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Nach dem Untergang der Sowjetunion brauchte der Westen ein neues Feindbild. Osama Bin Laden lieferte es. 9/11 gab George W. Bush dann die Gelegenheit zu zwei Kriegen, die für alle Beteiligten desaströs ausgingen. “Feindbild Islam. Zehn Thesen gegen den Hass“ schildert nun ebenso prägnant wie packend das Verhältnis der westlichen Welt zur muslimischen. Es zeigt die Ignoranz und Gefährlichkeit unserer Politik gegenüber dem Orient. Jürgen Todenhöfer zieht hierin als einer der besten Kenner beider Welten die Bilanz von fünfzig Jahren Reisen in die Länder der muslimischen Welt.

Produktbeschreibung
Nach dem Untergang der Sowjetunion brauchte der Westen ein neues Feindbild. Osama Bin Laden lieferte es. 9/11 gab George W. Bush dann die Gelegenheit zu zwei Kriegen, die für alle Beteiligten desaströs ausgingen. “Feindbild Islam. Zehn Thesen gegen den Hass“ schildert nun ebenso prägnant wie packend das Verhältnis der westlichen Welt zur muslimischen. Es zeigt die Ignoranz und Gefährlichkeit unserer Politik gegenüber dem Orient. Jürgen Todenhöfer zieht hierin als einer der besten Kenner beider Welten die Bilanz von fünfzig Jahren Reisen in die Länder der muslimischen Welt.
Autorenporträt
Jürgen Todenhöfer, geboren 1940, war bis 2008 Manager eines europäischen Medienunternehmens, davor 18 Jahre lang Bundestagsabgeordneter und Sprecher der Unionsparteien für Entwicklungshilfe und Rüstungskontrolle. Er schrieb die Bestseller "Wer weint schon um Abdul und Tanaya?", "Andy und Marwa - zwei Kinder und der Krieg", "Warum tötest du, Zaid?" und "Teile dein Glück". Mit seinen Buchhonoraren hat er u.a. ein Kinderheim in Afghanistan und ein Kinderkrankenhaus im Kongo gebaut sowie ein israelisch-palästinensisches Versöhnungsprojekt finanziert.
Rezensionen
"Todenhöfer öffnet mit seinen Thesen einen anderen Blickwinkel auf den 'Kampf gegegn den Terrorismus' und die muslimische Welt - in der aktuellen Debatte um Islam und Isamlismus ein Gewinn." -- Westdeutsche Allgemeine

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.02.2012

Die syrische Tragödie
Wie blind ist der Westen? Was in Syrien geschieht, ist kein Volksaufstand, es ist vielmehr ein Bürgerkrieg: Man muss verhandeln, nicht schießen! /

Von Jürgen Todenhöfer

Nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Niemand wird den Siegeszug der Demokratie in der arabischen Welt aufhalten können. Diktaturen sind Auslaufmodelle.

Wie viele andere Menschen habe auch ich nur schlechte Erfahrungen mit Diktaturen gemacht. Mit der Sowjetunion, die nach meinem Marsch nach Afghanistan verkündete, sie werde mich auspeitschen und erschießen lassen. Später mit Augusto Pinochet. Monatelang griffen mich westliche Politiker an, weil ich es gewagt hatte, mit dem Diktator über die Freilassung politischer Gefangener zu verhandeln. Auch mein zweistündiges Gespräch mit Präsident Baschar al Assad wird heftig kritisiert. Dass es um die schnellere Einführung der Demokratie ging, interessiert nicht.

Mit Gaddafi konnte ich leider nie sprechen. Seine Truppen bombardierten uns stundenlang mit Raketen und Granaten. Mein Freund Abdul Latif wurde dabei getötet. In Ägypten schlugen uns Schlägerkommandos des Mubarak-Regimes vor drei Wochen zusammen. Nein, Diktatoren sind nicht meine Freunde.

Von der demokratischen Revolution in Tunesien und Ägypten war ich begeistert, weil sie gewaltfrei war. Auch die syrische Revolution hätte meine uneingeschränkte Sympathie, wenn sie gewaltfrei geblieben wäre und nicht vom Westen finanziert würde.

Doch nach dem Sturz Ben Alis und Mubaraks hat sich viel geändert. Gewaltlosigkeit war plötzlich nicht mehr gefragt. Und seit Libyen waren die Aufstände keine rein arabischen mehr. Der Westen, der die Entwicklung in Tunis und Kairo verschlafen hatte, mischte plötzlich kräftig mit. Er hatte erkannt, dass er vieles, was er durch Kriege nicht erreicht hatte, durch eine listige Beteiligung an den Aufständen realisieren konnte. Vor allem das alte Ziel der amerikanischen Neokonservativen: einen durchgängig proamerikanischen Nahen Osten.

Um Demokratie geht es dabei leider nicht. Nur von Gegnern des Westens, wie Syrien, wird lupenreine Demokratie gefordert.

So stellen der amerikanische Publizist Charles Krauthammer und Senator Joe Lieberman begeistert fest, dass die Forderung nach Demokratie wenigstens bei Assad zu den strategischen Zielen der Vereinigten Staaten passe - ganz anders als bei den übrigen Diktatoren Arabiens. Das seien zwar auch keine "zartherzigen Menschenfreunde", aber man brauche sie als Verbündete.

Priorität hat die Korrektur der fatalen Ergebnisse des Irakkriegs, den "leider" Iran, Amerikas Hauptfeind in der Region, gewonnen hat. Irans Einfluss erstreckt sich seither über Irak, Syrien und den Libanon bis tief in die schiitischen Gebiete Saudi-Arabiens hinein. Ausgerechnet George W. Bush hat Iran in diese Vormachtstellung gebombt. Assads Sturz bietet die historische Chance, dieses strategische Eigentor zu korrigieren.

Schon wenige Tage nach Beginn der syrischen Unruhen gelangten über Qatar moderne Waffen in die Hände der Rebellen. Gleichzeitig begann eine gigantische Medienkampagne gegen das Syrien Assads. Ihre Hauptquelle sind unüberprüfbare Handy-Filme. So stammte einer der angeblich syrischen Youtube-Filme, der auch im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde, aus dem Irak von 2007. Der amerikanische Sender ABC musste sich entschuldigen, dass er einen Film aus dem Libanon des Jahres 2008 als Syrien-Reportage verkauft hatte. Auch die überwiegend regimekritische Beobachterkommission der Arabischen Liga berichtete, dass sie bei der Überprüfung von Explosionen und Gewalttaten in Syrien mehrfach feststellen musste, dass diese frei erfunden waren. Jede zweite Meldung, die ich während meines vierwöchigen Aufenthalts in Syrien überprüfte, war falsch.

Das ändert nichts am Widerstandsrecht der Syrer gegen Diktatur, an ihrem Recht auf Demokratie. Syrien gehört dem syrischen Volk und nicht einer einzelnen Familie. Wenn der im Westen ausgebildete Assad derselben Meinung ist, muss er sich an die Spitze der Demokratiebewegung stellen.

Was aber ist, wenn Assad genau das versucht? Was, wenn der Volksaufstand in Syrien, anders als der in Tunesien, Ägypten und Libyen, gar kein klassischer Volksaufstand ist, sondern ein Aufstand starker lokaler Gruppen, dem mindestens ebenso starke Pro-Assad-Gruppen gegenüberstehen, die auch Demokratie wollen, aber mit Assad?

Ein marxistischer Kinderarzt, der 14 Jahre in den Kerkern des Vaters von Baschar al Assad gesessen hatte, erklärte mir, der Einzige, der Demokratie auf friedlichem Wege bringen könne, sei Assad. Als Oppositionspolitiker falle es ihm nicht leicht, das zu sagen. Aber es sei nun einmal die Realität.

Dabei trägt Assad Mitverantwortung dafür, dass aus den anfangs friedlichen Demonstrationen eine gewaltsame Revolution wurde. Seine Sicherheitskräfte haben früh geschossen - auf friedliche Demonstranten. Das ist völlig inakzeptabel.

Aber auch die schwerbewaffneten Rebellen - manche stammen aus Libyen, dem Irak und Jordanien - greifen nicht nur in Notwehr zur Gewalt. In Homs führte mich ein Anhänger Assads ins Zimmer seiner dreijährigen Tochter. Scharfschützen hatten aus einem Hochhaus in das Kinderzimmer geschossen, um seine Assad-Begeisterung zu dämpfen.

Die Beobachterkommission der Arabischen Liga berichtet von schweren Angriffen der Rebellen auf Zivilisten. Der Abschlussbericht schildert als Beispiel die Bombardierung eines Busses, bei der acht Zivilisten getötet wurden, Frauen und Kinder. Längst ist nicht mehr sicher, wer in Syrien mehr Zivilisten tötet - die staatlichen Sicherheitskräfte oder die Rebellen.

Auch die mehr als tausend Soldaten und Polizisten, die in Hinterhalte gelockt und ermordet wurden, sind kein legitimes Ziel einer demokratischen Revolution. Auch sie sind Menschen. Assad fragte mich, ob denn die deutsche Kanzlerin tatenlos zusehen würde, wenn täglich Dutzende ihrer Soldaten und Polizisten erschossen würden.

In Syrien findet ein komplizierter, schmutziger Dreikampf statt. Auf der einen Seite kämpfen starke Teile der Bevölkerung - vor allem in Idlib, Daraa, Homs und Hama für ein demokratisches Syrien ohne Assad.

Gleichzeitig treten genauso unbestreitbar große Bevölkerungsteile vor allem in Damaskus und Aleppo, aber selbst in Homs für eine Demokratisierung mit Assad ein. In manchen Stadtteilen von Homs, das ich zweimal besucht habe, hängen noch immer große Poster mit Assads Bild. Im größten Teil von Homs (es mögen 70 Prozent sein) geht das Leben seinen normalen Gang.

In dieser Auseinandersetzung zwischen Pro- und Anti-Assad-Gruppen mischen die Vereinigten Staaten von Anfang an offensiv mit. Wer diesen Dreikampf einfach "Volksaufstand" nennt, hat die Komplexität der Lage nicht verstanden. Der Westen macht es sich zu leicht, wenn er Syrien bloß in gut und böse unterteilt.

Manche Araber haben inzwischen bemerkt, dass es im Westen Kräfte gibt, die ihnen die Revolution stehlen wollen. Wie einst Lawrence von Arabien, der auch vorgab, sie befreien zu wollen und dann an Großbritannien verriet. Insgesamt funktioniert die Lawrence-von-Arabien-Strategie vorzüglich. Viele Araber erkennen nicht, dass der Westen sie noch nie befreien, sondern immer nur beherrschen wollte. Ihre Diktatoren - vom Westen zu Vorkämpfern der Demokratisierung Syriens ernannt - spielen begeistert mit. Der Westen schützt sie dafür mit modernsten Waffen gegen den demokratischen Virus, der auch ihr Land befallen hat. Fast großzügig nennt er sie "Sicherheitspartner" und "Stabilitätsanker". Selbst jene, die noch immer öffentlich enthaupten, steinigen und auspeitschen lassen.

Ich halte diese zynische Politik für kurzsichtig. Auch ihre undifferenzierte Sympathie für brutale, vom Ausland bezahlte Rebellen. Revolutionäre Romantik ist eine Lüge. Wie Krieg bedeutet revolutionäre Gewalt meist nicht Heldentum, Männlichkeit oder Idealismus, sondern Blut, Elend und Leid. Wer das bezweifelt, sollte mit mir in die Krankenhäuser kommen, in denen die Opfer revolutionärer Schlachten abgelegt werden: Zerfetzte Kinder, sterbende Mütter, verstümmelte Jugendliche. Schon beim Gedanken an diese Häuser des Elends wird mir schlecht.

Es gibt eine Alternative zu diesem geistlosen gegenseitigen Morden. Sie heißt: verhandeln, verhandeln, verhandeln. Verhandlungen sind fast immer besser als Krieg. Darf man das in diesen kriegslüsternen Zeiten noch sagen?

Im Libyen Gaddafis wäre eine Verhandlungslösung eine Herkulesarbeit gewesen. In Syrien ist sie das nicht. Viele Syrer machen einen großen Unterschied zwischen Assad und dem Regime - wie jener marxistische Kinderarzt. Die Lage in Syrien unterscheidet sich fundamental von den Revolutionen in Tunesien, Ägypten und Libyen. Dort richtete sich der Aufstand vor allem gegen die seit Jahrzehnten herrschenden Staatschefs. In Syrien richtet sich die Kritik vor allem gegen das korrupte System und weniger gegen den relativ jungen Präsidenten.

Dessen Position ist in den letzten Monaten sogar stärker geworden. Immer mehr Syrer haben Angst, dass ihr Land wie der Irak im Chaos versinkt.

Assad hat der Opposition längst einen Dialog vorgeschlagen. In einer Woche beginnt eine Volksabstimmung über eine neue demokratische Verfassung. Assad plant ferner Parlamentswahlen und spätestens zwei Jahre später freie Präsidentschaftswahlen, die er auch verlieren kann. Kein anderer arabischer Diktator hat sich auf ähnlich umfassende Reformen festgelegt.

Natürlich ist das alles nicht ausreichend. Es macht auch nicht zehn Jahre Diktatur ungeschehen. Aber warum nehmen wir Assad nicht beim Wort und stellen sicher, dass diese Wahlen echten demokratischen Standards entsprechen? Warum fordern unsere demokratischen Helden ähnliche Volksabstimmungen nicht auch von Saudi-Arabien oder Qatar? Stattdessen qualifizieren sie Assads Referendum als "Finte" und "taktisches Manöver" ab. Das ist zu einfach. Kann unser Außenminister nicht ausnahmsweise einen Tag schweigen?

Die syrische Auslandsopposition, die teilweise schon so lange außerhalb Syriens lebt, dass ihre Kinder nicht mehr Arabisch sprechen, lehnt einen Dialog mit Assad ab. An seinen Händen klebe Blut.

Aber haben wir nicht mit den Führern der Sowjetunion verhandelt, die unendlich viel mehr Blut an ihren Händen hatten? Verneigen sich unsere Politiker nicht bis heute vor George W. Bush, an dessen Händen das Blut Hunderttausender irakischer Zivilisten klebt? Und was ist mit dem Friedensnobelpreisträger Barack Obama, der fast täglich mit Drohnen pakistanische Zivilisten töten lässt. Der noch immer "seinen" Krieg gegen Afghanistan führt, einen Krieg, der jährlich ungezählte Frauen und Kinder das Leben kostet? Sehen wir nicht den Balken in unserem Auge?

Ja, Assad ist politisch verantwortlich für jeden Zivilisten, der im syrischen Bürgerkrieg stirbt. Genauso wie Obama für die getöteten Kinder Pakistans und Afghanistans und die deutsche Bundesregierung für die Toten von Kundus. Aber all das sind keine Gründe gegen Verhandlungen. Gerade mit Gegnern muss man verhandeln.

Die klügsten Vorschläge hat Russland gemacht. Es hat die Konfliktparteien nach Moskau zum Dialog eingeladen. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich einmal russische Außenpolitik westlicher Politik vorziehen könnte. Doch wie im Chor schleuderte die Nato der russischen Regierung entgegen, ihr Verhalten sei eine "Schande". Wieso eigentlich? Syrien braucht diesen Dialog der verfeindeten Gruppen so dringend. Nur so lässt sich das Blutvergießen beenden.

Doch von weiser Vermittlung ist der Westen meilenweit entfernt. Er zieht es vor, im Syrienkonflikt Interessenpolitik zu betreiben und mit dem Feuer zu spielen. Dieses Spiel kann das Land zerbrechen und ungezählte Syrer das Leben kosten. Auch für die zwei Millionen syrischen Christen wären die Folgen verheerend - wie im Irak.

Die Demokratie wird am Ende auch in Syrien siegen. Die Frage ist nur, wie viele Menschen dafür sterben müssen. Und ob das demokratische Syrien auch außenpolitisch frei sein wird. Oder ob das Modell Lawrence von Arabien einen weiteren Triumph feiern kann.

Jürgen Todenhöfer ist Autor des Buches "Feindbild Islam - Zehn Thesen gegen den Hass", Verlag C. Bertelsmann, 64 Seiten, 4,99 Euro

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