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Zwei Schwestern treffen nach Jahren wieder aufeinander.Ines, die kapriziöse Malerin, bittet um Hilfe, stößt aber auf Kälte und Ablehnung. Ihre Schwester möchte einen Schlußpunkt setzen: Nicht schon wieder will sie in das Muster der ewig Helfenden zurückfallen. Sie will mit der Welt ihrer Schwester nichts zu tun haben und ist doch zunehmend fasziniert. Als sich eine Affäre mit Kai, Ines Freund, anbahnt, verliert sie sich in einen fragwürdigen, rauschhaften Glückszustand der sie eigenartigerweise zu ihrer Schwester zurückführt.Die Stunde zwischen Hund und Wolf erzählt von der Desorientierung in…mehr

Produktbeschreibung
Zwei Schwestern treffen nach Jahren wieder aufeinander.Ines, die kapriziöse Malerin, bittet um Hilfe, stößt aber auf Kälte und Ablehnung. Ihre Schwester möchte einen Schlußpunkt setzen: Nicht schon wieder will sie in das Muster der ewig Helfenden zurückfallen. Sie will mit der Welt ihrer Schwester nichts zu tun haben und ist doch zunehmend fasziniert. Als sich eine Affäre mit Kai, Ines Freund, anbahnt, verliert sie sich in einen fragwürdigen, rauschhaften Glückszustand der sie eigenartigerweise zu ihrer Schwester zurückführt.Die Stunde zwischen Hund und Wolf erzählt von der Desorientierung in einer Gesellschaft, die höchste Ansprüche stellt, selber jedoch an Alltäglichkeiten scheitert. Scheinheilige Entwürfe halten die Fiktion einer Geborgenheit aufrecht, selbst der Umgang mit der Vergangenheit wird auf sinnentleerte Bilder reduziert; manchmal ist vom Leben kaum mehr übrig als ein kalter Entzug. Doch die Hoffnung auf Veränderung bleibt ein Zustand, den Silke Scheuermann melancholisch und humorvoll, lapidar und ergreifend schildert.
Autorenporträt
Silke Scheuermann, geboren 1973 in Karlsruhe, lebt in Frankfurt am Main. 2001 erschien ihr Lyrikdebut Der Tag an dem die Möwen zweistimmig sangen, 2004 der Gedichtband Der zärtlichste Punkt im All. Sie ist für ihr Werk vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt mit dem Hermann-Hesse-Literatur-Förderpreis (2006) und dem Casa-Baldi-Stipendium der Villa Massimo (2006).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2007

Gibt es denn keine Welt da draußen?
In der deutschen Literatur des Frühjahrs warten alle darauf, dass etwas passiert - und plötzlich liegt ein Ohr unter dem Tisch

Wenn man sich so hindurchliest durch die deutschen Bücher der Saison, kann einem schon etwas schummrig werden. Irgendwie so leer und nach innen gekreiselt, festgehakt in einer tiefen, schwarzen Schlucht. Und nach einiger Zeit, nach einigen Büchern fühlt man einen immer stärker werdenden Drang, hinauszusehen aus dem Fenster, um sich zu versichern, ob die Welt da draußen noch da ist, ob die Menschen noch da sind oder ob alles erstarrt ist in einem Zwischenreich der Melancholie, der Kälte und der Erstarrung. In einem Zwischenreich der Erwartung. In dem jederzeit alles passieren könnte. Aber eben jetzt noch nicht. Jetzt passiert eben leider noch gar nichts. Die deutsche Literatur Frühjahr 2007 wartet ab. Sie hofft. Und sie hat Angst. Die Zukunft kann alles bringen. Den Terror, die Befreiung, die Liebe, die Flucht. Im Moment ist Melancholie. Der Terror der Melancholie. Oder die Schönheit.

Fünf Jahre ist es her, dass der Journalist und Schriftsteller Kolja Mensing, 36, ein Fluchtbuch aus der Provinz geschrieben hatte: "Wie komme ich hier raus?" hieß es - ein Buch über das Aufwachsen in der Provinz, das Leiden an der Provinz und schließlich die Flucht aus der Provinz - nach Berlin. Er hat dann als Journalist gearbeitet, als Literaturredakteur in Berlin, als Kritiker auch für die F.A.Z., hat Filme gedreht aus dem dreizehnten Stock eines Hochhauses, aus dem Alltagsleben in einem Einkaufscenter. Und jetzt also Erzählungen geschrieben aus einer Welt des Wartens, der Liebe aus der Ferne oder des Davongehens aus dem Leben einfach so. Es sind extrem kurze, traurige Erleuchtungen in ein verborgenes Leben hinein. Meist in das Leben der Mittdreißiger, die einst vom Aufbruch träumten und nun nicht sicher sind, ob er das schon gewesen ist, der Aufbruch, oder ob sie eines Tages weiterziehen in eine andere Hauptstadt hinüber, eine andere Hoffnung hinein und dann der wahre Aufbruch endlich beginnt: "Gemeinsam warteten wir darauf, daß das Leben anfangen würde oder zumindest das, was wir uns früher einmal darunter vorgestellt hatten. Bis dahin vertrieben wir uns die Zeit mit schlechten Filmen und Gesprächen über seine Mitbewohnerin und ihre Freunde."

Das ist das Frühlingsgefühl 2007. Das Frühlingswarten 2007. Es ist überall. Hier, sehen Sie mal: "Es ist ein Geschenk, das das Leben uns machte, indem es uns Seelen schenkte, in denen Zartheit und Geduld herrschte, so dass unser Dasein endlich zur Deckung käme mit jener Vision eines guten Lebens, die wir in uns trugen und immer wieder sahen, wenn auch nur als Schatten, der immer ein, zwei Schritte vor uns um die Ecke bog." So heißt es im neuen Buch der 33-jährigen Silke Scheuermann. Oder im ersten Roman der 36-jährigen Johanna Straub: "Ich habe immer gedacht, es ist erst der Anfang, sagt Philippa. Ich dachte, es geht immer so weiter und das Eigentliche passiert erst noch. Man trifft neue Menschen und alles wird anders." Harriet Köhler, 30, umschreibt es in ihrem ersten Roman so: "Nur wenn du es dir in deiner Welt mit großen Worten einrichten kannst, musst du nicht erkennen, dass deine Wirklichkeit aus ziemlich mickrigen, kleinen Gefühlen besteht." Und so enttäuschen wir uns fort und fort: "Obwohl zwei, die zusammenkommen, immer alles neu machen wollen, aber nach einer Weile machen sie doch wieder das Alte nach, und von ihrem großen Plan bleiben nur die orangefarbenen Wände ihrer Zweizimmerwohnung übrig", heißt es bei Antje Rávic Strubel, 33. Franziska Gerstenberg, 28, schreibt knapp: "Das Problem lag woanders: Nach einer Woche Urlaub hatte sich nichts verändert." Und schließlich, der Meister von Mittelmaß und Wahn, Wilhelm Genazino, 63, in seinem neuen Roman "Mittelmäßiges Heimweh": "Im Grunde erwarte ich immer noch, daß sich das Dasein innerhalb der Lebensspanne eines Menschen zu einem Sinn hin entwickelt. Ich werde die Aufmerksamkeit für mein Leben zurückziehen, falls sich kein Sinn zeigen sollte. Meine Melancholie über den fehlenden Sinn ist mir vertrauter als das sinnlose Warten auf die Verbesserung von . . . ach, ich habe keine Lust, über diese törichten Dinge weiter nachzugrübeln."

Nein, nicht grübeln, sondern einfach drüber schreiben. Über dieses Gefühl der "Enttäuschung", wie es Thomas Mann in seiner gleichnamigen Erzählung vor mehr als hundert Jahren so schön und ewig aufgeschrieben hat, als dem Erzähler jener wunderliche Mann an der Piazza San Marco begegnete, der ihm von seiner Lebensenttäuschung berichtete und den armen jungen Erzähler damit völlig aus der Bahn warf: "Ich bin in das berühmte Leben hinausgetreten, voll von dieser Begierde nach einem, einem Erlebnis, das meinen großen Ahnungen entspräche. Gott helfe mir, es ist mir nicht zuteil geworden!" Selbst als er das Meer sah, das unendliche, genügte es ihm nicht, denn es ist gar nicht unendlich. Die Dichter, die das seit Jahrhunderten behaupten, hatten gelogen: "Das Meer ist groß, das Meer ist weit, mein Blick schweifte vom Strande hinaus und hoffte, befreit zu sein: dort hinten aber war der Horizont. Warum habe ich einen Horizont? Ich habe vom Leben das Unendliche erwartet."

Und genau an dieser schönen Empörung fehlt es in den meisten Stillstandsbüchern dieses Frühjahrs. Empörung gegen den Horizont. Empörung gegen das Leben, das nicht hält, was es einst versprach. Was die Bücher der Dichter uns versprachen, was ein Scheinaufbruch von früher uns einst versprach. Die meisten Bücher dümpeln so dahin in ihrem kleinen Unglück. Harriet Köhler erzählt ein Familiendrama in etwas holzschnittartig abgezirkelten und sprachlich ehrgeizlosen Einzelepisoden. Und auch Silke Scheuermann, Johanna Straub und Franziska Gerstenberg kommen in ihren Büchern über ein auf die Dauer eintöniges Nebelwarten, Im-Kreise-Drehen und Schauen ins Leere selten hinaus. Das Getränk der Saison ist Rotwein. Das Getränk des zurückgelehnten Abwartens und der Hoffnung auf ein wenig innere Wärme. Nicht gerade ein Frühlingsgetränk.

Zugegeben, viel von dem Überdruss entsteht natürlich dadurch, dass man als Rezensent so Buch auf Buch auf Buch mit der immer gleichen Stimmung liest - so liest kein normaler Mensch, und vielleicht ist ja so eines dieser Bücher mal ganz schön. Trotzdem, wer vom Lesen Erschütterung erwartet, Wahrheit und Notwendigkeit, wird es in diesen Melancholiefibeln nicht finden.

Kolja Mensings Buch "Minibar" ist von all diesen am schönsten, weil es sich nicht kunstvoll aufbläht, sondern kleine Blicke in enttäuschte Leben wirft. Aber auch hier wird dem Leser die Luft nach der Hälfte der Geschichten vor lauter Stillstand knapp.

Antje Rávic Strubel führt in ihrem Roman "Kältere Schichten der Luft" ihre Heldin aus Halberstadt nach Schweden, in eine wahre Liebesexplosion. Eine lesbische Liebesgeschichte, wahnsinnig romantisch, die alles wagt, alle Vorsichten vergisst, alle Lebensmöglichkeiten für einen Moment wirklich werden lässt. Doch am Ende ist auch hier wieder - Halberstadt. Am Ende auch hier der ernüchternde Satz: "Er weiß, daß diesen Tagen, in denen sie anwesend war, nichts folgen wird. Nichts außer einem langen Warten."

Wie glücklich ist man bei all dem Warten und den Wonnen der Gewöhnlichkeit über Dieter Rotmunds Ohr. Rotmund ist der Held in Genazinos neuem Buch, und sein Ohr kommt ihm abhanden. Er sitzt in einer Kneipe, schaut ein Fußballspiel an, der Lärm wird immer lauter, und plötzlich - "Plötzlich sehe ich unter einem der vorderen Tische ein Ohr von mir liegen. Es muß mir im Gebrüll unbemerkt abgefallen sein." Und damit, mit diesem Einbruch der absoluten Unwahrscheinlichkeit in die Welt der totalen Wahrscheinlichkeit und Vorhersehbarkeit und Mittelmäßigkeit, beginnt eine so wahnsinnig komische, abgründige Geschichte, wie sie lange nicht mehr zu lesen war. Gerade hatte sich der Held vorgenommen, mit den Kompliziertheiten des Lebens überhaupt nicht mehr in Berührung zu kommen und "meinen Alltag so einzurichten, daß ich nur noch einfache Verhältnisse mit einfachen Personen darin vorfinde". Und dann verliert er also dieses Ohr, und alles gerät ins Wanken. Er verliert die Frau, einen Fußzeh und noch einen, und schließlich sitzt er zitternd am Abgrund seiner Welt und wartet auf den Untergang.

Auch in Ingo Schulzes Erzählungsband "Handy" geht immer wieder eine Welt unter. Er erzählt diese Untergänge wie nebenbei, präzise, spielerisch, altmodisch im Ton, "Geschichten in alter Manier" heißt es schon im Untertitel, und wer somit eher kunsthandwerkliche Fingerübungen erwartet hatte, sieht sich beim Lesen getäuscht. Es ist nicht so aufregend und wagemutig und widerständig wie sein Großroman "Neue Leben" aus dem vorletzten Jahr, dafür lässiger, einfacher, ruhiger und einfach sehr, sehr schön geschrieben. Und zu den Accessoires des Bücherfrühlings muss man neben dem Rotwein der Damen und dem Ohr Dieter Rotmunds unbedingt Ingo Schulzes Orangenschale zählen. Denn dieser Moment des Glücks und der Wahrheit, wie der völlig betrunkene Erzähler in der Geschichte "Keine Literatur oder Epiphanie am Sonntagabend" seine Tochter über das wahre Wesen einer achtlos weggeworfenen Orangenschale aufklärt, wird, wer es einmal gelesen hat, so schnell nicht mehr vergessen.

"Keine Literatur" heißt diese schönste Geschichte des Bandes, und das ist natürlich irgendwie traurig für die Literatur, dass überall, wo es schön und spannend wird, sie sich distanziert und der Autor so tut, als sei das jetzt das Leben und also viel mehr als schnöde Literatur. Oder, weil die Kunst hier fehlt, vielleicht auch weniger.

Keine Literatur hat auch der Dokumentarfilmer Andres Veiel geschrieben. Sein Buch heißt "Der Kick", die Geschichte des unglaublich brutalen, skrupellosen Mordes an dem Jugendlichen Marinus Schöberl in Potzlow in der Uckermark vor den Augen der Bevölkerung vor einigen Jahren. Es ist eigentlich nur das Zusatzbuch seines Theaterstücks und Films, unter dem gleichen Titel im letzten Jahr auf der Bühne und im Kino zu sehen. Aber es ist unendlich viel mehr als nur das nachgereichte Drehbuch eines Films. Es ist das erschütternde Dokument einer unfassbaren Tat, die Veiel nach all seinen Recherchen auch nicht fassbarer machen kann und will. Die Geschichte einer inneren Leere auch, die gefüllt wird in einer plötzlichen Nacht der totalen Gewalt, in der in drei Jugendlichen langsam der Wille wächst zu einer letzten, bösen Tat. Und wie sich Veiel da hineinbohrt in die Geschichte der Tat, die Geschichte der Täter, des Opfers, der Mordnacht und die ganze Geschichte des Dorfes von 1944 bis heute erzählt, das ist so genau, erschütternd, unglaublich und wahr, wie es Literatur nur in ganz, ganz seltenen Fällen vermag. Am Ende spielen die drei Jugendlichen das Finale eines Films nach, das Finale von "American History X", eines Films gegen rechte Gewalt, in dem ein schwarzer Jugendlicher gezwungen wird, in den Bürgersteig zu beißen, bevor die Täter ihm ins Genick springen. Marinus Schöberl muss in den Futtertrog eines Schweinestalls beißen. Dann springen seine Peiniger.

Das Buch reißt einen heraus aus aller melancholischen Selbstbetrachtung. Ein offenes Fenster. Ins Grauen der Gegenwart.

VOLKER WEIDERMANN

Franziska Gerstenberg: "Solche Geschenke", Schöffling, 18,90 Euro; Wilhelm Genazino: "Mittelmäßiges Heimweh", Hanser, 17,90 Euro; Harriet Köhler: "Ostersonntag", KiWi, 17,90 Euro; Kolja Mensing: "Minibar", Verbrecher-Verlag, 13 Euro; Silke Scheuermann: "Die Stunde zwischen Hund und Wolf", Schöffling, 17,90 Euro; Ingo Schulze: "Handy", Berlin, 19,90 Euro; Johanna Straub: "Das Zebra hat schwarze Streifen, damit man die weißen besser sieht", Liebeskind, 16,90 Euro; Antje Rávic Strubel: "Kältere Schichten der Luft", S. Fischer, 17,90 Euro; Andres Veiel: "Der Kick", DVA, 14,95 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.02.2007

Gutbürgerlicher Horror
Silke Scheuermanns Roman „Die Stunde zwischen Hund und Wolf”
Silke Scheuermann hat den Bogen raus. Ihr erster Roman hat nichts von dem, was man bei so etwas erwartet: subjektive Ausschweifungen oder einen Überhang der Gefühle. „Die Stunde zwischen Hund und Wolf” wirkt eher unterkühlt. Die weibliche, etwa dreißigjährige Hauptfigur erscheint in einer Art Halbdistanz, obwohl sie „Ich” sagt und man ihre Erlebnisse hautnah mitbekommt. Sie verschweigt viel. Sie erzählt kaum etwas von ihrer Geschichte, vor allem nichts von ihrer Familie, obwohl die Beziehung zu ihrer Schwester Ines das alles beherrschende Thema des Romans ist. Wir erleben einige Tage in der unmittelbaren Gegenwart, fotografisch, ohne allzu viel Reflexion oder Rückblenden oder Tagebuchgedanken. Dieses Ich – der Vorname der Hauptfigur wird nie genannt – tritt erst in Erscheinung, nachdem es viele Filter durchlaufen und einige Sicherheitschecks hinter sich hat. Es ist, obwohl alles einfach und realistisch daherkommt, eine hochkontrollierte Kunstfigur.
Unsere erzählende Ich-Schwester findet sich am Anfang in Frankfurt wieder, nachdem sie eine Zeitlang in Rom gelebt hat, sie bekam einen interessanten Redakteursjob bei einer Zeitschrift angeboten. Städte, Lebensalltag, die unmittelbare Umgebung ist austauschbar, das ist wie aus dem Bilderbuch des heutigen Daseinsgefühls, und auch zu ihrer Schwester hat sie keinen Kontakt, obwohl sie jetzt in derselben Stadt wohnt. Mit einer Begegnung im Schwimmbad beginnt der Roman – die Schwester Ines weiß um die Gewohnheiten der Ich-Erzählerin und passt sie ab.
Warum es keinen Kontakt mehr zwischen den Schwestern gab, wird nicht ganz klar, auch, nachdem sie sich wieder öfter sehen. Es gibt da etwas Geheimnisvolles, das wird schnell deutlich, denn naheliegende Erklärungen werden ziemlich offensichtlich ausgespart. Schwester Ines war immer die hübschere, das ist alles, was wir erfahren, und es gibt eine einzige Erinnerung an einen Familienurlaub am Meer: ein Foto, auf dem die Ich-Schwester ihre Schwester Ines bis zum Hals in Sand eingräbt und diese keinerlei Angst hat. Silke Scheuermanns Roman lebt von Andeutungen, von einer Geschichte, die nicht erzählt wird und nur ihre langen Schatten in die Gegenwart wirft.
So macht man das
Die Ich-Erzählerin entwickelt verwechselbare Konturen und eignet sich deswegen gut als Identifikationsfigur. Sie ist wie eine Projektionsfläche für die nicht durchschaubare, sich entziehende Gegenwart. Die Art und Weise, wie sie sich in Kai, den Freund ihrer Schwester, verliebt, ist entschieden mehrheitsfähig: Wie sie sich, ohne dass sie sich dessen so recht bewusst wird, bei Peek & Cloppenburg etwas zum Anziehen kaufen will und unversehens mit einem grünen, sehr kurzen Rock herauskommt, wie sie sich herausputzt, wenn sie der Agentur einen Besuch abstattet, in der Kai als Fotograf beschäftigt ist – Haare hochgesteckt, hohe Absätze, Kajalstift und überhaupt. In ihrer Wohnung hängen viele Post-Its, am Spiegel im Flur vor allem, weil sie sich an die wichtigen Dinge immer erinnern muss – den besten Friseur der Stadt, den Pizzaservice. Und auf dem Anrufbeantworter lässt sie die Ansage ihrer Vormieterin stehen, einer Amerikanerin mit einer sympathischen Stimme – das schafft eine individuelle Note.
Die Handlung dreht sich vor allem darum, dass sich Ines, die schöne Schwester, als Alkoholikerin entpuppt. Und daneben um ihren Freund Kai. Wie es sich gehört, wenn etwas Anspruchsvolleres im Raum steht, gibt es ein offenes Ende. Silke Scheuermanns Stärken liegen in atmosphärischen Verdichtungen und in der Kunst des Weglassens. Die seit einigen Jahren häufig beschriebene Szenerie der Dreißigjährigen im Kultur- und Medienambiente mit ihren sich leerlaufenden Hoffnungen bekommt hier einige weitere Schaumkronen aufgesetzt; die Frankfurter „Orion Bar” kann mit vergleichbaren Etablissements in Berlin-Mitte problemlos mithalten. Wie sich die Ich-Schwester in ihrer ersten Orientierungslosigkeit auf eine Affäre mit ihrem Kollegen Richard einlässt, ist gekonnt ironisch beschrieben, selbst die zwei, drei Sexszenen sind nicht peinlich – ein sachlicher Ton, der die Balance hält zwischen ernsthaften Suchbewegungen und Burleske. So etwas hat jemandem wie Marcel Reich-Ranicki immer gefallen: ein kapitalistischer Realismus, handwerklich geschickt, mit nachvollziehbaren psychologischen Strickmustern.
Nein, ein schlechtes Buch ist dies keineswegs, es drückt das Zeitgefühl quasi organisch aus, von innen. Aber es ist auch keines, das man allzu lange in Erinnerung behalten wird, dazu ist es zu überschaubar. Gar nicht vorgesehen ist in seinem Konzept jener überraschende Blick von woanders her, der in der Literatur das Zeitlose versteckt. Vielleicht will Silke Scheuermann deswegen das Ganze ein bisschen aufpeppen. Schon der ambitionierte Titel lässt aufhorchen: Er passt in seiner Großmetaphorik nicht recht zum Duktus der Erzählung. Kai beschreibt der Ich-Schwester, wie Ines sich unter Alkoholeinfluss verändert: „Es ist die totale Willkür, etwas Fremdes beginnt, an ihr herumzuzerren, ich nenne das die Stunde zwischen Hund und Wolf.” Da kommt plötzlich eine andere Dimension zum Vorschein, nahezu etwas Mythisches, und einige Dutzend Seiten später blättert die Ich-Schwester bei Ines in einem kunstgeschichtlichen Werk, Abbildungen verschiedener antiker Götter. Und sie stößt auf die drei Tierköpfe der Schlange: „Löwe gleich Gegenwart, Wolf gleich Vergangenheit, Hund gleich Zukunft.” Das klingt hoch bedeutend, bleibt einfach so stehen, und es geht wieder übergangslos zum laufenden Fernseher nebenan.
Es gibt längst Sushi
Hin und wieder sind in den Text weitere Aspekte aus dem Bereich der Zoologie eingestreut. Ein kleines Leitmotiv bilden die Vögel, die in losen Abständen an das Fenster der Ich-Schwester prallen und dann tot sind. Jedes Mal, wenn sich eine kleine Wendung der Geschichte anzubahnen scheint, ist man als Leser darauf gefasst, dass dann wieder die Macht des Schicksals so an die Scheiben pocht. Ein weiteres Netz, das über den Text gelegt wird, sind die verschiedenen Verweise auf Horrorfilme: die Ich-Schwester sieht sich mit Richard vor ihrer ersten gemeinsamen Nacht einen Horrorfilm an, und Rebecca, Teil eines lesbisch konnotierten Nebenstrangs, arbeitet wissenschaftlich über den Horrorfilm der siebziger Jahre. Und als die Ich-Schwester sich in einer Augenblickslaune entschließt, Mitglied einer Videothek zu werden, leiht sie sich als Erstes einen Horrorfilm aus.
Es ist merkwürdig, wie der Horror im Text selbst mehr als eine Spur schmaler daherkommt, trotz Alkoholismus und alldem. Es handelt sich doch eher um einen gutbürgerlichen Roman, mit kleinen Ausblicken auf das Prekariat um die Trinkhallen herum, inklusive einer Pennerin, die die Ich-Schwester in einem hübschen Bild an ein Kaninchen erinnert. Schon früh wollten die Gaststätten mit ehemals „gutbürgerlicher Küche” schlanker und moderner werden und legten dann Ananasscheiben auf ein Putenschnitzel. Ungefähr so ist es auch in diesem Roman, er weiß sogar, dass es längst Sushi gibt. HELMUT BÖTTIGER
SILKE SCHEUERMANN: Die Stunde zwischen Hund und Wolf. Roman. Verlag Schöffling & Co, Frankfurt am Main 2007. 171 Seiten, 17,90 Euro.
Die Autorin Silke Scheuermann Foto: Peter Peitsch/peitschphoto.com
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit einigem Enthusiasmus bespricht Rezensentin Sandra Kerschbaumer diesen Roman, den sie nicht nur insgesamt als überaus "stimmig" empfindet, sondern der sie auch im Detail mit "kühlen, manchmal beobachtenden, immer bereichernden" Beobachtungen begeistern kann. Es geht, wie Kerschbaumer schreibt, um zwei Schwestern, deren Beziehungsgefälle sich umkehrt. Denn die bewunderte Ältere ist Alkoholikerin geworden. Doch nach Ansicht der Rezensentin nutzt die Autorin diese Konstellation, um darüber hinaus über ein generationsbedingtes Gefühl eines Mangels an Freiheit und Gestaltungsmöglichkeit für das eigene Leben zu schreiben. Mit großer Bewegung folgt sie den elegischen und dennoch hochzeitgemäßen Beschreibungen Frankfurts, sieht Hoffnungen und Liebesgeschichten zerbrechen und schließlich eine Protagonistin am Ende in einer Lache aus Alkohol, Blut und Scherben liegen. Überhaupt begeistert sie, wie bei Silke Scheuermann, dieser Meisterin der "kurz aufleuchtenden Bilder" und "vorbeifliegenden Szenen", der Zustand des Betrunkenen zum ästhetischen Phänomen wird. Aber auch Scheuermanns Schilderung der Schwesternbeziehung fesselt die Rezensentin immer wieder.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Atmosphärisch stark, mit leisem Humor, unsentimental und mitfühlend erzählt Silke Scheuermann dieses Kammerspiel.« Hubert Spiegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung »Silke Scheuermann hat den Bogen raus. (...) Scheuermanns Stärken liegen in atmosphärischen Verdichtungen und in der Kunst des Weglassens.« Helmut Böttiger, Süddeutsche Zeitung »Mit ihrem neuen Roman hat sich Scheuermann in die vordere Reihe der jungen Autoren geschrieben.« Ulrich Greiner, Die Zeit »Scheuermann beläßt ihre Hauptfigur nicht auf dem lyrischen Beobachterposten, sondern stößt sie hinein in das Leben dieses kurzen Romans wie in einen Wasserwirbel.« Sandra Kerschbaumer, Frankfurter Allgemeine Zeitung »Scheuermann hat für ihren ersten Roman einen wunderbaren, kühl poetischen, von leiser Melancholie durchwehten Ton gefunden. Ihre Sprache ist von einer erstaunlichen Kraft der Vergegenwärtigung.« Uwe Wittstock, Die Welt »Nie gibt es bei Scheuermann ein Zuviel an Gefühl. Sie bewahrt eine Distanz, die frösteln läßt. Und die in ihrer Scharfsichtigkeit fasziniert.« Brigitte »Silke Scheuermann erzählt davon, wie ein Leben im Mittelmaß mit Maßlosigkeit konfrontiert wird. (...) Überraschend.« Carola Ebeling, Rheinischer Merkur »Stilsicher und psychologisch einwandfrei erzählt Silke Scheuermann von Schuld und Vergebung, Mitleid und Verrat« Shirin Sojitrawalla, Wiener Zeitung »Kaum ein Buch hat so viele Vorschusslorbeeren bekommen (...). Schon nach ein paar Seiten merkt man, daß die Kritikereuphorie gerechtfertigt war.« Main-Echo »Silke Scheuermanns erster Roman: meisterhaft.« Anne-Catherine Simon, Die Presse »Der Roman endet mit einer atemberaubend surrealistischen Hoffnung, ja Utopie. (...) Diese Stimme hat Zukunft.« Sophia Willems, Westdeutsche Zeitung »Das Faszinierende an dem Buch ist die Art, wie Silke Scheuermann über Gefühle schreibt.« Christine Lötscher, Tages-Anzeiger »Gefühle erleben Silke Scheuermanns Figuren als etwas Unberechenbares, sie begegnen ihnen mit Skepsis.« Kölner Stadt-Anzeiger »Geistreich-ironisch, mit berührender Tiefe wird die Begegnung zweier Schwestern geschildert (...). Mit dem (...) Roman hat sich Scheuermann in die obere Liga auch dieser Literaturgattung katapultiert.« Nicoletta Hagedorn, Berliner Literaturkritik »Silke Scheuermann fängt das Lebensgefühl unserer Tage perfekt ein.« Woman »Die Stunde zwischen Hund und Wolf ist eine Geschichte, die durch das Sprachvermögen der Autorin zu einem Stück zeitloser Literatur wird.« Katrin Schings, Berliner Zeitung »Silke Scheuermann erzählt in wunderbar poetischem, leise melancholischem Ton.« Focus »Die Alltagssituationen sind meisterlich beobachtet und stilsicher mit leichter Selbstironie erzählt, das dichte Nebeneinander vermittelt so grandios die Atmosphäre von Sprachlosigkeit und Einsamkeit.« u_mag »Eine ungewöhnlich komplexe und vielschichtige Geschichte. Kein Zweifel: In ihrem ersten längeren Prosatext ist Silke Scheuermann das subtile Porträt einer komplizierten Geschwisterbeziehung geglückt.« Ingo Arend, Freitag »Scheuermann schildert das ambivalente Abhängigkeitsverhältnis zwischen den (...) Schwestern mit kühlem Blick und feinem Sensorium für Zwischentöne. (...) Das Unausgesprochene sichtbar zu machen, ist ihre große Leistung.« Jörg Magenau, Tagesspiegel »Gekonnt zeichnet Silke Scheuermann ein Personengefüge, das in seiner Offenheit Spannung erzeugt (...).« Antje Korsmeier, die tageszeitung »Überraschende Wendungen und trockener Humor machen aus Die Stunde zwischen Hund und Wolf eine atemberaubende Erzählung. Silke Scheuermann beweist mit ihrem Debüt großes erzählerisches Talent.« Andreas Tobler, Berner Zeitung »Unsentimental und gleichzeitig mitfühlend erzählt Silke Scheuermann von menschlicher Wärme und Kälte - und der ewigen Hoffnung auf Veränderung.« Freundin…mehr