17,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

Gerhard Roth verfolgt das Projekt, mit Hilfe der Erkenntnisse der modernen Neurobiologie und Hirnforschung Fragen zu beantworten, die seit jeher Philosophen, Wissenschaftler und alle denkenden Menschen beschäftigt haben: Sind wir Menschen einzigartig? Wie entsteht unsere Bewußtseinswelt? Können wir die Welt erkennen, wie sie ist, oder nehmen wir nur Konstruktionen unseres Gehirns wahr? Auf was sollen wir hören: auf den Verstand oder die Gefühle? Wer oder was formt uns: Gene, das Unbewußte oder die Erziehung? Ist mein Wille frei? Diese und ähnliche Fragen werden in zwölf Kapiteln auf eine Weise…mehr

Produktbeschreibung
Gerhard Roth verfolgt das Projekt, mit Hilfe der Erkenntnisse der modernen Neurobiologie und Hirnforschung Fragen zu beantworten, die seit jeher Philosophen, Wissenschaftler und alle denkenden Menschen beschäftigt haben: Sind wir Menschen einzigartig? Wie entsteht unsere Bewußtseinswelt? Können wir die Welt erkennen, wie sie ist, oder nehmen wir nur Konstruktionen unseres Gehirns wahr? Auf was sollen wir hören: auf den Verstand oder die Gefühle? Wer oder was formt uns: Gene, das Unbewußte oder die Erziehung? Ist mein Wille frei? Diese und ähnliche Fragen werden in zwölf Kapiteln auf eine Weise behandelt, die keinerlei fachwissenschaftliche Vorkenntnisse erfordert. Das Buch präsentiert die Umrisse eines neuen Menschenbildes, das naturwissenschaftlich begründet ist und zugleich Einsichten der Geistes- und Sozialwissenschaften berücksichtigt.
Autorenporträt
Gerhard Roth, geboren 1942, war promovierter Philosoph und promovierter Biologe. Seit 1976 war er Professor für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie am Institut für Hirnforschung der Universität Bremen, seit 2016 leitete er zudem das Roth Institut in Bremen. Von 1997 bis 2008 war er Rektor des Hanse-Wissenschaftskollegs, von 2003 bis 2011 Präsident der Studienstiftung des Deutschen Volkes, außerdem war er Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt den Life Achievement Award. Er galt als einer der bedeutendsten Neurowissenschaftler im deutschsprachigen Raum, seine Bücher erreichten regelmäßig Bestsellerstatus. Gerhard Roth ist am 25. April 2023 verstorben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.2003

Leider ohne Anführungszeichen
Jürgen Roth glaubt zu wissen, wie der Mensch im Innersten tickt

Am heutigen Montag erscheint ein Buch für alle Tage unseres Lebens. Das Privileg, solche Bücher zu verfassen, war bisher Schriftstellern von Liebesromanen und Theologen vorbehalten. Seit kurzem gibt es jedoch noch eine dritte Berufsgruppe, die uns sagen möchte, wie der Mensch im Innersten tickt: die Hirnforscher. Zu ihnen gehört der Bremer Jürgen Roth. Als einer der ersten im deutschsprachigen Raum war er schon vor Jahren bemüht, die enge Arena der naturwissenschaftlichen Beschreibung des Gehirns zu verlassen, und der Frage nachzugehen, was sich aus den neurobiologischen Beobachtungen für das Wesen des Menschen ergibt. Sein neues Buch heißt "Aus Sicht des Gehirns", und daß in diesem Titel das Objekt zu fehlen scheint (was soll denn aus Sicht des Gehirns gesehen werden?), ist Absicht. Denn was Roth aus Sicht des Gehirns sehen will, ist so viel und groß, so weit und breit, daß es sich von einem einzigen Buchtitel gar nicht eingrenzen läßt, es sei denn eben, man wäre Romancier oder Theologe. Was Roth in diesem Buch tun will, ist das, worum ihn sein Verlag laut Vorwort gebeten hat: "einige Aspekte der Hirnforschung und ihre Bedeutung für das Menschenbild darzustellen", und zwar in einer Weise, "die keine allzu große Geduld und Anstrengung erfordert".

Im Laufe der Lektüre erweist sich dann, daß dies in der Tat recht gut, ja zwingend zusammengeht: über etwas so Umfassendes wie "das Menschenbild" zu schreiben und gleichzeitig sicherzustellen, daß der Leser von den Zumutungen der Geduld und der Anstrengung verschont bleibt. Bei Roth leuchtet nämlich ein Strukturgesetz der Bücher mit der Generalfrage "Was ist der Mensch?" auf: Sie lassen sich nur eilig konsumieren oder gar nicht. Insoweit beweist der Verlag den richtigen Riecher, wenn er die neue Seinsphilosophie der Gehirnforscher als ideales Genre für eine Epoche der veränderten, sprich: verkürzten Lesegewohnheiten erkennt und seine Autoren zur Einhaltung der genretypischen Abkürzungen ermahnt.

Was nun aber jene Leser angeht, die an den Erwartungen des Verlags vorbei dem Hirn mit Geduld und Anstrengung begegnen wollen, so wird ihnen Roths Kost einen Zug ins Halbgare offenbaren, die hier und da gar Formen der Unbekömmlichkeit annimmt. Gemeint sind nicht jene lehrreichen und oftmals faszinierenden Passagen, in denen der Hirnforscher bei seinen Leisten bleibt - Passagen, die den Kosmos des Gehirns in seinen neuronalen Baugesetzen beschreiben und die Roth zum Großteil auch schon in seinen beiden früheren Büchern "Das Gehirn und seine Wirklichkeit" sowie "Fühlen, Denken, Handeln" dargelegt hat. Aus solchen Passagen spricht die große Fähigkeit des Autors, komplizierte naturwissenschaftliche Zusammenhänge dem interessierten, aber nicht einschlägig vorgebildeten Leser begreiflich zu machen. Roth teilt diese Fähigkeit etwa mit Wolf Singer, dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung, und was das bei einem so komplizierten Thema wert ist, ermißt man spätestens, wenn man neben Roth und Singer die verquasten, in der Regel völlig unverständlichen Äußerungen des Bonner Hirnforschers Detlev Linke hält. Auch Linke tritt mit dem Anspruch hervor, sein Fach einem größeren Publikum verständlich zu machen, verständlich wird er aber vorzugsweise für sich selbst.

Ach, hätten sich so seriöse Wissenschaftler wie Roth und Singer nur nicht von den Agenten der Interdisziplinarität verführen lassen! Sie wären Könige in den Grenzen ihrer Disziplin geblieben. So aber ziehen sie nun auch als Scharlatane der Philosophie durch die Lande. Man erinnert sich diesbezüglich an den blamablen Auftritt Singers auf einem gemeinsamen Podium mit Ansgar Beckermann und Jürgen Habermas. Den Philosophen standen die Haare zu Berge, als der Hirnforscher vor ihren Augen körbeweise Steine der Weisen auspackte, die die ganze Philosophiegeschichte bislang vergeblich zu finden hoffte.

Und auch Roth meint zu wissen, wie etwa das Problem der Willensfreiheit zu lösen ist. Aus dem Aufweis der neuronalen Substrate des Geistes wird kurzerhand und stets "eindeutig" geschlossen, daß sich der Wille nur scheinbar in die Tat umsetzt. Heißt dies - so fragt Roth -, daß wir für unser Tun nicht verantwortlich sind? "Die Antwort auf diese Frage ist eindeutig: Das bewußte, denkende und wollende Ich ist nicht im moralischen Sinne verantwortlich für dasjenige, was das Gehirn tut, auch wenn dieses Gehirn ,perfiderweise' dem Ich die entsprechende Illusion verleiht." Das Ich sei zwar unerläßlich für komplexe Handlungsplanung, "es wägt ab, erteilt Ratschläge, aber es entscheidet nichts". Die strafrechtliche Revolution folgt prompt: "Wenn Verantwortung an persönliche moralische Schuld gebunden ist, wie es im deutschen Strafrecht der Fall ist, dann können wir nicht subjektiv verantwortlich sein, weil niemand schuld an etwas sein kann, daß er gar nicht begangen hat und auch gar nicht begangen haben konnte."

Nicht, daß es am deutschen Strafprozeßrecht nichts zu reformieren gäbe. Klaus Lüderssen hat erst unlängst in dieser Zeitung die "generalisierenden, mit großer Gebärde gesprochenen Bewertungen" als Praxis hiesiger Gerichte beklagt; bei der Schuldfeststellung werde oft genug versäumt, entsprechend notwendige "zusätzliche ernsthafte Expertisen" heranzuziehen. Aber sollten die erwünschten Expertisen wirklich so wie bei Roth aussehen? Ist das, was Roth als exakte Bestimmungen des Menschenbilds ausgibt, nicht selbst ein Dokument generalisierender, mit großer Gebärde gesprochener Bewertungen? Denn das eine ist, Korrespondenzen zwischen Materie und Bewußtsein aufzuzeigen. Etwas völlig anderes ist jedoch die Frage, was genau daraus für die Erscheinungen des Geistes folgt, welche der Alltagssprachgebrauch und die philosophische Tradition mit Begriffen wie "Freiheit", "Wille", "Verstand", "Gefühl" et cetera belegen.

Roth meint, solche Folgerungen ohne weiteres ziehen zu können. Aber der springende Punkt, nämlich die Frage nach den kausalen Ursprüngen all dieser "Funktionen", erhält jedes Mal nur eine Scheinantwort. Was weiß man, wenn man weiß, daß sich diese Verstandesfunktion jenem Gehirnareal "zuordnen" läßt? Daß dieser Teil der Hirnrinde die längerfristigen Folgen unseres Handelns "überprüft" und "entsprechend" dessen Einpassung in soziale Erwartungen "lenkt"? Daß jener Cortexbereich das impulsive Verhalten "kontrolliert"? Das Problem des Buches ist, daß Roth ein derartiges Vokabular der Steuerung nicht in Anführungszeichen setzt. Er verwendet es buchstäblich, so als sei schon klar, daß man die Aktivität der Nervenzellen als Gradmesser von "Freiheit", "Wille", "Verstand", "Gefühl" nehmen könne. Auch diese vier idealistischen Begriffe gebraucht Roth bezeichnenderweise ohne Anführungszeichen. "Der Gegensatz von Verstand und Gefühlen ist uns allen geläufig", schreibt er. Mir nicht, wendet der geduldige Leser ein. Ihm ist, als wisse er nach der Lektüre Roths noch viel weniger, was in ihm ist.

CHRISTIAN GEYER

Jürgen Roth: "Aus Sicht des Gehirns". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 214 S., br., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Obwohl Christian Geyer "die große Fähigkeit" von Jürgen Roth schätzt, "komplizierte naturwissenschaftliche Zusammenhänge dem interessierten, aber nicht einschlägig vorgebildeten Leser begreiflich zu machen", und obschon er die "lehrreichen und oftmals faszinierenden Passagen, in denen der Hirnforscher bei seinen Leisten bleibt", von seinem Urteil ausdrücklich ausnimmt, hat ihn dieses Buch verärgert. Roth erweise sich hier als einer der Hirnforscher von dem Schlage, die gerne "körbeweise Steine der Weisen" auspackten, "die die ganze Philosophiegeschichte bislang vergeblich zu finden hoffte." So meine Roth etwa zu wissen, wie das Problem der Willensfreiheit zu lösen sei. Die scheinbar eindeutige Antwort Roths, wonach das "wollende Ich" im "moralischen Sinne" nicht verantwortlich sei, "für dasjenige, was das Gehirn tut, auch wenn dieses Gehirn 'perfiderweise' dem Ich die entsprechende Illusion verleiht", ist dem Rezensenten jedoch zu dünn." Was wisse man denn eigentlich, fragt Geyer, wenn man wisse, dass "dieser Teil der Hirnrinde die längerfristigen Folgen unseres Handelns 'überprüft'" oder "jener Cortexbereich das impulsive Verhalten 'kontrolliert'"? Das Problem des Buches sei, so Geyer abschließend, dass der Autor dieses Vokabular der Steuerung nicht in Anführungszeichen setze, sondern buchstäblich verwende - es dann aber eben nur die Illusion von Klarheit herstelle.

© Perlentaucher Medien GmbH
…mehr