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Das Kind steht in der Bibliothek seiner Mutter und versucht zu begreifen, was es vor sich hat: Bücher. Der Dreizehnjährige geht auf sein erstes Heavy-Metal-Konzert und erkennt ausgerechnet dort, dass man es auch Ernst meinen kann mit Kunst und Existenz. Eine Theatertruppe bringt ihm schließlich die Rolle seines Lebens bei, und am Ende begreift er den wahren und einzigen Mythos der Kunst: Tu es.
Andreas Maiers Der Kreis ist eine Reflexion darüber, wie aus Vorläufigem Unbedingtes entstehen kann, wie man sich die Motive seines Lebens durch Anverwandlung des Gegebenen erschafft, und schließlich
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Produktbeschreibung
Das Kind steht in der Bibliothek seiner Mutter und versucht zu begreifen, was es vor sich hat: Bücher. Der Dreizehnjährige geht auf sein erstes Heavy-Metal-Konzert und erkennt ausgerechnet dort, dass man es auch Ernst meinen kann mit Kunst und Existenz. Eine Theatertruppe bringt ihm schließlich die Rolle seines Lebens bei, und am Ende begreift er den wahren und einzigen Mythos der Kunst: Tu es.

Andreas Maiers Der Kreis ist eine Reflexion darüber, wie aus Vorläufigem Unbedingtes entstehen kann, wie man sich die Motive seines Lebens durch Anverwandlung des Gegebenen erschafft, und schließlich darüber, wie man überall, auch als Kind, ständig auf der Suche nach dem ist, was die Welt und das eigene Ich im Innersten zusammenhält.
Autorenporträt
Andreas Maier, 1967 im hessischen Bad Nauheim geboren, studierte Philosophie und Germanistik, anschließend Altphilologie. Er lebt in Frankfurt am Main.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Laut Christian Thomas verfolgt Andreas Maier mit seiner Wetterau-Saga ein sehr ernstes Anliegen, auch wenn es immer wieder ironisch zu werden scheint in diesem fünften Band. Thomas ist sich nie sicher, ob der Erzähler es nun elegisch meint oder sich über das Schnöde lustig macht. Jedenfalls scheint dem Rezensenten in diesem Teil die Perspektive verschoben, scheint es um die immaterielle Behauptung des Ich-Erzählers zu gehen, seine spirituell-philosophische Bildung, nicht so sehr seine erotische. Mal mythisch verklärend wird die Vergangenheit ausgebreitet, mal exakt beobachtend, wie bei einem Rockkonzert, das Maier seine Figur derart genau schildern lässt, dass es Thomas fast unheimlich wird. Schräge Perspektiven, Fragen und Typen sowie die enorme Sprachbegabung des Autors machen das Buch für Thomas wiederum zum Ereignis und lassen ihn bereits den nächsten Teil ersehnen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2016

"Eine tolle Unterhaltung"

Zu Weihnachten ein Buch schenken, das geht immer. Und welches? Das haben wir Buchhändler in der Region gefragt. Sie empfehlen Romane und Sachbücher und sagen, was sie selbst gerade lesen und zu lesen planen.

Von Carl Dohmann

Geschichten vom Tambora.

In der "Wendeltreppe" in Frankfurt-Sachsenhausem fühlt man sich zu Hause: Zwei ältere Frauen sitzen an der Theke und beraten einen. Sie erzählen lustige Anekdoten aus dem Weihnachtsverkauf. Jutta Wilkesmann empfiehlt zwei Sachbücher: Einerseits "Tambora und das Jahr ohne Sommer" von Wolfgang Behringer (C. H. Beck, 24,95 Euro). Der Klimahistoriker erzählt vom Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien im Jahr 1816, der damals die Weltpolitik in eine Krise stürzte.

Besonders begeistert berichtet Wilkesmann von ihrem Lieblingsroman: "Eine überflüssige Frau" von Rabih Alameddine (Louisoder, 24,90 Euro). Die Handlung spielt in Beirut, der Hauptstadt des Libanons, während des Bürgerkrieges. "Es ist sensationell, dass es ein Mann geschrieben hat", sagt Wilkesmann. Denn die Hauptfigur ist eine Frau, eine Buchhändlerin, die beginnt, Bücher aus Europa ins Arabische zu übersetzen. Das sei trotz des Bürgerkriegsthemas kein Drama, sondern erzähle vom ganz normalen Leben. Natürlich kramt Wilkesmann auch noch einen Krimi hervor, schließlich arbeitet sie in einem Buchladen für Kriminalromane: "Miss Terry" von Liza Cody (Argument-Verlag, 17 Euro). Der spiele in London, es gehe um eine Babyleiche und eine dunkelhäutige Grundschullehrerin und ein Klima erst versteckten, dann zunehmenden Rassismus.

Buchhandlung "Die Wendeltreppe", Brückenstraße 34 in Frankfurt.

Familienbande.

Ein "großartiges" Buch, das Jutta Leimbert, die Inhaberin der Buchhandlung Vaternahm in Wiesbaden, gerne liest, ist eigentlich sehr alt: Die jüdische Buchhändlerin Françoise Frenkel schrieb ihre Erlebnisse zu der Zeit auf, als sie von den Nationalsozialisten verfolgt wurde. Die Polin lebte in Berlin und Paris, floh zunächst nach Nizza und dann in die Schweiz. Sie überlebte den Nationalsozialismus und starb 1975 in Nizza. Ihr Buch "Nichts, um sein Haupt zu betten" erschien schon 1945, wurde aber erst vor kurzem neu entdeckt: Auf dem Flohmarkt wurde es gefunden, erzählt Leimbert. Dieses Jahr ist es bei Hanser neu erschienen, es kostet 22 Euro.

Welchen Roman sollte man jetzt lesen? Die Buchhändlerin meint: "Das Nest" von Cynthia D'Asprix Sweeney (Klett-Cotta, 19,95 Euro). Er handelt von erwachsenen Geschwistern in ihren vierziger Jahren, die sich im Zusammenhang mit einer Erbschaft zerstreiten. Warum das lesen? "Sehr scharfzüngig" sei das Buch, sagt Leimbert. Als bestes Sachbuch, das in jüngerer Vergangenheit erschienen sei, nennt sie "Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur" von Andrea Wulf (Bertelsmann, 24,99 Euro). Die Autorin stellt darin Humboldts Prägung des modernen Naturverständnisses in den Mittelpunkt und zeigt Bezüge zu unserem heutigen Wissen um die Verwundbarkeit der Erde auf.

Buchhandlung Vaternahm, An den Quellen 12 in Wiesbaden.

Jedermanns Neurosen.

Die Lage dieses traditionsreichen Buchladens war nicht immer schön. Doch der Markt in Offenbach habe sich in den vergangenen Jahren prächtig entwickelt, freut sich Andrea Tuscher. Sie legt Wert darauf, dass sie Inhaberin des Buchladens am Markt ist, den Begriff Buchhandlung mag sie nicht. Als Weihnachtsgeschenk empfiehlt sie den Gesellschaftsroman aus dem Großbürgertum "Wir & Ich" von Saskia de Coster (Tropen-Verlag, 22,95 Euro), einer in Belgien sehr bekannten Autorin. Es kämen Figuren darin vor, die einem jederzeit begegnen können, "mit allen Eigenwilligkeiten und Neurosen". Als bestes Sachbuch nennt Tuscher "Das Café der Existenzialisten" von Sarah Bakewell (C. H. Beck, 24,95 Euro). Es sei das erste Buch, das die philosophische Strömung des Existentialismus insgesamt beleuchte, erklärt sie. Ihr selbst, sagt sie dann, werde seit zwei Jahren "Das achte Leben" von Nino Haratischwili empfohlen, ein Buch, das sie zwar seit langem lesen wolle, das aber mehr als 1000 Seiten lang ist: Da denke sie eher ökonomisch und lese stattdessen drei Bücher mit jeweils 300 Seiten.

Buchladen am Markt, Wilhelmsplatz 12 in Offenbach.

Weltgeschichte.

Als besten Roman nennt Frank Rüb etwas "Originelles": Der Mainzer Buchhändler aus der Buchhandlung am Dom empfiehlt "Drach" von Szczepan Twardoch (Rowohlt, 22,95 Euro). Es ist ein historischer Roman, der die Entwicklung einer schlesischen Familie im Verlauf des 20. Jahrhunderts erzählt. Sachbücher gebe es "etliche, die sehr gut laufen". Rüb empfiehlt "Die Unterwerfung der Welt" des Frühe-Neuzeit-Historikers Wolfgang Reinhard (C. H. Beck, 58 Euro). Es behandelt die Geschichte des europäischen Imperialismus und Kolonialismus vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart - dem Untertitel zufolge von 1415 bis 2015. Es ist sehr ausführlich, hat es doch mehr als 1600 Seiten. Ein wenig erinnere es an Jürgen Osterhammels "Die Verwandlung der Welt" über das 19. Jahrhundert aus dem Jahr 2010, sagt Rüb. Was ist auf seiner Leseliste? Die Biographie über Siegfried Kracauer von Jörg Später, die bei Suhrkamp für 39,95 Euro erschienen ist, sagt Rüb. Der 1889 in Frankfurt geborene Kracauer war ein philosophischer und soziologischer Autor und unter anderem auch Journalist bei der "Frankfurter Zeitung". Es sei erfreulich, sagt der Buchhändler dann noch, dass er hinter vielen Büchern, die dieses Jahr gut verkauft würden, auch stehen könne.

Dom-Buchhandlung, Markt 24 in Mainz.

Häuser-Storys.

Ursula Maria Ott empfiehlt für unter den Weihnachtsbaum den Roman "Cox - oder der Lauf der Zeit" von Christoph Ransmayr, der für 22 Euro im Fischer-Verlag erschienen ist: Ein englischer Uhrmacher erhält darin vom chinesischen Kaiser den Auftrag, eine Uhr zur Messung der Ewigkeit zu bauen. Das Buch sei sehr phantasievoll und episch geschrieben. Als Sachbuch empfiehlt Ott den "Atlas der seltsamen Häuser und ihrer Bewohner" des F.A.Z.-Redakteurs Niklas Maak (Hanser, 20 Euro). Maak schreibt unter anderem über ein Haus auf Sardinien, das ein Filmemacher auf einer Steilküste gebaut hat, laut Ott eine "tolle Unterhaltung".

Sie selbst wolle das Sachbuch "Rückkehr nach Reims" von Didier Eribon lesen (Suhrkamp, 18 Euro). Eribon ist ein französischer Philosoph und Soziologe, der über die Elitengesellschaft in Frankreich schreibt, aber auch darüber, wie er seine eigene Herkunft aus der Arbeiterklasse verleugnet. Der Roman "Wiesengrund" von Gisela von Wysocki (Suhrkamp, 22 Euro) gehört ebenfalls zu den Titeln, die Ott persönlich bevorzugt. Er handelt von einer Philosophie-Studentin, die nach Frankfurt reist, um den Philosophen Wiesengrund zu erleben, er steht sinnbildlich für Theodor Adorno, bei dem Wysocki studiert hat.

Georg-Büchner-Buchladen, Lauteschlägerstraße 18 in Darmstadt.

Die Welt von Andreas Maier.

Fragt man Friederike Herrmann nach Tipps für Buchgeschenke, bietet sie eine große Auswahl an. Mehrere Romane haben auch einen Bezug zu Friedberg. Die Buchhändlerin empfiehlt den Roman von Andreas Maier "Der Kreis" (Suhrkamp, 20 Euro). Meier beschreibt, wie er zwischen vier und 13 Jahren die Welt auf seine Weise entdeckt, in Friedberg. Herrmann nennt auch "Archiv der toten Seelen" von Ales Steger: Es spielt im slowenischen Maribor, im Jahr 2012 Kulturhauptstadt Europas, und thematisiert absurde Erfahrungen mit Künstlern - so absurd, dass eben ein Roman daraus geworden ist. Er ist bei Schöffling erschienen (22,95 Euro). Die Bücher "Raumpatrouille" von Matthias Brandt (Kiepenheuer & Witsch) und "Frohburg" von Guntram Vesper (Schöffling) hätten schon genug Presse bekommen, Herrmann könne aber beide empfehlen.

Das empfehlenswerteste Sachbuch? Nach längerer Überlegung entscheidet sich Herrmann für Alwin Meyers "Vergiss deinen Namen nicht - Die Kinder von Auschwitz" (Steidl, 38,80 Euro), auch lesenswert sei "Geniale Störung" von Steve Silberman (Dumont, 28 Euro), in dem es um Autismus geht.

Buchhandlung Bindernagel, Kaiserstraße 72 in Friedberg

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.08.2016

Kopfhörer
Im fünften Teil seines autobiografischen
Erzählprojekts entdeckt Andreas Maier die Kunst
VON JÖRG MAGENAU
Ein Kreis ist ein Kreis, weil das Ende in den Anfang mündet und damit verschwindet. Der Kreis hat kein Vorne und kein Hinten, „und wenn man ihn als Band zur Möbiusschleife bindet auch kein Innen und Außen.“ So heißt es am Anfang und naturgemäß noch einmal am Ende von Andreas Maiers „Der Kreis“ – Teil 5 seiner groß angelegten Herkunftsforschung und autobiografischen Studie über das Aufwachsen in der bundesdeutschen Provinz der Siebziger- und Achtzigerjahre. Etwa in der Mitte des Buches findet sich dann aber die klassische Schulbuchaufgabe: „Welche Bedeutung hat der Titel ‚Der Kreis‘ im Zusammenhang des Textes? Warum hat der Autor diesen Titel gewählt?“
  Da ist der Erzähler in der Unterstufe des Gymnasiums im hessischen Friedberg angekommen und mit dem orangeroten Deutsch-Buch „Lesen Darstellen Begreifen“ konfrontiert, das ihn auf aufdringliche Weise duzt und nichts von der vornehmen Zurückhaltung wahrhaftiger Bücher besitzt. Natürlich kamen die Romane von Andreas Maier damals nicht darin vor. Auch die Vorstellung, selbst Bücher zu schreiben, war noch sehr weit weg. In einer Möbiusschleife ist jedoch auch das Spätere schon enthalten, der Punkt, von dem aus das Schreiben sich ereignet. Die frühere Welt, die dabei wieder ersteht, ist immer an diesen späteren Erinnerungspunkt geknüpft, auch wenn der nicht extra bezeichnet wird. So wird das erinnernde Schreiben zum Kreis, zur Schleife, zu einer Wiederkehr, die nicht einfach reproduziert, sondern ihre eigene Wahrheit entdeckt.
  Mit „Das Zimmer“, „Das Haus“, „Die Straße“, „Der Ort“ erweiterte Maier seit 2010 von Buch zu Buch allmählich das Beobachtungsspektrum. Er erzählte in konzentrischen Kreisen und setzte mit veränderter Perspektive immer wieder neu an. Der von Geburt an behinderte Onkel J., die innerfamiliäre Kindheit, die in ein autistisches Schweigen führte, die erotische Emanzipation der Schwester und überhaupt das verschwiegene Verhältnis zu Sexualität und Begehren in der Kleinbürgerwelt, schließlich die Pubertät, einsame Lektüren und Rotweinorgien, Partys und unglückliche Liebschaften – so arbeitete er sich durch die eigene Sozialisation. Das ging – bei thematisch wechselnden Schwerpunkten – mehr oder weniger chronologisch voran. Jetzt, mit „Der Kreis“, beginnt Maier noch einmal von vorn, startet einen nächsten Durchgang und will genauer wissen: Wie kommt die Kunst ins Leben? Wie nimmt ein Kind dieses Andere wahr? Dahinter lauert die unausgesprochene Frage, wie aus ihm ein Schriftsteller wurde. Das aber kommt im Horizont der Jugend noch nicht vor. Das ist die Zielperspektive jenseits des Erzählten.
  Wird überhaupt erzählt? Maier ist vielleicht zuallererst Analytiker, Essayist, Kolumnist (auch dafür ist er bekannt und hochgeschätzt). Wenn er erzählt, dann ist er ein genauer Beobachter, der in der Beschreibung das Beschriebene durchdringen und verstehen will. Nichts läge ihm ferner, als den kindlichen Blick allein aus dem beschränkten Horizont der seinerzeitigen Ahnungslosigkeit heraus entstehen zu lassen. Maier bleibt stets der erwachsene Intellektuelle, der, je tiefer er sich in sein damaliges Ich versenkt, den Außenblick bewahrt. So gelangt er zu Erkenntnissen, die das Kind niemals haben konnte, schafft aber gerade dadurch eine intensive Nähe zu diesem vergangenen Ich. Gefühle sind ja nichts, was dem Verstehen entgegengesetzt wäre. Sie werden vielmehr stärker, wenn man sie erfasst.
  Vier Teile hat dieses schmale Buch, deren Überschriften Grundschule, Unterstufe, Mittelstufe, Oberstufe nicht nur vier Altersphasen entsprechen, sondern auch verschiedene Kunstbereiche: Philosophie, Musik, Theater, Literatur. Jeder Abschnitt ist zudem an eine andere, prägende Figur gebunden. Zunächst ist es die Mutter, die in den vorigen Büchern eher am Rand geblieben war und sich in ihr Zimmer im Obergeschoss des Elternhauses, ihre sogenannte Bibliothek, zurückzieht, um sich mit „Geistigem“ zu beschäftigen. Seitenweise exzerpiert sie Gelesenes in einer kleinen, gleichmäßigen, wellenförmigen Schrift auf kariertem Papier. Auch für das Kind ist dieser von der Außenwelt abgegrenzte Raum ein Rückzugsort für erste Lektüren: Länder-Lexika vor allem, aus denen in unendlicher Verzweigung eine Welt aus Staaten, Einwohnerzahlen, Bodenschätzen und Zeitgeschichte entsteht.
  Die Mutter aber befasst sich mit „Geist – Materie – Kosmos“, sie liest Hans Küng und Hoimar von Ditfurth und korrespondiert mit dem Friedberger Dichter Fritz Usinger, der, auch wenn er heute vergessen ist, einmal eine Größe gewesen sein muss; immerhin hat er 1946 den Büchner-Preis erhalten. Hier gelingen Maier großartige Schilderungen dessen, was beim Kind von dieser Geist-Welt ankommt, die still und würdevoll aus den Büchern herausweht. Die in einen Morgenmantel gehüllte Mutter scheint ihm in ihrer Lese- und Abschreibverbissenheit den Alchemisten ähnlich zu sein, die „bei der Umwandlung von Blech in Gold, die Identität von Geist und Materie beweisen“ möchten. Tatsächlich hat das sogenannte Geistige in dieser Phase eine unmittelbare, materielle Kraft.
  Ein Klavier, das die Mutter gelegentlich mit ein paar Bach-Akkorden zum Klingen bringt oder das die Schwester und ihre Freundinnen brutal traktieren, gerät dann in den stillen Blick des Kindes; es ist aber nur der Übergangsbegleiter zur folgenden Phase der Pop- und Rockmusik, in der Plattenhören zu einem Purgatorium wird. Durchgängig bleibt die „solipsistische Existenzweise“ vorherrschend, das Suchthafte, das Verschwindenwollen in einer Gegenwelt. Musikhören, mit Kopfhörern auf dem Bett liegend, bedeutet: „Ich schloss mich an eine Apparatur an, die mich speiste wie einen Kranken im Krankenhaus“ – oder wie ein Haus, das per Schlauch mit Heizöl betankt wird. Davon hatte Maier bereits in „Das Haus“ erzählt. Jetzt wird er selbst zu einer Art Gehäuse.
  Der Besuch eines Hardrock-Konzerts nimmt sehr viel Raum ein, als ethnologische Studie über Milieu, Bedürfnisse und Umgangsformen der Konzertbesucher. Und das Erlebnis einer Schultheateraufführung wird zum künstlerischen Initiationserlebnis. Dem Schauspieler Thomas Heinze ist diese Passage gewidmet, in der daneben auch René Pollesch und Mathias Herrmann auftreten. Spätestens hier wird klar, dass in diesem Roman nichts erfunden ist. Er ist Abbildung des gelebten Lebens und versucht, es in einer so radikalen Fiktionsverweigerung zu erfassen, wie sie sonst derzeit nur Karl Ove Knausgård betreibt.
  Das Theater der drei schon in jungen Jahren wild und ernsthaft zum Künstlertum Entschlossenen zeigt ihm die Kunst als einen Bereich, in dem andere, gegenläufige Gesetze gelten. Kunst als Ort der unerfüllten Träume, als Verkehrung der Ordnung und Entwurf eines Freiraums: Danach können dann die Bücher, das Lesen und das Schreiben erneut wichtig werden, jetzt aber nicht mehr als unnahbares „Geistiges“, sondern als eine Sache, die man selber tun kann. Das ist die Erkenntnis, die sich aus der Kreisbewegung ergibt. Weitere Kreise werden folgen, Spiralbewegungen vermutlich. Andreas Maier wird sein Erinnerungsprojekt fortsetzen, und darin, egal, wie dicht er an seinem überschaubaren Lebensstoff bleibt, immer wieder zu neuen, überraschenden Einsichten finden, die über das Zufällig-Individuelle hinausreichen. Wer wissen will, was Kindheit und Erwachsenwerden bedeuten, kann es bei Maier erfahren. Sein auf zwölf Bände angelegter Romanzyklus gehört jetzt schon zur großen Literatur.
            
Andreas Maier: Der Kreis. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016, 149 S., 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.
Die Welt der Kindheit wird
hier nicht nur erfühlt, sondern
durchdrungen und erfasst
Diese auf zwölf Bände angelegte
Erforschung der Herkunft gehört
schon jetzt zur großen Literatur
Plattenhören bedeutete: „Ich schloss mich an eine Apparatur an, die mich speiste wie einen Kranken.“
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»Diese Spurensuche, ob nun durch die Wetterau, durch das Leben des Ich-Erzählers oder durch das Zwischen den Zeilen der Prosa Maiers, ist ein Abenteuer.« Frankfurter Rundschau 20161018
»Von nun an werden wir einem Künstler bei seiner Selbstfindung folgen. Wie das hier klargemacht wird, ist das bislang größte Kunststück dieses Projekts.« Andreas Platthaus Frankfurter Allgemeine Zeitung 20160810