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Die europäische Integration ist das Thema der Stunde. Im Schatten der Integrations- und Finanzkrise aber gehen nicht nur osteuropäische Staaten wie Russland, Weißrussland und die Ukraine, sondern auch EU-Länder wie Ungarn und Rumänien den gefährlichen Weg der Autokratie. Seit der Befreiung von sowjetischer Zwangsintegration bitten die nationalen Politiker Osteuropas um Subventionen. Sobald sie aber mit den Regeln der Union konfrontiert werden, klagen sie über Verletzungen ihrer Souveränität. Ist die absolute Mehrheit in ihren Ländern erst einmal errungen, vollziehen sich, einhergehend mit…mehr

Produktbeschreibung
Die europäische Integration ist das Thema der Stunde. Im Schatten der Integrations- und Finanzkrise aber gehen nicht nur osteuropäische Staaten wie Russland, Weißrussland und die Ukraine, sondern auch EU-Länder wie Ungarn und Rumänien den gefährlichen Weg der Autokratie. Seit der Befreiung von sowjetischer Zwangsintegration bitten die nationalen Politiker Osteuropas um Subventionen. Sobald sie aber mit den Regeln der Union konfrontiert werden, klagen sie über Verletzungen ihrer Souveränität. Ist die absolute Mehrheit in ihren Ländern erst einmal errungen, vollziehen sich, einhergehend mit anti- oder scheindemokratischem Nationalismus, Führerkult und Günstlingsbourgeoisie, ein Systemwechsel und der Ausbau des zentralistischen Parteistaates. Auf der ungarischen Bühne ist der Ministerpräsident Viktor Orbán kein unbegabter Akteur dieses todernsten Spiels. Doch noch liegt es an Ungarn selbst und an Europa, mitzubestimmen, wieweit ein solcher Politiker die Melodie vorgeben wird, nach der das postkommunistische Ungarn in Zukunft zu tanzen hat.
Autorenporträt
Konrád, GyörgyGyörgy Konrád wurde am 2. April 1933 in der Nähe von Debrecen als Sohn einer jüdischen Familie in Ungarn geboren. Im Jahr 1944 entging er nur knapp seiner Verhaftung durch Nationalsozialisten und ungarische Pfeilkreuzler, die ihn ins Konzentrationslager Auschwitz deportieren wollten. Mit seinen Geschwistern floh er zu Verwandten nach Budapest und lebte dort in einer Wohnung unter dem Schutz der Helvetischen Konföderation. Die Ereignisse dieser Jahre beschrieb er in den Büchern Heimkehr und Glück. Konrád studierte in Budapest Literaturwissenschaft, Soziologie und Psychologie bis zum Ungarnaufstand 1956. Anschließend arbeitete er von 1959 bis 1965 als Jugendschutzinspektor für die Vormundschaftsbehörde eines Budapester Stadtbezirks. Nebenbei publizierte er erste Essays. Ab 1965 stellte ihn das Budapester Institut und Planungsbüro als Soziologen für Städtebau ein. Sein Romandebüt Der Besucher veröffentlichte er 1969. Seit dem Erfolg des Erstlingswerkes konzentrierte er

sich auf die literarische Arbeit. In seinen Essays plädierte er für ein friedliches Mitteleuropa, das die Grenzen zwischen Ost und West überwinden solle. Als Demokrat und Dissident zählte er neben Václav Havel, Adam Michnik, Milan Kundera oder Pavel Kohout zu den wichtigsten Stimmen vor 1989. Weil er zwischen 1978 und 1988 nicht publizieren durfte, reiste er durch Westeuropa, Amerika und Australien. Das Publikationsverbot wurde erst 1989 aufgehoben. Am 13. September 2019 starb Konrád im Alter von 86 Jahren in seinem Haus in Budapest.

Paetzke, Hans-HenningHans-Henning Paetzke, geboren 1943 in Leipzig, absolvierte eine Schauspielausbildung, bevor er in Halle, Budapest und Frankfurt am Main klassische Philologie, Germanistik und Psychologie studierte. Seit 1968 ist er freiberuflich als literarischer Übersetzer, Herausgeber und Autor tätig. Hans-Henning Paetzke lebt in Budapest.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.04.2013

Der leidenschaftliche Städter
Der ungarische Schriftsteller und Essayist György Konrád wird 80 Jahre alt
In einem Interview, das am Ostersonntag in der Neuen Zürcher Zeitung erschien, hat der ungarische Schriftsteller György Konrád die Entwicklung seines Landes unter dem Ministerpräsidenten Viktor Orbán scharf kritisiert: „Halbstarke brüllen nationalistische Parolen. Ein neuer Antisemitismus ist auf dem Vormarsch. Allenthalben hört man wieder, der Kommunismus sei ein Werk der Juden. In Deutschland hat es eine Vergangenheitsbewältigung gegeben; in Ungarn, das am Holocaust ebenfalls beteiligt war, nicht.“ Gegen den Nationalismus im eigenen Land setzt Konrád auch in seinem aktuellen Essay „Europa und die Nationalstaaten“ (2013) das Bekenntnis zur Europäischen Union. Wer darin eine Auseinandersetzung mit der Wiederkehr nationaler Ressentiments im Zuge der europäischen Finanzkrise sucht, sieht sich enttäuscht. Von den Immobilienblasen in Spanien, der Staatsverschuldung in Griechenland, dem Bankensektor in Irland oder Zypern ist nicht die Rede. Der Essay ist ganz aus ungarischem Blickwinkel geschrieben.
  In der Präambel zur Verfassungsnovelle, die im März 2013 vom ungarischen Parlament verabschiedet wurde, heißt es, die Selbstbestimmung der Ungarn seit mit dem Einmarsch der Deutschen am 19. März 1944 beendet und erst am 2. Mai 1990 wiedergewonnen worden. Gegen die damit verbundene Behauptung, was unter der deutschen Besatzung geschehen sei, habe unter Zwang stattgefunden, erhebt Konrád Einspruch: „Die Deportation des Judentums, seine Verschleppung aus dem Land mit Billigung des Parlaments, das seine Kontinuität bewahrte, ist von der Regierung Döme Szótjai in vorbildlicher Kooperation mit der Beamtenschaft und den Ordnungsorganen abgewickelt worden.“ An Stellen wie diesen ist unübersehbar, wie eng die politische Essayistik Konráds und sein erzählerisches Werk miteinander verknüpft sind. „Wir sind anders“ heißt ein Abschnitt in dem Roman „Geisterfest“ (1986), er begann mit dem Satz: „Ich war elf Jahre alt, als die Deutschen am 19. März 1944 Ungarn besetzten. Es trat ein, wovor wir bisher nur am Familientisch Angst gehabt hatten.“ En passant erzählt der Roman die Überlebensgeschichte seines Autors. Als er 1933 in Debrecen geboren wurde, war in Deutschland Hitler an die Macht gekommen, auf den ersten Seiten im „Geisterfest“ begeistert sich das aus Bayern stammende Kindermädchen Hilda für die aus dem Radioapparat „vom Geröchel bis zum stampfenden Gejohle“ lärmende Stimme des Führers. Das Radio steht in dem Dorf Berettyóújfalu, in dem der Vater György Konráds eine Eisenwarenhandlung unterhielt. In immer neuen Varianten – darunter der schmale Band „Heimat“ (1995) und der Roman „Glück“ (2003) – hat Konrád von der Deportation der Juden seines Heimatdorfes nach Auschwitz erzählt, von seiner Flucht mit der Schwester zu Verwandten nach Budapest, von der Rückkehr nach Berettyóújfalu, der unerwarteten Heimkehr auch der deportierten Eltern. Die Namen der ermordeten Dorfkinder und Verwandtenziehen sich durch seine Bücher: Vera, Istvan, Pali, Kati, Judit. Als er 1997 die Entwürfe für die Holocaust-Gedenkstätte in Berlin als „gnadenlosen und didaktischen Kitsch“ attackierte und für einen kleinen Garten anstelle des monumentalen Mahnmals plädierte, schrieb Konrád weniger als Präsiden der Berliner Akademie der Künste, der er von 1997 bis 2003 war, denn als der ehemalige jüdische Junge vom Dorf.
  Aus dem Jungen vom Dorfe wurde ein leidenschaftlicher Städter. Ein ganze Anthologie von Hymnen auf die Stadt – auf Budapest, Berlin, New York, Venedig – kann man aus seinen Essays und Romanen herausschreiben. In diese Loblieder auf die Stadt ist die Kindheitserfahrung des Jungen vom Dorfe eingegangen: die Stadt ist etwas, in dem man sich vor Verfolgern gut verstecken kann. Kürzlich hat Konrád seine zwischen 1986 und 2010 entstandenen Essays „Über Juden“ (2012) versammelt. Sie sind das Gegenstück seines Bekenntnisses zur Europäischen Union. Glaubensbekenntnisse enthalten sie nicht, aber ein politisches Credo: „Identisch mit sich selbst sind die Juden einzig dann, wenn sie sich an die Prinzipien der liberalen Demokratie halten“. Schon als er in den 1980er Jahren im Westen mit Plädoyers für „Mitteleuropa“ als den ausgeschlossenen Dritten der Blockkonfrontation und für die „Antipolitik“ einer zivilgesellschaftlichen Opposition bekannt wurde, war dieser Liberalismus der Kern seiner Essays. Noch einmal setzt er die Großstadt gegen den Staat, den Urbanismus gegen die Rede vom homogenen Nationalstaat, wenn er nun im Ungarn Orbáns die Symbiose von Staatsvergottung und Kaderpartei der Kadár-Ära im Gewand des modernen Nationalismus wiederkehren sieht. Aber markanter als vor 1989 tritt in den aktuellen Essays das Grundmotiv hervor, das allen anderen Argumenten Konráds vorausgeht: die Selbstbehauptung des ungarischen Juden. An diesem Dienstag wird György Konrád achtzig Jahre alt.
LOTHAR MÜLLER
György Konrád: Europa und die Nationalstaaten. Essay. Aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke. Suhrkamp, Berlin 2013. 184 S., 15 Euro.
György Konrád: Über Juden. Aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke. Jüdischer Verlag im Suhrkamp, Berlin 2012. 245 Seiten. 22 Euro.
„Halbstarke brüllen nationalistische Parolen. Ein neuer Antisemitismus ist auf dem Vormarsch.“ – György Konrád.
FOTO: ISOLDE OHLBAUM/LAIF
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ein bisschen zu unterkomplex erscheinen Jan-Werner Müller György Konráds Reflexionen in diesem Essayband zuweilen. Der scharfe Blick wie auch die Wünsche des antipolitischen Schriftstellers Konrád sieht er in den Texten zwar hier und da aufblitzen. Konráds Gedanken sind ihm dann aber doch zu apodiktisch und unausgeführt, so zur Identität Europas oder zum NATO-Einsatz im Kosovo. Groß dann wieder laut Müller Konráds Analyse zur politischen Entwicklung in Ungarn. Festlegen, so der Rezensent, will sich der Autor allerdings auch hier nicht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.2013

Heilmittel gegen Nationalismus?
György Konrád sieht Ungarn in Gefahr und hofft auf die Europäische Union

Der von György Konrád vorgelegte Essay "Europa und die Nationalstaaten" handelt im Wesentlichen nur von einem einzigen Nationalstaat, nämlich dem ungarischen. Ihn sieht Konrád, der damit eine Mindermeinung in Ungarn, aber eine sehr verbreitete Einschätzung im übrigen, zumal dem westlichen Europa zum Ausdruck bringt, unter der Regierung Orbán seit 2010 auf dem Weg in einen autoritären Führerstaat, "ein postkommunistischer nationaler Obrigkeitsstaat mit einer gewissen Nähe zum Neofaschismus". Die parlamentarische Zweidrittelmehrheit der Fidesz führe zu einer Abschaffung der pluralistischen Demokratie und zu einer Machtkonzentration auf höchstem Niveau. Politische Gegner der Regierung würden als Feinde angesehen und behandelt, Günstlinge bevorzugt. Extremer Nationalismus und Antisemitismus machten sich wieder breit.

Vor diesem düsteren Hintergrund müssen Europas Sterne umso heller strahlen. Europa steht für Mäßigung und unideologische Nüchternheit, nicht für charismatische Führer, sondern für zuverlässige Fachleute, für eine Kultur der Zusammenarbeit, nicht der nationalistischen Konfrontation. Wenn aber Europa für die politische Vernunft steht, dann sind "die Vernünftigeren Föderalisten, die weniger Klugen Nationalisten". Dem Staat, dem das Privileg zuteil wird, Mitglied der Europäischen Union zu werden, wird damit ein Platz "in einer höheren Klasse der Schule der Zivilisation" zugewiesen. Europa zügelt die politische Leidenschaft eines entfesselten, mythischen Nationalismus: "Die EU temperiert das in uns verborgene Ungestüm und verhilft uns zu vergleichendem Klarblick." Politische Schmuddelkinder aber müssen draußen bleiben oder durch "die Rationalität der Föderation" wieder auf den Pfad der politischen Tugend zurückgeführt werden. Eine europäische Intervention zum Schutz der in einem Nationalstaat bedrohten Demokratie ist daher für Konrád nicht nur rechtmäßig, sie wird zur Pflicht!

Wer Konráds Biographie kennt, der kann seine Sorge um Ungarn angesichts eines Abbaus rechtsstaatlicher Sicherungen und einer drohenden Gleichschaltung der Medien, seine "Angst vor einer neuen Tyrannei" gut verstehen: "Nach meiner Befreiung aus den Trümmern zweier Diktaturen verspüre ich nach keiner einzigen davon Heimweh." Aber kann und soll Europa hier helfen? Die vermeintlich "rationale Kontrolle des Staates durch die EU" erwies sich bekanntlich im Jahr 2000, als die Beteiligung der Freiheitlichen Partei Österreichs unter Haider an der österreichischen Bundesregierung die europäischen Gemüter erregte, als dreiste und plumpe Einmischung durch die anderen Mitgliedstaaten; über diese skandalöse Causa Austria findet sich bei Konrád kein Wort.

Es ist verständlich, ja demokratisch löblich, dass Konrád den nationalen politischen Eliten "als redistributiven Bürokratien mit eigenen Interessen" misstraut und den Missbrauch geißelt, den sie mit Macht und Geld treiben. Aber steht die europäische politische Elite nicht in der gleichen Gefahr? Arbeitet nicht auch sie mit Mythen, versucht nicht auch sie, mit Geld zu herrschen und sich bürokratisch auszudehnen? So kritisch Konrád die Nationalstaaten, insbesondere den ungarischen, beäugt, so idealistisch ist seine Sicht der Europäischen Union: "Europa zu wählen heißt, sich für Argumente und politische Aufrichtigkeit zu entscheiden, was den Scharfblick nicht ausschließt. Europa heute meint den Wettbewerb von Intelligenz und Verhalten. Anwachsenden Umsatz von geistigen und sinkenden Umsatz von materiellen Gütern." Spricht er hier wirklich von der Europäischen Union? Was Europa zu einer Einheit formt, darin ist dem "antipolitischen" Ästheten Konrád unbedingt zuzustimmen, ist seine vielfältige Kultur, "die Jahrhunderte, Jahrtausende früher entstanden ist als das wirtschaftlich-politische Bündnis unseres Kontinents". Für den Fortbestand dieser Kultur aber ist, wie er einräumt, die Europäische Union "keine Daseinsbedingung".

Die Europäische Union ist ein ambitioniertes politisches Projekt. Ihre Architektur muss, damit sie dauerhaft Bestand hat und von den europäischen Bürgern angenommen wird, dem "mehrgeschossigen Wesen des europäischen Bewusstseins" entsprechen. "Augenscheinlich wünscht jede nationale Gemeinschaft Selbstbestimmung, Autonomie, eigene Institutionen und einen eigenen Nationalstaat." Aber der geläuterte Nationalstaat erhebt keinen anmaßenden Führungsanspruch mehr, sondern versteht sich als Teil einer größeren europäischen Gemeinschaft, die er pflegt. "Jenen der Vaterlandsliebe angemessenen Stil mögen wir, der die freundschaftliche Ebenbürtigkeit der Vaterländer für selbstverständlich hält." Die europäische Gemeinschaft selbst darf ebenfalls nicht der Arroganz der politischen Macht verfallen und ihren Herrschaftsanspruch auf Kosten der Nationen ungebührlich ausdehnen wollen. Auch in dieser Hinsicht gilt es, als Europäer wachsam zu bleiben.

CHRISTIAN HILLGRUBER

György Konrád: Europa und die Nationalstaaten. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 183 S., 14,95 [Euro].

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