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Mitten in der schwersten Krise des Kapitalismus bricht der katholische Marxist Terry Eagleton eine Lanze für Karl Marx. Streitbar, originell und mit britischem Humor widerlegt er zentrale Argumente gegen den Marxismus, wie z.B. "Wir leben doch längst in einer klassenlosen Gesellschaft", "Der Marxismus erfordert einen despotischen Staat" oder "Der Marxismus ignoriert die selbstsüchtige Natur des Menschen". Eagleton macht klar: Marx' materialistische Philosophie hat ihren Ursprung im Streben nach Freiheit, Bürgerrechten und Wohlstand. Sie zielt auf eine demokratische Ordnung und nicht auf deren Abschaffung…mehr

Produktbeschreibung
Mitten in der schwersten Krise des Kapitalismus bricht der katholische Marxist Terry Eagleton eine Lanze für Karl Marx. Streitbar, originell und mit britischem Humor widerlegt er zentrale Argumente gegen den Marxismus, wie z.B. "Wir leben doch längst in einer klassenlosen Gesellschaft", "Der Marxismus erfordert einen despotischen Staat" oder "Der Marxismus ignoriert die selbstsüchtige Natur des Menschen". Eagleton macht klar: Marx' materialistische Philosophie hat ihren Ursprung im Streben nach Freiheit, Bürgerrechten und Wohlstand. Sie zielt auf eine demokratische Ordnung und nicht auf deren Abschaffung

Autorenporträt
Eagleton, Terry
Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy. Der international gefeierte Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker hat über 50 Bücher verfasst. Auf Deutsch liegen u.a. vor Der Sinn des Lebens (2008), Das Böse (2011), Warum Marx recht hat (2012) und Hoffnungsvoll, aber nicht optimistisch (2016).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2012

Marktkonform

Der Literaturwissenschaftler Terry Eagleton versucht sich in seinem Marx-Buch als eine Art Chesterton des Marxismus

Inmitten der Krise finden selbst manche Wall-Street-Banker Marx irgendwie gut. Mit welchem Mehrwert also darf man rechnen, wenn nun ein alter Fahrensmann des Meisters, der englische Literaturwissenschaftler Terry Eagleton, eine Rechtfertigungsschrift vorlegt: "Warum Marx recht hat"? Werden da offene Türen eingerannt? Überraschenderweise konzentriert sich Eagleton nicht auf die Ideen und Ansätze, die in der jetzigen Lage besonders einleuchten können, sondern systematisch auf die unpopulärsten Aspekte: In zehn Kapiteln antwortet er auf die häufigsten Einwände gegen Marx - vom Totalitarismusvorwurf über den Gewaltverdacht bis zur These, der Kommunismus sei doch nur das Negativ des Kapitalismus.

Das ist erst mal ehrlich und sympathisch. Aber dummerweise kommt am Ende, nachdem der Autor alle möglichen Missverständnisse und Falschmeldungen aus dem Weg geräumt hat, heraus, dass Marx mehr oder weniger so dachte, wie alle braven Liberalen denken, dass er an das Individuum und die Vielfalt glaubte, dem Gleichheitsbegriff ebenso wie dem Staat misstraute, dass er für die Demokratie war und im Übrigen einen Argwohn gegen abstrakte Lehren hegte. Der Marx dieser Apologie ist also gar nicht so schlimm, er ist allerdings auch etwas zahn- und zeitlos, um nicht zu sagen, langweilig.

Sehr stark macht Eagleton die soziale und historische Phantasie, mit deren Hilfe man aus der Zukunft auf die Gegenwart blicken und fragen kann: Wie war es möglich, die sozialen Kollateralschäden, welche die von westlichen Institutionen kontrollierten globalen Märkte bis heute fordern, jemals für naturgegeben und unvermeidbar zu halten? Er schärft also mit Marx den Blick auf den Kapitalismus als festumrissenes, geschichtlich gewordenes und auch wieder vergehendes Phänomen. Doch so anregend eine solche Vogelperspektive ist, sie sagt natürlich noch wenig über den spezifisch Marxschen Ansatz, die Erscheinung zu fassen, und noch weniger über die Frage, ob das Instrumentarium seiner Diagnose auch für die Therapie geeignet ist.

Eagleton beschäftigt sich mit dieser Frage im Grunde auch nicht. Er stellt Marx als Moralisten und Romantiker vor, geht aber auf die Details der ökonomischen Analyse nicht ein, so dass offenbleibt, was er zum Verständnis der aktuellen Entwicklungen beitragen könnte. Vor kurzem hat Eagletons Berliner Kollege Joseph Vogl mit seinem Buch "Das Gespenst des Kapitals" gezeigt, wie fruchtbar der Ansatz eines Literaturwissenschaftlers sein kann, der die ökonomischen Theorien als Text, als Erzählung liest und auf ihre innere Stimmigkeit und Rationalität hin prüft. Doch Eagleton geht es nicht um eine Analyse von Marx' Analysen, sondern bloß um die Verteidigung seiner Absichten. Hier gelingen dem Autor erhellende Umkehrungen geläufiger Ansichten, zumal der Annahme, dass Marx ein platter Reduktionist gewesen sei, der alles Leben für Ökonomie und Arbeit hielt: "Wenn er seine Aufmerksamkeit vor allem auf die Wirtschaft richtete, dann um ihre Macht über die Menschheit zu verringern." Doch indem das Buch die Intentionen und Ideale in den Vordergrund rückt, betrachtet es Marx weniger marxistisch, als diesem lieb gewesen wäre und als es der Untersuchung seiner historischen Funktion guttut.

In den letzten Jahren hat Terry Eagleton mit kleinen Bänden über die denkbar größten Themen (Sinn des Lebens, das Böse) einen eigenen Stil entwickelt, dem Schweren mit Leichtigkeit, Humor und zahlreichen Anspielungen auf die zeitgenössische Popkultur auf die Spur zu kommen. Gegen volltönende Aufgeblasenheit setzt er auf Common Sense, und die Flapsigkeiten gelten letztlich dem Nachweis, dass dieser eine nicht zu unterschätzende und oft zutiefst paradoxe Sache ist - eine Strategie, die er etwa mit Chesterton bei dessen unkonventionellen Verteidigungen des Katholizismus teilt. Eagleton tritt mit seinem neuen Buch als eine Art Chesterton des Marxismus auf. Aber leider decken die launigen Anspielungen und Anekdoten nicht immer den Umfang des Arguments ab und hinterlassen dann eher einen Nachgeschmack von Biederkeit und Banalisierung.

Das Verfahren stößt vor allem da auf seine Grenzen, wo Marx keineswegs so angelsächsisch pragmatisch und down to earth dachte wie sein Apologet, also etwa in seiner Geschichtsphilosophie. Den sowjetischen Terror erklärt Eagleton damit, dass das Land zu arm und zu isoliert war, um eine effektive sozialistische Umverteilung organisieren zu können, da "kommt es unter Umständen dazu, dass ein autoritärer Staat einschreitet und seine Bürger zu dem zwingt, was sie freiwillig nicht bereit sind zu tun". Und schon folgt die erdende Analogie: "Das ist so, als würden Sie zu einer Party eingeladen, auf der Sie aufgefordert würden, nicht nur den Kuchen zu backen und das Bier zu brauen, sondern auch noch die Fundamente auszuheben und die Dielenbretter zu verlegen. Es bliebe Ihnen nicht viel Zeit, sich zu amüsieren."

Die Plausibilität, die der absurde Witz dieser Vorstellung erzeugt, ist allerdings nur eine scheinbare. Der Spaß hörte ja nicht erst auf, als sich plötzlich Engpässe bei der Umverteilung herausstellten, sondern als Lenin der Marxschen Idee von der historischen Mission der Arbeiterklasse eine Operationalisierung in Gestalt einer Kaderpartei verschaffte, die die Realisierung der geschichtlichen Notwendigkeit notfalls erzwingt. Eagleton weist zu Recht darauf hin, dass Marx selber eine solche Partei neuen Typs nicht vorgesehen hat. Doch er geht nicht darauf ein, dass Lenin bloß eine Lücke füllte, die in Marx' System tatsächlich klafft: die Lücke zwischen gesetzmäßiger Zukunftserwartung (Kommunismus) und deren Verwirklichung durch den dafür vorgesehenen Träger, die Arbeiterklasse. Da Marx davon ausging, dass "die Gedanken der herrschenden Klasse" "in jeder Epoche die herrschenden Gedanken" sind, hätte er eigentlich nicht auf einen Umschwung einfach durch massenhaften Nachvollzug der von ihm selbst vorexerzierten Erkenntnisse hoffen können.

Etwas mulmig wird Eagleton das historische Schema nur, wenn Marx den Kapitalismus lobt, weil dieser die notwendige Voraussetzung für den Beginn der eigentlichen Geschichte abgibt. Doch er lässt die Chance aus, dieses Unbehagen zu aktualisieren und einen Blick auf China zu werfen. Der dortigen Kommunistischen Partei wird nachgesagt, ihre "sozialistische Marktwirtschaft mit chinesischen Merkmalen" habe mit Marx nicht viel zu tun. Doch in Wirklichkeit nimmt sie das Schema vielleicht nur ernster als andere. Belehrt auch durch die kargen ersten dreißig Jahre ihrer Regierungszeit, ist ihr klar, dass der Kapitalismus für den Vollzug der von Marx postulierten Notwendigkeit notwendig ist, schon um den dafür erforderlichen Wohlstand zu schaffen - und wenn das in China nicht die Kapitalisten hinbekommen, müssen es eben die Kommunisten in die Hand nehmen. Gleichzeitig übertrifft die Partei die älteren kapitalistischen Länder damit noch in der Hervorbringung genau jener Ungleichheit, jenes Mangels an Gemeinsinn und jenes Raubbaus an der Natur, die Marx kritisiert. Die chinesische Erfahrung demonstriert den Zwiespalt besonders radikal, der bei Marx zwischen moralischem Antrieb und dessen systembedingtem Aufschub angelegt ist.

Es ist nicht so, dass sich Eagleton um die Verbindung von Freiheit und Notwendigkeit gar nicht kümmern würde. Er hat da eine theologische Analogie parat. Marx sei nicht deterministischer als ein Christ, der den freien Willen des Einzelnen mit der alles wissenden Vorsehung Gottes unter einen Hut bringt. Doch das Entlarvende dieses Vergleichs diskutiert er nicht: Bei Marx geht es ja tatsächlich weniger um zeitliche Geschichte als um ein der Geschichte abgelauschtes Gesetz, das selber so zeitenthoben ist wie der christliche Gott. Anders als viele andere, die Marx für die Gegenwart fruchtbar machen wollen, verzichtet Eagleton darauf, solche Weltgeist-Schemen im Licht der sie gebärenden idealistischen Vorstellungswelten des neunzehnten Jahrhunderts einzuordnen und zu relativieren. Er begnügt sich damit, die berühmte Sentenz, alle bisherige Geschichte sei die Geschichte von Klassenkämpfen, mit der Bemerkung zu kommentieren: "Das kann Marx natürlich nicht ernst gemeint haben. Wenn die Tatsache, dass ich mir letzten Mittwoch die Zähne geputzt habe, ein Teil der Geschichte ist, so ist schwer einzusehen, wie sie mit dem Klassenkampf zusammenhängt."

Eagleton erläutert, dass schon Marx nicht gegen Markt schlechthin war und dass viele Marxisten heute darüber nachdenken, wie sich Märkte mit dem Sozialismus verbinden lassen. Genau da ist der Punkt, an dem es hätte interessant werden und die Rundum-Verteidigung eine aktuelle Wichtigkeit hätte bekommen können: Wie lassen sich Märkte so gestalten, dass sie nicht die Dysfunktionalitäten und Ungerechtigkeiten gegenwärtiger Kapitalismen aufweisen? Und könnte die Marxsche Analyse dazu etwas beitragen? Doch diese Debatte bricht Eagleton, kaum dass sie als Möglichkeit auftaucht, gleich schon wieder ab und verweist sie an die Ausschüsse: "Die Sozialisten werden zweifellos noch weiter über die Einzelheiten einer postkapitalistischen Wirtschaftsordnung streiten" - als ob es nicht auf eben diese Einzelheiten ankäme. "Die Frage, wer den Kapitalismus stürzt, ist in gewisser Weise überflüssig. Der Kapitalismus ist durchaus in der Lage, an seinen eigenen Widersprüchen zugrunde zu gehen", schreibt er.

In einem solchen Fall müsse eine "organisierte politische Kraft" bereitstehen, um die Schäden in Grenzen zu halten und ein alternatives Wirtschaftssystem zu errichten. Über den weiten Horizont, den eine solche Kraft besitzen mag, weiß man am Ende des Buchs Bescheid, über die Umrisse des neuen Systems leider nicht.

MARK SIEMONS

Terry Eagleton: "Warum Marx recht hat". Übersetzt von Hainer Kober. Ullstein-Verlag, 288 Seiten, 18 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Unter dem Titel "Warum Marx recht hat" hätte Rezensent Thomas Steinfeld eigentlich eine Auseinandersetzung mit dem neuesten Stand des Kapitalismus und seiner Krisen auf der Grundlage der Marx'schen Lehre erwartet. Stattdessen gehe es dem englischen Literaturkritiker Terry Eagleton allerdings um eine Rechtfertigung der ökonomischen Theorie des Kommunisten - mit der Begründung, deren Absichten seien friedvoller und gemeinnütziger als die des Kapitalismus. Und so liest der entsetzte Kritiker, der sich während der Lektüre längst von einer Auseinandersetzung mit marxistischen Argumenten verabschiedet hat und überzeugt ist, dass Eagleton das Marx'sche Oeuvre wohl kaum ganz gelesen hat, von einem harmlosen, rücksichtsvollen und "grenzenlos gutmütigen Revolutionär", der an "Liebe und Mitmenschlichkeit" glaube. Darüber hinaus versuche Eagleton mit allgemeinen Einwänden gegen den Marxismus aufzuräumen - dieser sei etwa überholt oder würdige den Menschen zum Instrument der Geschichte herab - vielmehr ziehe Eagleton das "Kommunistische Manifest" heran, um vor der bürgerlichen Gesellschaft als "ultimative Bedrohung des ökologischen Gleichgewichts" zu warnen. Dass Eagleton letztendlich auch noch behauptet, die Marxisten hätte nichts dagegen, wenn sich Richter, Rockstars oder Medienmagnaten wie Rupert Murdoch ihnen anschlössen, wenn sie nur etwas Reue zeigten, findet der Kritiker schlichtweg absurd.

© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.06.2012

Mit Rupert Murdoch
auf die Barrikaden
„Warum Marx recht hat“ – der englische Literaturkritiker
Terry Eagleton predigt den bußfertigen Kapitalismus
Im ersten Kapitel des „Kommunistischen Manifests“ sprechen Karl Marx und Friedrich Engels von der bürgerlichen Gesellschaft als von einem „Hexenmeister“, der „die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor“. Als Beleg für diese Behauptung führen sie die „Handelskrisen“ an, die nicht nur einen großen Teil der erzeugten Produkte, sondern sogar der bereits geschaffenen Produktivkräfte regelmäßig vernichteten, worauf die Gesellschaft sich „plötzlich in einen Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt“ finde. Und weil diese Krisen, so Karl Marx und Friedrich Engels, immer gewaltiger werden müssten, sei in ihnen schließlich auch das Ende der bürgerlichen Gesellschaft angelegt: „Die Waffen, womit die Bourgeoisie den Feudalismus zu Boden geschlagen hat, richten sich jetzt gegen die Bourgeoisie selbst.“
Zwei Mängel hat dieser Gedanke: Zum einen ist es keineswegs selbstverständlich, warum ein notwendiges Moment der kapitalistischen Warenwirtschaft – nämlich die Überproduktion von Gütern (und heute: von Geld) und die dadurch entstehende Krise – ihr zugleich das Ende bereiten soll. Dieselbe Geschichte mag ja durchaus weitergehen, in immer neuen Sphären, auf immer neuen Niveaus, eben so, wie Karl Marx diesen Prozess später, im dritten Band des „Kapitals“, beschrieb und wie es in den 164 Jahren geschah, die seit der Veröffentlichung des „Kommunistischen Manifests“ vergangen sind. Zum anderen muss man für historische Notwendigkeiten nicht agitieren: Wenn der Kapitalismus zwangsläufig am eigenen Untergang arbeitete, könnte man auf die Publikation von Kampfschriften verzichten. Karl Marx und Friedrich Engels schwächen ihre These im selben Augenblick, in dem sie diese aussprechen.
Dem Erfolg der These haben diese Mängel indessen keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: wenn der Marxismus seit einigen Jahren wieder interessant erscheint, weniger als Theorie denn als Bestätigung eines kritischen Volksglaubens, das Geld habe sich gegen die Welt verschworen, dann beruht das auf derselben Verwechslung, die auch für die These vom zwangsläufigen Untergang der bürgerlichen Gesellschaft sorgte: auf dem Missverständnis, dass die Krisen, die der Kapitalismus nicht nur hervorbringt, sondern die ihn auch weitertragen, identisch seien mit einer Krise des Kapitalismus selbst. Nur dass diese Idee heute noch bequemer ist, als sie im Jahr 1848 schon war: Denn sieht man nicht, allerorten, wie das hemmungslose Gewinnstreben die letzten Ressourcen dieser Erde vernichtet, wie es den Lebensraum der Menschen zerstört und ganze Völkerschaften in den Ruin treibt? War Karl Marx nicht also doch ein Prophet, als er meinte, der Kapitalismus werde an sich selber zugrunde gehen? Und mit ihm die ganze Welt?
Der britische Literaturwissenschaftler Terry Eagleton hat sein jüngstes Werk der Verteidigung des Marxismus gegen dessen Kritiker gewidmet. „Warum Marx recht hat“ heißt dieses Buch. Es schließt mit dem Satz: „Es sieht ganz so aus, als würde der Kapitalismus, wenn wir jetzt nicht handeln, unser Tod sein.“ So kehrt der Gedanke aus dem „Kommunistischen Manifest“ wieder, die bürgerliche Gesellschaft werde sich bald selbst zerstören, dieses Mal in der Variante, sie sei die ultimative Bedrohung des „Weltfriedens“ und die ultimative Bedrohung des „ökologischen Gleichgewichts“. Deshalb spreche viel dafür, so Terry Eagleton, sich vertrauensvoll an Karl Marx und seine Lehren zu wenden: „Der Kapitalismus ist der Zauberlehrling: Er hat Kräfte beschworen, die vollkommen außer Kontrolle geraten sind und uns nun mit der Vernichtung bedrohen. Der Sozialismus soll diese Kräfte nicht etwas steigern, sondern sie unter vernünftige Kontrolle des Menschen bringen.“ Seltsam ist das schon: Denn war es Karl Marx und Friedrich Engels mit dem „Kommunistischen Manifest“ nicht darum gegangen, die Arbeiter gegen die „Bourgeoisie“ aufzupeitschen? Und nun sollen ihre Ideen dazu taugen, eben dieselbe Bourgeoisie vor sich selbst zu retten?
Wenn ein Werk „Warum Marx recht hat“ (im Original: „Why Marx Was Right“) heißt, könnte man eine Auseinandersetzung mit dem jüngsten Stand des Kapitalismus und seiner Krisen erwarten, auf der Grundlage einer ökonomischen Theorie, die Karl Marx vor allem im „Kapital“ liefert. Terry Eagleton aber hat etwas anderes im Sinn: Er wirbt um Verständnis, ja um Billigung der Marx’schen Lehre, mit dem Argument, deren Absichten seien ungleich friedfertiger, maßvoller und gemeinnütziger als die kapitalistische Praxis. Deswegen verrechnet er die Gewalt, mit der sich die Nationalstaaten durchsetzten, mit den Massenmorden unter Stalin und Mao, deswegen lässt er Karl Marx an „Liebe und Mitmenschlichkeit“ glauben, deswegen verwandelt er ihn in einen Anhänger der „Mittelklasse“ und „ihrer großen revolutionären Werte: Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstentfaltung. Selbst abstrakte Gleichheit hielt er für einen gehörigen Fortschritt gegenüber den Hierarchien des Feudalismus. Er glaubte eben nur, dass diese wünschenswerten Prinzipien nicht zum Tragen kommen können, solange es den Kapitalismus gibt.“ Einen netteren, harmloseren, rücksichtsvolleren Karl Marx als den grenzenlos gutmütigen Revolutionär, den Terry Eagleton entwirft, gab es selbst unter den heuchelnden Menschenfreunden des real existierenden Sozialismus nicht.
Entsprechend ist das Buch aufgebaut: Es ist keine Auseinandersetzung mit dem Weltzustand oder mit marxistischen Argumenten, sondern ein Versuch, ein paar landläufige Einwände gegen die kommunistische Lehre zu entkräften – der Marxismus sei eine historisch überholte Lehre etwa, oder er würdige den Menschen zum Instrument der Geschichte herab, oder er reduziere alles auf Wirtschaft, oder er verlange nach einem totalitären Staat, oder die Arbeiterklasse sei ja längst verschwunden.
Das alles seien Missverständnisse, beteuert Terry Eagleton, lauter Vorurteile, die einer Prüfung nicht standhielten und die Menschen von ihrem eigenen Besten abhielten: „Selbstverständlich wären die Sozialisten überglücklich, wenn die Führungskräfte aus Wirtschaft und Verwaltung sich ebenfalls auf ihre Seite schlagen würden. Die Marxisten hätten nicht das Geringste dagegen, wenn sich ihnen Richter, Rockstars, Medienmagnaten und Generalmajore scharenweise anschlössen. Nichts spräche gegen Rupert Murdoch und Paris Hilton, sofern sie genügend Reue zeigten und zu einer längeren Bußzeit bereit wären.“ Es ist, als ginge das Elend, das „Wirtschaftsführer“, „Generalmajore“ im Allgemeinen sowie Rupert Murdoch im Besonderen in der Welt anrichten, nicht darauf zurück, dass diese Gründe haben und Zwecke verfolgen (die es dann zu verstehen und zu kritisieren gälte) – sondern auf Verfehlungen wider besseres Wollen. „Pfäffisch“ hätte man im neunzehnten Jahrhundert Terry Eagletons Verfahren genannt, selbst die brutalsten Interessenskonflikte in Verfehlungen an einem gemeinsamen Anliegen umzulügen.
Mit Karl Marx und seiner Überzeugung, der Lohnarbeiter lebe nur insoweit, „wie es das Interesse der herrschenden Klasse erheischt“ – woraus dann ein handfester Gegensatz entsteht, der nur revolutionär aufzuheben sei –, haben diese Beteuerungen nichts zu tun. Im Gegenteil hat es schon etwas Absurdes, wenn Terry Eagleton in seinem Vorwort zu einer gerade erschienen Ausgabe des „Kommunistischen Manifestes“ über Karl Marx schreibt, dieser sei „ein Prophet“ im „ursprünglichen biblischen Sinne, jemand, der uns warnt, dass wir unseren Pfad der Ungerechtigkeit verlassen müssen, wenn die Zukunft nicht zutiefst unangenehm werden soll.“
Immerhin fällt in eben diesem „Manifest“ der Satz von den „socialistischen Bourgeois“, die von einem „neuen Jerusalem“ träumten, das sie in einer bürgerlichen Gesellschaft ohne deren Missstände vermuteten. Terry Eagleton muss diesen Satz überlesen haben, genauso wie den allergrößten Teil des gesamten Marx’schen Œuvres. Und man mache sich nichts vor: Die Entschlossenheit, mit der die „Bourgeoisie“ in den vergangenen eineinhalb Jahrhunderten ihre marxistische Kritik bekämpfte, hatte ihren Grund gewiss nicht in Missverständnissen.
Als Marxist versteht sich Terry Eagleton, der 1943 in Salford bei Manchester geboren wurde, spätestens seit den siebziger Jahren, seit seinem Buch über „Marxism and Literary Criticism“, dem Programm einer marxistischen Literaturwissenschaft. Danach kamen Jahrzehnte, in denen er hauptsächlich Philologe war. Wenn er jetzt auch publizistisch zum Marxismus zurückkehrt, so wird das seinen Grund darin haben, dass die aktuelle Fassung der Gesellschaftskritik seinen Ideen so nahe kommt: die „Occupy“-Bewegung mit ihrem Glauben, die Vorführung von Betroffenheit – und die Beschwörung von Apokalypsen – sei Grund genug, sich kollektiv von den „Exzessen“ der herrschenden Wirtschaftsform abzuwenden. Mit ihr teilt Terry Eagleton das Vertrauen auf eine abstrakte Gemeinsamkeit aller Menschen und die Hoffnung auf eine dadurch entstehende neue Volksbewegung. Merkwürdig nur, dass er (und „Occupy“) dabei auf so wenig Widerspruch stößt.
THOMAS STEINFELD
TERRY EAGLETON: Warum Marx recht hat. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Ullstein Verlag, Berlin 2012. 286 Seiten, 18 Euro.
KARL MARX/FRIEDRICH ENGELS: Manifest der kommunistischen Partei. Mit einem Vorwort von Terry Eagleton. Laika Verlag, Hamburg 2012. 118 Seiten, 8,50 Euro.
Einen netteren, harmloseren,
rücksichtsvolleren Karl Marx als
den von Eagleton gab es noch nie
Alles nur ein Missverständnis? Karl Marx, Zeichnung von Herbert Sandberg. Abb.: AKG
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"Eagleton ist ein begnadeter Polemiker und Stilist." Maximilian Probst Die Zeit 20120315