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Nicht, wie bei Fontane beschrieben, grau wie die Müllertiere, sondern bequem im Auto, mit drei Koffern, einen Anzug am Bügel fährt Franz Fühmann 1967 nach Neuruppin. Um einer Auftragsarbeit nachzukommen. Soll er doch für den Aufbau-Verlag Fontanes Wanderungen durch die Mark nachvollziehen. Wobei ausdrücklich gewünscht wird, den Wandel seit Gründung der DDR herauszustellen. Der Text jedoch wird nicht publiziert. Denn der Fühmann der späten sechziger Jahre ist keineswegs mehr der systemtreue Schriftsteller, dem ein letztlich staatskonformes Werk gelingen kann. Sein "Neuruppiner Tagebuch"…mehr

Produktbeschreibung
Nicht, wie bei Fontane beschrieben, grau wie die Müllertiere, sondern bequem im Auto, mit drei Koffern, einen Anzug am Bügel fährt Franz Fühmann 1967 nach Neuruppin. Um einer Auftragsarbeit nachzukommen. Soll er doch für den Aufbau-Verlag Fontanes Wanderungen durch die Mark nachvollziehen. Wobei ausdrücklich gewünscht wird, den Wandel seit Gründung der DDR herauszustellen.
Der Text jedoch wird nicht publiziert. Denn der Fühmann der späten sechziger Jahre ist keineswegs mehr der systemtreue Schriftsteller, dem ein letztlich staatskonformes Werk gelingen kann. Sein "Neuruppiner Tagebuch" verschwindet folglich erst einmal in den Schubladen ...
... und erscheint nun endlich in einer sorgfältig edierten Ausgabe. Ein aufschlussreiches, detailreiches,oft humorvolles Buch über die Mark und das dortige Leben. Zugleich ein spannendes Buch über einen Dichter, der sich zu lösen beginnt von einer Anschauung, die auch einmal die seine war. Und dies bereits in einer Offenheit, die Fühmanns weiteren Lebenswegund sein Werk bestimmen werden - und die ihn auch 20 Jahre nach seinem Tod zu einem hochaktuellen Autor machen.
Autorenporträt
Franz Fühmann, geb. am 15.1.1922 in Rochlitz/Riesengebirge, gehörte zu den bedeutenderen Schriftstellern Nachkriegsdeutschlands. Neben Erzählungen, Essays, Novellen, Gedichten sowie Kinderbüchern verfasste Fühmann zahlreiche Nachdichtungen. Zu den vielen Auszeichnungen seines Schaffens zählen der Heinrich-Mann-Preis und der Geschwister-Scholl-Preis. Er starb am 8.7.1984 in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2006

Komm in den totgemüllten Park
Ein ungeschriebenes Werk: Franz Fühmanns "Ruppiner Tagebuch"

Im Frühjahr 1967 lud der Berliner Aufbau-Verlag zwei Schriftsteller ein, die Wanderungen Theodor Fontanes nachzuvollziehen und darüber zu schreiben, wie es ein Jahrhundert nach Fontane in der Mark Brandenburg unter sozialistischen Verhältnissen aussieht. Der eine Schriftsteller war Joachim Seyppel, der damals noch in West-Berlin lebte, bevor er vier Jahre später in die DDR kam - um sie 1979 doch lieber wieder zu verlassen. Seyppel lieferte auftragsgemäß ab, daraus wurde "Ein Yankee in der Mark".

Der zweite Schriftsteller war Franz Fühmann. Er hatte 1961 "Kabelkran und Blauer Peter" geschrieben, die wohl beste, auch heute noch lesbare sozialistische Reportage aus dem Produktionsalltag, hier der Rostocker Warnow-Werft. Fühmann fuhr im November 1967 und im Juni 1968 nach Neuruppin. "Aber wen, um Himmels willen, interessiert das? Wen geht überhaupt Neuruppin etwas an?" notierte er gleich zu Beginn der Reise. Ende 1967 schrieb er an seinen Lektor: "Ja, das sind zwar alles so Kuriosa, und ich könnte Dir nun noch ein Dutzend anderer herzählen - aber wie das für ein Buch zusammengehen soll, wird mir je länger, je mehr unerfindlich."

Fühmann machte dennoch tapfer weiter, schrieb Tagebuch, führte Gespräche, sammelte Material. 1900 Blatt, dann gab er auf. Das Material verschwand im Archiv. Jetzt ist daraus doch noch ein Buch geworden, ein ungeschriebenes sozusagen. So erfahren wir, was Fühmann im sozialistischen Alltag der Mark erlebt hat. Das Hotel: "Innen ist's auch ein Schuppen, Tapeten in Fetzen, Decke kommt runter, kein fließendes Wasser, klamm, kalt, also schön." Der Park von Protzen: "Komm in den totgesagten Park und schau - : Nun, dieser ist nicht totgesagt, er ist gestorben. Schade. Da ist wohl nichts mehr zu machen. Hinterm Park eine Lorefriedhof, acht oder zehn völlig verrostete Loren liegen in den Brennesseln. Die Schrottabfuhr ist wohl auch ein Problem."

Aber nicht so sehr die Umstände lassen Fühmann scheitern. "Was will ich eigentlich. Ich weiß es nicht", fragt er sich und verwendet dabei kein Fragezeichen. Es ist die Zeit, in der er sich von Auftragsliteratur und Produktionslyrik verabschiedet. "Das Wandern durch die Mark wird zum Wendepunkt im Leben Franz Fühmanns." So klingt es etwas pathetisch im Vorwort von Barbara Heinze und Peter Dehmel, die das Material ans Licht befördert haben. Nun ist es nicht im Aufbau-, sondern im Hinstorff-Verlag erschienen, dem Hausverlag des 1984 gestorbenen Autors.

Den Rostockern ist ihr Umsatzbringer einiges wert: schönes Buch, aparter Umschlag, elegantes Papier, blaues Lesebändchen, stimmungsvolle Schwarzweißfotos, vorzüglicher Anhang. Aber wozu das alles? Fühmanns Recherchen in Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, einem Betrieb für Feuerlöscher, einer Schule für Waldarbeiter - will man das wissen? Die uralten Peinlichkeiten eines Autors, der damals erst noch zu sich selbst kommen mußte, bevor er seinen großen Georg-Trakl-Essay schreiben konnte, seine wunderbaren Nacherzählungen mythologischer Stoffe oder sein herrliches Kinderbuch "Die dampfenden Hälse"?

Fühmann erzählt drauflos. Er mischt, so wie es ihm auf seiner Wanderung vorkam, poetische Betrachtungen am Ufer des Tornowsees, das Porträt einer Kulturfunktionärin, die Beschreibung einer eigentlich öden Luchlandschaft und Schilderungen aus dem Alltag eines Schäfers. Er setzt, sich selbst zur Aufmunterung, köstliche Pointen. Etwa so: "Abends Besuch in der Stadtbibliothek, an der ,Front'. Gerade Anleitung von der Bezirksbibliothek da. Versuche, mein Vorhaben zu erläutern ... Erste Frage der Bibl.leiterin: ,Und was schreiben Sie da über die Bibliothekare?' Oh!" Oder: "Abends die ,Ruppiner Kreis-Kalender' durchforstet. Das ist nun wirklich eine aufpeitschende Lektüre." Oder: "Kino: 3 Mütterchen, 2 Halbstarke, 1 Schriftsteller - Publikum eines neuen hochgelobten DEFA-Films. Gibt es nicht eigentlich Gesetze gegen wissentliche Weitergabe von Falschinformationen? Sollte das nicht auch für Filmkunst + Lit. gelten? Schluß, Schluß."

Schon auf den ersten Seiten mag den Leser ein Bedauern anwehen, daß seinerzeit kein Buch daraus geworden ist. Aber das läßt sich allein aus heutiger Sicht so denken. Denn ein Buch in der DDR wäre niemals so ehrlich, lakonisch, tragikomisch geworden. "Darf ich nicht schreiben" - die selbstermahnende Wendung findet sich immer wieder in Fühmanns Notizen. Es müssen schlimme Tage damals gewesen sein. Das Buch endet in aufatmendem Schimpfen über die "Grafschaft Neuruppin, die mir im Grunde genommen scheißegal ist, ein scheißegaler Tempelgarten, ein scheißegaler Schinkel, ein scheißegaler Zopfstil, eine scheißegale Schlacht bei Fehrbellin - hätten die Schweden bloß damals gesiegt". Aber selbst in dieser Tristesse wartete Trost, naheliegend von Fontane gespendet. Eintrag vom 6. Juni 1968: "Man wird es mir nicht abnehmen, aber zum ersten Mal Effi Briest gelesen und mich gezwungen, weit nach Mitternacht endlich aufzuhören."

FRANK PERGANDE.

Franz Fühmann: "Das Ruppiner Tagebuch. Auf den Spuren Theodor Fontanes". Herausgegeben von Barbara Heinze und Peter Dehmel. Hinstorff-Verlag, Rostock 2005. 544 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Überaus angetan zeigt sich Rezensent Frank Pergande von Franz Fühmanns "Ruppiner Tagebuch", das Barbara Heinze und Peter Dehmel herausgegeben haben. Ausführlich informiert er über die Entstehung des Werks: Danach sollte Fühmann 1967/68 für den Berliner Aufbau-Verlag die Wanderungen Theodor Fontanes nachvollziehen, um darüber zu schreiben, wie es ein Jahrhundert nach Fontane in der Mark Brandenburg unter sozialistischen Verhältnissen aussieht. Also bereiste Fühmann Neuruppin und schrieb tapfer Tagebuch, auch wenn ihn der Auftrag zunehmend anödete, bis er schließlich aufgab und das Material im Archiv verschwand. Umso erfreuter ist Pergande, dass Barbara Heinze und Peter Dehmel das Material doch noch zu Tage gefördert und daraus ein schön ausgestattes Buch gemacht haben. Besonders gefallen haben Pergande die "köstlichen Pointen", die sich Führmann selbst zur Aufmunterung setzt. Dass seinerzeit kein Buch aus den Aufzeichnungen wurde, hat nach Ansicht Pergandes auch seine gute Seite, schließlich wäre das Buch in der DDR "niemals so ehrlich, lakonisch, tragikomisch geworden".

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