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Medizinische Innovation wird stets von Widerständen begleitet kein Leben zeigt dies besser als jenes von Ignaz Semmelweis. Eine Reise durch das Leben des großen Kämpfers für die Gesundheit der Mütter und für den medizinischen Fortschritt. Hände waschen! , diese Hygieneregel ist heute selbstverständlich. Dass das nicht immer so war, zeigt die Geschichte des 1818 geborenen Semmelweis, der als Gynäkologe in Wien wirkte. Für die Anerkennung der Wahrheit, dass die schmutzigen Hände der Ärzte gebärende Frauen infizierten, musste er hart kämpfen. Seine Lebensgeschichte, die bis heute immense…mehr

Produktbeschreibung
Medizinische Innovation wird stets von Widerständen begleitet kein Leben zeigt dies besser als jenes von Ignaz Semmelweis. Eine Reise durch das Leben des großen Kämpfers für die Gesundheit der Mütter und für den medizinischen Fortschritt. Hände waschen! , diese Hygieneregel ist heute selbstverständlich. Dass das nicht immer so war, zeigt die Geschichte des 1818 geborenen Semmelweis, der als Gynäkologe in Wien wirkte. Für die Anerkennung der Wahrheit, dass die schmutzigen Hände der Ärzte gebärende Frauen infizierten, musste er hart kämpfen. Seine Lebensgeschichte, die bis heute immense Bedeutung hat, lässt tief in die faszinierende Welt der wissenschaftlichen Entdeckungen und Intrigen blicken.
Autorenporträt
Anna Durnová, geboren in Brno, lebt in Wien. Die Politikwissenschaftlerin ist seit 2004 an der Universität Wien als Lektorin und Forscherin tätig. Seit 2012 forscht sie im Rahmen des Hertha- Firnberg-Programms (FWF Wissenschaftsfonds) für ihre Habilitation über Semmelweis und den mit ihm verbundenen Hygienediskurs. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2015

Retter der Mütter, Gott der Hebammen
Frauen wissen, was sie an ihm haben: Ein neuer Blick auf die Geschichte des Arztes Ignaz Semmelweis

Noch ein Buch über Ignaz Semmelweis? Zugegeben, der Arzt, der den Kampf gegen das Kindbettfieber zu seiner Lebensaufgabe machte, liefert wie kaum ein anderer eine gute Story: für Romane, Biographien und Sachbücher. Zwischen den beiden letzteren Genres konnte sich Anna Durnová nicht recht entscheiden. Ihre Darstellung changiert zwischen Wissenschaftstheorie und Biographik.

Der Ungar Ignaz Philipp Semmelweis tritt im Juli 1846 eine Stelle als Assistenzarzt in der ersten Abteilung für Geburtshilfe des Allgemeinen Krankenhauses in Wien an. Wo es eine erste Abteilung gibt, da gibt es auch eine zweite, und diese Besonderheit wird wichtig. Denn in der einen untersuchten Ärzte und Medizinstudenten die Schwangeren, nachdem sie auch Leichen seziert hatten. Leichen sezieren, die Pathologie, galt als Fortschritt für die Medizin. An der zweiten Abteilung arbeiteten bevorzugt Hebammen, die nicht sezierten.

In der ersten Abteilung kam es zu auffällig mehr Kindbettfieberinfektionen und toten Wöchnerinnen. Sie war gefürchtet. Semmelweis beobachtete, analysierte die Unterschiede und kam schließlich zu dem Schluss, dass die Ärzte "etwas" - Bakterien waren noch unbekannt - von den Leichen auf die Schwangeren übertrugen. Als sein Aha-Erlebnis gilt der Tod eines mit ihm befreundeten Chirurgen, der sich an einer Leiche infizierte und mit ähnlichen Symptomen starb wie die Frauen am Kindbettfieber. Angeregt durch die schon bekannte desinfizierende Wirkung von Chlor, führte Semmelweis ein, dass sich die Ärzte vor der Untersuchung der Schwangeren mit Chlorkalk die Hände reinigen sollten. Das Kindbettfieber ging binnen kurzem auf eine ähnliche Rate wie in der zweiten Abteilung zurück. So viel Evidenz ist selten, die genau dokumentierte Aktion gilt als eine der ersten Interventionsstudien in der klinischen Forschung.

Dennoch wurde der Arbeitsvertrag von Semmelweis 1849 nicht verlängert, nur mit Mühe bekam er später im ungarischen Pest eine Chefstelle, er kämpfte auch dort vergeblich gegen miserable hygienische Zustände, beschimpfte in öffentlichen Briefen andere Ärzte als "Massenmörder" und starb unter mysteriösen Umständen in der Psychiatrie, in die ihn seine Frau hatte einweisen lassen.

Warum wurde Semmelweis nicht schon zu Lebzeiten zum "Retter der Mütter" ausgerufen? Durnová wendet die möglichen Erklärungen hin und her, allerdings ein paarmal zu oft: dass da einer gegen das wissenschaftliche Establishment nicht ankam, weil er den Ärzten vorwarf, schuld am Tod der Frauen zu sein, dass er den Fortschritt - das Sezieren - als Rückschritt identifizierte, dass er als Ungar ein Ausländer war, noch dazu im Dunstkreis von Revolutionären, dass er es nicht schaffte, seine Ergebnisse zeitnah zu veröffentlichen, sondern erst, als sie nur noch als Kampfschrift eines Enttäuschten wahrgenommen wurden. Dazu fügt die Autorin noch eine Prise Jean-François Lyotard - obwohl Thomas S. Kuhn und Ludwik Fleck eigentlich die bessere theoretische Würzung abgegeben hätten.

Sehr viel erhellender ist der Blick ins nüchterne England oder in die Vereinigten Staaten. Leider fällt er hier etwas kurzsichtig aus. Thomas Watson, Professor am King's College Hospital in London, verlangte schon 1842, dass jeder, der Kontakt zu einer Frau mit Kindbettfieber hatte, "sorgfältigste Waschungen" vornehmen sollte; er nannte ebenfalls Chlor. Der Arzt sollte nicht "zum Vehikel" werden, das die Krankheit zwischen den Patienten verbreitet, so seine Mahnung. In Boston war es Oliver W. Holmes, der als Pathologe die Übertragbarkeit erkannte.

Auch diese beiden Ärzte konnten sich zunächst nicht durchsetzen, was indes längst nicht als ein unerklärliches Scheitern verhandelt wird wie bei Semmelweis, sondern als das übliche Hin und Her zwischen den der Tradition verhafteten Forschern und den Innovativen. Es dauert eben, bis sich eine neue Idee durchsetzt.

Hinzu kommt, dass das Kindbettfieber nur ein Grund unter vielen für die Müttersterblichkeit war. Und es geriet überhaupt nur mit der Gründung der großen Kliniken in den Fokus. Denn in diesen Geburtskliniken lagen so viele Wöchnerinnen zusammen, dass diese Blutvergiftung mit nennenswerten Ansteckungsraten auffällig wurde. Bei den Hausgeburten blieben es Einzelfälle. Die Frauen in den Geburtskliniken waren gleichwohl eine Minderheit unter den Schwangeren. Noch im Jahr 1896 beispielsweise brachten 99 Prozent der Frauen im Deutschen Reich ihre Kinder zu Hause zur Welt. Die Auseinandersetzung zwischen erster und zweiter Gebärabteilung in Wien betrifft also einen Mikrokosmos.

Warum hatte diese Debatte dann einen derartigen Nachhall? Dafür sind die besonderen Umstände in Wien mitverantwortlich. Die einschlägigen Appelle im angloamerikanischen Raum hielten Ärzte wie Hebammen gleichermaßen zur Hygiene an. Sie spielten nicht zwei Abteilungen - in diesem Fall eben Ärzte gegen Hebammen - gegeneinander aus, daher taugte die Debatte um das Kindbettfieber dort auch nicht zur Instrumentalisierung für einen Machtkampf innerhalb der Geburtshilfe. Dieser war infolge der Gründung der Accouchierhäuser für die armen Stände entbrannt. Lag zuvor die Betreuung der Gebärenden in den Händen einer Hebamme, so man sich diesen Luxus leisten konnte, sollten nun auch ärmere Frauen in diesen Häusern professionelle Geburtshilfe erhalten. Diese Gebärkliniken wurden aber auch zum Infektionsquell, umso mehr, als die dort betreuten Frauen aufgrund ihrer Armut oft auch in einem schlechteren Gesundheitszustand waren.

Dass in Wien zwei unterschiedlich geführte Abteilungen im Hinblick auf die Infektionsraten einen unmittelbaren Vergleich lieferten und die Hebammen besser abschnitten, kam ihnen bei der Verteidigung ihres Monopols nicht ungelegen. Und dies gilt damals wie heute, denn Semmelweis ist mindestens so sehr ein "Retter der Mütter", wie er ein "Gott der Hebammen" wurde. Wo immer heute Hebammen leugnen, dass der medizinische Fortschritt zur Senkung der Müttersterblichkeit beitrug, schleudern sie das Wort "Semmelweis" in die Runde wie einen Bannstrahl, um kundzutun, dass das alles nur der besseren Hygiene zu verdanken sei. Von dieser stilisierenden Rezeption erzählt das Buch leider nichts.

MARTINA LENZEN-SCHULTE

Anna Durnová: "In den Händen der Ärzte". Ignaz Semmelweis, Pionier der Hygiene.

Residenz Verlag, St. Pölten 2015. 242 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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