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Diese Autobiographie ist üppiges Lesefutter. Ein Leben wie ein Roman. Erinnerungen an Kindheit und Jugend, an das Haus der Familie in Aracataca. Den Ort, der in "Hundert Jahre Einsamkeit" zur phantastischen Welt von Macondo wurde. Die ergreifende Liebesgeschichte der Eltern, die Gespensterwelt der Großmutter, Liebesabenteuer, Freundschaften fürs Leben, die blutige Geschichte Kolumbiens und García Marquez' größte Leidenschaft - die für die Literatur.

Produktbeschreibung
Diese Autobiographie ist üppiges Lesefutter. Ein Leben wie ein Roman. Erinnerungen an Kindheit und Jugend, an das Haus der Familie in Aracataca. Den Ort, der in "Hundert Jahre Einsamkeit" zur phantastischen Welt von Macondo wurde. Die ergreifende Liebesgeschichte der Eltern, die Gespensterwelt der Großmutter, Liebesabenteuer, Freundschaften fürs Leben, die blutige Geschichte Kolumbiens und García Marquez' größte Leidenschaft - die für die Literatur.
Autorenporträt
Gabriel García Márquez, geboren 1927 in Aracataca, Kolumbien, gilt als einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Schriftsteller der Welt. 1982 erhielt er den Nobelpreis für Literatur für seine Werke, »in denen sich das Phantastische und das Realistische [¿] vereinen, die Leben und Konflikt eines Kontinents widerspiegeln«. Gabriel García Márquez hat ein umfangreiches erzählerisches und journalistisches Werk vorgelegt. Er starb am 17. April 2014 in Mexiko City. Das Werk von Gabriel García Márquez ist bei Kiepenheuer & Witsch und im Fischer Taschenbuch lieferbar.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.12.2002

Naturbursche, halbseiden
Gabriel García Márquez huldigt der Magie des eigenen Lebens
Voller Theorien ist die Welt der Kulturwissenschaften, manche von ihnen vernünftig, andere eher verwegen, einige schlichtweg absurd. Eine aber haben die eifrigen Gelehrten übersehen, obwohl sie seit fast vierzig Jahren in vielen Millionen Exemplaren zirkuliert. Diesen vernachlässigten, ja schlichtweg ignorierten „Ansatz” wollen wir, weil die modernen Geisteswissenschaften nichts so sehr lieben wie eingängige, möglichst bunte Bildchen, die „Pizza-Theorie” nennen. Sie besagt, dass die Pizza das heimatliche Neapel verlassen und zur armen Einwanderin in New York werden muss, bevor sie, reich geworden und an den Ort des Ursprungs zurück gekehrt, ihr eigentliches Potential als Stifterin süditalienischer Identität entfalten kann. Oder, etwas akademischer ausgedrückt: man muss sich des Eigenen entledigen und es in ein Fremdes verwandeln, damit es in einer Art von Begegnung der dritten Art zum Ureigensten werden kann.
Ein wunderbares Beispiel für die – ja, wie soll man sagen: für die „Valenz” der „Pizza-Theorie” ist der sogenannte „magische Realismus” in der Literatur. In den späten sechziger Jahren in Lateinamerika entstanden, wanderte er Anfang der siebziger nach Nordamerika und dann vor allem nach Europa aus, wurde reich und kehrte, ausgestattet mit großem Ruhm sowie nicht nur literarischen, sondern auch politischen Ehren, in die Heimat zurück. Seitdem gilt er als deren repräsentativer Ausdruck, im Ausland wie im Inland. Niemand spielt – nein: verkörpert – diese Rolle so hervorragend wie Gabriel García Márquez, der Nobelpreisträger für Literatur des Jahres 1982.
Wie die Hitze über Macondo liegt, wie der Schlamm des Flusses Magdalena riecht, wie der Mond über Cartagena aufgeht und die Huren am Tresen von „La Cueva” kichern, haben auch die deutschen Leser in großer Zahl und mit noch größerer Begeisterung erfahren. Mit Romanen wie „Hundert Jahre Einsamkeit” (1970), „Chronik eines angekündigten Todes” (1985) oder „Die Liebe in Zeiten der Cholera” (1988) wurde ihnen der Norden Kolumbiens, dargeboten mit der milden Ironie dieses Autors, zu einer zweiten Heimat, in der alles anders war als zu Hause.
Der scheinheilige Frieden
Die Sonne schien heiß, und die Natur war üppig, inmitten von Armut und Verfall blühte das Leben, und selbst den Schurken konnte längerfristig keiner böse sein. Drei Motive waren es vor allem, von denen sich diese Begeisterung beflügeln ließ: vom Vitalismus dieser Existenzen am Rande der Dritten Welt, vom Wunderglauben, der diese Leute begleitete und der wie eine Kritik am abendländischen Rationalismus auftrat – und vom Traum, es gebe so etwas wie eine poetische Gerechtigkeit, eine Instanz, die den Unterdrückten und zu einem Leben in Elend Verurteilten zu einer Entschädigung verhilft, in Gestalt von Liebe, Leidenschaft und Anerkennung. Aber was ist diese Hoffnung anderes als eine verklärende, wohlfeile Versöhnung durch die Macht der Phantasie, ein scheinheiliger Frieden im Reich der Tagträume?
In diesen Tagen ist auch auf deutsch der erste Band von Gabriel García Márquez’ Autobiografie erschienen, nachdem dieses Buch durch exorbitante Autorenvorschüsse und später durch nicht minder außergewöhnliche Auflagen in der hispanischen Welt auf sich aufmerksam gemacht hatte. Kein Wunder, dass das Interesse so groß ist. Die vielen Leser wollen wissen, wie es sich tatsächlich verhalten hat mit dem Haus, mit den Eltern, mit dem Land, sie wollen die Vorbilder kennenlernen, sie wollen die Magie im Spiegel des Realen messen.
Aber es kommt anders. Die Autobiografie „Leben, um davon zu erzählen” ist weniger ein Beitrag zum Thema Wahrheit gegen Dichtung, als vielmehr die Parallelführung der beiden Bewegungen: Auf der einen Seite steht eine Literatur, die von vornherein mit dem Anspruch auftrat, gerade in ihren phantastischen Elementen wahrer als die Wirklichkeit zu sein. Auf der anderen Seite ist nun ein Lebensbericht hinzugetreten, der zwar auf das Magische, also auf die Beschreibung von Wundern, verzichtet, gleichzeitig aber mit dokumentarischem Anspruch versichert, mit dem Unwahrscheinlichen habe es seine Richtigkeit. Gabriel García Márquez hat sein Leben in die Form eines Romans übertragen.
Die poetische Gestalt des eigenen Lebens wird zunächst nicht einmal chronologisch dargeboten: Der Erzähler reist 1950 mit seiner Mutter nach Aracataca, um dort das mittlerweile verwahrloste Haus der Familie zu verkaufen. In diesen Reisebericht mischen sich Erinnerungen an ältere Zeiten. Es folgen die Jahre als junger Journalist, Reflexionen auf literarische Vorbilder wie William Faulkner, Berichte von den politischen Ereignissen der Jahre um 1948, die in der Darstellung des Aufstands kulminieren, der auf die Ermordung des linken Politikers Gaitán folgte, deren Augenzeuge der Erzähler war. In diesen Berichten von den gesellschaftlichen und politischen Zuständen hat diese Autobiografie ihre besten Seiten. Mit der Abreise nach Europa im Jahr 1955 bricht die Autobiografie ab. Die Fortsetzung erscheint gewiss.
Ein gewaltiger Strom der Erinnerungen erstreckt sich vor dem Leser, aufgelöst in Tausende von Charakteren und Anekdoten. Und der Titel des Buches ist Programm: „Leben, um davon zu erzählen” – das heißt, das Erzählen für eine mächtigere Kraft als das Leben zu halten, das ist eine sentimentale Fabel von der erlösenden Kraft der Literatur, hinter der immer noch das Wahnbild eines poetischen Lagerfeuers herumspukt. Was sind denn diese Flammen anderes als Abenteuergeschichten für gringos – und ein Selbstbetrug für alle, die mitten in diesem Elend sitzen?
Unter dem Willen zur Sentimentalität leidet schließlich auch das Literarische an dieser Literatur. An dieser Stelle ist ein Schaden von erheblichem Ausmaß zu melden: „Also teilten wir”, heißt es in einer der vielen furchtbaren Passagen dieses Buches, „mit ihnen ein kreolisches Gericht, dessen Einfachheit nichts mit Armut zu tun hatte, sondern eine Diät der Mäßigung war, die der Arzt nicht nur bei Tisch befolgte und predigte, sondern für alle Lebensbereiche empfahl. Als ich die Suppe kostete, schien eine schlafende Welt in meinem Gedächtnis zu erwachen. Geschmäcker der Kindheit, verloren, seitdem ich das Dorf verlassen hatte, stellten sich mit jedem Löffel wieder ein und machten mir das Herz schwer.” Mit Marcel Proust und seiner zwar ebenfalls süßen, aber keineswegs überzuckerten „Madeleine” hat dieser kreolische Eintopf nichts zu tun. Um so mehr aber mit Werbung. Das Erzählen tritt hier nicht nur als Erzählen, sondern zugleich als Reklame für sich selbst auf. Gabriel García Márquez verrät seine Erinnerung an die Reklame für das eigene Leben und das eigene Werk. Vom Vitalismus will er daher in seiner Autobiografie schon gar nicht lassen, weshalb man für ihn auch die kulturwissenschaftliche Kategorie des halbseidenen Naturburschen wird erfinden müssen.
Je weiter die Pizza nach Norden kommt, desto dicker wird sie. Irgendwo kurz vor dem Polarkreis, in unmittelbarer Nachbarschaft einer verkrüppelten Kiefer und einer halbleeren Dose Budweiser, hat der mit Hilfe von Backpulver aufgeplusterte Teig eine mittlere Tiefe von fünf Zentimetern. Obendrauf liegen vier Scheiben jungen Goudas, drei Scheiben von einer wässrigen Tomate und ein Stück einheimischer Salami. An diesem Ort ist die Begeisterung für den Süden am größten.
THOMAS STEINFELD
GABRIEL GARCÍA MÁRQUEZ: Leben, um davon zu erzählen. Aus dem Spanischen übersetzt von Dagmar Ploetz. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2002. 605 Seiten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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"Mit welch üppigen Fabeln und poetischen Kapriolen hat García Márquez den Lesern in aller Welt die Augen geöffnet vor den wunderbaren Wirklichkeiten seiner kolumbianischen Heimat an den schwülen Gestaden des karibischen Meeres, wo die Rohrdommeln segeln, wo sintflutartig der Regen fällt und die Erinnerungen, Träume und Delirien aufsteigen aus dampfender Feuchtigkeit." Gunnar Ortlepp, Der Spiegel
"García Márquez versteht es, den Dingen jene geheimnisvolle Kunst und Kraft zu verleihen, die sie übernatürlich erscheinen lassen. Wobei es im Prinzip keine Rolle spielt, ob diese Dinge erfunden, gefunden, imaginiert oder nach der Anschauung beschrieben werden." Tages-Anzeiger Zürich
"Über allen Werken von García Márquez liegt ein poetischer Zauber." Süddeutsche Zeitung

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.2002

Kugelblitz der Poesie
Aus dem Zylinder: Die Memoiren des Gabriel García Márquez

Das Zauberwort heißt "Verwandlung". Wie nur wenige Schriftsteller kann der kolumbianische Nobelpreisträger Gabriel García Márquez Verwandlung nicht nur spürbar, sondern er kann sie auch plausibel machen mit seiner barocken Phantasie, die noch das Unwahrscheinlichste glaubhaft, das Schwierige einfach und das Einfache tiefsinnig macht. Wer ihn liest, spürt eine fast zärtliche Wärme, die von den Seiten aufzusteigen scheint. So verwandelt die Lektüre seiner Romane und Erzählungen auch den Leser: Er wird die einmal vertraut gewordenen Figuren nie mehr vergessen. Einfallslosen Verehrern kann man "Die Liebe in den Zeiten der Cholera" allerdings noch so oft schenken - ein Florentino Ariza wird doch nicht aus ihnen.

Gerade bei uns, wo García Márquez aufgrund nationaler Defizite in der Phantasieabteilung besonders geliebt wird, mag es erstaunen, daß dieser schöpferische Autor den Mut zum Ausfabulieren seiner stupenden Vorstellungkraft aus einem deutschen Buch nahm: Kafkas "Verwandlung". Gregor Samsas Erwachen als Käfer habe seinem "Leben einen neuen Weg gewiesen, schon mit der ersten Zeile, die heute einer der berühmtesten Sätze der Weltliteratur ist". Damals war "Gabito" kaum zwanzig Jahre alt und hatte sich, dem Wunsch der Eltern entsprechend, als Jurastudent in Bogotá eingeschrieben - im Bewußtsein, nur eines werden zu wollen: Schriftsteller.

Inzwischen sind die Romananfänge von García Márquez selbst in die Literaturgeschichte eingegangen, und für seine Bücher gilt, was er über die Kunst Kafkas sagt: "Das Geschehen mußte nicht belegt werden: Der Autor mußte nur etwas schreiben, damit es wahr wurde, keine anderen Beweise waren erforderlich als die Kraft seines Talents und die Autorität seiner Stimme."

Der Name Gabriel García Márquez verheißt also Poesie und Phantastik, lyrisch beschreibende, ungerührte Sprache und wiegenden Satzrhythmus. In seinen Büchern fügen sich Episoden zu einem prunkvollen Bild. Und wer weiß, daß "Liebe in den Zeiten der Cholera" von der Geschichte seiner Eltern inspiriert wurde, macht sich fast zwangsläufig auch vom Leben des Autors eine karibische Paradiesvogelvorstellung.

Jetzt ist der erste Band seiner auf drei Teile angelegten Autobiographie mit einer Auflage von 150 000 Exemplaren auf deutsch erschienen: "Leben, um davon zu erzählen", der in dieser Zeitung vorabgedruckt wird. Schon bei seinem Erscheinen in der spanischsprachigen Welt vor zwei Monaten machte das Buch Furore: Startauflage eine Million, geplünderte Lieferwagen, Warteschlangen vor den Buchläden. Das mag auch mit der besonderen Liebe der Lateinamerikaner zur Literatur zu tun haben, wie García Márquez sie schildert: "Man kann sich kaum vorstellen, wie sehr die Poesie damals das Leben bestimmte. Sie war eine heftige Leidenschaft, eine andere Art zu leben, ein Kugelblitz, der überall auftauchen konnte. Die Welt gehörte den Dichtern. Ihre neuen Bücher waren für meine Generation wichtiger als die deprimierenden politischen Neuigkeiten."

Gerade in seiner Politikferne erweist sich der jugendliche Gabo als Kind seiner Zeit - eine für ihn bestürzende Erkenntnis. Versessen aufs Schreiben, ist er lange blind für das Tagesgeschehen: "Auf literarischen Wolken schwebend hatte ich in meiner politischen Ahnungslosigkeit offenkundige Tatsachen nicht wahrgenommen." Zunächst beiläufig, dann immer dringlicher schildert er die politische Entwicklung Kolumbiens, angefangen beim Massaker an den Bananenarbeitern im Jahr 1928, das in seinem Werk eine große Rolle spielt. Doch seine eigentliche politische Initiation erfährt er durch die Erlebnisse vom 9. April 1948, als der liberale Präsidentschaftskandidat Jorge Eliécer Gaitán in Bogotá auf offener Straße ermordet wird. So sind diese Memoiren auch ein eminent politisches Buch.

So faszinierend und lehrreich diese Exkurse sind: Das Buch, sein erstes literarisches Werk seit dem grandiosen Roman "Von der Liebe und anderen Dämonen" (1994), ist vor allem eine Liebeserklärung an die Kunst des mündlichen Erzählens. Schon als Kind scheinen den Erwachsenen seine Geschichten so hemmungslos übertrieben, daß ihn nur der Satz "Die Lügen der Kinder sind ein Zeichen von einem großen Talent" vor Strafe bewahrt. Doch eigentlich sind die Jahre im Haus seiner Großeltern in Aracataca, wo er mit diversen Tanten und zahlreichen Geistern aufwächst, märchenhaft bekannt aus "Hundert Jahre Einsamkeit". Die Erinnerungen daran, die den ersten Teil des Buchs füllen, sind vor allem wegen der Anekdoten eine heitere Lese-Etappe, wenn etwa der Großvater sich im Dunkeln eine Flasche Tinte über den Kopf gießt, die er für sein Duftwasser hält. Immer wieder erweist García Márquez dieser Zeit seinen Respekt: "Ich kann mir kein günstigeres familiäres Klima für meine Begabung vorstellen als dieses verrückte Haus."

Im Rückblick scheint es ihm, als sei er sich seines Talents schon immer bewußt gewesen. Sprüche, die er als Junge klopft, interpretiert der Fünfundsiebzigjährige als erste literarische Erfolge. Glaubwürdiger ist da der Einfluß des Internats, ein entlegenes Gymnasium in der Provinz Cundinamarca, wo den Jungen vor dem Einschlafen Romane vorgelesen werden, auch der "Zauberberg". Die Erwartung eines Kusses zwischen Hans Castorp und Clawdia Chauchat hält die Bengel die ganze Nacht wach - eine hinreißende Vorstellung, selbst wenn es sich nicht so zugetragen haben sollte.

Die Erinnerung des Gabriel García Márquez strotzen nur so vor Hinweisen auf seine Bücher; für Wißbegierige dürften jene Kapitel die spannendsten sein, in denen er von der Arbeit an seinem ersten, nie erschienenen Roman "La casa" oder an "Laubsturm" berichtet. Ausführlich behandelt er auch seine Begegnung mit dem einzigen Überlebenden eines Seeunglücks, aus der zunächst eine Serie von Reportagen hervorging, die später unter dem Titel "Bericht eines Schiffbrüchigen" als Buch erschienen. Vor allem aber lädt das Buch dazu ein, sich an "Hundert Jahre Einsamkeit" und "Die Liebe in den Zeiten der Cholera" zu erinnern und ihre Ursprünge zu entdecken - wenngleich der Band vor ihrer eigentlichen Entstehung aufhört: Er schließt im Alter von achtundzwanzig Jahren, als Gabo als Korrespondent der Zeitung "El Espectador" nach Europa aufbricht, und deutet auch die Liebe zu Mercedes Barcha, seiner späteren Frau, nur an.

Immer wieder bekräftigt García Márquez seinen unerschütterlichen Glauben daran, daß nur das Leben zählt, an das man sich erinnert - und das man in Erzählungen lebendig hält. Diese Überzeugung, die sein Schreiben bestimmt, gewinnt er als Zweiundzwanzigjähriger auf einer Reise mit seiner Mutter zurück nach Aracataca, um das Haus der Großeltern zu verkaufen: "Unter den vielen Reisen meines Lebens war diese eine die entscheidende, da ich dabei am eigenen Leib erfuhr, daß das Buch, das ich zu schreiben versuchte, nur eine rhetorische Erfindung war, die sich auf keine dichterische Wahrheit stützen konnte. Als Modell für eine Saga, wie ich sie erträumte, konnte nur meine eigene Familie dienen, in der es keine Helden, nicht einmal Opfer gab, sondern in der alle immer nur nutzlose Zeugen und Leidtragende der Ereignisse waren."

Mit dieser Reise setzen die Erinnerungen ein, und um immer wieder zu ihr zurückzukehren, unterbricht er die ansonsten ziemlich chronologische Schilderung seiner Jugend. Doch kann auch dieser Kniff nicht verhindern, daß sich aus dem Knäuel einige Enden lösen und ihm davonlaufen. Zumal im letzten Drittel spürt man, daß García Márquez den Band noch kurz vor seinem Erscheinen stark gekürzt hat, wenn er etwa auf zwei aufeinanderfolgenden Seiten "einen Kloß im Hals" hat oder andere wenig originelle Metaphern benutzt.

Genau wie seine Romane leben auch diese Memoiren vor allem von vielen Namen, die dem unruhigen jungen Literaten auf seinem Weg durch das Land und verschiedene Redaktionen begegnen. Nur wenige aber bleiben hängen. Um so präsenter ist die Familie, die sich allerdings so regelmäßig vermehrt, daß selbst Gabo seine zehn Geschwister kaum noch auseinanderhalten kann.

Mit all diesen Erinnerungen erfüllt sich Gabriel García Márquez zweifellos den Wunsch, zu den Quellen seines Schreibens zurückzukehren - von Macondo nach Aracataca. Wer dem großen Zauberer jedoch folgt auf seinem Weg zurück durch die Zeit, erlebt dessen ernüchternde Verwandlung in einen gewöhnlichen, wenngleich äußerst symphatischen Mann mit einem weißen Kaninchen in der Hand. Und dieses Tierchen kennen wir jetzt allzu gut.

Gabriel García Márquez: "Leben, um davon zu erzählen". Aus dem Spanischen übersetzt von Dagmar Ploetz. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002. 602 S., geb., 24,90 [Euro].

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Autobiographie
Leben, um davon zu erzählen ist der erste Teil einer auf drei Teile angelegten Autobiographie des großen kolumbianischen Erzählers Gabriel García Márquez. In überwiegend chronologischer Reihenfolge erfährt der Leser darin eine Fülle von Fakten und Daten von Ereignissen des ersten Lebensabschnitts des Autors. Reich ist aber auch die Fülle an Beschreibungen der politischen und sozialen Umstände im Kolumbien dieser Zeit. So wird auf sehr persönlicher Basis ein spannendes Panorama einer Gesellschaft geboten, über die man als deutscher Leser nur wenig weiß.
Kunst und Leben
Das Motto, mit dem Márquez seine Autobiographie eröffnet, deutet noch vor dem Beginn der eigentliche Erzählung auf sein Lebensthema hin: "Nicht was wir gelebt haben, ist das Leben, sondern das, was wir erinnern und wie wir es erinnern, um davon zu erzählen." Kunst und Leben sind für Márquez eins, und so wird sich der aufmerksame Leser an vieles erinnern, was er den Romanen des Schriftstellers entnommen hat. Nicht nur das Leben seiner Eltern, dessen Schilderung großen Raum einnimmt, erkennt man als Modell einiger Elemente aus dem Roman Die Liebe in den Zeiten der Cholera. Auch der Reichtum und die Leidenschaft der Liebeserlebnisse sieht der Leser im Leben Márquez vorgebildet. Er erzählt davon ehrlich und ohne falschen Schmuck. Der Leser dieser Autobiographie erfährt aber nicht nur vom Leben des Schriftstellers, sondern auch von der Entstehung seiner Werke. Márquez offenbart beispielsweise die Entstehungsgeschichte und Erzähltechnik seines großen Erfolgsromans Hundert Jahre Einsamkeit. Aber auch andere, zum Teil abgebrochene Schreibprojekte finden Erwähnung.
Jedes Ende ist ein Anfang
Leben, um davon zu erzählen endet mit einem Anfang. Márquez reist ab nach Europa, wo ihn weitere Jahre der Armut erwarten, wie die Kenner dieses fabelhaften Autors wissen. Der Leser wird aber noch ein bisschen warten müssen, bis er die Fortsetzung dieser Autobiographie, die weit mehr ist, als ein simpler Lebensbericht, zu lesen bekommt. In der Zwischenzeit sei die Lektüre seines Jahrhundertromans Hundert Jahre Einsamkeit empfohlen. Damit kann er seinen Hunger nach den Büchern Márquez, den er dank des vorliegenden Buches sicher bekommen hat, einstweilen stillen.
(Andreas Rötzer)

"Mit welch üppigen Fabeln und poetischen Kapriolen hat Garcia Marquez den Lesern in aller Welt die Augen geöffnet vor den wunderbaren Wirklichkeiten seiner kolumbianischen Heimat an den schwülen Gestaden des karibischen Meeres, wo die Rohrdommeln segeln, wo sintflutartig der Regen fällt und die Erinnerungen, Träume und Delirien aufsteigen aus dampfender Feuchtigkeit." (Gunnar Ortlepp, Der Spiegel)

"Garcia Marquez versteht es, den Dingen jene geheimnisvolle Kunst und Kraft zu verleihen, die sie übernatürlich erscheinen lassen. Wobei es im Prinzip keine Rolle spielt, ob diese Dinge erfunden, gefunden, imaginiert oder nach der Anschauung beschrieben werden." (Tages-Anzeiger Zürich)

"Über allen Werken von Garcia Marquez liegt ein poetischer Zauber." (Süddeutsche Zeitung)

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensentin Karin Ceballos Beancur verbeugt sich in ihrer Rezension mehr vor dem künstlerischen Gesamtwerk des Nobelpreisträgers als vor seinem neusten Buch, dem ersten Teil seiner Autobiografie. Ihre Verehrung garniert sie allerdings mit vielen schönen Zitaten aus dem Buch. Die Autobiografie erzählt, wie uns die Rezensentin wissen lässt, die ersten 28 Jahre des Schriftstellers und endet mit dem Erscheinen seines ersten Romans "Laubsturm". Als Hauptvertreter des so genannten Magischen Realismus habe Garcia Marquez vor der Veröffentlichung des Buches, so vermutet die Rezensentin, sein ganzes Können eingesetzt und zusammen mit dem Verlag einige Mythen gesät, die im Buch dann stückweise aufgeklärt würden. Im Grunde sei das aber unwichtig. Denn die Erinnerungen seien weder wichtig für das Verständnis von Garcia Marquez' Werk noch eignen sie sich für ernsthafte biografische Deutungsversuche. Eher sei es der unverkennbare Schreibstil des Autors, der das Buch in die Herzen der treuen Leserschaft treiben werde: "Da liegt er also, dieser riesige Batzen Papier, und du fragst dich, ob du es wirklich so genau wissen wolltest, ob er sich nicht hätte kürzer fassen können, Nobel hin oder her, und nach den ersten Seiten bist du dann wieder soweit, ihm für jeden Satz auf Knien zu danken, und beginnst, die Zahl 604 unten links zu fürchten."

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»Ein Beispiel für Memoirenliteratur großen Stils.« Eberhard Falcke Die Zeit