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Produktdetails
  • Excerpta classica 18
  • Verlag: Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung
  • 1999.
  • Seitenzahl: 344
  • Deutsch
  • Abmessung: 170mm x 102mm x 14mm
  • Gewicht: 220g
  • ISBN-13: 9783871620492
  • ISBN-10: 3871620491
  • Artikelnr.: 08240901
Autorenporträt
Florian Neumann, geboren 1963, hat Geschichte, Italianistik und Philosophie studiert. Als Mitarbeiter der Deutschen Forschungsgemeinschaft befasst er sich derzeit mit der literarischen Autorität Petrarcas in der frühen Neuzeit.

Francesco Petrarca (1304 - 1374), Schriftsteller, Denker und Forscher. Am 20.7.2004 ist der 700. Geburtstag von Francesco Petrarca.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.1999

Die zeitlosen Schwächen der Alten
Die Postwege des Geistes: Petrarca schreibt vertrauliche Briefe an verstorbene Kollegen · Von Kurt Flasch

Wer, der nicht schlief oder daran verdiente, hätte nicht unter dem Goethe-Jahr gelitten? Konnten doch weder rhetorischer Schleim noch gelehrter Schutt verdecken, dass Goethe auf spektakuläre Weise abwesend ist: Niemand befragt ihn in Dingen von öffentlichem oder privatem Belang, niemand zieht ihn ernsthaft zu Rate. Aber niemand auch schreibt ihm deswegen Briefe. Und dabei wäre es ein Fundus ironischer Effekte geworden, hätte jemand im Goethe-Jahr klagende und fragende Briefe an Goethe veröffentlicht. Niemand kam auf den Einfall, Goethes Abwesenheit auf diese Art fühlbar, also gegenwärtig zu machen.

Dabei ist dieser literarische Dreh einer Beschwörung der Toten schon alt. Es gab ihn vor Petrarca, aber Petrarca hat ihn groß entwickelt; er schrieb Briefe an die römischen Klassiker und beschloss mit deren Sammlung das umfangreiche Werk seiner Freundesbriefe (Epistolae familiares). Sie bilden das vierundzwanzigste, das letzte Buch seiner großen Kollektion. Die Klassiker sind Freunde, denen man klagen kann, dass kein Interesse für sie besteht, weil alles nach Geld, Macht und Einfluss rennt. Sie hören sich geduldig die triste Diagnose der Gegenwart an. Diese Briefe sind adressierte Selbstgespräche; von ihrem Empfänger erwartet niemand Antwort. Der Leser soll in einen ähnlichen Monolog treten und sich des Abstands bewusst werden, der uns von den Klassikern trennt. Aber da es - der Fiktion nach - vertrauliche Briefe sind, kann auch von den Schwächen der antiken Großen die Rede sein. Die Wiederherstellung des Altertums sollte im Geist sachlicher Prüfung stattfinden, nicht in der Unterwerfung unter neue, alte Autoritäten. Petrarca wollte lieber in jeder anderen Zeit leben als in seiner eigenen; indem er Briefe an Cicero, Vergil oder Horaz schrieb, hielt er seiner Zeit den Spiegel vor und deckte zugleich die Schwächen der Alten auf.

Dieses reizvolle Wechselspiel eröffnete ein freieres Verhältnis zur römischen Antike. Petrarcas Briefe sind an kulturgeschichtlicher Bedeutung schwer zu überschätzen; sie haben den Humanismus als literarische, philosophische und pädagogische Bewegung durchgesetzt. Von Petrarca sind etwa sechshundert Briefe erhalten. Man stelle sich vor, von Wolfram von Eschenbach oder von Shakespeare würden auch nur sechzig Briefe entdeckt; sie gälten als Schlüssel für ein vieldeutiges Werk; niemand würde es wagen, sie zu vernachlässigen. Anders bei Petrarca. Seine Lyrik dominiert, und darunter leidet auch das Verständnis seiner Gedichte. Petrarcas Briefe sind literarisch ambitionierte Kunstwerke, keine Alltagsmitteilungen. Sie sind selbstverständlich lateinisch, nicht italienisch geschrieben, und es war der lateinische Petrarca, der, zusammen mit dem lateinischen Boccaccio, den epochalen Umbruch des Humanismus bewirkt hat. Natürlich war es falsch, darin einen typisch "modernen" Zug zu sehen; das zwölfte Jahrhundert hatte eine beträchtliche Briefkultur, aber sie war im dreizehnten Jahrhundert zurückgedrängt worden, und insgesamt ist Petrarcas gewaltige Briefsammlung eine monumentale Neuerung des vierzehnten Jahrhunderts; sie ist eines der wichtigsten geschichtlichen Zeugnisse für diese Zeit, die Petrarca in Avignon und Rom, in Florenz, Padua und Verona in genauen Augenschein nahm und witzig-distanziert kommentiert hat.

Petrarca hielt seine Briefe für bedeutende literarische Produkte. Mit ihrer Hilfe wollte er nicht nur sein Bild für die Zukunft fixieren, sondern seine Gegenwart ändern. Er hat sie stilisiert und teils chronologisch, teils thematisch geordnet. Eine erste, große Gruppe bilden die Briefe an Freunde (Epistolae familiares, nach Ciceros Vorbild benannt); sie umfassen im Wesentlichen Briefe, die vor 1361 geschrieben sind. Die späten Briefe könnte man "Altersbriefe" nennen (Seniles); sie dokumentieren die Jahre bis zu Petrarcas Tod (1374). Eine dritte Gruppe enthält politische und literarische Pamphlete, die keinen bestimmten Adressaten aufweisen (sine nomine); sie dienten Petrarca vor allem zur Kritik an der päpstlichen Kurie von Avignon, die er mit einer augustinischen Anspielung als das "Babylon des Westens" geißelte.

Der Auswahlband, den Florian Neumann vorlegt, enthält das letzte Buch der Freundesbriefe. Das ist ein verschwindend kleiner Teil der Gesamtmasse. Der Leser muss sich darüber im Klaren sein, dass bei einer anderen Auswahl ein anderes Petrarca-Bild herausgekommen wäre. Man hätte auf ähnliche Weise Petrarca als Politiker oder als Polemiker, als Schriftsteller oder als Philosophen vorstellen können. Mit Hilfe Petrarcas ließen sich die Kultur Neapels, der Aufstand des Cola di Rienzo oder die Ziele Kaiser Karls IV. illustrieren. Neumann hat einen anderen Weg gewählt: Das 24. Buch der Familiares durchbricht die sonst gewohnte chronologische Ordnung und hat als gemeinsamen Inhalt die Positionsbestimmung des christlichen Humanisten gegenüber der Antike. Liegt es an dieser Auswahl oder an der Kommentierung des Herausgebers: Alles wirkt ein wenig verstaubt. Das Nachwort gibt eine nützliche biographische Selbststilisierung Petrarcas mit Hilfe seiner Briefe. Man erfährt zum Beispiel nicht, wer die Briefe befördert hat (gelegentlich war Petrarcas Koch der Bote) oder wie lange die Post unterwegs war. Das Nachwort bringt zusätzlich eine eher philologisch orientierte Analyse der Briefe und endet mit einer unbeholfenen Würdigung, die in dem Satz gipfelt, Klassiker handelten "von den Grundproblemen der menschlichen Existenz" und hätten "in unmittelbar ansprechender Weise Zeitloses zu Papier gebracht". Sätze dieser Art hätten bei einem Abituraufsatz vor fünfzig Jahren nur eine mittlere Zensur eingebracht; sie kommen zum Glück nur am Ende vor, wo sich der Herausgeber zu einer höheren Perspektive zwingt. Meist redet er philologisch informativ, doch vermeidet er nicht das triviale Dictum. Petrarca habe es zu "guten Kenntnissen im Latein (!) gebracht". Das klingt, als sei der Herausgeber gut "im Latein", wie es unser früherer Kanzler "in Hölderlin" war, aber unbeholfen im Deutschen. Als Übersetzer hält er sich ängstlich an Petrarcas Syntax; Petrarca wirkt frischer als sein neuer Dolmetscher. Es fehlt der freie Blick, die historische Analyse. Man hätte erwarten dürfen, dass die Druckfehler im lateinischen Text beseitigt worden wären. Über die Übersetzung einzelner Wörter will ich nicht streiten, aber wenn von Aristoteles gesagt wird, die Griechen nennten ihn ein "daemonion", dann heißt das wie bei Lewis and Short "a lesser divinity" und nicht, wie bei Neumann, "teuflisch" Doch sind das kleinere Störfälle, die das Verdienst kaum schmälern, einen charakteristischen Petrarca-Text neu zugänglich gemacht zu haben. Sie zeigen Petrarca in seinem ambivalenten Verhältnis zu den römischen Klassikern. Diese Briefe sind zunächst einmal Ausdruck der Hochschätzung; sie zeigen, dass diese Autoren unerlässlich sind für eine kulturelle Erneuerung: Wir brauchen sie. Sodann nutzt Petrarca die Gelegenheit, einige literaturgeschichtliche Tatsachen mitzuteilen. Dadurch erschließt er die klassischen Texte und deutet an, was alles noch zu entdecken sei. Schließlich distanziert sich Petrarca auch von den Vorbildern. Er hadert mit Cicero wegen dessen Inkonsequenz im praktisch-politischen Leben; er nennt Seneca einen erbarmungswürdigen alten Mann (miserabilis senex). Gleichzeitig feiert er Cicero und Seneca als literarische Vorbilder und als Moralphilosophen: Wenn sie versagt haben, so war ihr Geist doch auf dem richtigen Weg.

Dieses Widerspiel von Anziehung und Abstand erzeugt den literarischen Reiz dieser Briefe. Sie widerlegen das Klischee, der italienische Humanismus habe nur eine grammatische oder rhetorische Kultur gesucht oder er habe eine sklavische Nachahmung der Antike erstrebt. Er wollte die sachliche Auseinandersetzung, um aus den Alten Nutzen für die Gegenwart zu ziehen. Erst in diesem Kontext gewinnen auch die lyrischen und epischen Texte Petrarcas und Boccaccios ihre eigene Sprache. Die lateinischen Briefe und Traktate ersetzen nicht die italienischen Werke, aber sie zeigen deren Zusammenhang.

Francesco Petrarca: "Epistolae familiares XXIV. Vertrauliche Briefe". Lateinisch-Deutsch. Übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort von Florian Neumann. Dietrichsche Verlagsbuchhandlung, Mainz 1999. 344 S., br., 32,80 DM.

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