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Produktdetails
Trackliste
CD
1Mercedes-Dance Intro00:04:14
2Klar00:04:55
3Kartoffeln00:05:23
4Kirchturmkandidaten00:04:23
5Für Immer Und Dich00:04:35
6Feuer00:03:39
7Gasthaus zum lachenden Stalin00:03:14
8Plastik00:03:36
9Ahn' Ich Gar Nich'00:03:57
10Raveheart00:03:57
11Im Arsch00:04:17
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.2006

Es gibt Kartoffeln, Baby
Jan Delay hat eine Funkplatte aufgenommen, bei der Bob Dylan und Helge Schneider Pate standen

Manche Probleme erledigen sich ja mit der Zeit. Die Sorge, schurkische Musikjournalisten könnten noch unveröffentlichte Tonträger, die ihnen von der Musikindustrie zu Rezensionszwecken zur Verfügung gestellt wurden, ins Netz stellen oder auf dem Flohmarkt verhökern, scheint noch nicht aus der Mode gekommen zu sein. Oder das Problem ist wirklich so groß. Jedenfalls fallen den Plattenfirmen immer noch sagenhafte Tricks ein, um moralisch ungefestigte Journalisten von ihrem Tun abzuhalten. Eine Möglichkeit sind sogenannte "digital watermarked"-CDs, die allein schon aufgrund dieses Vermerks bei leicht beeindruckbaren Journalisten den Eindruck erwecken müssen, sie seien irgend etwas, was Tom Cruise in "MI:3" in der Hand hatte. Die Auskunft, eine CD sei watermarked, also mit einer Art digitaler Prägung zur Rückverfolgung versehen, suggeriert: Die leichtfertige Weiterreichung eines solchen Tonträgers wird von höchster Stelle sofort bemerkt und mit stundenlangen Verhören, Armumdrehen, Brennesseln und Haue bestraft. Jan Delay, dreißig, auch bekannt als Jan Eißfeldt, und seine Plattenfirma wählten einen anderen Weg, das noch unveröffentlichte neue Album des Künstlers zu schützen: Auf seiner Vorab-CD kamen alle zwanzig Sekunden akustische Kühe und Schafe in die Songs gelaufen und machten lautstark "Muh" und "Mäh". Plärrten einfach mitten rein. Zusätzlich wurde die Soundqualität merklich verschlechtert: Die Platte klang wie eine leere Keksdose. Eine klangliche Zumutung, kaum anzuhören.

Eine großartige Platte. Auf "Mercedes Dance" findet sich dermaßen phantastische Musik, daß keine doofe Kuh dieser Welt ihr etwas anhaben könnte. Musik, der man einen dicken Stempel aufpappen könnte, wenn Jan Delay dies nicht selbst täte. Es ist ein Funk-Album, Funk im Sinne von Siebziger-Jahre-Gesäßwackel-Funk, und dies teilt uns Jan Delay auch gleich zu Beginn mit: "Ein neuer Jan, ein neuer Anfang / Reggae ist tot, jetzt ist Funk dran", singt der Mann, der hauptberuflich bei den Beginnern (früher: Absoluten Beginnern), Deutschlands feinster aktiver Hip-Hop-Band, rappt und zuletzt, vor fünf Jahren, eine Reggae-Platte veröffentlichte. Verwunderlich daran ist letztlich gar nichts: Hip-Hop ist der Achtziger-Jahre-Sprößling des Funk, und Reggae, die jamaikanische Spielart schwarzer Musik, parkt auch ums Eck. Insofern ist das natürlich fraglich mit dem neuen Jan und dem neuen Anfang. Das mit dem Funk allerdings ist fix: "Mercedes Dance" ist, wie schon das Reggae-Album, die entspannte Aneignung eines Genres. Das ist vielleicht das Besondere an Jan Eißfeldt: daß er sich die Musiken, die er liebt, so elegant einverleibt, daß Kategorien wie "echt" oder "nachgemacht" nicht greifen. Allein dem Schlagzeug auf dieser Platte zuzuhören, wie es präzise tickt und elastisch swingt, ist eine Riesenfreude. Das ist höchste Musikalität - vollkommen jenseits des hierzulande verbreiteten hüftsteifen Muckertums von Stefan-Raab-Showbandmusikanten.

War Jan Delays Reggae-Platte "Searching for the Jan Soul Rebels" noch stark politisiert (unter anderem arbeitete sich das Album am Deutschen Herbst und der RAF ab), geht es dem näselnden Nike-Fan nunmehr vor allem um Stilkritik - die bei ihm jedoch nie weit weg ist von Systemkritik: Falsche Schuhe und blöde Frisuren sind ihm untrügliche Indikatoren einer gesamtdeutschen Fäulnis. Der Schlüsselsong in diesem Zusammenhang trägt den Titel "Kartoffel". Darin heißt es: "Geht's um Entertainment bei unserem Kleingewächs / sag ich ,Bonjour Tristesse', und zwar im vollen Effekt / Wir haben andere Hobbies, andere Vorlieben / Regeln vorschreiben oder auch Riegel vorschieben / Wir scheißen auf Mucker, wollen lieber Bausparen / darum haben andere Bob Marley, und wir haben Klaus Lage / keinen Miles Davis, nicht mal einen Frank Sinatra / Warum sind hier alle so modebewußt wie Taxifahrer?" Sosehr die Beschreibung ja in Teilen stimmt, so verkürzt und simpel ist Delays Fazit: Es bedürfe nur einer ausreichenden Stilbildung, und "wir können wetten / in zwanzig Jahren mach ich dir aus Bielefeld Manhattan". Wohl kaum - zumal hier einfach mal eine Lanze für lauter lässige Taxifahrer und gegen Horden gutgekleideter Vollidioten gebrochen werden muß. Auch in Nike kann man nerven wie Drahtseile. Trotzdem: Danke für die Zuspitzung. Das ist eben der Vorteil von Popmusik gegenüber "Christiansen" - man darf Halbgares, sogar Blödsinn reden, und es ist trotzdem von Belang. Delays Deutschlandverbesserungsstrategie (mit verbessertem Stil kommt auch der Rest) bleibt Versuch und funktioniert höchstens in seinem eigenen Elfenbeinturm amerikanistischer Coolness. Das Charmanteste an dem Lied über die Spezies Kartoffelmensch ist aber der Refrain: "Wenn das, was ich gerade hier gelabert habe, stimmt / wieso kann ich dann verdammt noch mal so cool sein, wie ich bin?" Hier soll nicht wie bei der Band Mia, die sich vor zwei Jahren unter lautem Protest an der angestrengt positiven Neudefinition eines deutschen Selbstverständnisses verhob, gemeinsam "neues deutsches Land" betreten werden. Hier geht es um ein eigensinniges, abgrenzendes "trotzdem", das nichts, aber rein gar nichts von seinem Land will. Und es geht darum, daß auch andere diese Möglichkeit haben. Am Schluß paraphrasiert Jan Delay den Refrain: "Aber wenn das, was ich grad gelabert hab, die Wahrheit ist / wieso kannst du dann verdammt noch mal so cool sein, wie du bist?" Und wieder langt das Schlagzeug zu, daß sich die Becken biegen.

Immer wieder geht es Eißfeldt um Stil. Nicht trotzdem, sondern gerade deswegen landet er auf dieser Platte irgendwann bei zwei Urgesteinen deutscher Popmusik - zwei Musikern, die in Ermangelung besserer Einfälle immer wieder mit dem Unwort "Deutschrock" in Verbindung gebracht werden: Rio Reiser und Udo Lindenberg. Reiser wird mit einer Coverversion seines Songs "Für immer und dich", einem der schönsten deutschsprachigen Liebeslieder, geehrt. Die Delay-Version impft dem Song, an dem im Original leider der Entstehungszeit geschuldete Neon-Kristallzapfen baumeln, ein gehöriges Maß Soul ein. Der andere, Udo Lindenberg, tritt am Schluß der Platte selbst auf und singt über den Punkt nach dem Absturz, wenn man so weit unten ist, daß man nichts mehr zu verlieren hat und neu anfangen kann. Lindenberg ist ein großer Held Jan Eißfeldts. Am liebsten würde er dem nölenden Huthalter ein ganzes Album produzieren, um die alte Linde noch mal richtig rauschen zu lassen. Aber Udos Fans wollten halt die ewige Panikrockernummer - auch das ist Deutschland. Bei Delay gerät Lindenbergs Vortrag fast zu Gospel: "Der ganze Traum ging in Rauch auf / Ende, aus, für immer / und wenigstens wurd ich da schlau draus / auch Seifenblasen hinterlassen Trümmer / Ich kratz die Reste von der Wand ab / ich sage nicht: ich bereu es / Ich steh mal wieder ganz am Anfang / und hab die Birne frei für Neues", läßt der Fan seinen Helden singen. Es wäre schön, wenn diesem Statement tatsächlich etwas folgen würde.

Die beiden musikalischen Heldendenkmäler sind die einzigen untanzbaren Songs der Platte, dazwischen aber rummst es, als gäbe es kein Morgen. Immer, wenn alles gesungen und gesagt ist, darf Delays Band Disko No. 1, die er als ewiger Hip-Hopper durch den Sampler geschickt und am Computer bearbeitet hat, den Song am Schluß noch mal richtig hochpumpen. Trotzdem sind es bei aller musikalischen Pracht wie immer bei Jan Eißfeldt die phänomenal gereimten Texte, die für Glücksattacken sorgen. Texte, die ständig pendeln zwischen Stil und Statement und gerade wegen dieser Pendlerei nie ihre Lässigkeit verlieren. Im hitzigen "Klar" singt Delay beispielsweise: "Du siehst mich nie in nem verdreckten Shirt / eher mache ich nen Track mit Björk." In "Ahn ich gar nicht" scheint der Moralist hinter dem Versschmied hervor: "So viele Fragen verschiedenster Art zu allerlei Themen / Fragen wie diese: wieso haben so viele verlernt, sich zu schämen? / Ich frage, wieso zählt eigentlich Geld viel mehr als Würde / warum ist bei Karrieren beim deutschen Fernsehn Gehirn eine Hürde?" Und um im selben Song "Rosenkohl" auf "ohne Soul" zu reimen, braucht es schon viel von letzterem. Im schon zitierten Beginn ordnet er sich selbst irgendwo zwischen Helge Schneider und Bob Dylan ein. Der kauzige deutsche Freigeist und der eigensinnige amerikanische Rätselreimer - zwischen deren beider Stühle sitzt Eißfeldt ganz gut mit seinem Wort-Soul.

Rio Reiser, Udo Lindenberg, Helge Schneider, Jan Delay - das sind ja schon vier Leuchtraketen am finsteren Pop-Firmament über Kartoffelland. Viel besser: Es gibt noch mehr.

ERIC PFEIL.

Jan Delay: "Mercedes Dance" (Buback/Universal)

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