nicht beugen. In verrufenen Hafentavernen spielen sie den Rembetiko, den "griechischen Blues", vom Regime als subversive Kraft gefürchtet und rigoros bekämpft; für ihr Publikum allabendlich Erlösung von Elend und Repression. Als ihr Freund Markos aus dem Gefängnis entlassen wird, stürzen sich die Rembetes in eine zügellose Nacht, einen Rausch aus Drogen, Musik und Utopien... Eindringlich und mit traumwandlerischem Gespür für seine Charaktere schildert David Prudhomme vierundzwanzig Stunden im Leben von fünf Musikern in den Armenvierteln von Piräus. Seine elegante Linienführung und die leuchtende Farbgebung, die das strahlende mediterrane Licht ebenso einfängt wie die Schatten der schummrigen Haschischhöhlen, erzeugen eine Intensität, so hypnotisch und sinnlich wie der Rembetiko selbst.
Autorenporträt
David Prudhomme wurde 1969 im französischen Tours geboren. Noch während seines Studiums an der École de l'Image in Angoulême debütierte er 1992 als Comic-Zeichner mit der Serie "Ninon secrète" nach seinem Szenario von Patrick Cothias. Sowohl bei seinen Comic-Projekten wie als Illustrator bestach David Prudhomme in der Folge durch den anscheinend mühelosen Wechsel zwischen einem kraftvollen expressiven Strich und einer nervöseren, stark karikierenden Linienführung. In den vergangenen Jahren hat er insbesondere durch seine Adaptionen von Georges Brassens Roman "La Tour des Miracles" (2003, mit Étienne Davodeau) sowie der klassischen französischen Komödie "La Farce de Maître Pathelin" (2006) auf sich aufmerksam gemacht. Seine in Zusammenarbeit mit Pascal Rabaté ("Bäche und Flüsse2, Reprodukt) entstandene Familiengeschichte "Die Plastikmadonna" (dt. bei Carlsen) wurde 2008 in Angoulême als "Essentiel" prämiert. Für "Rembetiko" folgte 2010 mit dem Preis "Regards sur le monde" eine weitere Auszeichnung des wichtigsten europäischen Comic-Festivals.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.12.2010

Siegeszug unter falscher Flagge

Das ist ihre Chance bei Buchhandel und Publikum: Comics heißen jetzt "Graphic Novels" und verändern ihr Image. Der Mut bei den Verlagen wächst dementsprechend, doch von drei besonders hoch gehandelten Neuerscheinungen kann nur eine restlos überzeugen.

Wenn es nur einen einzigen neuen Comic zu benennen gälte, der die Vorzüge dessen, was man heute "Graphic Novel" nennt, beweisen müsste, dann hieße die Wahl: "Rembetiko". Dieser Band, den der 1969 geborene David Prudhomme im vergangenen Jahr in seiner französischen Heimat herausgebracht hat, ist jetzt sehr schnell auch ins Deutsche übersetzt worden: von Reprodukt, einem kleinen Berliner Verlag, der sich mit am kompromisslosesten dem neuen Genre der Graphic Novels verschreibt. Andere deutsche Verlage hatten "Rembetiko", der in Frankreich gefeiert wurde, abgelehnt. Aber ist dieses Genre überhaupt neu?

Stellen wir die Frage erst noch einmal zurück. Im Buchhandel kommen Graphic Novels jedenfalls sehr gut an; plötzlich sieht man Comics als Stapelware präsentiert. Diese Bücher wird man auch nicht einfach durch E-Books ersetzen können, denn eine große Comicseite sieht selbst auf dem iPad nicht so gut aus wie gedruckt - vom buchgestalterischen Aufwand ganz zu schweigen, den manche Publikationen aufweisen. Graphic Novels sind also eine Überlebensversicherung für den Buchhandel im Zeitalter der elektronischen Reproduzierbarkeit von Literatur. Aber nun noch einmal gefragt: Sind Graphic Novels Literatur, und unterscheiden sie sich notwendigerweise qualitativ von anderen Comics?

Ein Blick in "Rembetiko" genügt, um beides zu verneinen. Prudhomme wählt für seine Geschichte das klassische Albenformat, und der Umfang seiner Erzählung beträgt 102 Seiten. Nun wird immer wieder, wenn es um die Bestimmung dessen geht, was Graphic Novels sein sollen, die Freiheit ihrer Form angeführt: Eine Graphic Novel müsse keine Rücksicht mehr nehmen auf festgelegte Heft- oder Buchformate oder Standardumfänge, wie sie für Comics jahrzehntelang typisch waren. Das traditionelle amerikanische Comicheft hat 32 Seiten, das gewöhnliche frankobelgische Album 48. Dass etwa in Japan längst Comics üblich sind, die bis zu mehreren tausend Seiten zählen, wird damit abgetan, dass diese Manga im Regelfall in Fortsetzungen erscheinen, deren jeweiliger Umfang strikten Verlagsvorgaben zu gehorchen hat. Erst die Graphic Novel, wie sie vor allem durch den amerikanischen Zeichner Will Eisner in den siebziger Jahren propagiert wurde, habe Comicautoren die Möglichkeit verschafft, so erzählen zu können, dass man die Resultate literarisch nennen könnte. Deshalb auch der Name: graphischer Roman.

Dass darunter alles Mögliche gefasst wird, was dem üblichen Romanverständnis nicht entspricht, ist einer der Haupteinwände gegen den Begriff. Bei "Rembetiko" aber handelt es sich in der Tat um eine fiktionale epische Geschichte, die ihre Figuren einer so irritierenden wie prägenden Erfahrung unterwirft und überindividuelle Bedeutsamkeit beanspruchen darf. Berichtet wird von einem einzigen Tag im Oktober 1936, doch dieser Tag steht exemplarisch für das Leben in Griechenland unter der Militärdiktatur von Ioannis Metaxas, der ein Jahr zuvor die Monarchie wiedereingeführt und von König Georg II. nahezu unbeschränkte Machtbefugnisse erhalten hatte. Das Regime herrschte mit brutaler Gewalt.

Prudhommes Comic erzählt von fünf Musikern aus Athen, die alle nach authentischen Vorbildern gestaltet sind. Einer von ihnen, Markos Vamvakaris, wird am Tag der vollständig erfundenen Handlung aus dem Gefängnis entlassen, wo er eine Strafe für seine Lieder verbüßt hat. Der reale Vamvakaris war der berühmteste Rembetiko-Komponist seiner Zeit, also Vertreter eines Musikstils, der türkische und griechische Folklore miteinander verband. Das war nach dem Verlust der griechischen Siedlungsgebiete in Kleinasien im nun streng nationalistisch orientierten Griechenland nicht mehr opportun; Metaxas ließ den Rembetiko verbieten und dessen Protagonisten verfolgen.

Ein zeichnender Angelopoulos

Nicht nur dieses Faktum, die gesamte jüngere Geschichte Griechenlands ist allgemein wenig bekannt. David Prudhommes Comic leistet auf seinem Feld das, was Theo Angelopoulos' Spielfilm "Die Wanderschauspieler" 1974 fürs Kino vollbracht hat: auf populäre Weise höchst anspruchsvoll von einer griechischen Geschichte zu erzählen, die für das europäische zwanzigste Jahrhundert exemplarisch ist. Die politische Radikalisierung aus nationaler Enttäuschung und die Unterdrückung nicht nur von intellektueller, sondern auch volkstümlicher Kultur, sofern sie nicht dem Reinheitswahn der jeweils Regierenden entsprach - das sind wiederkehrende Momente in totalitären Gesellschaften. Prudhomme versteht es meisterhaft, diese Unterdrückung spürbar zu machen, indem er fünf in jeder Hinsicht vogelfreie Männer in den Mittelpunkt seiner Geschichte stellt: Sie tun, was sie wollen, aber sie haben auch keinen Rückhalt.

"Rembetiko" nimmt sich Zeit für seinen Oktobertag, eben mehr als hundert Seiten. Der Band führt die fünf Hauptfiguren langsam zusammen, ehe sie wie im Rausch die Nacht in den Bordellen, Kaschemmen und Kafenions von Athen durchleben und dann am Morgen ihre musikalische Zweckgemeinschaft wieder zerfällt. Die Freundschaft aber bleibt, und Prudhomme inszeniert im Sonnenglast oder Kellerdämmer seiner Dekors ein ästhetisches wie individuelles Pathos, das seine Figuren überlebensgroß macht, obwohl sie aus kleinen Verhältnissen stammen. Er nutzt dazu die Bildsprache des Comics - Statuarik, Perspektivverschiebung, Figurenstaffelung - ebenso wie eine Seitenarchitektur, die durch Formatvariationen der Panels das Geschehen rhythmisiert. So kann man nur im Comic erzählen, und wenn man denn von Graphic Novels als Inbegriff anspruchsvoller Bilderzählungen reden will, hat man hier gewiss eines der gelungensten Beispiele.

Doch "literarisch" ist das nur für den, dem die Worte fehlen, das spezifische Comicerlebnis zu beschreiben. Dabei setzt Prudhomme die Erzählweise großer Vorbilder fort: Hugo Pratt vor allem, jenen Comiczeichner, der mit seiner Serie "Corto Maltese" schon vor mehr als vierzig Jahren vorgeführt hat, wie man historische Stoffe (die Kaperfahrten von 1914 in den Südsee-Kolonialgebieten, den russischen Bürgerkrieg) in romantisches Pathos kleiden kann. Auch Pratt nahm keine Rücksichten auf formale Vorgaben; er wählte den Umfang nach den Erfordernissen der jeweiligen Geschichte und zeichnete seine Bilder so, dass man sie auf jedes gewünschte Format ummontieren konnte. Deshalb gilt er heute als erster europäischer Comicromancier, aber auch hier täuscht der Begriff etwas vor, was Pratt gar nicht einzulösen gewillt war: literarische Qualität in traditionellem Sinne. Pratt wollte vielmehr das Erzählen neu erfinden - mit den Mitteln der Bildergeschichte.

Darin folgt ihm nicht nur Prudhomme, sondern auch zwei weitere Publikationen, die jetzt auf Deutsch erschienen sind, versuchen sich daran. Auch sie werden als Graphic Novels vermarktet, obwohl sie Sachcomics sind. Oder nennen wir sie - in Analogie zum Fernsehformat der Doku-Fiction - "Dokucomics". Jeder Comic hat ja durch die Handschrift seiner Zeichnungen bereits etwas Fiktionales: Eine der Abstraktion der Buchstabenschrift vergleichbare Objektivität kann die erkennbar subjektive Comicdarstellungsweise nicht für sich beanspruchen. Gute Comics zeichnen sich nun dadurch aus, dass sie aus dieser scheinbaren Schwäche eine Stärke machen, indem sie die Autorenindividualität besonders betonen. Und genau in diesem Punkt unterscheiden sich die beiden erwähnten anderen Graphic Novels voneinander - und von "Rembetiko".

Es handelt sich einmal um den Band "Logicomix", eine Biographie des Philosophen Bertrand Russell, die von Apostolos Doxiadis und Christos H. Papadimitriou geschrieben und von Alecos Papadatos und Annie Di Donna gezeichnet wurde. Entstanden 2009 für den englischen Verlagskonzern Bloomsbury, liegt "Logicomix" mittlerweile in zahlreichen Sprachen vor; die deutsche Version hat Atrium im Programm - der typische Fall eines Verlags, der sein traditionelles literarisches Programm um Graphic Novels ergänzt, um den neuen Trend nicht zu verpassen. (2009 ist bei Atrium schon "Waltz With Bashir" erschienen, der Comic nach Ari Folmans hochgelobtem Animationsfilm.)

Die andere exemplarisch interessante Neuerscheinung ist gleichfalls eine gezeichnete Biographie: die der Anne Frank. Der mehr als achtzigjährige Comicveteran Sid Jacobson, der im selben Jahr wie Anne Frank geboren wurde, dessen jüdische Familie aber rechtzeitig nach Amerika ausgewandert war, hat sie geschrieben, der kaum jüngere Ernie Colón gezeichnet, und entstanden ist das Projekt in Zusammenarbeit mit dem Anne-Frank-Haus in Amsterdam. Die deutsche Übersetzung hat sich mit Carlsen ein Comicgroßverlag gesichert - neben Reprodukt ist Carlsen der eifrigste Propagandist der Graphic Novels. Auf der Grundlage der biographischen Forschung zu Anne Frank und natürlich ihrer Tagebücher haben Jacobson und Colón eine Lebensgeschichte aufgezeichnet, die sich um größtmögliche Sachlichkeit bei Inhalt und Grafik bemüht.

Pseudokindgerechte Schlichtheit

Das unterscheidet sie von der freien zeichnerischen Virtuosität von "Rembetiko", mehr aber noch von den stilisierten Zeichnungen, die man in "Logicomix" findet. Die Russell-Biographie setzt auf kindgerecht vereinfachte Bilder in knalligen Computerfarben wie aus der Comic-Klischeekiste. Will man so einem unkundigen erwachsenen Publikum suggerieren, damit ließen sich seine comicbegeisterten Sprösslinge für das anspruchsvolle Thema begeistern? Dafür aber müsste nicht nur auch anspruchsvoll gezeichnet, sondern überhaupt erst einmal anspruchsvoll erzählt werden. Russells Leben wird hier erzählt, als hätte man es bei Wikipedia abgeschrieben, und gäbe es nicht im Anhang lexikalische Erläuterungen zu den wichtigsten Protagonisten und Begriffen, würde der Comic als solcher kaum Wissen vermitteln. Was für eine Chance wurde da vertan.

"Das Leben von Anne Frank" dagegen bietet zwar auch keine solch stimmungsvolle Grafik wie "Rembetiko", nutzt aber immerhin verschiedene zeichnerische Stilebenen, um bestimmte dokumentarische Bilder hervorzuheben Colóns Protagonisten kommen auch nicht als bemüht comicgerecht erscheinende Figuren wie die von Papadatos und Di Donna daher, sondern weisen technisch geschickt vereinfachte Physiognomien auf, die sich an den bekannten Fotodokumenten aus Anne Franks Umfeld orientieren. Erzählerisch sind beide Biographien nicht originell, aber Sid Jacobson ist der ungleich versiertere Szenarist. Man merkt sofort, dass Doxiadis und Papadimitriou Comic-Debütanten sind.

Dass aber überhaupt Comics zu solch ernsthaften Themen in Deutschland erscheinen, wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Und wenn es durch den gegenwärtigen Boom möglich wird, auch Preziosen wie "Rembetiko" ans Publikum zu bringen, soll doch ruhig von "Graphic Novel" sprechen, wer sich damit an einen grandiosen Comic heranwagt.

ANDREAS PLATTHAUS

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Dieser Comic über das faschistische Griechenland des Jahres 1936 ist eine "elegische Geschichtsschau über die Möglichkeiten und den Missbrauch der Kunst", schreibt Rezensent Waldemar Kesler bewegt. In seinem Comic, den er erstmals nicht nur gezeichnet, sondern auch geschrieben habe, begleite David Prudhomme einen trinkseligen langen Tag fünf Rembetiko-Spieler durch die Straßen Athens. Seine Zeichnungen versetzen die Musiker in ein bräunliches Dunkel, schreibt Kesler. Nur wenn sie singen, hellen hellblaue Buchstaben das Dunkel auf, so der Rezensent. Die Bilder erinnern ihn an Filme des italienischen Neorealismus. Die Geschichte selbst beeindruckt ihn auch dadurch, dass sie sichtbar macht, welch mächtiges Mittel der Selbstbehauptung gegen die Unterdrückung die Musik des Rembetiko war.

© Perlentaucher Medien GmbH