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Er hasst den Sport, aber er hat keine andere Wahl. Bei einem Wettkampf im "Reichsprotektorat" wird sein Talent als Läufer entdeckt; er ist siebzehn. Auf der ersten Meisterschaft nach dem Krieg läuft er zwei Landesrekorde. Sein Laufstil lässt zu wünschen übrig, aber er ist sein eigener Coach, trainiert mit schwerem Schuhwerk, hängt sich Gewichte ans Bein und erfindet den Endspurt. Auf der ersten Nachkriegsolympiade in London holt er Gold für die CSSR. Er wird zum Leutnant befördert. Vier Jahre später, in Helsinki, dreimal Gold. Die Welt jubelt ihm zu. Er hält acht Weltrekorde. Er wird zum…mehr

Produktbeschreibung
Er hasst den Sport, aber er hat keine andere Wahl. Bei einem Wettkampf im "Reichsprotektorat" wird sein Talent als Läufer entdeckt; er ist siebzehn. Auf der ersten Meisterschaft nach dem Krieg läuft er zwei Landesrekorde. Sein Laufstil lässt zu wünschen übrig, aber er ist sein eigener Coach, trainiert mit schwerem Schuhwerk, hängt sich Gewichte ans Bein und erfindet den Endspurt. Auf der ersten Nachkriegsolympiade in London holt er Gold für die CSSR. Er wird zum Leutnant befördert. Vier Jahre später, in Helsinki, dreimal Gold. Die Welt jubelt ihm zu. Er hält acht Weltrekorde. Er wird zum Hauptmann befördert. Und läuft immer in Rot, der Farbe der proletarischen Revolution: Er ist zur Symbolfigur für den Erfolg des realen Sozialismus geworden. Nur einmal stand er auf der "falschen" Seite: Im "Prager Frühling", als er auf dem Wenzelsplatz von einem Panzer herab die sowjetischen Soldaten aufforderte, nach Hause zurückzukehren. Er wird für acht Jahre in ein Uranbergwerk verbannt, darfnach Prag zurück aber wenn er, zur Müllabfuhr relegiert, hinter einem Karren durch die Vorortstraßen läuft, jubelt ihm die Bevölkerung immer noch zu ... Die atemberaubende Karriere des Langstreckenläufers Emil Zatopek ist zwischen zwei historische Daten gespannt: die Besetzung seiner Heimat 1939 durch die Deutschen und der Einmarsch der Russen 1968, der dem "Prager Frühling" ein Ende machte. Und wie nebenher gerät Echenoz der kleine Roman, den er aus Zatopeks Leben spinnt, zu einer bestürzenden Parabel der Diktatur.
Autorenporträt
Echenoz, Jean
Jean Echenoz, geboren 1947 in Orange (Provence), erhielt 1999 den Prix Goncourt für seinen Roman »Ich gehe jetzt«. Er lebt in Paris.
Rezensionen
"Der Kanzlerin Angela Merkel hat dieses Buch ausnehmend gut gefallen." -- Süddeutsche Zeitung

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.02.2010

Schnaufen, schaufeln, zuckeln, schuften
Jean Echenoz’ Roman über die „tschechische Lokomotive”, den legendären Langstreckenläufer Emil Zátopek
Jean Echenoz erzählt gern fremde Leben nach, die Lebensläufe von bekannten Persönlichkeiten, so weit sie sich aus dem biographischen Schrifttum und aus anderen gedruckten Quellen erschließen lassen. Anders aber als „richtige” Biographen fügt Echenoz dem archivierten Wissen über seine Figuren keine neuen Ergebnisse hinzu, anders als literarische Porträtisten erfindet er keine Dialoge und keine Gemütszustände, für die es keine Beweise gibt. Nach Maurice Ravel ist jetzt Emil Zátopek an der Reihe, die „tschechische Lokomotive”, der große, der allergrößte Langstreckenläufer, der 1948 und 1952 drei olympische Goldmedaillen von 5000 Meter bis zum Marathon gewann und der eine Zeitlang den Weltrekord auf allen Strecken ab 5000 Meter hielt.
„Laufen”, Echenoz’ Zátopek-Roman, ist sehr kurz, was auch daran liegen mag, dass in ihm wenig geredet und viel gelaufen wird. Dabei wird Zátopek als ein geselliger Mensch geschildert, der, sehr zum Leidwesen seiner Aufpasser und Funktionäre, in vielen Sprachen parlierte und dabei zwangsläufig das eine oder andere sagte, das ein sozialistischer Mustersportler so nicht hätte sagen sollen.
Aber nicht die politischen Begleitumstände von Zátopeks Läuferkarriere – von der deutschen Besatzung über den Ultra-Kommunismus in den Prager Frühling und von dort ins Uranbergwerk – sind es, die Echenoz vor allem beschäftigen. Es geht ihm, der Titel sagt es, ums Laufen, auch wenn das Buch mit dem Einmarsch der Deutschen in Mähren beginnt und mit einem Siebzehnjährigen aus Mährisch-Ostrau, der nicht am Straßenrand steht – nicht weil er damit eine politische Meinung bekunden will, sondern weil er keine Zeit hat; er muss dem Vater im Garten helfen, wenn er nicht gerade in der Fabrik arbeitet oder am Feierabend einen Chemiekurs besucht. Etwas später bekommt Emil Arbeit in den Bata-Werken in Zlin, und dort wird er dann sehr schnell als gewaltiges Lauftalent entdeckt, obwohl er doch gar nicht sportlich ist und zum Wettkampf fast gezwungen werden muss.
Und so könnte und möchte man Echenoz’ Nacherzählung von Zátopeks Lebensroman eigentlich komplett ein weiteres Mal nacherzählen. Vom ersten Wettrennen, gegen eine Mannschaft aus deutschen „Übermenschen”, bei dem Emil mit einer „Bande von ausgehungerten, abgerissenen Tschechen” antritt und gleich den zweiten Platz belegt. „Du läufst merkwürdig, aber du läufst gar nicht schlecht”, meint der Trainer, und das Befremden über seinen merkwürdigen, aber sehr effizienten Laufstil wird Zátopek ein Leben lang begleiten. „Tschechische Lokomotive” heißt er ja nicht nur wegen seiner Geschwindigkeit und Ausdauer, sondern weil er schnauft und zuckelt wie eine alte Dampflok. „Bei Emil hat man den Eindruck, als würde er schaufeln, mit bloßen Händen schuften, wie in Trance, wie ein Erdarbeiter.”
Jedenfalls gewinnt Zátopek von 1948 an, was immer es zu gewinnen gibt, und natürlich avanciert er schnell zum Vorzeigeathleten der sozialistischen Tschechoslowakei, wird Armeeoffizier und, zumindest nach außen hin, ein guter Kommunist. Und er ist seit seinem ersten Olympiasieg 1948 ein Weltstar, dessen Auftritte auf der internationalen Bühne von den Staatsorganen nicht nur mit Freude quittiert werden. Wann wird Emil überlaufen, wann wird er das Lob des Klassenfeindes singen? Aber Emil ist häuslich, er ist in Prag glücklich verheiratet mit Dana, der Speerwerferin und Olympiasiegerin, er ist ein Virtuose der Anpassung, ohne besonders angepasst zu wirken, und die Leute lieben ihn, weil er einer von ihnen ist. Irgendwie schafft es Zátopek, ein Nationalheld im Kalten Krieg und zugleich ein Volksheld zu sein, einer, der sich in den Dienst der Ideologie stellt und noch dabei integer aussieht.
Das erste Kapitel beginnt mit den Worten: „Die Deutschen sind in Mähren einmarschiert”, das letzte fängt so an: „Die Sowjets sind in der Tschechoslowakei einmarschiert.” August 68, Oberst Zátopek hat sich den Demonstranten am Wenzelsplatz angeschlossen. Man will hören, was er zu sagen hat – Zátopek improvisiert eine kleine Ansprache, in der er einen Olympiaboykott für die UdSSR fordert. Tags darauf wird er aus Partei und Armee ausgeschlossen und bald darauf als Lagerist in die Uranminen von Jáchymov geschickt.
Sechs Jahre später darf er in die Hauptstadt zurückkehren und als Müllmann arbeiten. Weil man ihn auf der Straße ständig erkennt und ihm Beifall klatscht, wird er schließlich (nachdem er eine Selbstkritik unterschrieben hat) als Archivar im Kellergeschoss des Prager Sport-Informationszentrums eingesetzt. „Gut, sagte der sanfte Emil. Archivar also, ich habe es gewiss nichts anders verdient.”
So endet Echenoz´ Roman. Zátopeks Leben geht noch weiter, er hat zu seinem Glück die samtene Revolution von 1989 miterlebt und ist als Volks- und Nationalheld aller Tschechen im November 2000 in Prag gestorben. Zátopek, ein Läuferleben? Ist es Literatur? Ist es Geschichte? War dies eine Biographie? Oder ein Werk der Fiktion? Oder ist jede Biographie ein Werk der Fiktion? Fragen, die Jean Echenoz’ Meisterwerk en miniature elegant offen lässt. CHRISTOPH BARTMANN
JEAN ECHENOZ: Laufen. Roman. Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Berlin Verlag, Berlin 2009. 128 Seiten, 18, 50 Euro.
Er war Weltstar und Müllmann – heute ist Emil Zátopek ein tschechischer Nationalheld
Bei den Olympischen Spielen 1948 in London lief Emil Zátopek allen davon. Hier gewann er die Goldmedaille über 10 000 und Silber über 5000 Meter. Foto: AP
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"Jean Echenoz erzählt die Geschichte eines jungen Sportverächters, dessen Leben von seinem großen Talent, in der Zeit des Kalten Krieges aber auch durch die politischen Verhältnisse bestimmt wurde.", frauen forum - Evangelische Zeitschrift, 01.03.2016