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Als Najem von der kuwaitischen Front nach Hause zurückkehrt, empfängt ihn seine Nachbarin mit der Nachricht, seine Frau sei mit ihrem Mann durchgebrannt. Sie verführt ihn zu einer gemeinsamen Reise quer durch den Irak bis in die geisterhafte Stadt Tell al-Lahm. Der irakische Schriftsteller Najem Wali enthüllt auf dem Weg dorthin nach und nach die Lebens- und Liebesgeschichten seiner Figuren und zeigt uns ein von der Diktatur und zwei Kriegen gezeichnetes Land.

Produktbeschreibung
Als Najem von der kuwaitischen Front nach Hause zurückkehrt, empfängt ihn seine Nachbarin mit der Nachricht, seine Frau sei mit ihrem Mann durchgebrannt. Sie verführt ihn zu einer gemeinsamen Reise quer durch den Irak bis in die geisterhafte Stadt Tell al-Lahm. Der irakische Schriftsteller Najem Wali enthüllt auf dem Weg dorthin nach und nach die Lebens- und Liebesgeschichten seiner Figuren und zeigt uns ein von der Diktatur und zwei Kriegen gezeichnetes Land.
Autorenporträt
Najem Wali, 1956 im irakischen Basra geboren, flüchtete 1980 nach Ausbruch des Iran-Irak-Kriegs nach Deutschland. Heute lebt er als freier Autor und Journalist in Berlin. Er war lange Zeit Kulturkorrespondent der bedeutendsten arabischen Tageszeitung Al-Hayat und schreibt regelmäßig u.a. für die Süddeutsche Zeitung, die Neue Zürcher Zeitung und Die Zeit. Von Sept. 2016 bis Aug. 2017 war er Grazer Stadtschreiber. Bei Hanser erschienen zuletzt sein Roman Bagdad Marlboro (2014), für den er mit dem Bruno-Kreisky-Preis 2014 ausgezeichnet wurde, sowie Bagdad (Erinnerungen an eine Weltstadt, 2015) und Saras Stunde (Roman, 2018).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2004

Husseins Huren
Najem Wali entwirft auf seiner „Reise nach Tell al-Lahm” ein groteskes Bild vom Irak in den Zeiten Saddams
Am 19. Juli 1980, ein Jahr nach der Machtübernahme Saddam Husseins, legte der Palmenkletterer Asîyad Lûtî bei einer Festparade am Ufer des Schatt al-Arab dem großen Führer seines Landes einen Dschassânîya-Fisch vor die Füße. Asîyad Lûtî hatte sich für diesen Fang am ganzen Körper mit Fischsperma eingerieben, war auf den Grund des Flusses von Qurna hinabgetaucht, dort, wo Euphrat und Tigris aufeinander treffen, und hatte das seltene Fischweibchen eigenhändig gefangen - was schwerer sein soll, als den Himalaja zu besteigen.
Seine Exzellenz, von dem es hieß, er sauge an den Knochen dieses Wunderfisches noch lieber „als an Weibertitten”, feuerte vor Freude ein paar Schüsse ab, und Asîyad Lûtî, der in seinem Nebenjob als Hahnenschmuggler dem Herrscher noch mehr zu bieten hatte, war von da an ein gemachter Mann. Auf Anregung eines chilenischen Colonels wurde der Bau des Dschassânîya-Fisches fortan mit einem Geheimcode chiffriert: Er sollte als Lager für chemische und biologische Waffen dienen. Und wer weiß - wären die Amerikaner nach Saddam Husseins Sturz in den Fluss von Qurna hinabgetaucht, sie wären vielleicht fündig geworden.
Wenn diese Geschichte nicht wahr ist, so ist sie doch hübsch erfunden, wie viele der kleinen Geschichten, die der irakische Schriftsteller Najem Wali in seinem Roman „Die Reise nach Tell al-Lahm” erzählt: Geschichten über Kupplerinnen, Engelmacherinnen, Huren, über feige Vergewaltiger, gehörnte Ehemänner, junge Nymphomaninnen und durchtriebene alte Weiber. Manche dieser Geschichten muten trotz des ernsten Hintergrundes, vor dem sie spielen, der Zeit des ersten und zweiten Golfkrieges, höchst phantastisch an, märchenhaft wie aus „Tausendundeiner Nacht”.
Da werden Jungfernhäutchen zugenäht wie hierzulande die Löcher in den Socken, Ehefrauen entpuppen sich als Geheimdienstoffiziere, Palmen begehen Selbstmord. Der Vater des Erzählers bricht eines Tages nach Iran auf, zu Chomeini. Er will ihn bitten, „den Krieg zu stoppen, um der Greise willen” und ward nie wieder gesehen. Die Mutter, eine Analphabetin, bleibt mit einem Buch zurück, das sie mit der Nase liest: Sie kann „alle Buchstaben riechen”.
Der Erzähler - und Zuhörer - all dieser Geschichten heißt Najem, wie sein Autor. Vor drei Tagen ist er aus dem Krieg in Kuwait zurückgekehrt, auf dem „Weg des Todes”, auf dem die Alliierten die abziehenden irakischen Truppen bombardierten. Zuhause in Basra fällt er in einen tiefen Schlaf, aus dem er von seiner schönen Nachbarin Ma’ali jäh herausgerissen wird. Diese teilt ihm mit, seine Frau Wadschîha sei durchgebrannt. Und zwar just mit Ma’alis Mann, dem Palmenkletterer und Hähnebändiger Asîyad Lûtî. In einem geklauten Mercedes 280 S machen sich die beiden auf den Weg, ihre Ehepartner zu suchen, finden dabei aber vor allem: sich.
Ma’ali, deren wahre Identität erst auf den letzten Seiten gelüftet wird, schildert während der Fahrt mit unverbrüchlicher Liebe zum Detail all jene Erlebnisse, die sie als ihre Lebensgeschichte ausgibt: Wie sie, nach zwei Abtreibungen und bitteren Erfahrungen mit Männern, ins Großunternehmen von Iftaim Pay Day einstieg, der berühmtesten Puffmutter des Landes, von dieser mit Asîyad Lûti verbandelt wurde, welcher seinerseits den Auftrag erhielt, Najems Frau Wadschîha, seine heimliche Geliebte, zu „liquidieren”, weil sie als Dolmetscherin im Verteidigungsministerium angeblich zu viel wusste. Najem, der sich das alles mit bassem Erstaunen anhört, fügt in Gedanken seine eigenen Erinnerungen hinzu, und so ergibt sich, Geschichte um Geschichte, ein kurioses Bild des Irak aus jenen Tagen, in denen Saddam, der hier nur „der Herrscher”, „der Führer” oder - mit seinem Spottnamen - „das Rohr” genannt wird, zwei Kriege führte.
Anders als sein Erzähler hat Najem Wali, geboren 1956 in Basra, den Iran-Irak-Krieg nicht miterlebt. Nach Ausbruch des Krieges flüchtete er 1980 nach Deutschland, wo er immer noch lebt und als Kulturkorrespondent für die arabische Tageszeitung Al-Hayat arbeitet. Als „Die Reise nach Tell al-Lahm” 2001 im Original erschien, wurde der Roman in Ägypten, Jordanien, Syrien, Kuwait und Saudi-Arabien verboten. Vielleicht, weil er in manchen Passagen ein geradezu groteskes Bild der irakischen - oder vielleicht auch der arabischen - Welt entwirft, in der „Seine Majestät” bei Hahnenkämpfen um Panzer wettet, lächerliche Paraden abhält und den käuflichen Sex in den „neuen Häusern für den notwendigen Dienst” zur Staatsangelegenheit macht. Frauen werden in dieser Welt als Objekte behandelt, außerehelich gerne von hinten genommen, aber nur jungfräulich geheiratet.
Während Wali die Schilderung von Kriegsgräueln ausspart, nennt er die sexuellen Dinge beim Namen. Dabei geriert er sich ein wenig wie die alte Jüdin ’Assle, eine Herstellerin von Verhütungspillen, die auf ihr Land „pisst” und sagt: „Meine Heimat sind die Frauen.” Auch Walis Heimat sind die Frauen, ihnen gehört sein Herz, das spürt man, auch wenn sein Blick auf sie arg klischeetriefend und furchtbar milieugerecht ist. Ob Hure, weise Alte oder geheimnisvolle Ehefrau - sie bleiben Genre-Typen, wie mit der Schablone gezeichnet.
Die Reise von Najem und Ma’ali führt am Ende des Romans in die geisterhafte Stadt Tell al-Lahm, wo sich im „Hotel der Ratlosen” und im „Café Hoffnung” alle Fäden der Geschichte endgültig verknäueln und es zum actionfilmreifen Showdown mit windigen Organhändlern und Mördern kommt. Der erzählerische Schwulst, der sich bis dahin ausgebreitet hat, kulminiert schließlich des Nachts auf dem Friedhof. Es ist, bei aller behaupteten Trostlosigkeit, ein Friedhof der Kuschelprosa.
Najem Wali
Die Reise nach Tell al-Lahm
Aus dem Arabischen von Imke Ahlf-Wien. Carl Hanser Verlag, München 2004. 319 Seiten. 21,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Der Rezensent Daniel Bax warnt, dass dieser Roman über den Irak nicht unbedingt als "Gebrauchsanweisung" zum Verständnis der heutigen Situation des Landes taugt - auch wenn das Buch offensichtlich genug realistische Momente und "derbe Seitenhiebe auf eine hochtrabende Moral" enthält, dass es gleich nach Veröffentlichung in etlichen arabischen Ländern auf dem Index gelandet ist. Doch trotzdem scheint er Erkenntnisgewinn aus dieser Erzählung zu ziehen, bei der nicht nur die "seltsamen Lebensgeschichten der Protagonisten" vor dem Leser ausgebreitet werden, sondern eben auch "die bizarre Geschichte eines gebeutelten Landes". Den Erzählstil Najem Walis, der als Autor und Journalist in Deutschland lebt, findet Bax "märchenhaft und burlesk", doch "politische Anspielungen" stecken trotzdem reichlich in dem Roman.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein temporeicher, an die Atmosphäre eines Roadmovies erinnernder Roman ..., eine Hymne an das pralle Leben unter verschärften Bedingungen. Er fängt die beklemmende Atmosphäre unter der Diktatur in einer anspielungsreichen Geschichte ein." Andreas Pfitsch, Die Zeit, 23.09.04

"Manche dieser Geschichten muten trotz des ernsten Hintergrundes höchst phantastisch an, märchenhaft wie aus 'Tausendundeiner Nacht'." Christine Dössel, Süddeutsche Zeitung, 05.10.04

"In Walis märchenhaften und burlesken Erzählstil mischen sich immer wieder politische Anspielungen." Daniel Bax, Die Tageszeitung, 06.10.04

"(E)in bitterer, ein tiefschwarzer, tabuloser Roman über die Nachtseiten der Diktatur Saddam Husseins. Najem Wali (...) besticht durch seinen illusionslosen Blick auf die allgegenwärtige rituelle Heuchelei, auf Machtmißbrauch, sexuelle Nötigung, Verrat und Menschenverachtung. (...) Doch fächert er die beziehungsreich verschachtelte, zwischen den Zeiten hin und her springende Handlung in eine Vielzahl von zum Teil wunderbar bizarren Lebensgeschichten auf." Christoph Vormweg, Deutschlandfunk, 19.11.04

"Najem Wali ist ein eindrückliches und bedeutendes Buch gelungen." Fridolin Furger, Der Bund, 02.10.04

Der neue Roman ist "von Anfang an als fantastisches Roadmovie, als sinnlich-überbordende Burleske und zugleich als feinsinnige Satire angelegt." Susanne Schanda, Berner Zeitung, 02.10.04

"Was an diesem Roman berührt, ist (...) die schleichende Entwirklichung, die den Ich-Erzähler ergreift und bald auch den Leser." Martin Ebel, Tages-Anzeiger-Zürich, 05.10.04

"Ein starkes, bilderreiches Buch, eine Traumreise durch Erfahrungen, die Albträume sind." Irene Jung, Hamburger Abendblatt, 02./03.10.04"Letztlich ist sein Roman vor allem eine Anklage gegen Krieg und Diktatur und das, was sie aus den Menschen machen. Sehnsüchte und Einsichten, Bitterkeit und Wut verarbeitet er in wilden Geschichten, die in Tell al-Lahm enden. Oder erstrichtig anfangen." Antje Weber, Süddeutsche Zeitung, 21.09.05
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