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"Ronja von Rönne wischt das Blau vom Himmel." Georg Diez, Der Spiegel"Maja ist nicht tot. Wenn Maja gestorben wäre, hätte sie mir davor Bescheid gesagt. Solche Dinge haben wir immer abgesprochen." Wenn jemand stirbt, zieht man sich schwarze Kleider an und geht zur Beerdigung. Oder man flieht gemeinsam mit seinen drei Beziehungspartnern und einer Schildkröte ans Meer. Nora entscheidet sich für Letzteres. Als ob Polyamorie helfen würde. Als ob Flucht helfen würde. Als ob man den Dämonen der Vergangenheit so einfach entkommt."Schnoddrig, überlegen, witzig, respektlos - endlich eine neue Stimme in…mehr

Produktbeschreibung
"Ronja von Rönne wischt das Blau vom Himmel." Georg Diez, Der Spiegel"Maja ist nicht tot. Wenn Maja gestorben wäre, hätte sie mir davor Bescheid gesagt. Solche Dinge haben wir immer abgesprochen." Wenn jemand stirbt, zieht man sich schwarze Kleider an und geht zur Beerdigung. Oder man flieht gemeinsam mit seinen drei Beziehungspartnern und einer Schildkröte ans Meer. Nora entscheidet sich für Letzteres. Als ob Polyamorie helfen würde. Als ob Flucht helfen würde. Als ob man den Dämonen der Vergangenheit so einfach entkommt."Schnoddrig, überlegen, witzig, respektlos - endlich eine neue Stimme in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur!" Joachim LottmannIn Noras Heimatdorf gehört es sich, den Nachbarn zu grüßen, den Rasen zu mähen und am Ende des Lebens zu sterben. Dass sich plötzlich ausgerechnet Maja, Noras beste Freundin aus Kindheitstagen, an diese althergebrachten Regeln hält und einfach stirbt, kann Nora nicht glauben. Für eine Beerdigung hat Nora ohnehin keine Zeit: Nachts wecken sie Panikattacken, sie muss sich um eine Schildkröte kümmern und ihre einst so progressive Beziehung zu viert droht auseinanderzubrechen. Und dann fährt auch noch ihr Therapeut in Urlaub. Bis zu seiner Rückkehr soll Nora ihre Tage in einem Tagebuch dokumentieren. Also berichtet sie, wie sie sich mit Karl, Leonie, Jonas und einem schweigenden Kind ans Meer flüchtet, um das Verschworene zwischen ihnen zu retten. Doch statt hoffnungsvoller Zukunft drängt sich immer mehr Noras Vergangenheit in den Vordergrund. Es muss doch etwas geben, denken die vier, das sie wieder zusammenzuschweißen vermag, ein großes Fest etwa. Oder ein Mord. "Wir kommen" ist ein radikales Buch, rasend komisch in seiner Verzweiflung und poetisch in seiner Grausamkeit.
Autorenporträt
Rönne, Ronja vonRonja von Rönne, 1992 in Berlin geboren, lebt in Berlin und Grassau. Seit 2015 Redakteurin im Feuilleton der Welt. Mehr von der Autorin unter www.sudelheft.de
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ronja von Rönne scheint ihr neuer Roman "Wir kommen" genauso egal zu sein wie alles andere, was sie schreibt, erklärt Rezensentin Meredith Haaf bissig. Der Autorin, die sie irgendwo zwischen Journalismus und "Halbpromi-Rampe" verortet, hält die Kritikerin zwar ihr jugendliches Alter zugute, stört sich dann aber doch sehr an der Lust- und Belanglosigkeit des Textes, der ihr wie der Hashtag einer "apathischen Generation" erscheint. Ob Panikattacken der gestörten Protagonistin oder Sexszenen ihrer polyamourösen Beziehungskonstellation - immer wirkt Rönne gelangweilt, verantwortungslos und handelt die Erzählung dementsprechend desinteressiert ab, meint die Rezensentin. Schade, denn zwischenzeitlich erahnt Haaf bei Rönne eine Spur von Humor.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2016

Jugend ohne Plot

Jung zu sein: Ist das eine Störung, die man heilen kann? Ronja von Rönnes "Wir kommen" erzählt von einem trotzigen Sommer

Als Ronja von Rönne schlagartig, wie man so sagt, berühmt wurde vor etwa einem Jahr, zumindest bekannt oder berüchtigt, wie viele fanden; als also in der "Welt am Sonntag" die junge Autorin einen Text veröffentlichte, welcher, ohne sich mit Begründungen lang aufzuhalten, behauptete, dass Feminismus eklig sei, eine Weltanschauung für Zurückgebliebene und Verlierer; als daraufhin in den sozialen Netzwerken, wo diese Fragen verhandelt werden, so mancher Mann die Telefonnummer der Autorin wissen wollte und so manche Frau, wann sie ihre Tassen zurückräumen werde in den Schrank; als schließlich der Sommer kam und Ronja von Rönne beim Bachmann-Preis in Klagenfurt einen eher stillen, konzentrierten Text vorlas, in welchem es um den schlimmen Morgen nach einer schlimmen Nacht ging, einen Text, den die Jury zum Anlass nahm, sich heftig zu blamieren, schon weil ihr, außer einem fast schon wieder historisch gewordenen Roman von Christian Kracht, kein Referenzpunkt, kein Kriterium, kein Maßstab zur Verfügung stand, was ja, 32 Jahre nach Rainald Goetz' Auftritt am selben Ort, besonders hilflos wirkte; als also die Aufregung groß war um diese Autorin, da fragte sich der Leser naturgemäß, wer diese Ronja von Rönne sei: Eine Journalistin, die es auch mal mit der Literatur versuche? Oder eine Schriftstellerin, die halt auch mal für die Zeitung schreibe?

Dass das egal sei, solange die Zeitungsartikel interessant und die Prosatexte lesenswert seien: Das ist eine Antwort, die naheliegt - die aber von zu wenig Kunstsinn zeugt. Dass sie ihre seltsamen Meinungen zum Feminismus nur mal ausprobiert habe, so wie man einen Mantel anprobiert, sagte später, scheinbar kokett, Ronja von Rönne - und vermutlich lag da tatsächlich eine Art Verwechslung vor. All die Meinungen, die einem im Journalismus so auf den Geist gehen, weil ihnen zu wenig Gedanken vorausgegangen sind, all die schnellen, bösen, ungerechten, idiosynkratischen, völlig haltlosen und unbegründeten Meinungen und Beschimpfungen, sind in der Literatur eine wunderbare Strategie. So eine Meinung, hineingeschrieben in einen Prosatext, kann Seiten voller Psychologie und feinsinniger Charakteristik ersetzen. So eine Beschimpfung schafft ein scharfes Bild, vom Beschimpften und vom Schimpfenden, und stellt verbindliche Verhältnisse zwischen den beiden her.

Das Meinen und das Schimpfen haben eine große, wunderbare Tradition in der deutschsprachigen Literatur - aber wenn man Thomas Bernhardsche Sätze vor Augen hat oder den Zorn und die Unversöhntheit des jungen Rainald Goetz noch im Ohr: dann ist man fast erstaunt darüber, wie höflich, fast schon wohlerzogen jetzt die Romanautorin Ronja von Rönne klingt, wenn ihr Text schimpft, meint, zurückweist und nein sagt. "Wir kommen" heißt das Buch, was eher das Genre als die Handlung beschreibt. "Ich gehe" könnte es genauso gut heißen, und das Ich, das da spricht, heißt Nora und kann sich nicht dagegen wehren, wenn Leser es mit der Autorin verwechseln.

Nora schreibt auf, was sie erlebt, und vor allem, was sie nicht erlebt, weil der Therapeut ihr das empfohlen hat. Das Buch behauptet also, eine Art Tagebuch zu sein, ein Bericht für den Mann, der Nora von ihren Panikattacken befreien soll, die sie fast jeden Morgen überfallen, wie man sagt.

Man kann, wenn das klar ist, das Buch gleich wieder zuklappen - falsch verbunden, ich bin Leser und kein Arzt, ich kann diesen Text nicht heilen. Man kann das aber auch als ziemlich gut brauchbare Konstruktion betrachten, um vom Jungsein zu schreiben, ohne literarischen Jugendschutz für sich zu beanspruchen. Hier spricht ein Ich zu einem älteren Leser, dem es sich erklären und gegen den es sich zugleich behaupten will. Hier wartet ein Leser, dem die Sprache bloß ein Vehikel ist zur Beschreibung von Sachverhalten, die außer ihr liegen. Aber es spricht ein Ich, das schon die Wörter und Sätze als Tatsachen begreift, als Bausteine einer Welt, in der Nora fremd ist und fremd bleiben will, schon weil sie nicht so alt und verbraucht und so grundsätzlich falsch sein will, wie sie, anscheinend, die Welt, die aus diesen Wörtern gebaut ist, empfindet. Das ist, als Grundkonflikt, nicht unbedingt neu, Karl Marx, als er jung war, hat es so beschrieben: "Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden." Aber als Problem des Schreibens stellt es sich jedem Schreiber neu: Wie soll man von sich sprechen, wenn einem nur die Sprache der anderen, der Eltern und Therapeuten zur Verfügung steht? Wie soll man die ungeheure Differenz, die man zu spüren glaubt und die man keinesfalls aufgeben will, beschreiben und behaupten, wenn schon die Wörter ein Gleichheitszeichen setzen? Wie wehrt man sich also in der Sprache gegen den "Schwachsinn der netten Idioten und alten Säcke" (wie Rainald Goetz das nannte, als er jung war)?

Meinen hilft, schimpfen erst recht, beides hält die Sprache jung, weil der Nachschub an neuen Wörtern und Verknüpfungen immer gesichert ist. Jargon ist zwar selten besser als der allseits als korrekt empfundene Sprachgebrauch. Aber wenigstens ist er neu, anders, vom Aufsichtspersonal noch nicht okkupiert. Und wenn das alles nichts hilft, fällt der Text sich eben selbst ins Wort, versucht mit Ironie die Deutungshoheit über die verbrauchten Sätze wiederzugewinnen. Oder er lässt die Sätze Sätze sein, die Dinge Dinge und sagt zu den versteinerten Zeichen: Ihr könnt mich mal. "Draußen flog die Landschaft vorbei, wie es sich für Landschaften gehört."

Das hört sich vermutlich so an, als ob die dauernde Selbstreflexion das Buch zu einer eher mühsamen Lektüre machte. Stimmt aber gar nicht, ganz im Gegenteil, das Ergebnis ist ein Stil, den man konzentriert nennen muss und integer, weil es darin kaum Sätze gibt, die nur so dahingeschrieben sind.

Auf diese Weise berichtet Nora also, und davon handelt ihr Bericht: Wie sie mit Leonie, Karl und Jonas ein paar träge Sommerwochen in einem Haus am Meer verbringt. Die vier Menschen haben miteinander, was sonst nur Paare haben, erst liebten sich Nora und Karl, dann verliebte sich Karl in Leonie, ohne Nora verlassen zu können, und dann kam Jonas, der Nora gefiel und Leonies Ex-Freund war. Oder so. Dass sie etwas Besonderes und vor allem besonders glücklich sind, das sagen die vier einander jeden Tag, und als es keiner mehr glaubt, beschließen sie, eine Party zu geben, damit die anderen es ihnen bestätigen. Es passiert eigentlich nichts, außer dass alle hoffen, dass etwas passiere, und zugleich fürchten sie sich davor, und am Schluss sieht es aus, als wäre etwas passiert, aber da ist die Erzählung fast vorbei. Kein Plot, keine Handlung, nur ein paar Rückblenden, wenn Nora sich an ihre Jugendfreundin Maja erinnert, den einzigen Menschen in ihrem Leben, der sich nicht nur danach sehnte, dass etwas passiere, sondern entschlossen genug war, etwas passieren zu lassen.

Mehr ist es nicht, der Rest ist Stimmung, Meinung, Reflexion und Sprache - was kein Mangel ist, auch wenn man manchmal als Leser denkt, es wäre nicht schlecht, wenn jetzt ein Schuss fiele oder sich ein Abgrund öffnete neben dem Sommerhaus. Plot ist bloß Aufschub, Ablenkung, scheint dieses Buch zu sagen, wer etwas zu tun, eine Herausforderung zu bewältigen hat: der schiebt doch nur die wirklich entscheidenden Fragen vor sich her. Nur ein Text, der von gar nichts handelt, kann zugleich von allem handeln.

Was das bedeute: jung zu sein; ob man das retten und verlängern oder doch diesem Zustand, diesem Lebensgefühl möglichst schnell entrinnen solle; und wie man seine Empfindungen davor bewahrt, von korrumpierten Begriffen korrumpiert zu werden: Das sind die Fragen, um welche es anscheinend geht. Womöglich sind Panikattacken die einzig mögliche Antwort - und wenn einer diesem Buch vorwirft, dass hier die Jugend sich selbst als einziges Thema hat, muss man antworten: Was für ein Thema soll sie denn sonst haben? Das bisschen Vergangenheit ist nicht unbedingt der Rede wert, die Erfahrungen laufen auf die Erkenntnis heraus, dass Jungsein auch nicht das reinste Vergnügen ist.

Die Antworten auf all die Fragen sind nicht in Aussagesätzen zu haben. Die Antwort, was das sei und bedeute und worum es gehe, wenn man jung ist, die findet sich in jenen Sätzen, die eine Stimmung nicht nur schildern, sondern evozieren, in jenen Sätzen, die nicht nur sich selber reflektieren, sondern davon zeugen, dass es gelungen ist, die Wörter den Gegnern zu entreißen, in den Momenten, da man nicht mehr so genau sagen kann, ob es ums Leiden der Heldin oder ums Glück des Lesens geht.

Es gibt diese Momente, das Buch läuft auf sie hinaus.

Und der Therapeut, wenn er das alles liest, wird hoffentlich keinen seelischen Schaden nehmen aus der Erkenntnis, dass Jugend, sollte sie eine Krankheit sein, auf jeden Fall unheilbar ist.

CLAUDIUS SEIDL

Ronja von Rönne: "Wir kommen". Aufbau, 208 Seiten, 18,95 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2016

Herzrasen zwecklos
Ronja von Rönnes Debütroman „Wir kommen“ ist so lustlos geschrieben, als wäre ihr der eigene Text genauso egal
wie alles andere auch – das Buch wirkt wie der Hashtag einer apathischen Generation
VON MEREDITH HAAF
Manchmal hat man ja das Glück, Autoren zu finden, die sich nicht nur für ihren Gegenstand interessieren, sondern in sich selbst einen Grund gefunden haben, warum sie über ihn schreiben, und aus deren Zeilen, selbst wenn sie von Verachtung und Verzweiflung erzählen, immer die Wärme strahlt, die entsteht, wenn es jemandem wirklich um etwas geht.
  Ronja von Rönne, die laut Spiegel „halb Berlin-Mitte verrückt macht“, ist leider keine solche Autorin. Zumindest noch nicht. Über knapp 25-Jährige sollte sich niemand abschließende Urteile erlauben. Ihr Debütroman „Wir kommen“ handelt von einer jungen Frau namens Nora, die um ihre Jugendfreundin Maja trauert und gleichzeitig mehr oder weniger halbherzig versucht, ihre zerbröselnde Vierer-Beziehung zu retten. Ja, Nora lebt polyamor. Außerdem ist Nora ein Landei, das sich in der Stadt einsam fühlt und jede Nacht von Panikattacken heimgesucht wird. Eine Art Romanfigur gewordener Hashtag ihrer Generation. Gegen Ende kommt noch recht unverhofft ein Mordverdacht auf, aber diese Plotline endet wie alle zuvor in sprachloser Depressivität.
  Vielen ist Ronja von Rönne ein Begriff, seit sie in der Welt einen bescheuerten und zu oft zitierten Text mit der Überschrift „Warum mich der Feminismus anekelt“ veröffentlichte. Natürlich ist es intellektuell abstoßend, dass jemand, der keine Haltung zu irgendetwas hat („Ich probiere Meinungen an, wie ich Kleider anprobiere“), sich als gesellschaftspolitische Windmaschine in Szene setzt. Andererseits ist es auch eine respektable Leistung, den deutschen Literaturbetrieb mit ein paar Tageszeitungstexten, einer „Dating-Kolumne“ in einer Frauenzeitschrift und einem Kurzauftritt in einem Musikvideo der Band Wanda (der immerhin mehr Eindruck hinterlassen hat als ihre Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb) derart in Wallung zu versetzen. So wandelt sie schon jetzt auf der Halbpromi-Rampe, nach der sich so viele deutsche Journalisten sehnen, die mehr sein wollen als deutsche Journalisten, und ist dabei vor allem: Ronja von Rönne. Man weiß nicht genau, ob man ihr dazu gratulieren sollte, dass es schon jetzt völlig egal ist, was sie schreibt.
  Aber all das wäre kaum der Rede wert, hätte man bei der Lektüre von „Wir kommen“ nicht den Eindruck, dass es ihrer Autorin selbst so herzlich egal ist. Das fängt mit dem Titel an: Es gibt in diesem Buch weder ein erwähnenswertes „Wir“, dafür ist Ich-Erzählerin Nora viel zu angewidert von ihrem Umfeld. Und es „kommt“ eigentlich auch niemand, nicht einmal im übertragenen Sinn. Die sehr läppische Vierer-Sex-Szene („dann waren wir viele, dann waren wir überall“) wirkt, als fände die Autorin allein die Vorstellung von Gruppensex so anstrengend, dass sie nicht mal Lust verspürt, ihn zu beschreiben.
  Diese schlaffe Haltung gegenüber dem eigenen Text spiegelt sich in der gesamten Konstruktion der Erzählerin und ihrer grässlichen Beziehung zu dem dauergrantigen Jonas, dem herrschsüchtigen Karl und der magersüchtigen jungen Mutter Leonie wieder. In dieses Schlamassel ist Nora genauso passiv-aggressiv hineingestolpert wie ihre Schöpferin in den publizistischen Ruhm: ostentativ gelangweilt und minimal verantwortungsbewusst. Die Beziehung führt sie eigentlich nur, weil die zwei Männer es wollen. Und von den Menschen um sich herum versteht Nora immer exakt nur deren Funktion ihr selbst gegenüber. Über ihre Jugendfreundin Maja, um die sie so tief trauert, heißt es: „Maja liebte ich vor allem, weil sie die Stille beiseite gewischt hatte.“ Und über die morsche Beziehung, es sei in sie „etwas Seltsames gekrochen, das mich ermüdet, weil ich es kenne, und das mich frustriert, weil ich es nicht so früh erwartet habe.“ Etwas Seltsames? Der Roman wimmelt von solchen pauschalen Zusammenfassungssätzen.
  Dabei kann Rönne anders: Sie ist immer dann gut, wenn sie jene kleinen Beobachtungen einstreut, für die ihr Blog „Sudelheft“ bekannt wurde. Über die Mütter auf dem Parkplatz eines Dorf-Discounters schreibt sie: „. . . ihren Rest Abenteuerlust lebten sie in stundenlangen Wochenendtrips zum Kaufland aus, um Wassermelonen zu besorgen für die falschen Entscheidungen, die zu Hause warteten und lieber Fischstäbchen wollten.“ Der Satz ist lustig! Aber er ist auch symptomatisch für die Wurstigkeit, von der Rönnes Text strotzt. Hätte sie drei Minuten länger überlegt, wäre ihr vielleicht gekommen, dass Wassermelonen und Fischstäbchen nicht gegeneinander ausspielbar sind. Bananen, ja. Wackelpudding, okay. Aber welches Kind sagt: „Ich will Fischstäbchen!“, wenn man ihm eine Melone anbietet?
  Dieses Buch verströmt eine Kälte, der ein tiefes Desinteresse am Menschen und was ihn dazu macht, zugrunde liegt. Noras Panikattacken etwa, die ja der eigentliche Motor des Buches sind, finden auf den letzten, auf einmal sehr atemlosen Seiten ihre Kulmination. Hier wird zum ersten Mal so etwas wie seelische Not spürbar, vorher heißt es unbeteiligt: „Heute morgen hat mich wieder die Panik geweckt.“ Na, denn. Sie wird nicht vermisst werden. Genauso wenig wie die kalten, gestörten Figuren und ihre nicht ganz runde Geschichte, die wirklich tausendmal aufregender wäre, wenn sich die junge Autorin dazu bequemt hätte, sich um irgendetwas zu scheren.
            
  
  
  
    
Ronja von Rönne:
Wir kommen. Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2016. 208 Seiten, 18,95 Euro. E-Book 14,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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» ein exzellenter Roman « DIE ZEIT 20160310
Rezensent Moritz Müller-Schwefe bespricht das Buch mit Sympathie für die 1992 geborene Autorin Ronja von Rönne, die die "junge" Generation, also ihre eigene, als verwöhnt, depressiv und über alle Maßen gelangweilt beschreibt. Alles wurde schon ausprobiert, jeder Ausbruchsversuch - oder sogar jeder Versuch der Individualisierung? - ist zum Klischee verkommen. So weit, so treffend gezeichnet, findet der Rezensent. Leider verfällt Rönne schließlich selbst in Klischees, kein Pep, keine Provokation liegt in ihren Schilderungen. "Leider", bedauert Müller-Schwefe.

© Perlentaucher Medien GmbH