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Noch heute leben zahlreiche Stämme als Jäger und Sammler in unzugänglichen Teilen der Welt. Jared Diamond, Professor für Geographie und international erfolgreicher Bestsellerautor, kennt sie aus vielen Expeditionen, die er in den letzten Jahrzehnten geleitet hat. In seinem neuen Buch entfaltet er den ganzen Reichtum ihrer verblüffend anderen Lebensweise und zeigt anschaulich, was wir heute von ihnen lernen können. Eine überraschende und unterhaltsame Lektion über die Vielfalt der Kulturen - und eine Kritik unseres modernen Selbstverständnisses.
»Jared Diamond schreibt mit Witz, Esprit und
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Produktbeschreibung
Noch heute leben zahlreiche Stämme als Jäger und Sammler in unzugänglichen Teilen der Welt. Jared Diamond, Professor für Geographie und international erfolgreicher Bestsellerautor, kennt sie aus vielen Expeditionen, die er in den letzten Jahrzehnten geleitet hat. In seinem neuen Buch entfaltet er den ganzen Reichtum ihrer verblüffend anderen Lebensweise und zeigt anschaulich, was wir heute von ihnen lernen können. Eine überraschende und unterhaltsame Lektion über die Vielfalt der Kulturen - und eine Kritik unseres modernen Selbstverständnisses.

»Jared Diamond schreibt mit Witz, Esprit und großem Sachverstand.«
Die Welt

»Die Zivilisation hat uns reich, satt und bequem gemacht, aber nicht rundum zufrieden. Jared Diamond hilft uns zu erkennen, woran das liegt. Und nicht nur das: Er sagt uns auch, was wir besser machen können. Vorbilder gibt es genug, von Afrika bis Neuguinea.«
Stern

»Eine Fundgrube und ein Gedankenanreger ohnegleichen.«
Financial Times Deutschland

»Auf Diamond passt das überstrapazierte Wort vom Universalgelehrten genau, dazu gehört auch, dass er Autodidakt geblieben ist, um Wissenslücken bald zu schließen, wenn die sich neu öffneten. Er ist die Lernfähigkeit selbst.«
Die Zeit

»Wichtige Einsichten in unser traditionelles wie modernes Menschsein.«
Der Tagesspiegel
Autorenporträt
Jared Diamond, 1937 in Boston geboren, ist Professor für Geographie an der University of California, Los Angeles. Sein Hauptforschungsgebiet ist die Evolutionsbiologie. In den letzten 25 Jahren hat er rund ein Dutzend Expeditionen in entlegene Gebiete von Neuguinea geleitet. Für seine Arbeit auf den Gebieten der Anthropologie und Genetik ist er mehrfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Pulitzer-Preis. Nach ¿Der dritte Schimpanse¿, ¿Arm und Reich¿, ¿Warum macht Sex Spaß?¿, seinem internationalen Bestseller ¿Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen¿ und ¿Vermächtnis. Was wir von traditionellen Gesellschaften lernen können¿ erschien zuletzt bei S. Fischer ¿Krise. Wie Nationen sich erneuern können¿ (2019). Literaturpreise: Britain's Rhône-Poulenc Prize for Science Books 1998, Pulitzer-Preis 1998, Lannan Literary Award 1999, Dickson Prize für Wissenschaft 2006, Wolf-Preis für Agrarwissenschaft 2013 Sebastian Vogel, geboren 1955 in Berlin, ist promovierter Biologe und langjähriger Übersetzer. Neben den Werken Neil Shubins hat er Bücher von Richard Dawkins, Jared Diamond, Stephen Jay Gould und Steven Pinker ins Deutsche übertragen.
Rezensionen
Diamonds größtes Verdienst liegt in der Popularisierung der großen existentiellen Themen und in der Fähigkeit, über enge Fachdisziplinen hinwegzuspringen. Winand von Petersdorff Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20141116

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Detlev Claussen zeigt sich beeindruckt von Jared Diamonds Buch "Vermächtnis". Mit seinen Beobachtungen von traditionellen Gesellschaften stellt der Autor in den Augen des Rezensenten unser "Wir-Gefühl" als moderne Menschen infrage. Das Verhältnis von traditionellen und modernen Gesellschaften findet er in diesem Werk vielfach und erhellend thematisiert. Deutlich wird das für Claussen anhand von faszinierenden Ausführungen zu Themenfeldern wie Krieg, Gewalt, Gefahren, Regeln, Kindererziehung und den Umgang mit alten Menschen. Dass Diamond dabei auf eine plumpe Idealisierung der Lebensweisen von Horden und Stämmen ebenso verzichtet wie auf den Versuch, den Mythos von der Überlegenheit des "weißen Mannes" zu erneuern, weiß Claussen zu schätzen. Überzeugend findet er zudem das hohe anthropologische Reflexionsniveau des Autors, der dem Leser auch einen verständlichen Grundkurs in dieser Disziplin vermittelt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2012

Altenbeseitigung ist nicht immer das Mittel der Wahl

Passioniert und sehr nüchtern zugleich: Der Geograph Jared Diamond sichtet die Lebensweisen kleiner traditioneller Gesellschaften auf praktische Lehren für unsere Gegenwart - und hat zuletzt einige eher bescheidene Ratschläge.

Von Helmut Mayer

Der Ethnologe hatte viele Mühen auf sich genommen, um zu der kleinen Gruppe von Indianern vorzudringen. Es lockte die Aussicht, als Erster in ein noch unberührtes Dorf des einst berühmten Stamms zu gelangen. Doch noch vor dem Dorf stößt er im Regenwald auf deren Häuptling und vermutet gleich, was sich später bewahrheitet: Die Gruppe hat ihr Dorf endgültig verlassen, um sich am nächstgelegenen Militärposten der Zivilisation anzuschließen.

Nur mit Mühe gelingt es, die Indianer zu einem Aufschub zu überreden. Als sie sich auf den Rückweg ins Dorf machen, wirft der Helfer des Häuptlings seine Last kurzerhand in den Wald: Es ist ein lebender Harpyen-Adler, den sie als kostbares Geschenk - aus seinen Federn fertigen sie ihren traditionellen Schmuck - mit sich führten. Der Ethnologe findet das zuerst unbegreiflich. Doch dann kommen ihm Erzählungen anderer Begebenheiten aus der Geschichte der Kolonisierung in den Sinn. Sie berichten davon, wie schnell die überkommenen Werte von den kleinen traditionellen Gesellschaften annulliert werden, sobald bestimmte Elemente ihrer Lebensweise aufgekündigt werden.

Die berühmte Szene der Begegnung mit den Tupi-Kawahib, die Claude Lévi-Strauss in seinen "Traurigen Tropen" festhielt, hat emblematischen Charakter. Sie handelt von der Anziehungskraft, welche die Lebenserleichterungen der sich globalisierenden Gesellschaft auf die fragilen traditionellen Gesellschaften ausüben. Eine verständliche und gleichzeitig als fatal beschriebene Anziehung, denn sie löscht tendenziell deren kulturelles Erbe und damit ein ganzes Spektrum von Antworten, welches diese kleinen Gesellschaften ohne avancierte mechanische Künste auf Grundprobleme gefunden haben, die alle Gesellschaften für ihre Bestandssicherung lösen mussten. Antworten, die oft auf faszinierende Weise anders ausfallen als jene der global bestimmend gewordenen "westlichen" Welt.

An der weiter voranschreitenden Auflösung dieses Erbes - lange Zeit durch Gewalt, Zwang und eingeschleppte Krankheiten vorangetrieben - ist nicht zu zweifeln. Was freilich noch nicht bedeutet, den damit eintretenden Verlust klar bestimmt zu haben. Steckt in ihm "nur" die Einsicht, den Horizont der eigenen Gesellschaft nicht einfach für das Maß aller menschlichen Dinge zu halten (selbst wenn er de facto nicht zu überschreiten ist)? Oder kann man auch einen handfesteren, praktisch verwertbaren Nutzen aus dem Studium der kleinen traditionellen Gesellschaften ziehen? Nämlich Antworten auf Probleme zu finden, mit denen wir uns selbst in modernen Gesellschaften herumschlagen?

Claude Lévi-Strauss hat in späteren Jahren versucht, Beispiele für genau solche Nutzanwendungen zu finden (F.A.Z. vom 19. Juli). Und auch ein gerade - Stichwort "Occupy" - ins Blickfeld geratener Autor mit ethnologischen Wurzeln, David Graeber, verknüpft seine Kritik an den ökonomischen Imperativen unserer Gesellschaft gerne mit Hinweisen auf die anderen Sozialformen in traditionellen Gesellschaften.

Nun hat sich Jared Diamond dieser Frage angenommen, was wir von den traditionellen Gesellschaften lernen können. Der Geograph und ausgewiesene Kenner der Entwicklungsgeschichten menschlicher Gesellschaften tut das nüchterner und systematischer als kulturkritische Romantiker und kapitalismuskritische Streiter. In Büchern wie "Arm und Reich" und "Kollaps" hat er vor Augen geführt, wie viele Faktoren für den Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklungspfade von Bedeutung waren; dass aber auch ganz bestimmte und zufällig erfüllte Voraussetzungen darüber entschieden, welche Gesellschaften einen entscheidenden Startvorteil bekamen und deshalb zuletzt zu Siegern im globalen Maßstab werden konnten: jene nämlich, die ursprünglich in ihrem Siedlungsgebiet reichlich über domestizierbare Tier- und Pflanzenarten verfügten.

Die globalen Sieger sind die großen, staatsförmig verfassten Gesellschaften. Die traditionellen Gesellschaften, die Diamond mit Blick auf seine Leitfrage durchmustert, sind dagegen zum größten Teil Horden von einigen Dutzend oder Stämme von einigen hundert Mitgliedern: Größenordnungen, in denen alle Mitglieder einander entweder direkt kennen oder zumindest in Verwandtschafts- und Clanbeziehungen einordnen können - was weder politische Zentralisierung noch Hierarchisierung oder gar bürokratische Eliten und universalisierbare Maximen des Verhaltens erfordert.

Diamond zieht Berichte über solche Gesellschaften in allen möglichen Weltgegenden heran, mit einer Massierung in Neuguinea und benachbarten Pazifikinseln. Letztere verdankt sich zum einen dem Umstand, dass die Dichte solcher Gesellschaften dort tatsächlich hoch ist, zum anderen den Erfahrungen, die der passionierte Ornithologe und Feldforscher Diamond dort selbst über Jahrzehnte hinweg gemacht hat. Die Facetten des sozialen Lebens, die er seiner vergleichenden Betrachtung unterzieht, sind: Gewalt und Krieg, Konfliktregelung insbesondere bei Tötungen, Kindererziehung, Umgang mit Alten, Essgewohnheiten, Umgang mit Gefahren.

Diamonds Übersicht ist reich an Beispielen, stützt sich auf eine breite Basis vor allem angelsächsischer Literatur, vergisst dabei nie, die methodischen Schwierigkeiten der Erhebungen zu berücksichtigen, und wird lebendig durch des Autors eigene Erzählungen. Wie kaum anders zu erwarten, ist das Spektrum der beobachteten Praktiken breit. Eine sesshafte Gesellschaft mag ihre hinfälligen Alten wertschätzen, die nomadisierenden Horden können sich das dagegen schlicht nicht leisten, weshalb Aussetzung, nahegelegter Selbstmord und Mord mit Einstimmung des Opfers ins Repertoire gehören. Der Grad der kriegerischen Auseinandersetzungen mag variieren, aber im Schnitt ist die entsprechende Opferrate trotz der elementaren Kampftechniken deutlich höher als in den großen Staatsgesellschaften. Was sich nicht zuletzt dem Umstand verdankt, dass Fehden die Tendenz haben, in ein Hin und Her endloser Racheaktionen zu münden. Bei der Kindererziehung wiederum mag der eine Stamm jede Züchtigung ächten, während ein anderer sie praktiziert.

Manche dieser Praktiken lassen sich ökologisch einsichtig machen, also aus den Subsistenzbedingungen der ins Auge gefassten Gesellschaften, andere sperren sich einer solchen Erklärung. Die uns grausam erscheinende Praxis der Altenbeseitigung bei nomadisierenden Horden zählt zur ersten Kategorie. Aber bei der Züchtigung von Kindern etwa oder der Praxis der Geburt etablieren sich unter ähnlichen Randbedingungen ganz unterschiedliche Traditionen.

Man ahnt, während man dem Parcours des Buchs folgt, was parteiische Interpreten mit kulturkritischer Agenda aus diesem Material herauszupfen würden. Aber Diamonds unbeirrbare Nüchternheit bei gleichzeitiger Zuwendung zu den dargestellten Gesellschaften ist musterhaft. Es weiß auch kaum jemand so gut wie er, dass in ihnen die Probleme noch gar nicht auftauchen, welche die großen Gesellschaften für ihren Bestand lösen mussten. Übertragungen über diese Größengrenze hinweg schließt dieser einfache Sachverhalt meist sehr schnell aus.

Deshalb ist auch äußerst bescheiden, was Diamond zuletzt an konkreten Lehren anzubieten hat. Etwa Diätempfehlungen (weniger Salz und Zucker), für die man mittlerweile nicht unbedingt die anthropologische Herleitung braucht; ein Lob kognitiver Vorzüge mehrsprachiger Erziehung, das genauso wie einige Vorschläge zum Umgang mit kleinen Kindern auf sehr wackligen Befunden fußt; den Hinweis auf mögliche Vorzüge von außergerichtlichen Mediationen und freiwilligen Konfrontationen von Opfern und Tätern im Rahmen von Gerichtsverhandlungen (wie sie hierzulande bereits praktiziert werden).

Diese kaum beeindruckende Ausbeute lässt den vollmundigen Titel der deutschen Ausgabe, "Vermächtnis", sehr unglücklich aussehen. Doch muss man das Buch nicht an diesem schmalen Ertrag messen. Es erzählt auf disziplinierte und gleichzeitig farbige Weise davon, dass der Raum des Menschlichen größer ist als der, den unsere Gesellschaft umreißt. Mit anderen Worten: Die Ethnologen und Anthropologen erzählen uns von Möglichkeiten, die unsere schon nicht mehr sind. Lehrreich ist auch das. Es lädt zur Selbstbescheidung ein.

Jared Diamond: "Vermächtnis". Was wir von traditionellen Gesellschaften lernen können.

Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2012. 586 S., geb., 24,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2012

Ein Hauch von Rousseau
Jared Diamond weiß, was von traditionellen Gesellschaften zu lernen ist
Vor den Einsichten von Evolutionsbiologen in gesellschaftliche Zusammenhänge muss man sich in Acht nehmen. Viele die Öffentlichkeit suchende Professoren haben sich mit Psychologen verbunden und bieten dem Laienpublikum Weisheiten über die Zukunft der Menschheit an, die sie aus der langen Zeit der Evolution abstrahiert und zur menschlichen Natur verdinglicht haben. So etwas muss man bei dem amerikanischen Erfolgsautor Jared Diamond nicht befürchten. Inzwischen lehrt er – ohne Altersdiskriminierung - mit fünfundsiebzig Jahren an der University of California in Los Angeles Geographie. Angefangen hatte Diamond seine wissenschaftliche Karriere mit Laborforschung an der Gallenblase, bevor er sich der Feldforschung zuwandte. Schon früh interessierte er sich für die Vogelwelt und deshalb besuchte er Neuguinea fast dreißigmal seit den sechziger Jahren. So wurde er teilnehmender Beobachter eines rasanten gesellschaftlichen Veränderungsprozesses.
  Diamonds neues Buch „Vermächtnis“, das wieder ein Bestseller zu werden verspricht, beginnt mit einer Szene auf einem Flughafen, die uns allzu vertraut vorkommt: Einchecken. Was ganz gewöhnlich auf den westlichen Gast wirkt, wird erst durch das Wissen um den Ort des Flughafens sensationell: Port Moresby, Hauptstadt von Papua-Neuguinea. 1931, es ist gerade 80 Jahre her, kam es zum „Erstkontakt“ der Hochlandbewohner mit weißen Männern. In rasender Eile hat sich ihre Welt verändert. Auch die restliche Welt hat sich rasch gewandelt, nur nicht so rasch und so grundlegend wie die der Neu-Guineer – innerhalb von zwei Generationen, für manche Alte sogar in ihrer Lebenszeit.
  Diamonds Beobachtung bringt „unser“ gesamtes chronologisches Gefühl ins Wanken. Erstreckt sich nicht die Evolution über ungeheure Zeiträume? Liegt die Zeit der von der Ethnologie entdeckten „Horden“ und „Stämme“ nicht in unerfindlicher Ferne vor „unserer“ Gegenwart? Wenn von „wir“ die Rede ist, meinen wir unser gängiges Selbstverständnis als moderne Menschen. Nun hat die Psychoanalyse uns schon auf die Präsenz des Archaischen in unserem Unbewussten aufmerksam gemacht, die Ethnologen empfehlen, die gegenwärtige Gesellschaft mit fremden Augen zu sehen. Diamonds Art, an die Dinge und die Menschen heranzugehen, stellt unser ganzes „Wir“-Gefühl als moderne Menschen infrage. Der Autor thematisiert auf produktive Weise das Verhältnis von Tradition und Moderne, besser gesagt von traditionellen und modernen Gesellschaften.
  Jared Diamond steht damit in bester Tradition der amerikanischen Anthropologie, die den culture clash zwischen traditioneller (indianischer) und bürgerlicher Gesellschaft im langen 19. Jahrhundert kritisch beobachtete. Diamond kommt ohne die populären Idealisierungen traditioneller Gesellschaften aus. Sein Buch dient aber auch nicht der Erneuerung des Mythos von der Überlegenheit des vernunftgesteuerten „weißen Mannes“. Diamond schärft den Blick auf die Gegenwart. Die Neu-Guineer wissen die Moderne durchaus zu schätzen: nicht mit 45 sterben müssen, genug zu essen haben, Kinder zur Schule schicken können, nicht mehr Grasröcke tragen müssen. Regenschirme und Streichhölzer erleichtern das Leben. Und auch ein Arzt kann helfen.
  Für Diamond gilt die Erkenntnis, die man angesichts des afrikanischen way of life formuliert hat: Das Leben in Afrika ist materiell ärmer, aber sozial reicher als im Westen. Ein Hauch von Rousseau weht sympathisch durch Diamonds Gesellschaftsvergleiche. Aber die Natur wird nicht als das Gute idealisiert, sondern sie erscheint immer schon gesellschaftlich vermittelt. Diamond macht mit dem Leser einen kleinen Grundkurs in Anthropologie, der nicht bis in die letzten Einzelheiten differenziert, aber doch genug Überblickswissen liefert, um seinen Argumentationen folgen zu können. Wenn man wie er an der UCLA lehrt, hat man genug interdisziplinäre Kontakte, um auch auf
das Wissen anderer Disziplinen zurückgreifen zu können. Das Buch ist wirklich up to date .
  Die Fragen, die Diamond an traditionelle Gesellschaften richtet, entstammen der Gegenwart. Er will nicht erkennen, wie es wirklich gewesen ist, sondern beobachten, wie traditionelle Gesellschaften mit einer sich verändernden Umwelt fertig wurden – oder auch fertig gemacht wurden. Untergang und Katastrophe, die er in seinem großen Buch „Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“ studierte, bleiben präsent. Diamond beginnt mit einer Analyse des Raumes, aus dem eingeschränkte Mobilität und die Erfahrung von Fremdheit sich ergeben. Auch „kleine Gesellschaften“ haben Konflikte zu lösen, diese entstehen nicht allein durch Fremde. Die Gesellschaft muss Regeln finden, um Zusammenleben zu ermöglichen. Krieg und Gewalt sind allgegenwärtig. Das wird Anarchisten nicht gefallen: Das Gewaltmonopol weiß Diamond als Errungenschaft zu würdigen. Und das wird Pazifisten nicht gefallen: Die staatliche Kriegführung hat Gewalt eher eingegrenzt als ausgeweitet.
  Es klingt nicht überraschend, dass Diamond auf zwei Themen besonderen Wert legt: Gefahren und Kindererziehung. Er entwickelt die schöne Kategorie der „konstruktiven Paranoia“, die die Menschen Gefahren besser überleben lässt als grenzenloses Urvertrauen. Trotzdem greift der guineeische Vater erst ein, wenn den Kindern Gefahr droht; ansonsten lässt er sie ihren eigenen Weg finden. Der Umgang mit älteren Menschen zeigt nicht allein Schönes in traditionellen Gesellschaften; neben dem Reichtum sozialer Beziehungen findet Diamond Grausamkeiten wie die Pflicht zum Witwenmord oder die strikte Aufforderung zum Selbstmord, wenn die Ressourcen knapp werden.
  Diamonds Blick auf die Menschheit ist nicht spirituell erleuchtet, sondern materiell informiert. So kann er auch ohne Verklärung seinen Blick auf den Westen zurückwenden, wenn er aus Port Moresby nach LA zurückkehrt. An Diabetes und Bluthochdruck macht er dem Leser klar, was auch den Neuguineern gerade deutlich zu werden beginnt. Der materiell reichere Lebensstil des Westens bringt todbringende Krankheiten, wenn wir unsere Lebensweise nicht selbst ändern. Der Reichtum der Gesellschaften geht von den Nahrungsmitteln aus; Mehrproduktion und Vorratshaltung ermöglichen staatlich organisierte Gesellschaften mit institutionalisierter Ungleichheit. In diesen gesellschaftlichen Verhältnissen tun sich Abgründe auf, denen man mit der von Jared Diamond empfohlenen „konstruktiven Paranoia“ begegnen kann.
DETLEV CLAUSSEN
Jared Diamond : Vermächtnis. Was wir von traditionellen Gesellschaften lernen können. Aus dem Englischen von Sabine Vogel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012. 586 Seiten, 24,99 Euro.
Was gut ist in der Moderne:
Genug zu essen, Schule, keine
Grasröcke mehr tragen müssen
Materiell arm, sozial reich: Papua-Mutter mit Kind
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA
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