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Die französische Armee stellt für die Franzosen ein besonderes Phänomen dar. Sie ist stumm und bedingungslos gehorsam gegenüber dem Armeechef, einem gewählten Zivilisten. Man ist froh, nicht allzu viel über sie zu wissen, außer dass die großen Militärbasen sich im Süden des Landes befinden, von wo aus sie ihre Aktivitäten auf weit entfernte Territorien richtet. Victorien Salagnon ist einer von ihnen, die im Blut gebadet haben müssen. Er lehrt den Erzähler das Malen, der im Gegenzug Salagnons Geschichte aufschreibt, 50 Jahre französische Militärgeschichte und Kunst des Krieges. Prix Goncourt 2011.…mehr

Produktbeschreibung
Die französische Armee stellt für die Franzosen ein besonderes Phänomen dar. Sie ist stumm und bedingungslos gehorsam gegenüber dem Armeechef, einem gewählten Zivilisten. Man ist froh, nicht allzu viel über sie zu wissen, außer dass die großen Militärbasen sich im Süden des Landes befinden, von wo aus sie ihre Aktivitäten auf weit entfernte Territorien richtet. Victorien Salagnon ist einer von ihnen, die im Blut gebadet haben müssen. Er lehrt den Erzähler das Malen, der im Gegenzug Salagnons Geschichte aufschreibt, 50 Jahre französische Militärgeschichte und Kunst des Krieges. Prix Goncourt 2011.
Autorenporträt
Alexis Jenni wurde 1963 in Lyon geboren, wo er heute am Lycée Saint-Marc Biologie und Naturkunde unterrichtet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2013

Der Geruch von Fleisch
Alexis Jenni zu Gast im Hessischen Literaturforum

Er hat einen Roman geschrieben, aber viele seiner Leser wollen ihm das nicht glauben. Für "Die französische Kunst des Krieges" hat Alexis Jenni zeitgenössische Dokumente ausgewertet, Personen und Dialoge aber frei erfunden. Viele von denen, die dabei waren, wundern sich über das detailreiche Bild, mit dem Jenni die Zeit vom Kampf der Résistance im Zweiten Weltkrieg über den Indochina-Konflikt bis hin zum Algerien-Krieg nachzeichnet. Sie glauben, er wolle nur seine Quellen schützen. Aber Jenni hat bewusst die Form des Abenteuerromans gewählt.

Im Hessischen Literaturforum im Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm berichtet er, wie er mit seinem Erstlingswerk vor zwei Jahren den wichtigsten französischen Literaturpreis gewann, den Prix Goncourt, obwohl die Verlage zuvor zahlreiche von ihm verfasste Romane abgelehnt hatten: "Dieses Buch war einfach besser als die, die ich vorher geschrieben hatte." Im Gespräch mit Ruthard Stäblein, Kulturredakteur im Hessischen Rundfunk, erläuterte Jenni, dass die literarische Form des Abenteuerromans ihm die Möglichkeit gegeben habe, sich mit dem notwendigen Abstand und auf einer eher gefühlten Ebene mit seinem Thema auseinanderzusetzen.

Der Überraschungserfolg hat ihm gutgetan, er spricht gerne und intensiv über sein Werk. Vor seinem Wochenendauftritt in Frankfurt ist er auf der Leipziger Buchmesse zu Gast gewesen, das Interesse an seinem Erstling, der voriges Jahr auf Deutsch im Luchterhand Verlag erschien, ist noch immer groß. Aber Jenni weiß, dass das manchmal nicht viel heißt. Ein Mann habe ihn auf der Straße angesprochen, um ihm zu sagen, dass er sein Buch gekauft habe, aber sogleich nachgesetzt: "Ich werde es verschenken, wovon handelt es?" Das mache bescheiden, sagt Jenni.

Schon der Titel des Romans mag für viele provokant klingen - und die Provokation endet nicht hier. So vergleicht Jenni, der noch immer als Biologielehrer in Lyon arbeitet, den Algerien-Krieg mit ethnischen Konflikten in den französischen Vorstädten unserer Zeit, Blutrünstigkeit und Gewalt an der Front mit unserem alltäglichen Fleischkonsum, der Wert darauf legt, jegliche tierische Abstammung zu verbergen. Quadratische Stücke in sauberer Plastikverpackung, nirgendwo Blut: "Warum ertragen wir den Anblick von Fleisch nicht mehr? Was haben wir getan?", heißt es schon zu Beginn des Romans. Ein vom namenlosen Ich-Erzähler präpariertes Dinner mit Hammelköpfen, Hahnenkämmen und Kaldaunen gerät zum Desaster.

Jenni zeichnet in "Die französische Kunst des Krieges" das Bild eines ungerührten, mitleids- und orientierungslosen jungen Mannes, der erst durch die Begegnung mit einem älteren Mann herausgefordert wird, der alle drei Kriege des modernen Frankreichs erlebt hat. Erst als Kämpfer in der Résistance, dann als Folterer in Algier - wie können Menschen sich so verändern? Jenni stellt soziologische Thesen zum zeitgenössischen Frankreich und seiner Bewohner auf, von deren Bedeutung er überzeugt ist, die er aber nur als Romancier verantworten könne. "Da sollen sich die Historiker dann wissenschaftlich mit auseinandersetzen."

JULIA KERN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.01.2013

Hammelköpfe, Hahnenkämme, Häresie
Von Indochina bis Nordafrika: In seinem monumentale Roman „Die französische Kunst des Krieges“
holt Alexis Jenni die Geschichte seiner Nation seit dem Zweiten Weltkrieg in die Gegenwart hinein
VON HELMUT BÖTTIGER
Der Held dieses Romans ist auf einem Vulkan gezeugt worden. In den Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren zitterte etwas in Frankreich und drohte zu explodieren, das wird ihm immer mehr bewusst. Mittlerweile haben das Schweigen und die Zeit gesiegt, jetzt riecht es nur noch nach Schwefel. Dieser Schwefelgeruch ist es, der den gewaltigen Roman von Alexis Jenni von Anfang bis Ende durchzieht.
  Der Held und Ich-Erzähler lebt Anfang der 1990er-Jahre in einer austauschbaren Gegend in Nordfrankreich, in die er vor sich selbst geflohen zu sein scheint. Er wirkt antriebslos, meldet sich oft krank und liegt tagelang mit seiner Freundin im Bett – bis ein neuer, dynamischer Chef kommt und ihn im Zuge der Modernisierung entlässt. Im Fernsehen sieht er, wie das Spahi-Regiment aus Valence im Zuge des ersten Golfkriegs in die arabischen Länder aufbricht, und das löst etwas in ihm aus. Er kehrt zurück in seine Heimatstadt Lyon, schlägt sich als Reklameausträger durch und lernt in einem schäbigen Bistro den alten Indochina-Veteranen Victorien Salagnon kennen, der eine spezifische Linie des auf französische Weise Verdrängten sichtbar macht: von der Résistance über den Indochina- und Algerienkrieg bis über den Roman hinaus, ins heutige Mali.
  Die Geschichte und die Gegenwart durchdringen sich in diesem Buch immer intensiver. Der Ich-Erzähler erlebt das zeitgenössische Lyon als eine flüchtig an den Hang gebaute Millionenstadt. Sie besteht hauptsächlich aus Schlamm, der im Winter auch an die Oberfläche tritt. Am Rand sind die anonymen Wohngebiete aus dem Boden gestampft worden, aus denen der Erzähler ursprünglich stammt und die heute größtenteils von unterprivilegierten Afrikanern und Arabern bevölkert sind. Mitten in einer solchen Großraumsiedlung, in ihrer Weite, ihrer Leere und ihren schwarzgrauen Schraffuren wohnt aber auch der alte Salagnon, und damit wird ein großer historischer Bogen geschlagen. Es geht um das Selbstverständnis Frankreichs, um das Trauma der Geschichte und seine Spuren in der heutigen Gegenwart – um die „koloniale Fäulnis“. In den Vorstädten leben jetzt die Aufständischen, die von der französischen Armee vor Zeiten noch vor Ort bekämpft wurden.
  Zu den Stärken von Jennis Buch gehört, dass die Lebensstationen Salagnons ungemein plastisch erscheinen. Die Luft in Saigon, die wie ein in heißes Wasser getauchter Wattebausch wirkt, die abblätternde Kolonialvilla auf einer Insel, wo Salagnon kriegsuntaugliche Fischersöhne für den Kampf gegen die kommunistischen Vietminh rekrutiert – dieser Roman lässt von seinen exotischen Schauplätzen aus ein unheilvoll flackerndes Irrlicht auf das französische Zentrum werfen, bis zu den grellen Schlussbildern aus dem Algier der frühen 1960er-Jahre. Das große Anfangs-F in „France“, wie es „der große Epenerzähler“ de Gaulle rhetorisch ausgespielt hat und der Ich-Erzähler sarkastisch heraufbeschwört, gibt alsbald „seinen letzten Hauch von sich“, der Rest des Wortes hat „Mühe, Luft zu schnappen“.
  Der Roman entwickelt ungeahnte sinnliche Qualitäten. Seine Form aber rührt noch an etwas anderes. Zwei Textstränge wechseln sich ab: die Biografie Salagnons, die der Ich-Erzähler wie nebenbei schreibt – die betreffenden Kapitel tragen die Überschrift „Roman“, Teil 1 bis 6 –, und Passagen, die mit „Kommentar“ übertitelt sind und in denen der Erzähler von sich und seiner Situation berichtet. Der Erzähler erlebt in erster Linie nicht, er räsoniert. Und damit durchbricht er programmatisch die Suggestion, die in Salagnons Lebensgeschichte Breitwandformat erreicht, durchschießt sie mit reflektierenden, analytischen und polemischen Momenten. Das wirkt zum Teil äußerst ungeschützt. Es hat den Duktus des Leitartikels, ohne jemals Leitartikel zu sein. Von den französischen Kriegen des zwanzigsten Jahrhunderts, die Salagnon erlebte, stellt sich so eine unmittelbare Verbindung zur Gegenwart her.
  Interventionen wie die aktuelle im afrikanischen Mali rühren an unbewältigte Phantasmen. Die französische Ratio stieß bereits im Dschungel Vietnams an ihre Grenzen, in den Altstadtquartieren Algiers richtete sie sich letztlich gegen sich selbst, und sie scheint auch in den endlosen Randzonen der französischen Großstädte zu pervertieren, wo die Politiker an die Verheerungen früherer Kolonialstrukturen anknüpfen.
  In einem Rückblick auf den letzten Tag seiner frühen Ehe findet der Ich-Erzähler virtuose Bilder des Verdrängten. Für ein Abendessen mit Freunden geht er mit seiner Frau in einen Supermarkt, und die sterilen Verpackungen in der Fleischabteilung, die durch große Fensterscheiben ausgestellte perfektionierte Mechanik der Schlachter, die keimfrei und bis zur Unkenntlichkeit zurechtgeschnittenen Teile in den Plastikfolien weisen bereits auf die normierten Umstände des Essens voraus, die Rituale der Kommunikation, die bürgerlichen Verkehrsformen. An einem orientalischen Markt unter freiem Himmel hält der Erzähler dann plötzlich an, und es bricht sich etwas Bahn. Er sieht archaische Urszenen, Stände mit lebenden Tieren, großen Messern und Holzbänken. Als er am Abend die fast noch rohe Blutwurst serviert, urtümliche Hahnenkämme und Hammelköpfe, und dabei mit gaumenschmeichelnden Worten intensive tierische Gerüche und Geschmacksexplosionen heraufbeschwört, wird das zum großen Affront. Die Gäste bewahren die Form und verabschieden sich ohne Worte.
  Die Ehefrau wird von Weinkrämpfen geschüttelt, hat sich am nächsten Morgen aber fest im Griff; der Erzähler sieht sie nie mehr wieder. Zum Symbol für das Geschehen wird der kleine Spritzer der Blutwurst, der das weiße, die Körperformen elegant betonende Kleid der Ehefrau knapp unterhalb der Brust befleckt. Das geschieht alles eher beiläufig und in einem selbstverständlichen Sog, es wirkt keineswegsplakativ – und ist eine brillante Evokation des Unbewussten, des französischen Abgrunds.
  Der Veteran Salagnon definiert die „Kunst des Krieges“ einmal als die Fähigkeit zu warten, ohne sich zu rühren, und das überführt Alexis Jennis raffiniert aufgebautes Romansystem in eine eigentümlich schlackernde Satzstruktur, mit mäandrierenden Wiederholungen, die sich im Deutschen Uli Wittmanns fast ohne Substanzverlust lesen lassen. Es gibt zahlreiche untergründige Verbindungen. Bezüge auf die „Odyssee“ deuten an, Homer stelle die Ereignisse in Indochina oder Algerien genauer vor Augen als die Wochenschau.
  In einem raffinierten Motivsystem wird in diesem Roman schließlich der Krieg mit der Kunst konfrontiert, und am faszinierendsten erscheint dies im Motiv der Tuschezeichnungen, die Salagnon Zeit seines Lebens anfertigt und deren Techniken er dem Ich-Erzähler vermittelt. Hier entsteht eine Gegenwelt, und sie wirkt gerade dadurch überzeugend, dass sie sich den Normen entzieht und nicht restlos durchbuchstabiert werden kann.
  Dies ist ein sehr französisches Buch. Es diskutiert die Formalismen im Alltag und in der Politik. Dabei werden Tabuzonen einer „gebildeten Mittelschicht“ umrissen, die sich vom deutschen Pendant in einigem unterscheidet, und dazu gehört, dass der Ton Jennis gelegentlich so ins Pathetische ausgreift, in ein selbstverständlich tradiertes rhetorisches Arsenal, wie es bei seinen deutschen Generationskollegen unvorstellbar ist. Auch Jennis Hang zu einer kompliziert in sich kreisenden Oberflächen-Suada wirkt hierzulande ungewohnt. Es könnte aber sein, dass seine Art der Zeitdiagnose jener der „gebildeten Mittelschicht“ in Deutschland schon ein bisschen voraus ist.
Alexis Jenni: Die französische Kunst des Krieges. Aus dem Französischen von Uli Wittmann. Luchterhand Literaturverlag, München. 763 Seiten, 24,99 Euro.
Über seine Schauplätze wirft
dieser Roman ein
unheilvoll flackerndes Irrlicht
Der Veteran definiert die
„Kunst des Krieges“ als Fähigkeit
zu warten, ohne sich zu rühren
Es geht um das Selbstverständnis Frankreichs, um das Trauma der Geschichte und seine Spuren in der heutigen Gegenwart – um die „koloniale Fäulnis“, um Kriege und Immigration: Szene aus den Einwanderervierteln von Lyon – ein Schauplatz des Romans von Alexis Jenni.
FOTO: JEAN-PHILIPPE KSIAZEK/AFP
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