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Produktdetails
  • dtv Taschenbücher 13372
  • Verlag: DTV
  • Originaltitel: >Skvoznaja linija< EKSMO, Moskau
  • 8. Aufl.
  • Seitenzahl: 168
  • Erscheinungstermin: 1. Oktober 2005
  • Deutsch
  • Abmessung: 117mm x 188mm x 15mm
  • Gewicht: 161g
  • ISBN-13: 9783423133722
  • ISBN-10: 3423133724
  • Artikelnr.: 13321655
Autorenporträt
Ljudmila Ulitzkaja, 1943 bei Jekaterinburg geboren, wuchs in Moskau auf. Sie schreibt Drehbücher, Hörspiele, Theaterstücke und erzählende Prosa. Ihre vielfach übersetzten Werke wurden mit zahlreichen hohen Auszeichnungen bedacht. 2022 emigrierte sie von Moskau nach Berlin. In ihren Erzählungen setzt sich die Autorin kritisch mit politischen Ereignissen der Geschichte und Gegenwart auseinander und bezieht immer wieder offen politisch Stellung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.09.2003

Lebenslauf im Riesenslalom
Alltagsfromm: Ljudmila Ulitzkajas russisches Biedermeier

Phantasien zu formulieren ist unerläßlich, um sich in der Welt, gewissermaßen per Echolot, zu orientieren. Zugleich liegt darin eine nie versiegende Quelle von Betrug, Selbstbetrug sowie Poesie. Ljudmila Ulitzkaja, die mit Vorliebe die Windungen der weiblichen Psyche belletristisch erkundet, hat die irritierende Arbeitsweise dieses Kraftwerks der Seele zum Leitthema eines kleinen Romans erkoren, der sich aus mehreren Erzählungen zusammensetzt. In dem jetzt unter dem Titel "Die Lügen der Frauen" erschienenen Buch werden die kleinen und großen Lebenslügen diverser Geschlechtsgenossinnen zu einer Art Lebensschule für die Hauptheldin, in deren herzlicher Anteilnahme sie sich spiegeln.

Eine dominierende Persönlichkeit vom Typ "starke Frau" erfindet sich mehrere Kinder, deren fiktiven Tod die Erzählerin heftiger betrauert als eine Romantragödie. Eine Heranwachsende macht sie zur fürsorglichen Mitwisserin um ihre Liebschaft mit einem verheirateten Mann, die sich ebenfalls als Erfindung entpuppt. Eine alleinstehende gebildete Dame gibt sich gegenüber einer jungen Verehrerin als Verfasserin fremder Gedichte aus. Und als die schon beinahe abgeklärte Heldin die brutale Märchenwelt russischer Prostituierter im Ausland studiert, stellen die Freudenmädchen sich ihr mit immer wieder demselben romantischen, also offenbar ausgedachten Lebenslauf vor. So wird die Hauptperson, eine erfolgreiche Geistesarbeiterin und Familienmutter, die aber auch ein Liebeskonflikt umtreibt, fortgetragen vom klassischen russischen Roman, an welchem sie sich anfangs noch festhält, in den uferlosen Bewußtseinsstrudel des realen Lebens. Der Lehrgang mündet in eine schwere Prüfung, eine Art Sturz ins Nichtsein, der vermeintlich innig vertrauten Menschen nie gekannte Eigenschaften verleiht.

Schon Dostojewski hat das Lügen als ein Freiheitsrecht des Menschen geschildert. Der Gebrauch davon wird durch die in vielem unberechenbare heutige russische Wirklichkeit wahrscheinlich gefördert. Ljudmila Ulitzkaja beobachtet differenziert. Ihre vom inneren Erlebnisstrom getragene Prosa entwirft ein Bild des täglichen Seelenslaloms, in dem man sich wiederfinden kann. Das macht sie zur Lieblingsautorin vieler Angehöriger einer neuen Mittelklasse, die im modernen Rußland familiär wie beruflich ihre Frau stehen.

Ljudmila Ulitzkaja schreibt, was jeder von uns erlebt, aber nicht recht formulieren kann. Damit scheint eine Aufgabe der Kunst erfüllt. Allerdings bietet ihr alltagsfrommer Text keine darüber hinausgehenden und also bleibenden Bilder oder Formulierungen. Doch das macht ihre Bücher möglicherweise auch in Deutschland, wo sich das Biedermeier gerade wieder stärker auszubreiten scheint, zur idealen geistigen Nahrung.

KERSTIN HOLM

Ljudmila Ulitzkaja: "Die Lügen der Frauen". Roman. Aus dem Russischen übersetzt von Ganna-Maria Braungardt. Hanser Verlag, München 2003. 165 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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vergnüglich zu lesen, wie Shenja mit detektivischem Gespür diese Lebenslügen entlarvt. Süddeutsche Zeitung 20200417

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Hier wird einmal deutlich gelobt: Kathrin Hillgruber nennt das Buch einen "Episodenroman" mit "dezent" geschaffenen Verbindungen, und beschreibt die Haltung der im Zentrum sitzenden Erzählerin Shenja, die sich von "ungläubigem Erstaunen zu ironischer Skepsis" entwickelt. Die Rezensentin kennt die Autorin und ihr Werk gut und bezeichnet es als ein "erzählerisches Matriarchat". Zudem scheint sie Ulitzkaja zustimmen zu wollen in der Aussage über Russland: "Ich kenne kein Land, wo die Situation der Frauen so von Unglück geprägt ist." Immerhin aber ist dieses Unglück der Anlass ihrer Lügen, die von den russischen Frauen aus "ästhetischen" Gründen erzählt werden: Sie lügen sich ihr Leben schön. Und so urteilt Kathrin Hillgruber, wohl in Anlehnung an das Glück des Camus'schen Sisyphos, man müsse sich Ludmila Ulitzkaja "als wahre Philanthropin vorstellen".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.10.2003

Mach dich schwer, mach dich leicht
Ljudmila Ulitzkaja gibt den Sack ab: „Die Lügen der Frauen” sind Trost für einfältige Herzen
Wie leicht das Leben sein kann! Wie fröhlich und wie unbeschwert! Man plaudert einfach vor sich hin, munter dichtet man die eigene Biographie zu einer interessanten Story um oder lässt den Sorgen freien Lauf. Denn da sitzt eine und hört zu, mit offenen Ohren und weitem Herzen. Kaum haben wir geendet, steht sie auf, krempelt die Ärmel hoch und macht sich an die Arbeit. Zauberzauber, Hexhex: Und schon ist unser Leben wieder in Ordnung.
Das neueste Buch der großen russischen Autorin Ljudmila Ulitzkaja ist ein Märchen. Gern würden wir ihm glauben, aber leider können wir es nicht. Es ist ja wahr: Frauen wie diese Shenja, von der Ulitzkaja in ihrem Episoden-Roman so hinreißend leicht erzählt, könnten wir gut gebrauchen. Frauen, die wie Freundinnen sind und zugleich wie Über-Mütter, die niemals an sich selbst denken und denen ihre Arbeit – all das Kochen und Putzen, das Verwöhnen und Versorgen, das Hegen, Pflegen und Erziehen – leicht und klaglos von der Hand geht. Natürlich sollten sie auch noch intelligent sein, lebensklug und belesen, eben so wie diese Shenja, die nicht nur zwei Söhne erzieht, sämtlichen Freunden und Anverwandten durchs Leben hilft, das eigene chaotische Liebesleben immer wieder in den Griff bekommt, sondern auch als Journalistin erfolgreich ist und schließlich sogar einen kleinen Verlag leitet.
Auf dem Weg nach Frankfurt zur Buchmesse passiert's dann: Eben saß sie noch quietschfidel im Taxi zum Flughafen, stolz, dass sie ihr privates Plansoll mal wieder erfüllt hat, da kracht ein anderer Wagen in ihren hinein. Und plötzlich ist alles anders. Drei Tage liegt sie im Koma, acht Stunden wird sie operiert, zweimal bleibt ihr Herz stehen. Von Kopf bis Fuß gelähmt, wird sie schließlich nach Hause transportiert, nach drei Monaten sitzt sie immerhin schon im Rollstuhl. Aber ihr Lebensmut ist zerstört, ihre Energie versiegt. Sie wartet nur noch auf den Frühling, wenn der für den Winter dicht gemachte Balkon am Zimmer ihres Mannes geöffnet wird, „um den verhaßten Körper, dieses schlaffe Stück Aas, aus dem Rollstuhl zu hieven und über die Brüstung zu werfen”.
Der Leser hält den Atem an. Was wird die Autorin mit ihrer Figur tun? Keine zwanzig Seiten hat sie noch. Hängt sie ihrem leichten Roman einen traurigen Schluss an, um ihm Gewicht zu verleihen? Da tritt Lilja auf den Plan, eine alte Freundin, der Shenja nach ihrem Schlaganfall geholfen hatte, und liest ihr die Leviten: „Dir ging es gut, und da hast du so geredet, als dein Leben in Ordnung war. Aber nun, wo es dir schlecht geht, da bist du genauso wie alle.” Liljas Schimpftirade ist das erste, was Shenja innerlich erreicht. Vorsichtig beginnt sie wieder am Leben teilzunehmen, macht sich Gedanken und lässt sich schließlich von einem aserbeidschanischen Arzt operieren. Die Heilung naht. Mit der tröstlichen Information, dass Shenja zum ersten Mal wieder in ihr Notizbuch schreibt, „was zu erledigen ist”, wird der Leser ins eigene Leben entlassen.
Und nun? Soll er an die heilige Mutter des Pragmatismus glauben? Soll er annehmen, dass das Leben in Russland ganz anders läuft? Dass es dort neben den bösen Buben und der wild ausbrechenden Marktwirtschaft, die uns Sorokin, Pelewin, Prigow und Jerofejew immer wieder begeistert vorführen, tatsächlich auch das Mütterliche in Urform gibt? Nein, man sollte das Absonderliche an diesem Roman nicht durch einen Exotismus-Bonus rechtfertigen. Denn tatsächlich liegt er in einem Trend, der mit Russland wenig zu tun hat. Eine neue Sucht ist ausgebrochen: alle wollen das Existentielle light. Überall menschelt's und leidet's, aber es soll bitte ganz leichtfüßig sein. So kann ein Buch wie Eric-Emmanuel Schmitts „Oma Rosa” die Bestsellerliste erstürmen, das in wahrhaft infantiler Weise vom Tod eines leukämiekranken Jungen erzählt.
Aber das Schwere ist und bleibt schwer, es wird nicht wirklich leicht, wenn man darüber spricht. Auch wenn Scherze und Galgenhumor für Momente helfen mögen – jeder, der die Erfahrung von existentiellem Leid kennt, weiß, dass es sich wie ein Zentnergewicht auf die Brust legt. Und lange, lange Zeit nicht herunter will. Ljudmila Ulitzkaja findet für dieses Gewicht ein treffendes Bild. Lilja, die Neidgefühle gegenüber Shenja hegte und deshalb die Schuld an ihrem Unfall auf sich nehmen will, erzählt der kranken Freundin einen Traum, in dem sie einen „unheimlich schweren Sack” tragen muss: „Er ist eigentlich gar nicht so groß, aber er drückt mich förmlich nieder, ich halte es kaum aus.” Und dann erscheint ihr Shenja: „Ohne Gepäck, in einem blauen Kleid und Stöckelschuhen, deinen schicken blauen. Du siehst mich, kommst sofort angerannt, sagst etwas zu mir, was, weiß ich nicht mehr, jedenfalls etwas Tröstendes. Und noch ehe ich darum bitten kann, nimmst du mir mühelos den Sack ab und wirfst ihn dir auf die Schulter, als wäre nichts weiter dabei. Als wäre er in deinen Händen gar nicht schwer.” Ein schöner Traum, aber eben nur ein Traum. Persönliches Leid ist nun mal kein Sack, den man abgeben kann; höchstens kann man ihn auf ein paar Schultern verteilen.
„Die Lügen der Frauen”, wie der Roman für den deutschen Markt etwas reißerisch heißt, ist kein schlechtes Buch. „Skvoznaja linija”, zu deutsch „durchgehende Linie”, so der treffendere Titel im Original, enthält wunderbare Episoden. Über Kinder, Prostituierte, Eheleute, über eine junge Göre, die sich eine Liebesgeschichte mit dem Onkel erträumt (und damit Shenja, die Tante, in Verlegenheit bringt), über Frauen, die ihre Heilslehren wechseln wie andere Leute die Wäsche, über eine Literaturprofessorin, die Gedichte von Block, Woloschin, Zwetajewa als ihre eigenen ausgibt, um wenigstens einmal im Leben auszukosten, wie es sich anfühlt, im „einfältigen Herzen” der Zuhörer „Emotionen zu wecken”.
Hätte Ulitzkaja es bei den Episoden belassen, wäre dies ein gelungener kleiner Roman geworden, eine völlig einsichtige Fingerübung nach den epischen Großprojekten von „Medea und ihre Kinder” (1998), „Ein fröhliches Begräbnis” (1999) und „Reise in den siebenten Himmel” (2001). Aber sie wollte mehr. Und hat sich dabei verkalkuliert. So sehr sich alltägliche Missgeschicke bis hin zu mehr oder weniger tragischem Liebesunglück für den leichten Ton eignen, so schnell schlägt die Sache um, wenn es um Krankheit und Tod geht. Das Leichte wird dann verlogen, und in dieser Hinsicht stimmt der Titel dann doch.
MEIKE FESSMANN
LJUDMILA ULITZKAJA: Die Lügen der Frauen. Roman. Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt. Hanser Verlag, München und Wien 2003. 165 Seiten, 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Mit viel Sympathie für ihre Lügnerinnen beschreibt die Autorin, die 2001 den russischen Booker Prize erhielt, die innere Notwendigkeit, sich in bitteren Zeiten eine Wahrheit zu erfinden. Sie blickt ihren Heldinnen mit leisem Humor in die dunkle Seele. Wahrhaftig große Prosa."
Woman, Nr.17, 2003

"Mit Witz und Lakonie erzählt Ulitzkaja von kleinen Fluchten aus der Realität, denn manchmal ist Wirklichkeit nur eine Frage der Perspektive."
Brigitte, Nr. 20, 17.09.03

"Mit freundlicher Ironie erzählt die russische Autorin Ljudmila Ulitzkaja von Frauen, die sich in Träume flüchten ... eine heitere Abhandlung darüber, dass Wirklichkeit - wie auch Literatur - oft nur eine Frage der Behauptung ist."
Silja Ukena, Kultur-Spiegel, 08/03

"Das Buch hat eine glückselig machende Lebenskraft."
Viola Roggenkamp, Die Welt, 09.08.03