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Mit dem Aufschwung des Tourismus im ausgehenden 19. Jahrhunderts deklarierten sich Seebäder, Kurorte und Sommerfrischen gern als "judenfrei", um antisemitisch gesonnene Feriengäste aus der Mitte der deutschen Gesellschaft anzusprechen. Juden mussten mit Schmähungen, Beleidigungen und tätlichen Übergriffen rechnen. Zur Warnung brachten jüdische Zeitungen lange Listen "antisemitischer Badeorte und Hotels".
Nach 1933 kulminierte der Bäder-Antisemitismus, der im übrigen ein internationales Phänomen war, in der systematischen Vertreibung von Juden aus sämtlichen Kur- und Badeorten.

Produktbeschreibung
Mit dem Aufschwung des Tourismus im ausgehenden 19. Jahrhunderts deklarierten sich Seebäder, Kurorte und Sommerfrischen gern als "judenfrei", um antisemitisch gesonnene Feriengäste aus der Mitte der deutschen Gesellschaft anzusprechen. Juden mussten mit Schmähungen, Beleidigungen und tätlichen Übergriffen rechnen. Zur Warnung brachten jüdische Zeitungen lange Listen "antisemitischer Badeorte und Hotels".

Nach 1933 kulminierte der Bäder-Antisemitismus, der im übrigen ein internationales Phänomen war, in der systematischen Vertreibung von Juden aus sämtlichen Kur- und Badeorten.

Autorenporträt
Dr. Frank Bajohr,geboren 1961, ist Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er war bis 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und arbeitete als Fellow u. a. in Yad Vashem/Israel und am US Holocaust Memorial Museum in Washington. Bei Fischer erschien von ihm u. a.: ¿Parvenüs und Profiteure. Korruption in der NS-Zeit¿ (2001) und ¿»Unser Hotel ist judenfrei«. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert¿ (2003).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.06.2003

Wos! I, in der Sommersaison a Nazi?
Fröhliche Ferien: Frank Bajohr schildert den Antisemitismus an der See und im Gebirge
Theodor Fontane berichtete aus Norderney: „Fatal waren die Juden; ihre frechen, unschönen Gaunergesichter (denn in Gaunerei liegt ihre ganze Größe) drängen sich einem überall auf. Wer in Rawicz oder Meseritz ein Jahr lang Menschen betrogen oder wenn nicht betrogen, eklige Geschäfte besorgt hat, hat keinen Anspruch darauf, sich in Norderney unter Prinzessinnen und Comtessen mit herumzuzieren.” Und Ludwig Thoma höhnte über die Sommerfrischler „Teiteles Cohn und Isidor Veigelduft, die dürfen im Sommer nach wie vor ihre verschnörkelten Haxen in die Lederbuxen stellen, am Arm ihre Rebekka im Dirndlg’wand, nach Veilchen und Knoblauch duftend.”
Lange bevor der Antisemitismus staatlich verordnet wurde, ereigneten sich Jagdszenen in Oberbayern und an der Nordsee, die weit über die von Fontane und Thoma geäußerte verbale Ebene hinausgingen. In Borkum intonierte die Kurkapelle täglich und unbekümmert von gerichtlichen Verboten das „Borkum- Lied”, dessen letzte Strophe endet:
„An Borkums Strand nur Deutschtum gilt, nur deutsch ist das Panier / Wir halten rein den Ehrenschild Germanias für und für! / Doch wer dir naht mit platten Füßen, mit Nasen krumm und Haaren kraus / der soll nicht deinen Strand genießen, der muß hinaus! Der muß hinaus!”
Im bekanntermaßen antisemitischen Miesbacher Anzeiger nannte Ludwig Thoma den Kurt Tucholsky einen „kleinen galizischen Krüppel”, nachdem dieser gewarnt hatte: „Berliner, die auch noch israelitisch sind, Fremde, die eine Erholungsreise und keinen Guerillakrieg unternehmen wollen”, sollten Bayern lieber meiden, denn man reise selbst in Afrika gefahrloser – „ganz abgesehen von der dort herrschenden Zivilisation.”
Wer sich als Jude zur Kur oder in die Sommerfrische begab, musste bereits vor dem 1. Weltkrieg darauf achten, wohin die Reise ging. Die Topografie der antisemitischen wie auch der judenfreundlichen Kurorte in Deutschland war wohl bekannt. In regelmäßigen Abständen veröffentlichte die jüdische Presse Listen von Kurorten und Unterkünften, die sich rühmten, „judenrein” zu sein. Keine andere Nordseeinsel hatte während der zwanziger Jahre einen so großen Zuwachs zu verzeichnen wie das antisemitische Borkum. In den österreichischen Sommerfrischen dagegen war der Hotelbesitzer, der entrüstet behauptete,: „Wos! I, in der Sommersaison a Nazi?”, eine vielzitierte Figur. Dass es auch anders ging, bewiesen vor allem renommierte und traditionsreiche Kurbäder wie Norderney, Heringsdorf, Bad Kissingen und Baden-Baden, die zahlreiche jüdische Kurgäste zählten und auch aktive Maßnahmen gegen den Bäderantisemitismus einleiteten.
Juden raus aus Zinnowitz
Man wusste also ganz genau, wo man willkommen war und wo nicht. Als Stefan Zweig von einem Freund auf die traditionell antisemitische Nordseeinsel Langeoog eingeladen wurde, schrieb er diesem: „Ich lasse mich nicht ‚pardonnieren.‘ Und dulden, besonders dort wo ich bezahle... da lieber nach Marienbad oder Italien.” Victor Klemperer berichtete etwa zur gleichen Zeit aus der Nachbarschaft: „Zinnowitz wäre ein Bad wie die andern hier auch, aber es ist das betont judenreine Bad, es ist in Judenreinheit Bansin noch überlegen.” Ob Zweig und Klemperer wohl die Meinung des Verlegers Wolf Jobst Siedler teilten, der den Vers „Juden raus aus Zinnowitz, Heringsdorf ist euer Sitz” als „harmlos” und „nicht eigentlich bösartig gemeint” in Erinnerung behielt?
Die Zeitgenossen wussten es besser. Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts fand sich Theodor Fontane in der Bädertopografie hervorragend zurecht: Aus Borkum konnte er seinem Sohn Theodor berichten: „Borkum ist judenfrei, das soll aber auch der einzige Vorzug sein.” In Kissingen dagegen waren ihm zu viele Vertreter „aus der Welt-Judenschaft (alle Nationen)”. In Krummhügel wiederum, wo keine Juden verkehrten, fühlte er sich wohl: „Es gibt hier Hunderte von Berlinern, meistens vortreffliche Leute, Professoren, Oberlehrer, Doktoren. Keine pratschigen Juden.”
Auch auf den Bergen musste man wissen, wo man sich bewegte. Bereits in den frühen zwanziger Jahren hatten die meisten Alpenvereine ihre jüdischen Mitglieder ausgeschlossen. „Seit Ende des Jahrzehnts bewegten sich jüdische Bergsteiger faktisch in kleinen, alpinen Ghettos, und nirgendwo sonst war die öffentliche Ausgrenzung der Juden weiter vorangeschritten als in den Bergregionen des Deutschen Reiches,” fasst Frank Bajohr die Situation auf und unter den Gipfeln zusammen.
Der Bäderantisemitismus gehört zu jenen Phänomenen, die verharmlost und vergessen wurden, obwohl erst durch ihre Beleuchtung die alltägliche Dimension der Judenfeindschaft in Deutschland vor 1933 deutlich wird. Wer das hervorragend recherchierte und brillant geschriebene Buch von Frank Bajohr studiert, wird ein wenig besser verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass sich der Antisemitismus nach 1933 staatlich verordnen ließ. Dabei lässt Bajohr keine teleologische Sichtweise zu, verweist auch auf den Bäder-Antisemitismus in anderen Ländern und zeigt die Versuche auf, diesem vor allem von jüdischer, aber auch von nichtjüdischer Seite entgegenzuwirken. Es handelt sich hierbei zweifellos um eine der wichtigsten Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Antisemitismusforschung der letzten Jahre.
Auch nach 1945 hatten viele Juden ihre Liebe zu den Kurbädern und Sommerfrischen nicht verloren. „Wenn ich in Amerika Heimweh habe, ist es niemals nach Wien, immer Heimweh nach Aussee, nach einem bestimmten Waldweg, einer bestimmten Aussicht, nach dem Geruch”, schrieb die Emigrantin Gina Kaus. 1953 berichtete Alfred Polgar aus Mayrhofen im Zillertal: „Hier wird unser séjour nicht länger als 14 Tage dauern, wohin dann wissen wir nicht. Remigranten, wie Du sie überall in Europa vermutest, gibt es keine in diesem Gebirgsort... Wir sind eine doppelte Rarität hier: die einzigen Amerikaner und die einzigen Juden. Aber Berg, Fluss und Landschaft zeigen, zumindest an ihrer Oberfläche, keine antisemitische Tendenz.”
MICHAEL
BRENNER
FRANK BAJOHR: „Unser Hotel ist judenfrei”. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Fischer Taschenbücher, Frankfurt am Main 2003. 256 Seiten, 12,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2003

Norderney, auf Sand gebaut
Frank Bajohrs Studie über Antisemitismus in Badeorten

Als Victor Klemperer um 1900 in München den ersten Fronleichnams-Umzug in seinem ganzen Gepränge sah, meinte dieser norddeutsch-berlinische Jude zu der Prozession: "In ihrem theatralischen Wesen ist sie undeutsch; ich dachte, so etwas könne man nur in Italien oder Spanien zu sehen bekommen." Deutschtum und Protestantismus ("wie das Lessingsche Denken") waren für ihn "gleiche Begriffe".

Ähnlich wie Klemperer über die Katholiken, urteilte 1882 Theodor Fontane über die Ostjuden auf Norderney: "Fatal waren die Juden; ihre frechen und unschönen Gaunergesichter drängen sich einem überall auf." Sie hätten keine Berechtigung, "sich in Norderney unter Prinzessinnen und Comtessen mit herumzuzieren." Diese Juden waren für Fontane undeutsch. Dabei galt gerade Norderney um 1900 als "Judeninsel". Das "Wangerooger Judenlied" endete mit dem Refrain: "Und tausendstimmig schallet unser Schrei: Der Jud' muß 'raus, er muß nach Norderney!" Das Borkum-Lied von 1918 wiederholte immer wieder: "Laß't keinen Jud' in Eure Mitte / Borkum soll frei von Juden sein!" Frank Bajohr geht in seiner Studie über den Bäder-Antisemitismus der Frage nach, warum sich gerade in den deutschen See- und Heilbädern ein Antisemitismus entwickeln konnte.

Kurbäder sind kleine Orte. Man begibt sich nur für eine gewisse Zeit dorthin, die Besucher fühlen sich immer wie in einer festlichen Ausnahmesituation. Vor allem sind die Bäder überschaubar. An solchen kleinen und reinen Orten fällt alles Fremde sofort auf als eine Art Störung der gehobenen Stimmung. Juden, besonders aus Osteuropa, im schwarzen Kaftan und mit Schläfenlocken, wurden in den Bädern als "undeutsch" und "dreckig" angesehen: "dem Volk ist sein Geruch geblieben, die deutsche Nase rümpft sich angstbeklommen". Augen und Nasen sind besonders in Kurorten empfindlich. Eine Gruppe von Nonnen, ihren Rosenkranz betend, wäre übrigens ähnlich störend aufgefallen, als "Andere" auch nicht akzeptiert worden, denn die katholischen Schwestern hätten nicht zu den lutherischen "Strandandachten" und "religiös-musikalischen Morgenfeiern" gepaßt. Daß die Nordsee-Bäder auch streng antikatholisch waren und man dort alles "Ultramontane" als undeutsch empfand, sagt der Autor leider nur am Rande. Notker Hammerstein hat 1995 in seiner Studie über "Antisemitismus und deutsche Universität" gezeigt, daß Antisemitismus und Antikatholizismus bei bestimmten Gruppierungen in Deutschland bis 1933 häufig parallele Phänomene waren.

Wie kaum eine andere Spielart des Antisemitismus arbeitete der sogenannte "Bäder-Antisemitismus" mit einem Klischee: Als Juden galten Menschen mit Krummnasen, Negerlocken und Wulstlippen, die zu dem nach Knoblauch rochen. "Wir Deutsche legen nämlich gar keinen Wert darauf, den Anblick jüdischer Typen zu genießen und vermissen recht gern ihre knoblauchduftende Anwesenheit." Dieser Antisemitismus ist nicht aus theologisch-christlichen Quellen gespeist und nicht politisch oder rassenkundlich untermauert, sondern er kann als ein ästhetischer Antisemitismus bezeichnet werden: die Juden beleidigen die Sinne (Auge und Nase). Wenn es heißt "Juden, Negern und Mulatten ist das Betreten meines Grundstücks verboten", so zeigt dieses Verbot, daß alle fremd aussehenden Menschen, nicht allein die Juden, nicht geduldet werden. Dieser von mir "ästhetisch" genannte Antisemitismus spiegelt das Vorurteil des Kleinbürgers gegen alles andere und Fremde, das seine eigene Lebensgewohnheit unsicher macht und in Frage stellt. Frank Bajohrs These, daß der Bäder-Antisemitismus "für die wachsende gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden in Deutschland (nach 1933) verantwortlich war", kann man wohl kaum zustimmen.

Daß erst 1937 eine reichsweite Anordnung für "jüdische Kurgäste in Bädern und Kurorten" erlassen wurde, macht recht deutlich, daß der rassistische Antisemitismus des Nationalsozialismus etwas anderes war als der ästhetische Antisemitismus in den Bädern des neunzehnten Jahrhunderts und in der Weimarer Republik. Heute sind die Muslime die Juden in Deutschland.

FRIEDRICH NIEWÖHNER

Frank Bajohr: "Unser Hotel ist judenfrei". Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2003. 233 S., br., 12,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

"Bewacht den Strand auch künftig fein, Lasst keinen Jud in eure Mitte, Lebt wohl, es muss geschieden sein", zitiert der Rezensent Sirku Plötner antijüdische Lieder aus dem Kaiserreich. Bereits vor 1933 gab es die spezifische Form des "Bäder-Antisemitismus" in den deutschen Nordsee-Badeorten, der erst später von den Nazis instrumentalisiert wurde, wie Plötner bemerkt. Frank Bajohr will mit seiner Studie "größere Zusammenhänge" beleuchten, und so den gesellschaftlichen Antisemitismus in Deutschland mit Hitlers Judenvernichtung verknüpfen, was nach Meinung des Rezensenten zu "interessanten Einsichten" führt. Allerdings moniert er, dass der Autor die zentrale Frage, was "Borkum mit Auschwitz verbindet", nicht hinreichend klären kann. Bajohrs internationaler Vergleich zeige zwar, dass es zum Beispiel auch in den USA "Bäder-Antisemitismus" gegeben habe, mit der Schlussfolgerung des Autors hieraus ist Plötner jedoch nicht einverstanden. Schließlich sei in der Forschung längst anerkannt, "dass der Antisemitismus ein europäisches Phänomen war", der vielleicht gerade den "großen Zivilisationsbruch" ermöglicht habe.

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