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Bis heute zählt die durch Hitlers verbrecherisches Regime ermöglichte Vertreibung der Deutschen aus dem Osten Europas zu den umstrittensten Themen der deutschen Zeitgeschichte. Daher ist es wohl kein Zufall, dass die erste große historische Gesamtdarstellung nun von einem irischen Historiker vorgelegt wird.
"Geordnet und human", sollte die Umsiedlung der Deutschen erfolgen, so hatte es das Potsdamer Abkommen festgelegt. Doch die Realität sah anders aus. In seinem gründlich recherchierten Buch rekonstruiert R. M. Douglas die verschiedenen Etappen der Massenvertreibungen, beschreibt den
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Produktbeschreibung
Bis heute zählt die durch Hitlers verbrecherisches Regime ermöglichte Vertreibung der Deutschen aus dem Osten Europas zu den umstrittensten Themen der deutschen Zeitgeschichte. Daher ist es wohl kein Zufall, dass die erste große historische Gesamtdarstellung nun von einem irischen Historiker vorgelegt wird.

"Geordnet und human", sollte die Umsiedlung der Deutschen erfolgen, so hatte es das Potsdamer Abkommen festgelegt. Doch die Realität sah anders aus. In seinem gründlich recherchierten Buch rekonstruiert R. M. Douglas die verschiedenen Etappen der Massenvertreibungen, beschreibt den Archipel der Konzentrations-, Internierungs- und Sammellager für Deutsche, der in ganz Mittel- und Osteuropa nach dem Krieg entstand, und beleuchtet die Folgen, deren Schatten bis in die Gegenwart reichen. Dabei verwendet er deutsche Quellen nur, sofern sie durch andere Zeugnisse bestätigt werden, und konzentriert sich auf Überlieferungen aus dem Archiv des Internationalen Roten Kreuzes, Beobachtungen westlicher Diplomaten, Offiziere und Journalisten sowie auf die Akten der ausweisenden Staaten selber. So entsteht eine Darstellung, die das Leid der Vertriebenen, die Gräueltaten an Deutschen und das moralische Versagen der Alliierten in ungewohnter Schärfe thematisieren kann ohne in den Verdacht der Einseitigkeit zu geraten. Vertreibungen laufen nie "geordnet und human" ab, das ist die zentrale These dieses Buches. Ein flammender Appell gegen Völkerverschiebungen als Mittel internationaler Politik.
Autorenporträt
R. M. Douglas ist Professor für Geschichte an der Colgate University in Hamilton, New York.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Dass der Historiker R.M. Douglas die Vertreibung der Deutschen für als das "bis heute am besten gehütete Geheimnis des Zweiten Weltkrieg" bezeichnet, hält Rezensent Cord Aschenbrenner zwar für Unfug, verübelt diese Übertreibung dem Autor jedoch nicht nachhaltig. Aschenbrenner hält die Studie nämlich für "herausragend", so klar und unvoreingenommen hat er selten von den Vertreibungen gelesen. Was Aschenbrenner dem Autor dabei positiv anrechnet ist, dass er auf alle - möglicherweise von restbrauner Gräuelpropaganda gefärbten - Betroffenenberichte verzichtet und sich ganz auf die Aussagen von Diplomaten, Journalisten und Politiker stützt. Wie "kalt und unbarmherzig" die Vertreibung der Deutschen, auch mit Unterstützung der Alliierten, von sich gegangen ist, wird für Aschenbrenner umso deutlicher.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.04.2012

Ein Ausbruch staatlich geförderter Gewalt
Mit dem Buch „Ordnungsgemäße Überführung“ gelingt R.M. Douglas die fehlende Gesamtdarstellung der Vertreibungen der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg
„Wie es wirklich war“ – so kündigt der Verlag C. H. Beck eine neue Gesamtdarstellung der Vertreibung der Deutschen an. Verwundert mag man sich die Augen reiben: Debatten und erinnerungspolitische Diskurse scheinen hierzulande mehr als vertraut. Fest in den Köpfen sitzen wohlgehegte stereotype Wahrnehmungen und Urteile. R. M. Douglas, den in den USA lehrenden irischen Historiker, scheinen diese deutschen Kontroversen jedoch kaum zu interessieren. Wenig schert er sich um Vertriebenenverbände oder Vertreibungsapologeten, sondern stellt nüchtern fest, dass sich „innerhalb Deutschlands (. . . ) nach dem Krieg die Kontroverse um den Umgang mit den Vertreibungen fast nur um ‚Erinnerung‘ statt um ‚Geschichte‘ gedreht“ habe, „anders gesagt stand die Frage im Mittelpunkt, wie man sich an sie erinnern und sie darstellen soll, nicht woran erinnert werden soll“.
Und genau darin liegt der Erkenntnisgewinn dieses Buches. Douglas legt eine erste zusammenhängende Darstellung der Zwangsmigrationsprozesse am Kriegsende und nach dem Zweiten Weltkrieg vor. Er speist seine Informationen vor allem aus bislang unveröffentlichten angelsächsischen Quellen, dem Archiv des Internationalen Roten Kreuzes, Beobachtungen westlicher Diplomaten, Offiziere und Journalisten sowie Akten der ausweisenden Staaten. Bewusst verzichtet Douglas auf Stimmen der unmittelbar Betroffenen, weshalb er auch die in den 1950er Jahren entstandene westdeutsche „Dokumentation der Vertreibung“ als Quelle nicht heranzieht, da sie „letztlich doch eher um geschichtspolitische Interessen als um wissenschaftliche Objektivität“ bemüht gewesen sei. Von den Betroffenen werde nach Douglas oftmals eine Opfermentalität verinnerlicht, die Kontexte auszublenden versucht ist, während von anderer Seite eine Relativierung der NS-Verbrechen befürchtet wird. Dem Autor geht es in seiner Studie darum, die Vertreibungen von allen Seiten zu betrachten „von ihren frühesten Ursprüngen an und in allen betroffenen Ländern – und ihre Geschichte bis in die Gegenwart fortschreibt, wo sie immer noch einen langen Schatten auf das Geschehen in Europa und der Welt werfen“.
Der Autor R. M. Douglas hat nicht unbedingt eine deutsche Leserschaft vor Augen. Er lehrt Geschichte an der Colgate University in Hamilton, New York. Wenn selbst in Deutschland noch relativ wenig über die eigentlichen Abläufe der Vertreibung bekannt sei, könne seiner Meinung nach für den Rest der Welt festgehalten werden, „dass sie bis heute das am besten gehütete Geheimnis des Zweiten Weltkriegs“ sei. Er nimmt vor allem die angelsächsischen Länder in den Fokus, wo sich insbesondere für Bürger der USA und Großbritanniens „Fragen nach der Mitwirkung ihrer Staatsführer und Völker an einem der größten Fälle massenhafter Menschenrechtsverletzungen in der modernen Geschichte“ stellten. Noch immer sieht er eine große Zurückhaltung bei diesem Thema, „eine so chaotische, komplexe, moralisch belastete und sozial kontroverse Episode, die bis heute für politischen Zündstoff sorgt, in eine Geschichte zu integrieren, die die meisten Menschen immer noch mit Recht als Kreuzzug – oder nach amerikanischem Sprachgebrauch als ‚Good War‘ – gegen eines der monströsesten Regime der Neuzeit ansehen“.
Damit ist das Dilemma treffend umschrieben, das eine Gesamtdarstellung bislang nicht möglich machte. Douglas skizziert deshalb auch den europäischen Rahmen. Vertreibungen unerwünschter Völker begleiten uns seit Anbeginn der überlieferten Menschheitsgeschichte. Das 20. Jahrhundert jedoch gilt als Höhepunkt der Zwangsumsiedlungen, als politische und demographische Grenzen in Übereinstimmung gebracht werden sollten. Dabei fungierte der Erste Weltkrieg als „Generalprobe für die Bevölkerungsverschiebungen im 20. Jahrhundert“. Nach dem Ersten Weltkrieg sah man in der ethnischen Entflechtung ein Konfliktlösungsmittel. Nach dem Abkommen von Lausanne 1923 führte der griechisch-türkische ,Bevölkerungsaustausch‘ das kleine Griechenland mit einem Viertel Vertriebenen an die Grenzen seiner Belastbarkeit. Der junge Stalin probierte sich als Kommissar für Nationalitätenfragen aus. Aus dessen krankhafter Furcht vor ‚Spionen‘ und ‚Saboteuren‘ wurden neun sowjetische Nationalitäten – unter ihnen vor allem Polen, Deutsche, Finnen, Balten, Koreaner – zu Opfern ethnischer Säuberungen.
Der nationalsozialistische Eroberungs- und Vernichtungskrieg brachte eine radikale Brutalisierung mit sich. Vertreibungen waren seit Kriegsbeginn „in nie gekanntem Ausmaß“ an der Tagesordnung. Dabei waren die deutschsprachigen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa für Hitler nur ein Vorwand, sie waren „Statisten in dem größeren Drama, Lebensraum für ein Rassenimperium im Osten zu erobern“. Die Planungen des Generalplans Ost verdeutlichen die brutale Langzeitkonsequenz der NS-Rassenpolitik. Millionenfaches Sterben und industrieller Massenmord sollten die tradierten Maßstäbe von Hitlers Gegnern entscheidend herausfordern. Daher verstanden die Deutschen 1945 nicht, „wie hohl die Wilsonsche Rhetorik der Selbstbestimmung nun in den Ohren der Naziopfer klang, oder warum es unlogisch erschien, dass die siegreichen Alliierten weiterhin ein Prinzip auf Deutschland anwenden sollten, das Deutschland selbst unter dem offenbaren Beifall seiner Bewohner immer wieder gebrochen hatte“. Douglas gelingt es, die Komplexität der Motive für die Zwangsaussiedlung der Deutschen zu dokumentieren. Nicht nur Revanche, sondern handfeste materielle Interessen wie auch Ideen zum sozialistischen Gesellschaftsumbau in Mitteleuropa fanden sich unter den Argumenten. Gleichzeitig gab es bereits frühzeitig Kritik an den Planspielen für eine Vertreibung.
Churchill forderte am 15. Dezember 1944 in seiner Rede im britischen Unterhaus die Vertreibung der Deutschen, denn sie sei das „befriedigendste und dauerhafteste Mittel“, es müsse „reiner Tisch“ gemacht werden. Der Schriftsteller George Orwell sagte wenig später zu diesen Plänen seines Landes: „Das entspricht der Umsiedlung der gesamten Bevölkerung Australiens oder von Schottland und Irland zusammen. (. . . ) Ich nehme an, (. . . ), dass dieses gewaltige Verbrechen gar nicht durchgeführt werden kann, obwohl man es in Gang setzen könnte, wobei Unordnung, Leid und unversöhnlicher Hass entstehen würden. Bis dahin sollte man dem britischen Volk mit so vielen konkreten Einzelheiten wie möglich klarmachen, für welche Maßnahmen ihm seine Staatsmänner die Verantwortung aufbürden“.
Die in Potsdam vereinbarten Transfers „in geordneter und humaner Weise“ versuchten eine Lawine aufzuhalten, die schon längst losgetreten war. Man schuf durch „wilde Vertreibungen“ Fakten, die „einen gewaltigen Ausbruch staatlich geförderter Gewalt bedeuteten, der nach vorsichtigen Schätzungen Hunderttausende Opfer forderte. Als solche sind sie einzigartig in der Geschichte der Friedenszeiten im Europa des 20. Jahrhunderts“. Insgesamt waren für Douglas die Bevölkerungstransfers „ein demographisches Experiment von historisch beispiellosem Ausmaß“.
Die Zwangsaussiedlungen konnten nur durch die Aussetzung von Menschenrechten und Rechtsstaat umgesetzt werden. Verwaltungserlasse nahmen Individuen Eigentum, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder gar das Leben. Das Buch ist daher ein modernen Menschenrechtsvorstellungen folgender Appell gegen Völkerverschiebungen als Mittel internationaler Politik. Douglas zeigt das am Beispiel der UN-Völkermordkonvention. 1947 wurde das Vertreibungsverbot mit 25 gegen 16 Stimmen in der UN-Menschenrechtskommission bei vier Enthaltungen aus der Völkermordkonvention gestrichen. Nicht aber wegen der Zwangsaussiedlungen der Deutschen, wie man aufgrund der zeitlichen Nähe und beteiligten Protagonisten vermuten könnte. Nein, bekämpft wurden die Inhalte von der Kommissionsvorsitzenden Eleanor Roosevelt. Sie hatte Angst, dadurch würde das Schicksal der Afroamerikaner in den amerikanischen Südstaaten möglicherweise auf die Tagesordnung kommen. Insgesamt wurde die Völkermordkonvention auf Druck der USA verwässert und Douglas zieht daraus folgende Lehre: „Menschen neigen unter großer Belastung dazu, falsche historische Parallelen zu ziehen, und man braucht keine übermäßige Einbildungskraft, um sich Umstände vorzustellen, in denen die Entfernung einer scheinbar gefährlichen ethnischen, religiösen oder rassischen Gruppe, die von der Welt bereits mit Argwohn betrachtet wird, ebenso zwingend erscheinen mag wie die Vertreibung der Deutschen in den vierziger Jahren“. Deshalb scheidet für den Autor ethnische Säuberung als Konfliktlösungsmittel aus.
Das Buch ist glänzend geschrieben, gut lesbar und pointiert in der Analyse. Ärgerlich sind einige terminologische Missgriffe und unterbliebene Begriffsklärungen. „Volksdeutsche“ wird ebenso pauschal verwendet wie „Vertreiberstaaten“. Insgesamt ist es eine überfällige Darstellung, die durch den ausgeglichenen unaufgeregten Ton angelsächsischer Geschichtsschreibung überzeugt. Gerade auf die angelsächsische Rezeption wird man deshalb gespannt sein dürfen, wenn das Buch bei Yale University Press erscheinen wird.
Douglas bezieht deutlich Stellung: „Unter den modernen Beispielen für massenhafte Menschenrechtsverletzungen ist in keinem anderen Fall das Argument verwendet worden, man solle sie nicht zur Sprache bringen, aus Furcht, dies könne den Schrecken verkleinern, den man angesichts eines noch größeren Verbrechens zu Recht empfindet“. Dennoch macht er unmissverständlich klar, dass erst die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus diese Denkkategorien möglich machten, die Zwangsaussiedlung von Millionen Deutschen zu planen und umzusetzen. Das ist und bleibt der zwingende Kontext, in dem die komplexe Geschichte der Vertreibung erzählt werden muss.
ANDREAS KOSSERT
R. M. DOUGLAS: „Ordnungsgemäße Überführung“. Die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Aus dem Englischen von Martin Richter. Verlag C. H. Beck, München 2012. 556 Seiten, 29,95 Euro.
Der Erste Weltkrieg war die
Generalprobe für kommende
Bevölkerungsverschiebungen.
Es müsse „reiner Tisch“ gemacht
werden, forderte Churchill
am 15.12.1944 im Unterhaus.
Für den Autor scheidet ethnische
Säuberung als Mittel der
Konfliktlösung aus.
In Prag internierte Sudetendeutsche, darunter ein Mann, dessen Mantel mit einem weißen Hakenkreuz bemalt wurde, warten am 20. Juli 1945 auf einem öffentlichen Platz auf ihre Deportation nach Deutschland. Foto: dpa
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